Samstag, 21. Januar 2017

Vierzig Kilometer



Predigt am 3. Sonntag nach Epiphanias (22.1.2017)

Johannes 4, 46-54
Und Jesus kam abermals nach Kana in Galiläa, wo er das Wasser zu Wein gemacht hatte. Und es war ein Mann im Dienst des Königs; dessen Sohn lag krank in Kapernaum. Dieser hörte, dass Jesus aus Judäa nach Galiläa gekommen war, und ging hin zu ihm und bat ihn, herabzukommen und seinen Sohn zu heilen; denn der war todkrank. Da sprach Jesus zu ihm: Wenn ihr nicht Zeichen und Wunder seht, so glaubt ihr nicht. Der königliche Beamte sprach zu ihm: Herr, komm herab, ehe mein Kind stirbt! Jesus spricht zu ihm: Geh hin, dein Sohn lebt! Der Mann glaubte dem Wort, das Jesus zu ihm sagte, und ging hin. Und während er noch hinabging, begegneten ihm seine Knechte und sagten: Dein Kind lebt. Da fragte er sie nach der Stunde, in der es besser mit ihm geworden war. Und sie antworteten ihm: Gestern um die siebente Stunde verließ ihn das Fieber. Da merkte der Vater, dass es zu der Stunde war, in der Jesus zu ihm gesagt hatte: Dein Sohn lebt. Und er glaubte mit seinem ganzen Hause. Das ist nun das zweite Zeichen, das Jesus tat, als er aus Judäa nach Galiläa kam.

Bewegt
Vierzig Kilometer geht der Mann im Dienst des Königs von Kapernaum nach Kana in Galiläa. Vierzig Kilometer von seinem kranken, im Sterben liegenden Sohn zu Jesus. Vierzig Kilometer vom Totenbett hinauf zur erhofften Quelle des Lebens. Vierzig Kilometer: Ein Teil von vielen Wegen. Von inneren und äußeren Bewegungen:
Ein Kommen und Gehen: Jesus ist auf seinem Weg nach Kana gekommen, wo er selbst schon mal hin gekommen war zu Beginn seines Weges und ein Wunder vollbrachte hatte. Jetzt wird er dort vom Mann des sterbenden Kindes gebeten, hinab zu kommen nach Kapernaum. Der Mann war eigens herauf gekommen und nun heißt ihm Jesus, wieder zu zurückzugehen, wieder hinab nach Hause. Der Mann macht sich wieder auf den Weg und auf dem Weg haben sich vorher auch seine Knechte gemacht. Ihre Wege kreuzen sich und zusammen gehen sie wieder zurück nach Kapernaum. Mehrmals vierzig Kilometer werden gegangen, gewünscht, geschickt.
Kilometer voller innerer Bewegung, voller innerer Wege: Der Mann, ein Diener des Königs am Hof, sonst gewohnt vom König bewegt zu werden, ist innerlich bewegt von seinem Sohn, unruhig, in Sorge, umtrieben, er ängstigt sich um seinem beweglosen, sterbenden Sohn. Der Mann hat von Jesus gehört, von dem, was er tat, tut und kann, von seiner Macht, von seinen Welt und Menschen bewegenden Taten und Worten. Das setzt ihn in Bewegung, weg von seinem Sohn, mit ihm in der Seele, hin zu Jesus. Mit viel Hoffnung. Er bittet zweimal Jesus. Jesus, der wie merkwürdig unbewegt wirkt, der von Zeichen, Wunder und mangelnden Glauben wie abgehoben spricht. Eine Lebensbitte bewegt den Mann, er bittet um seinen Sohn, um sein Leben. Er versucht Jesus zu bewegen. Jesus bewegt sich, spricht Wunderworte. Bewegt von diesem hoffnungsvollen, alles umwälzenden Wort, das für ihn noch nicht Wirklichkeit ist, geht er wieder, aufgewühlt, noch ungewiss, das Wunderwort in sich. Er begegnet seinen Knechten, erfährt von der Heilung, entschlüsselt für sich, dass es Jesus war, der heilte. Seine Welt wird für ihn neu, er versteht die Macht Jesu am eigenen Leben, bekommt Glauben, eine neue Lebensbewegung, zusammen mit den Seinen. Seine innere Bewegung endet wieder beim Bett seines Sohnes, tief bewegt, glücklich.

Zeitwunder
Wo geschieht das Wunder der Heilung? Bei Jesus, als er es sagt? Beim Sohn, als das Leben wieder kommt? Oder irgendwie auch beim Mann, als er es hört und das Wunder versteht? Irgendwo auf dem Weg zwischen Kana und Kapernaum scheint das Wunder zu geschehen.
Wo geschieht das Wunder? Wann endlich? Das mögen Menschen in sich fragen, wenn verzweifelt, angstvoll kein anderer Weg mehr geht, wenn alle anderen Wege und Möglichkeiten enden, wenn kein anderer Ausweg mehr sichtbar ist, wenn es mehr braucht als sie, dann bräuchten sie ein Wunder. Vielleicht sind Wunder letzte Auswege, die Gott schafft. Momente, wo Gottes Liebe sich ereignet und wie verortet in der Welt, wo Gottes wunderbare Wirklichkeit geschieht, eine andere, neue Wirklichkeit schafft als die, die gerade da ist und bedrängt. Gottes Wunder sind keine bloßen Demonstrationen von einer ungewöhnlichen, alles übersteigenden Macht, keine Zaubereien und Merkwürdigkeiten jenseits menschlicher Gesetze, Erfahrungen und Gewöhnlichkeiten. Gottes Wunder sind Leben, da wo Leben vergeht, stirbt, sind Siege der Liebe. Erstaunliche deshalb, außergewöhnlich wie Gott, wunderbar.
Das Wunder geschieht irgendwie auf diesen vierzig Kilometer, inmitten all der äußeren und inneren Bewegung. Das Wunder geschieht irgendwie dazwischen, zwischen Raum und Zeit. Es bricht nicht unvermittelt herein, es durchbricht nicht Raum und Zeit oder umgreift sie merkwürdig. Das Wunder geschieht irgendwie auf diesen vierzig Kilometern, es hat den Raum und die Zeit als Teil von sich, Raum und Zeit gehören zum Wunder.
So geschehen Wunder manchmal mit noch mehr Rum und Zeit als vierzig Kilometer. Manchmal liegen mehr Zeit und Raum dazwischen, manchmal mehrere Jahre, vielleicht ein Leben, dass Wunder geschieht

Lebe
Das Wunder passt zwischen zwei Sätze: „Mein Kind stirbt“ und „Dein Sohn lebt“. Zwischen diesen beiden Sätzen ist alles und nichts. Es ist kaum etwas, eigentlich nichts dazwischen, Worte, die gleiches meinen, Kind und Sohn, die sich verbinden auf Nächste durch Mein und Dein. Worte die weiter nicht entfernt sein können: stirbt und lebt, Sterben und Leben, Tod und Leben. Dazwischen liegen Welten, und in diesem Dazwischen, zwischen den beiden kleinen Sätzen liegt so viel und der Abgrund, liegt alles und Nichts, liegt all die Bewegung, das Kommen unf Gehen, das Gehörthaben und Glaubenversuchen, das Hoffen und Bangen, das Totenbett und die staubigen Schuhe, der Blick auf Jesus, das Wort aus seinem Mund, die erlösenden Worte der Knechte, der ganz andere Weg zurück.
In diesem Dazwischen, zwischen den beiden kleinen Sätzen das passen auch unsere Sätze, deren wir viele sprechen, ungesagt lassen, hoffen, denken und weinen; sie passen zwischen diese beiden elementaren, ganz grundsätzlichen, kleinen Sätze, sie passen zart hinein zwischen Sohn und Kind, zart zwischen Dein und Mein, ungeheuerlich wunderbar zwischen die Welten, die darin liegen, zwischen die Welten von Leben und Sterben.
Im Leben gibt es ein Gefälle von Zeit und Raum, es schreitet voran, wir leben, nichts ist umkehrbar, das Leben geht, die Zeit damit. Und da, wo es endet, ist Tod. Unsere Sprache ahmt diese Richtung nach, ist daraus wie erwachsen, ein Buchstabe folgt dem anderen und wird zum Wort, Worte folgen aufeinander daraus werden Sätze und Sätze haben ihre Richtung und daraus entstehen Texte, Geschichten, das Leben. Jesus macht, dass aus dem Satz „Mein Kind stirbt“ der Satz wirklich wird „Dein Sohn lebt“. Es ist ein ungeheuerliches, was durch ihn gesagt wird und passiert. Jesus dreht den Todessatz um in einen Lebenssatz, er wendet Sterben in Leben. Er ist Herr der Zeiten inmitten der Zeit. Herr des Raums inmitten der Räume. Herr der Liebe, ist er. Das ist das Wunder unserer Lebenswege. Amen.

Samstag, 7. Januar 2017

Wie Liebende sprechen



Predigt am 1. Sonntag nach Epiphanias (8.1.17) zur Jahreslosung

„Gott spricht: Ich schenke euch ein neues Herz und
lege einen neuen Geist in euch.“ (Hes 36,26)

Auf Herzen schauen
Ein Jahr lang. So oft wie möglich. Auf Herzen schauen. In Herzen schauen. Das eigene, wie es in einem schlägt, das Blut durch die Adern pumpt, wie es von seinen Gefühlen erzählt, von dem, was uns nahegeht, beseelt. Schauen: Auf die Herzen der anderen, die nah mit uns leben, denen wir alltäglich begegnen, die ihr Herz uns schenken, die wir mit denken, wenn wir denken. Die vielen anderen Herzen, die uns im Laufe der Tage, Wochen, Monate begegnen, nah und fern, in menschlichen Körpern, überdeckt von Fleisch, Haut, Kleidung, die schlagen in ihrem Lebenstakt, die froh und traurig sind, die Sorgen und Hoffnung in sich tragen, die vom ersten Herzschlag bis zum letzen leben. Ein Jahr lang Herzen schauen. Bisschen in sie. Vorsichtig. Zärtlich. Bestimmt.
Ein Jahr lang Gottes Herz schauen. Seinen Herzschlag hoffentlich für uns, ein Gefühl für seine Welt, sein innerstes Wollen und Planen, Trachten und Suchen. Sein Herz ein Jahr lang suchen, fragen, was es meint, was es in sich trägt, wie es in ihm aussieht. Und wir darin. In aller menschlichen Zurückhaltung, Bescheidenheit, im Nachgehen Gottes Herz schauen. Inmitten all dem, was wir noch schauen werden in diesem Jahr, an Unglaublichen und Alltäglichen, an Schrecklichen und Wunderbaren, an ganz eigenen und persönlichen und an fremden. Inmitten allem Schauen und Wegschauen, inmitten aller Pläne, Vorhaben, Vorsätzen, Verzichtserklärungen, Neuansätzen, inmitten allem Weitermachen Etwas sehen, eine Vision haben, ein Jahr lang.
Hesekiel, aus dessen Buch die Jahreslosung stammt, sieht mehr als etwas, er sieht viel mehr. Er sieht Herzen, sein eigenes, das Herz seines Volkes Israel, das Herz der Welt und Gottes Herz. Er sieht Herzen, innerste, äußerste. Hesekiel hat eine Vision, er schaut himmlische Trohnwagen, ein Buch, das sein Auftrag wird, er sieht ein Totenfeld, dessen menschliche Knochen wieder Fleisch, Blut und Leben bekommen. Er sieht einen neuen Bund. Er sieht Menschen neu werden. Er sieht steinerne Herzen sich verwandeln in fleischerne. Er sieht erkaltete Herzen, wie sie aus den Leibern gerissen werden, und wie Herzen von Gott beseelt eingepflanzt werden. Er sieht Gottes Herz, wie dieses eine Vision hat: Wie endlich wieder Menschen seine Menschen werden und wie endlich er wieder Gott seiner Menschen wird. Hesekiel sieht Unheil und Heil, Gericht und Rettung. Er schaut klagend und sorgend, wütend und hoffend, er schaut Herzen.
Ein Jahr lang Herzen schauen. Wie Liebende sprechen.

In Dich hineinlegen
Ich schenke dir mein Herz. Ich lege in dich meinen Geist. Wie Liebende sprechen. Wie Liebende einander geben. Wie es Liebenden um das Innerste geht, um das Intimste, um das Wichtigste am und für den Anderen. Es zu wahren und zu bewahren. Es neu zu machen, damit alte Furcht schwindet. Es zu beleben, damit Vergangenes nicht quält. Es zu verwandeln, wo es droht, zu ersterben. Es zu halten, wo es stürzt.
Rettend: Ich lege in dich meine Liebe, meine Sätze, meine Worte, meine Gedanken, meine Geschichten, meine Angst und meine Hoffnung, meine Sorge und mein Sorgen, mein Sinnen und meine Stille. Ich lege in dich, in dein Leben, in das Innerste von Dir mich, dorthin, wo du lebst, wo du atmest, wo du denkst, wo du fühlst, wo du bist, wo du dich manchmal verkriechst, woher du deine Kreft, dein Strahlen, deine Liebe nimmst, wo du Ruhe bist und Leidenschaft, wo du du bist - dahin lege ich mich, mein Leben selbst, das von mir in dich, beseele dich, beatme dich, berge dich, schenke ich mich dir, damit du bist.
Ich lege mein Herz und meinen Geist in dich. Ein Jahr lang. Wie Liebende sprechen.

Herz Jesu werden
Wie Liebende sprechen. Herzen schauen. Gottes Vision, Gottes Herz ist Jesus Christus. Hier lebt, atmet, gibt sich, empfängt sich Gott. Ein Jahr lang Christus schauen. Sein Herz, sein Innerstes, sein Denken und Sagen, sein Wollen und Trachten, seinen Geist.
Jesus Christus: Gottes neuer Mensch. Gottes Mensch, der ihm ganz entspricht, der ganz und gar aus und zu Gott denkt, redet und lebt. Der Mensch, wie von Gott gedacht, geschaffen, gewünscht. Ein vollendeter Mensch, ganz bezogen auf Gott, ganz ihm wohlgefällig- Jesus Christus: ein Mensch, der seine eigene Endlichkeit, seinen Tod annimmt, und selbst das Sterben unter Leiden aus Gottes Hand noch nimmt, ein Mensch, in dem Gottes Fülle lebt, zu sehen, zu spüren, zu lesen, zu hören ist, den Gott im Tod nicht lässt, der ewig lebt und lebendig ist, wo immer Gottes Liebe zur Sprache kommt, wo immer Menschen sie spüren, wo immer weitergesagt wird, was er in sich sagte von Gott, was er in sich trug von ihm, was er göttlich zur Welt brachte und lebt. Jesus Christus: Liebender und Geliebter.
Ein Jahr lang diesen Christus schauen, nachschauen, nachgehen, nachlesen. Ein Jahr lang in ihm Gottes Herz schauen, wie es pulsiert und lebt, wie es liebt und für uns schlägt. Ein Jahr lang Christus behutsam, respektvoll, beharrlich ähnlich werden, seinen Lebensstil unbeholfen, mutig nachahmen. So werden wie er ist. Nur ein bisschen und mehr! Etwas von der großartigen Vision Hesekiels leben. Unser Herz wird dem von Jesus Christus gleicher. Unser neues Herz wird an seinem, es wächst zu ihm hin, es formt sich nach seinem, er formt es in unserem Körper. Unser Geist betet sich in seinem ein, wir denke ein bisschen wie er, wir fühlen ein bisschen wie er, wir gehen ein bisschen seine Wege, wir werden ganz auf Gott bezogen, leben aus ihm. Unser Herz wird Gott wohlgefällig, göttlicher.
Ein Jahr lang. So oft wie möglich. Herz Jesu schauen, sein. Das wäre Gottes Geschenk. Das möge er in unsere kommenden Tagen, Wochen, Monate, in unser Leben legen. Amen.