Predigt am 3. Sonntag nach Epiphanias
(22.1.2017)
Johannes 4, 46-54
Und Jesus kam abermals
nach Kana in Galiläa, wo er das Wasser zu Wein gemacht hatte. Und es war ein
Mann im Dienst des Königs; dessen Sohn lag krank in Kapernaum. Dieser hörte,
dass Jesus aus Judäa nach Galiläa gekommen war, und ging hin zu ihm und bat
ihn, herabzukommen und seinen Sohn zu heilen; denn der war todkrank. Da sprach
Jesus zu ihm: Wenn ihr nicht Zeichen und Wunder seht, so glaubt ihr nicht. Der
königliche Beamte sprach zu ihm: Herr, komm herab, ehe mein Kind stirbt! Jesus
spricht zu ihm: Geh hin, dein Sohn lebt! Der Mann glaubte dem Wort, das Jesus
zu ihm sagte, und ging hin. Und während er noch hinabging, begegneten ihm seine
Knechte und sagten: Dein Kind lebt. Da fragte er sie nach der Stunde, in der es
besser mit ihm geworden war. Und sie antworteten ihm: Gestern um die siebente
Stunde verließ ihn das Fieber. Da merkte der Vater, dass es zu der Stunde war,
in der Jesus zu ihm gesagt hatte: Dein Sohn lebt. Und er glaubte mit seinem
ganzen Hause. Das ist nun das zweite Zeichen, das Jesus tat, als er aus Judäa
nach Galiläa kam.
Bewegt
Vierzig Kilometer geht der Mann im
Dienst des Königs von Kapernaum nach Kana in Galiläa. Vierzig Kilometer von
seinem kranken, im Sterben liegenden Sohn zu Jesus. Vierzig Kilometer vom
Totenbett hinauf zur erhofften Quelle des Lebens. Vierzig Kilometer: Ein Teil von
vielen Wegen. Von inneren und äußeren Bewegungen:
Ein Kommen und Gehen: Jesus ist auf
seinem Weg nach Kana gekommen, wo er selbst schon mal hin gekommen war zu
Beginn seines Weges und ein Wunder vollbrachte hatte. Jetzt wird er dort vom
Mann des sterbenden Kindes gebeten, hinab zu kommen nach Kapernaum. Der Mann
war eigens herauf gekommen und nun heißt ihm Jesus, wieder zu zurückzugehen,
wieder hinab nach Hause. Der Mann macht sich wieder auf den Weg und auf dem Weg
haben sich vorher auch seine Knechte gemacht. Ihre Wege kreuzen sich und
zusammen gehen sie wieder zurück nach Kapernaum. Mehrmals vierzig Kilometer werden
gegangen, gewünscht, geschickt.
Kilometer voller innerer Bewegung,
voller innerer Wege: Der Mann, ein Diener des Königs am Hof, sonst gewohnt vom
König bewegt zu werden, ist innerlich bewegt von seinem Sohn, unruhig, in
Sorge, umtrieben, er ängstigt sich um seinem beweglosen, sterbenden Sohn. Der
Mann hat von Jesus gehört, von dem, was er tat, tut und kann, von seiner Macht,
von seinen Welt und Menschen bewegenden Taten und Worten. Das setzt ihn in
Bewegung, weg von seinem Sohn, mit ihm in der Seele, hin zu Jesus. Mit viel
Hoffnung. Er bittet zweimal Jesus. Jesus, der wie merkwürdig unbewegt wirkt,
der von Zeichen, Wunder und mangelnden Glauben wie abgehoben spricht. Eine Lebensbitte
bewegt den Mann, er bittet um seinen Sohn, um sein Leben. Er versucht Jesus zu
bewegen. Jesus bewegt sich, spricht Wunderworte. Bewegt von diesem
hoffnungsvollen, alles umwälzenden Wort, das für ihn noch nicht Wirklichkeit
ist, geht er wieder, aufgewühlt, noch ungewiss, das Wunderwort in sich. Er
begegnet seinen Knechten, erfährt von der Heilung, entschlüsselt für sich, dass
es Jesus war, der heilte. Seine Welt wird für ihn neu, er versteht die Macht
Jesu am eigenen Leben, bekommt Glauben, eine neue Lebensbewegung, zusammen mit
den Seinen. Seine innere Bewegung endet wieder beim Bett seines Sohnes, tief
bewegt, glücklich.
Zeitwunder
Wo geschieht das Wunder der Heilung?
Bei Jesus, als er es sagt? Beim Sohn, als das Leben wieder kommt? Oder
irgendwie auch beim Mann, als er es hört und das Wunder versteht? Irgendwo auf
dem Weg zwischen Kana und Kapernaum scheint das Wunder zu geschehen.
Wo geschieht das Wunder? Wann
endlich? Das mögen Menschen in sich fragen, wenn verzweifelt, angstvoll kein
anderer Weg mehr geht, wenn alle anderen Wege und Möglichkeiten enden, wenn
kein anderer Ausweg mehr sichtbar ist, wenn es mehr braucht als sie, dann
bräuchten sie ein Wunder. Vielleicht sind Wunder letzte Auswege, die Gott
schafft. Momente, wo Gottes Liebe sich ereignet und wie verortet in der Welt,
wo Gottes wunderbare Wirklichkeit geschieht, eine andere, neue Wirklichkeit
schafft als die, die gerade da ist und bedrängt. Gottes Wunder sind keine
bloßen Demonstrationen von einer ungewöhnlichen, alles übersteigenden Macht,
keine Zaubereien und Merkwürdigkeiten jenseits menschlicher Gesetze,
Erfahrungen und Gewöhnlichkeiten. Gottes Wunder sind Leben, da wo Leben vergeht,
stirbt, sind Siege der Liebe. Erstaunliche deshalb, außergewöhnlich wie Gott,
wunderbar.
Das Wunder geschieht irgendwie auf
diesen vierzig Kilometer, inmitten all der äußeren und inneren Bewegung. Das
Wunder geschieht irgendwie dazwischen, zwischen Raum und Zeit. Es bricht nicht
unvermittelt herein, es durchbricht nicht Raum und Zeit oder umgreift sie
merkwürdig. Das Wunder geschieht irgendwie auf diesen vierzig Kilometern, es
hat den Raum und die Zeit als Teil von sich, Raum und Zeit gehören zum Wunder.
So geschehen Wunder manchmal mit noch
mehr Rum und Zeit als vierzig Kilometer. Manchmal liegen mehr Zeit und Raum
dazwischen, manchmal mehrere Jahre, vielleicht ein Leben, dass Wunder geschieht
Lebe
Das Wunder passt zwischen zwei Sätze:
„Mein Kind stirbt“ und „Dein Sohn lebt“. Zwischen diesen beiden Sätzen ist
alles und nichts. Es ist kaum etwas, eigentlich nichts dazwischen, Worte, die
gleiches meinen, Kind und Sohn, die sich verbinden auf Nächste durch Mein und
Dein. Worte die weiter nicht entfernt sein können: stirbt und lebt, Sterben und
Leben, Tod und Leben. Dazwischen liegen Welten, und in diesem Dazwischen,
zwischen den beiden kleinen Sätzen liegt so viel und der Abgrund, liegt alles
und Nichts, liegt all die Bewegung, das Kommen unf Gehen, das Gehörthaben und
Glaubenversuchen, das Hoffen und Bangen, das Totenbett und die staubigen
Schuhe, der Blick auf Jesus, das Wort aus seinem Mund, die erlösenden Worte der
Knechte, der ganz andere Weg zurück.
In diesem Dazwischen, zwischen den
beiden kleinen Sätzen das passen auch unsere Sätze, deren wir viele sprechen,
ungesagt lassen, hoffen, denken und weinen; sie passen zwischen diese beiden
elementaren, ganz grundsätzlichen, kleinen Sätze, sie passen zart hinein
zwischen Sohn und Kind, zart zwischen Dein und Mein, ungeheuerlich wunderbar
zwischen die Welten, die darin liegen, zwischen die Welten von Leben und
Sterben.
Im Leben gibt es ein Gefälle von Zeit
und Raum, es schreitet voran, wir leben, nichts ist umkehrbar, das Leben geht,
die Zeit damit. Und da, wo es endet, ist Tod. Unsere Sprache ahmt diese
Richtung nach, ist daraus wie erwachsen, ein Buchstabe folgt dem anderen und
wird zum Wort, Worte folgen aufeinander daraus werden Sätze und Sätze haben
ihre Richtung und daraus entstehen Texte, Geschichten, das Leben. Jesus macht,
dass aus dem Satz „Mein Kind stirbt“ der Satz wirklich wird „Dein Sohn lebt“.
Es ist ein ungeheuerliches, was durch ihn gesagt wird und passiert. Jesus dreht
den Todessatz um in einen Lebenssatz, er wendet Sterben in Leben. Er ist Herr
der Zeiten inmitten der Zeit. Herr des Raums inmitten der Räume. Herr der
Liebe, ist er. Das ist das Wunder unserer Lebenswege. Amen.