Predigt zum 22. Sonntag nach
Trinitatis (28.10.2018)
Römer 7, 14-25a
14 Denn wir wissen, dass das Gesetz geistlich ist; ich aber bin
fleischlich, unter die Sünde verkauft. 15 Denn ich weiß nicht, was ich tue.
Denn ich tue nicht, was ich will; sondern was ich hasse, das tue ich. 16 Wenn
ich aber das tue, was ich nicht will, stimme ich dem Gesetz zu, dass es gut
ist. 17 So tue ich das nicht mehr selbst, sondern die Sünde, die in mir wohnt.
18 Denn ich weiß, dass in mir, das heißt in meinem Fleisch, nichts Gutes wohnt.
Wollen habe ich wohl, aber das Gute vollbringen kann ich nicht. 19 Denn das
Gute, das ich will, das tue ich nicht; sondern das Böse, das ich nicht will,
das tue ich. 20 Wenn ich aber tue, was ich nicht will, vollbringe nicht mehr
ich es, sondern die Sünde, die in mir wohnt. 21 So finde ich nun das Gesetz:
Mir, der ich das Gute tun will, hängt das Böse an. 22 Denn ich habe Freude an
Gottes Gesetz nach dem inwendigen Menschen. 23 Ich sehe aber ein anderes Gesetz
in meinen Gliedern, das widerstreitet dem Gesetz in meinem Verstand und hält
mich gefangen im Gesetz der Sünde, das in meinen Gliedern ist. 24 Ich elender
Mensch! Wer wird mich erlösen von diesem Leib des Todes? 25 Dank sei Gott durch
Jesus Christus, unsern Herrn! So diene ich nun mit dem Verstand dem Gesetz
Gottes, aber mit dem Fleisch dem Gesetz der Sünde.
Mitten im Ringen
Paulus ringt, ringt mit sich, mit
seinen Fragen im Kopf, mit Sünde und Gesetz, mit seinem Wollen und Tun, mit
Fleisch und Verstand. Mitten im Ringen ist Gott. Mitten im Ringen von Paulus,
mitten im Ringen von Menschen, mitten in ihrer Not, in ihrer merkwürdig hell
und zugleich dunklen Herrlichkeit ist Gott.
Gott kann doch Paulus nicht
distanziert gegenüber. Gott kann doch nicht jenseits von Paulus sein. Gott kann
doch von Paulus nicht unberührt bleiben. Paulus muss ihn angehen. Menschen
müssen ihn angehen. Ich, Mensch, muss Gott angehen; ich mit meinem Ringen mit
mir selbst, mit meinem Wohin und Woher, mit meinen quälend offenen Fragen, mit
meiner ewigen Suche nach Sinn, mit meiner Sehnsucht und Hinterhältigkeit, mit
meiner Rastlosigkeit und Liebe.
Gott ringt um mich
Gott muss Paulus doch sehen! Gott
muss doch sehen, wie es im Kopf von Paulus kreist, wie er unsicher ist, wie er
fragt und fragt, wie er zweifelt, kämpft, wie Paulus hin- und hergeworfen wird,
wie es fast Chaos herrscht in seinen Gefühlen, in seinem Denken, in seinem
Wollen, in seinem Tun, wie Paulus sich abquält, hohl dreht, wie in einem
eigenen Teufelskreis durch die Hölle geht.
Gott muss doch sehen, wie Paulus
Böses tut, kleines, nickliges, großes Böses, in Gedanken, im Tun. Gott muss
doch sehen, wie Paulus fehlsteuert, wie er den falschen Weg geht, und meint es
wäre der richtige, wie Paulus aus Gottes Sicht nicht ganz bei sich, bei Sinnen ist,
wie Paulus eigentlich will, aber was anderes tut. Gott muss doch sehen, wie die
Sünde, die Gegenspielerin Gottes, von Paulus scheinbar, ja wirklich Besitz
ergreift, wie sie ihn entmachtet, Macht über ihn hat, das Böse ihn verkauft,
gefangen nimmt.
Das muss Gott doch sehen, dass muss
ihn doch verzweifelt machen, zornig, wütend, hilflos zugleich. Immer muss ihn
das so machen, wenn das mit Menschen geschieht, mit seinen Menschen. Immer muss
dies Gott auch irgendwie hin- und herreißen, in ihm kreisen, muss ihn das
quälen.
Gott muss doch sehen, wie Paulus nach
Halt im Chaos sucht, wie er versucht, mühsam Orientierung zu behalten, nicht
unterzugehen, zu sortieren: in oben und unten, in Verstand und Fleisch, in
Wollen und Tun, in eigentlich und wirklich, in Geist und Sünde, in Außen und
Innen, in Gut und Böse. Aber immer wieder muss Gott sehen, wie es über Paulus
zusammenbringt, wie Paulus, wie Menschen das Ringen verlieren. Gott muss doch
um Paulus ringen.
Gott ringt mit mir
Gott ringt um Paulus. Gott ringt mit
Paulus. Gott ringt mit Paulus gegen Paulus. Gott ist alles andere als jenseits
von Paulus, alles andere als Zuschauer, alles andere als nur irgendwie berührt.
Er ist mitten drin. Gott ringt nicht um Paulus, als gäbe es noch Platz für ein
Dazwischen, als stünden sich fein säuberlich getrennte Pole gegenüber, als
könnte man, als könnte Paulus, als könnte Gott, aus bestimmter, gewählter
Distanz sich auf die eine oder auf die andere Seite schlagen. Nein. Es geht um
alles.
Gott ringt mit den Gefühlen von Paulus,
mit seinem Denken, mit seinem Tun und Wollen. Er ringt mit Paulus. Mit seinem
Hochmut, mit seiner Blindheit, mit seiner Ausweglosigkeit, mit seiner Sünde,
mit seinem Leben. Es geht um Alles. Auch wenn Menschen das vielleicht nicht
merken, es geht manchmal um alles.
Gott ringt mit Paulus. Gott stellt
Paulus sich selbst gegenüber. Er stellt Paulus sein Wort, seine
anspruchsvolles, Leben schaffendes, lebendiges, scharfes, klares, mächtiges,
liebendes Wort gegenüber. Und das Wort stellt Paulus gegen Paulus, Gott gegen
Gott. Gott ringt mit Paulus, mit Menschen – und Gott geht für Menschen unter,
Gott wird verkannt, wird verdeckt, wird geleugnet, wird verkehrt, sein Wort
wird dunkel, leer, entmachtet, wertlos, Gericht - und Gott hört nicht auf
damit, er hört nicht auf zu ringen, Gott hält fest an seinem Wort, er glaubt an
sein Wort für Menschen, er vertraut ihm, er traut ihm alles zu, wie es gut ist,
wie Paulus ihm zustimmen könnte, wie Paulus sich an ihm freuen könnte, wie
Menschen aus ihm schöpfen, nehmen und leben könnten.
Gott ringt für mich
Gott ringt mit Paulus. Gott steht auf
Paulus Seite. Die ganze Zeit. Er bleibt dort. Immer. Gott bleibt immer an
unserer Seite. Gott ringt für Paulus. Gott ringt für uns, gegen alles, was uns
widersteht, was uns quält, was uns der Sünde unterwirft, uns wirr macht und das
Leben verdirbt.
Gott hört Paulus Schrei. Er schallt
in Gottes Ohren, er durchdringt göttlich Mark und Bein. Jeder Schrei tut das,
jeder Schrei, der wie Paulus mitten im Ringen nur noch eigenes Elend beweinen
und beschreien kann. Gott hört das leiseste Schreien, Gott will erlösen, Gott
will und tut, Gott ist mitten im Ringen menschlicher Existenz, mitten in jedem
Kreuz - und vollbringt, was er will, was
er tut, was er ist.
Gott stellt Paulus Jesus Christus vor
Augen, er stellt Jesus Christus hinein in sein Leben, mitten hinein in sein
Ringen, in seinen Kopf. Wie auch immer er das schafft. Jesus Christus ist
Gottes Ringen für uns. Gott provoziert selbst mitten im Ringen, mitten im
Schrei des Elends Dank, er provoziert Dank an Christus. Gott verspricht sich:
Wie ihn, wie Christus, hole ich dich heraus, heraus aus dem quälenden Ringen an
deinem Kreuz, heraus aus der Sünde, aus deinem totverfallenen Leben, ich hole
dich heraus: hinein in seufzendes Schweigen, hinein leise in den Anbruch eines
neuen Lebens. Amen.