Donnerstag, 12. November 2015

Augenblicklich



Predigt am vorletzten Sonntag des Kirchenjahres (15.11.15)
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Matthäus 25, 31-46
Wenn aber der Menschensohn kommen wird in seiner Herrlichkeit und alle Engel mit ihm, dann wird er sitzen auf dem Thron seiner Herrlichkeit, und alle Völker werden vor ihm versammelt werden. Und er wird sie voneinander scheiden, wie ein Hirt die Schafe von den Böcken scheidet, und wird die Schafe zu seiner Rechten stellen und die Böcke zur Linken.
Da wird dann der König sagen zu denen zu seiner Rechten: Kommt her, ihr Gesegneten meines Vaters, ererbt das Reich, das euch bereitet ist von Anbeginn der Welt! Denn ich bin hungrig gewesen und ihr habt mir zu essen gegeben. Ich bin durstig gewesen und ihr habt mir zu trinken gegeben. Ich bin ein Fremder gewesen und ihr habt mich aufgenommen. Ich bin nackt gewesen und ihr habt mich gekleidet. Ich bin krank gewesen und ihr habt mich besucht. Ich bin im Gefängnis gewesen und ihr seid zu mir gekommen.
Dann werden ihm die Gerechten antworten und sagen: Herr, wann haben wir dich hungrig gesehen und haben dir zu essen gegeben, oder durstig und haben dir zu trinken gegeben? Wann haben wir dich als Fremden gesehen und haben dich aufgenommen, oder nackt und haben dich gekleidet? Wann haben wir dich krank oder im Gefängnis gesehen und sind zu dir gekommen? Und der König wird antworten und zu ihnen sagen: Wahrlich, ich sage euch: Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan.
Dann wird er auch sagen zu denen zur Linken: Geht weg von mir, ihr Verfluchten, in das ewige Feuer, das bereitet ist dem Teufel und seinen Engeln! Denn ich bin hungrig gewesen und ihr habt mir nicht zu essen gegeben. Ich bin durstig gewesen und ihr habt mir nicht zu trinken gegeben. Ich bin ein Fremder gewesen und ihr habt mich nicht aufgenommen. Ich bin nackt gewesen und ihr habt mich nicht gekleidet. Ich bin krank und im Gefängnis gewesen und ihr habt mich nicht besucht.
Dann werden sie ihm auch antworten und sagen: Herr, wann haben wir dich hungrig oder durstig gesehen oder als Fremden oder nackt oder krank oder im Gefängnis und haben dir nicht gedient? Dann wird er ihnen antworten und sagen: Wahrlich, ich sage euch: Was ihr nicht getan habt einem von diesen Geringsten, das habt ihr mir auch nicht getan. Und sie werden hingehen: diese zur ewigen Strafe, aber die Gerechten in das ewige Leben.

Ein bedrängender …
Nicht irgendwann mal, nicht in Zukunft, nicht fern. Sondern: Nah und jetzt, jetzt in einem Augenblick ist dieser Moment, dieser Augenblick des Menschensohns, des Weltgerichts, von uns. Dieser Augenblick kommt, kommt nah, wird, ist da. Jetzt. Das „Ich bin´s“ drängt sich auf und fragt uns: Wer bist du?
Dieser Augenblick kommt, majestätisch, herrlich, gewaltig, leuchtend, tosend, konzentriert, königlich, erhaben. Er stellt sich vor uns, glasklar, unmissverständlich. Er stellt uns vor sich. Wir stehen vor diesem Augenblick. Vor ihm gesammelt, in ihm versammeln sich alle Blicke, die Blicke des anderen, der anderen, unser eigener Blick, die vielen Blicke Gottes, der eine Blick Jesu Christi. Wir werden selbst angeblickt, angeschaut, angestarrt, wie von allen, hingestellt und angeschaut, beobachtet: Wer bist du? Jetzt.
Ich bin´s! Und alle anderen Fragen, all unsere anderen Fragen sind nichtig, nicht zustellen, irrelevant, egal. Fragen, ob wir helfen sollen oder nicht; ob der andere wirklich Hilfe braucht oder nicht; Fragen, wie zu helfen ist, was genau zu tun ist, Fragen, ob Kräfte, Finanzen, Zeit, Engagement, Sinn zum Helfen reicht. Wir werden wir nackt in jenem Augenblick, vielleicht ganz grundlegend durstig und hungrig, uns merkwürdig fremd und gefangen, kurz ganz lebenskrank.

 … entscheidender …
Es ist der entscheidende Augenblick. Wir können ihm nicht neutral gegenüber stehen, gegenüber sehen. Das geht nicht. Wir können uns ihm nicht entziehen, nicht so tun, als sei er nicht da, oder er sei anders, als seien wir Herrscher der Zeit und Herren dieses Augenblicks. „Ich bin´s!“ Der Augenblick stößt uns entweder weg, wir werden von ihm weggestoßen, ekeln uns, flüchten, drehen uns um, reden es uns anders und schön; helfen nicht. Oder: Der Augenblick zieht uns unweigerlich an, hält uns, sucht unsere Nähe, sucht uns, wir werden andere, verschmelzen auf merkwürdigste Weise mit ihm, hören sein: Komm! Hören sein: Sei bei mir! Hören ihn und bleiben, werden, helfen.
Es ist der entscheidende Augenblick. Er scheidet uns, jeden von uns in diesem Augenblick. Weggehen oder kommen, sein lassen oder helfen, nackt lassen oder ankleiden, fremd lassen oder aufnehmen, krank lassen oder besuchen, so oder so, Hop oder Top, Bock oder Schaf, links oder rechts. Nichts dazwischen, nicht sowohl als auch, nichts dazwischen fragen, sein: ich bin´s – und wer bist du?

… Augen öffnender ….
Ich bin´s in diesem Augenblick. Jesus Christus begegnet. Er richtet und ist in gleichen Moment der Maßstab, an dem sich alles bemisst; er ist Richter, zu Rettender und selbst Retter, alles in einem Augenblick.
Er öffnet die Augen. In jenem Augenblick ist unmissverständliche Klarheit, es geht einem alles auf, wir nehmen wahr, können sehen, verändern uns so wie die Situation, die Menschen in ihr, wie wir, andere werden und sind. In jenem Augenblick öffnen sich andere Horizonte, das Licht fällt hinein, wir sehen den anderen als Christus, Christus als anderen, beide als Brüder, beide als Geringste und uns an ihrer Seite, der Augenblick vermählt uns und wir werden zu Brüdern und Schwestern auf Zeit: der, der uns begegnet, berührt uns, er ist der Geringste, er ist Christus und wir geben ihm Antwort auf seine drängendste Frage, nach ihm und uns: Ich bin´s und du bist.

… und bewegender …
In jedem Augenblick verändert sich ein Stück Welt, für uns und den Geringsten, für Christus und Gott. Es verwandelt sich etwas: Der Hunger bekommt Essen, der Durst etwas zu trinken, Fremde werden in die Arme genommen, nackte Körper werden überdeckt, zu Kranken setzt sich jemand und Gefangene bekommen ein bisschen Freiheit von Jemanden. Es ändert sich etwas, Geringste bekommen Anteil am Leben, an unserem Leben, an unserem Hunger und Durst, an unserer Fremdheit und entblößenden Momenten, an unserer Krankheit und unserem Gefangensein; wir geben einander Anteil an dem, was Leben ist: wir stillen einander Hunger und Durst, sind ganz nahe den Fremden, beschützen Ungeborgene, begleiten Kranke, lassen Gefangene nicht allein in ihrer Schuld. Wir sind wer.
In jedem Augenblick werden wir verändert, verwandelt. Durch das Wort des Weltgerichts, des Menschensohns, durch das Wort Christi: Er benennt uns: statt Verfluchte sind wir Gesegnete, statt Schattenmenschen hell Leuchtende. Er ordnet uns zu: statt dem Teufel und seinen Engeln, gehören wir allein dem Vater im Himmel und auf Erden, statt verloren sind wir endlich gewonnen und wunderbar geborgen. Er verortet uns ewig: statt ewiges Feier und ewige Strafe, werden wir, wie es von Gott schon immer gedacht und gewollt ist: Wir sind Teil seines Reiches. Wir leben jetzt, in diesem … Augenblick schon das ewige Leben. Wissen: Das bin ich. Dank ihm. Amen.