Predigt am Ewigkeitssonntag 2013
zum Lied "Meine Freundin war im Koma und ..."
Nicht du
Nicht du. Du nicht. Erstes Gefühl,
erster Gedanke, erste Worte. Alle. Aber doch nicht du. Bei der Diagnose, merkwürdig
gedämpft im Arztgespräch, in schier unendlichen Fahrten hin und her, auf dem
Sofa wie erschlagen, ungeheuer stark am Totenbett, lange hin wartend, plötzlich:
Nicht du, bitte nicht du, du nicht, bleib!, bitte, sei nicht krank, sei nicht
tot. Ich will es nicht haben, nicht wahrhaben, nicht fassen.
Aber du auch, auch du. Schrecklich,
immer mehr ins Hirn sickernd, in die Gefühle kriechend, sie lähmend, vor Augen
gehalten: Du auch. Jeder kennt jemanden, der jemanden verloren hat. Der Pfarrer
hat schon viele beerdigt. Ein Termin beim Bestatter, andere haben auch welche,
ein Reihengrab neben den anderen, der Lauf der Dinge, der Gang des Lebens,
weiter, weiter geht´s. Nein. Nicht du, und: Du auch, wir dazwischen eingezwängt,
traurig eingespannt. Ich, ich auch, ich selbst auch mal, auch mal sterben.
Irgendwann. Aber du?
Worlds best mum
Du: Freundin, Freund, Bekannte,
Nachbar, du, mein Mann, meine Frau, meine Mutter, mein Opa, mein Kind, mein
geliebtes. Du: Worlds best Mum, worlds best wife, worlds best
friend. Ja, von meiner
Welt das Beste. Wie immer du auch warst, mit deinen Schwächen, Kanten, Ecken,
mit deinen Schrullen, Liebenswürdigkeiten, mit dem Leben vor und hinter dir, mit deinen,
nur deinen kleinen Worten, deinen Blicken, deinen Augen, Atem, den Händen zu
mir.
Meiner Welt das Beste, meiner kleinen
Welt, aber du gehörst dazu, verzeih: gehörtest dazu, warst da, fülltest die
Räume, warst Zeit bei mir, Hilfe und Bedürftige, Rat und Tat, Weg und Gedanke,
Nachtgefährte, Stück täglich Brot. Wer hat sie nicht stehen oder gesehen, diese
kleine verdammte Tasse mit Namen drauf, geschenkt, geschenkt bekommen,
geliebt-gehasst, lausig, die Schrift vom Wasser blass gespült, heute ohne Besitz
mehr, aber mit Loch und randvoll mit Erinnerung.
Tunnelende
Erinnerungsstücke. Souvenirs.
Mitbringsel. Habseligkeiten derer, die Gott selig habe. Sie füllen unsere
Wohnungen, an den Wänden, auf Regalen, in Schubladen, im Kopf, im Herz, in
Erinnerung. Bilder, Dinge, Erzählendes. Irgendwann gekauft, aufgenommen, mitgebracht,
hingestellt, erzählen sie heute von damals, von ihm und von ihr, wie es mit ihm
war, mit ihr zusammen gewesen ist. Ein bisschen lausig, weil in ihnen auch der
Schmerz wie wohnt, weil sie in manchen Stunden nicht von Erinnerung erzählen,
sondern vom Nicht-Dasein, vom Vermissen, vom Loch, von unseren Tränen, vom
Fehlen und Sehnen.
Am Tunnelende stehen diese Souvenirs
nicht, sie stehen bei uns. Am Tunnelende hoffen wir die, die sie uns schenkten.
Mit ihnen sind wir durch den Tunnel gegangen. Den Tunnel der Krankheit, des
Sterbens, des Abschieds, des Schocks, der Trauer. Am Tunnelende stehen wir,
irgendwie am falschen Ende, den Blick in
die unerträgliche Enge des Tunnelblicks in ein fernes Licht, zurückgelassen,
alleingelassen, getrennt, und stundenweise fassungslos, was bleibt von dir? Hoffentlich
bist du auch am Tunnelende, aber am anderen, am richtigen, hast den Tunnel
durchschritten, durchlebt, durchstorben, bist du am Anfang des Lichts, gehst
hinüber, wirklich Tunnelende, hinein ins Licht, nimmst all dein Gepäck mit, all
die wunderbaren Erinnerungen an uns, die Bilder taschenvoll. Die Zeit, die
Blicke, die Begegnungen, die Umarmungen, die Liebe nimmst du mit, und gehst ins
Licht, das uns nachts in dunklen Träumen durch die Hände rinnt. „Auch ich wollt
ein Souvenir vom Tunnelende. … Irgendetwas, das uns zeigt, es tut gar nicht
weh.“ Und es tut doch weh.
Souvenir
Nicht du – du auch. Gott das sagen
hören, sprechen zum Sterbenden leise: Nicht du bleibst im Tod, nicht du bleibst
tot, auch du, du auch kommst durch den Tunnel mir entgegen, auch du, auch dich
empfange ich und führe dich ins Licht. Und zu jedem Trauernden Gott sprechen
hören, zu jedem von euch: Nicht du bleibst allein am anderen Tunnelende, ich
bin da, Gott, und tröste dich, nicht du bleibst in Dunkelheit, in Schmerz, in
Frage; auch du, du auch bist von mir gehalten, geliebt, deine Tränen wische ich
ab und sammele sie.
Beide in Gottes Hände hoffentlich:
Eure Toten und Ihr, beide gehalten, geborgen in Gottes Hände. Beide in einer
Hand. Doch nicht Worlds End, sondern diese Welt und danach, darin, mit ihr: eine
andere Welt, jene ohne Tränenschmerz, ohne Geschrei, ohne Leid, ohne Tod, Himmel
- und beide Welten, die unsere hier, und die dort mit dem, verloren Geliebten,
verbunden, wir miteinander, verbunden durch Gott, in seiner einen Welt, jetzt
und immer.
Kein Souvenir vom Tunnelende. Nein,
eines von dort nach dem Tunnel, vom Licht, von der Ewigkeit, von eurem auferstandenen
Menschen. Kein Erinnerungsstück. Nein, ein Stück mit Blick nach vorne, nach
oben, hinaus, weit: T-Shirt, Hemd mit Taschen aufgenäht, Tassen mit Namen, in
schweren Zeiten lausig, für uns alltäglich, tragen nach bestimmter Zeit kleine
himmlische Konturen. Eure Verstorbenen werden im Himmel alles haben, woran ihr
Herz hängt, jene Habseligkeiten in aller Seligkeit und dort warten sie geduldig
auf die euren, auf euch. Im Himmel werden Tränen abgewischt, sie werden
geweint, doch tun sie nicht mehr weh, brennen nicht mehr, Gott verwandelt sie,
auch unsere Tränen, eure, eure auch. Amen.