Donnerstag, 24. März 2016

Ein Stich ins Herz



Predigt an Karfreitag 2016 (25.3.16)
 http://www.gottesdienstinstitut.org/upload_sr11_alless05/1620_foto_online_10563.jpg
Herz gezeichnet
In Ihren Händen ein Lesezeichen, rot, mit dem Bild eines Herzens. Ein Lesezeichen legen Menschen in die Bücher, die sie lesen, manche knicken auch die Seitenecke, um sich zu merken, wo sie waren beim Lesen. Doch eigentlich sind Bücher zu wertvoll dafür. Wo das Lesezeichen eingelegt wurde, da hat man das letztemal aufgehört zu lesen und liest man das nächstemal weiter. Man weiß, wo man steht im Lesen. Lesezeichen markieren uns: Wir sind lesende Menschen. Wir sind am Lesen. Dieses Lesezeichen war gedacht für die ersten Bibeln in deutscher Sprache.
Dieses rote Lesezeichen zeigt ein Bild von einem Herzen. Bilder von Herzen gibt es unzählige, Herzen haben wir sicher schon selbst irgendwo, irgendwem, nicht irgendwem, gemalt, mit rotem Stift. Bilder von Herzen zeigen Herzen, die schlagen, die einen Namen tragen, die zu zweit sind, die mit einem Pfeil durchbohrt sind, die bluten, und immer stehen solche Herzbilder für die Liebe, dass da ein Mensch einen anderen liebt, dass Liebe Leidenschaft ist, dass Verliebtsein wunderschön ist und manchmal schrecklich weh tut, dass Liebe vergeht und zerbricht, dass sie etwas ewiges in sich trägt.
Ein Lesezeichen für Karfreitag. Als würde hier das Lesen innehalten, stoppen, eine Markierung haben. Vielleicht auch in unserem Lebensbuch: Gott legt ein Lesezeichen ein, in unser Lebensbuch, er hält selbst im Lesen inne, macht eine Zäsur. Karfreitag auch ein Bild von einem Herzen? Ein Herzensbild? Dann hätte Karfreitag mit der Liebe zu tun, die Liebe mit Karfreitag. Was für ein Karfreitag-Herz ist gemalt, ist zu sehen? Das Herz Gottes, das mit seinem Sohn leidet? Das Herz Jesu, wie es in seinem Leib am Kreuz hängt? Unser Herz?

Gewaltsam geöffnet
Das Herzbild auf unserem Lesezeichen ist von Hand gemalt, fast wie von Kinderhand, irgendwie scheint es, liebevoll gemalt zu sein, mit und in Liebe. Um das Herz herum ist eine Bordüre, aus gleichmäßigen Elementen. Eine spielerische Verzierung des Herzens. Darüber steht in roten Letten ein Satz, kaum zu lesen, aber da. Ein Satz auf Lateinisch.
Das Herz selbst hat einen dunkeln, schwarzen Spalt, ein Riss. Es ist wie aufgeschnitten, wie durchbohrt, verwundet, verletzt. Es ist tot. Unser Bild ist ein traditionelles Speerbildchen, wie sie früher verwandt wurden. Der Speer ist auf dem Bild nicht zu sehen, aber seine Wirkung, was er getan hat. Am Kreuz stach der Speer Jesus in seine Seite, um zu schauen, ob Blut und Wasser aus ihm herausfließe, ob er wirklich endlich echt tot sei. Dieses Wundmal an der Seite berührten die Jünger noch leise zweifelnd vom Karfreitag zerstört an Ostern.
Ein wirklich durchbohrtes, durch einen Spalt geöffnetes Herz kennen wir kaum. Vielleicht nur von Operationen und den Erzählungen davon, von schrecklichen Unfällen und Morden, von denen wir nur durch die Medien und deren Bildern erfahren. Jesu Herz wurde auch gewaltsam durchbohrt, wirklich und auch symbolisch, symbolisch dadurch, dass sein großes Herzensanliegen am Kreuz schrecklich tief getroffen wurde. Schrecklich: Jesus öffnete selbst sein Herz für alle Welt, er wandte sich den Menschen zu, ließ sie die wunderbare Nähe der Liebe Gottes in ihrem Herzen spüren, ließ Menschen in sein Herz hinein. Er war offen, empfänglich, verwundbar, verletzlich. Diesem weit in Liebe geöffnetem Herz Jesu wurde an Karfreitag ein Speerstoß versetzt, einer, der das Herz Jesu gewaltsam aufriss, so weit, so tief, so dunkel-schwarz, wie es unser Lesezeichen zeigt.

Liebe hält
Der lateinische Spruch über dem Herz auf unserem Speerbildchen lautet auf Deutsch übersetzt: „Jenes Herz ist durchstochen mit dem Speer unseres Herrn Jesus Christus.“ Wir sehen ein Herz durchstochen von der Lanze, die auch Jesu Herz durchstach. Im Mittelalter wurde das Fest der heiligen Lanze gefeiert, Gläubige konnten ihr eignes Herz an die Reliquie einer Lanze halten und glaubten so dem Leiden, dem sterbenden Herzen Jesu ganz nah zu kommen. Eine merkwürdige, aber auch wunderbare Szene der Nähe von unserem Leiden und Jesu Leiden, von unserem Herzen und seinem.
Es ist mein Herz, das ich auf dem Lesezeichen sehe, mein durchbohrtes Herz. Es ist mein Lesezeichen, das ich in den Händen halte. Es ist mein Karfreitag, den ich heute lebe. Es ist mein Lebensbuch, in dem Gott auch all die Karfreitage liest. Es ist mein Herz, das ich sehe. Durchbohrt vom Leiden Jesu, durchbohrt vom Tod Jesu. Ein schmerzvoller Stich ins Herz ist da, wo die Liebe berührt wird, wo der Liebe Schmerz zugefügt wird, wo sie Schmerz empfindet. Ein Stich ins Herz, ein Loch im Herz, ein Spalt, der aufgerissen wird, ist dort, wo etwas mit dem geschieht, den ich liebe und der mich liebt. Jesus liebt mich. Und ich liebe ihn. Am Kreuz geschieht etwas mit dieser Liebe, sie wird durchbohrt; so geschieht etwas mit mir, der ich den liebe, der am Kreuze ist, und er mich: Mein Herz erfährt ein Stich ins Herz, wird durchbohrt.
Doch mein Herz, das Herz auf unserem Speerbildchen blutet nicht, blutet nicht aus. So groß und tief der Riss ist, so viel Blut aus ihm herausfließen müsste, so rot bleibt es, so lebendig, so pulsierend bleibt es. Irgendetwas ist mit der Liebe, die in ihm wohnt. Irgendetwas ist mit dieser Liebe, das sie trotz Speerstich nicht herausfließt endet, aufhört, stirbt. Irgendjemand hält sie fest. Am Leben. Amen.


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