Donnerstag, 25. Oktober 2018

Gott im Kopf


Predigt zum 22. Sonntag nach Trinitatis (28.10.2018)

Römer 7, 14-25a

14 Denn wir wissen, dass das Gesetz geistlich ist; ich aber bin fleischlich, unter die Sünde verkauft. 15 Denn ich weiß nicht, was ich tue. Denn ich tue nicht, was ich will; sondern was ich hasse, das tue ich. 16 Wenn ich aber das tue, was ich nicht will, stimme ich dem Gesetz zu, dass es gut ist. 17 So tue ich das nicht mehr selbst, sondern die Sünde, die in mir wohnt. 18 Denn ich weiß, dass in mir, das heißt in meinem Fleisch, nichts Gutes wohnt. Wollen habe ich wohl, aber das Gute vollbringen kann ich nicht. 19 Denn das Gute, das ich will, das tue ich nicht; sondern das Böse, das ich nicht will, das tue ich. 20 Wenn ich aber tue, was ich nicht will, vollbringe nicht mehr ich es, sondern die Sünde, die in mir wohnt. 21 So finde ich nun das Gesetz: Mir, der ich das Gute tun will, hängt das Böse an. 22 Denn ich habe Freude an Gottes Gesetz nach dem inwendigen Menschen. 23 Ich sehe aber ein anderes Gesetz in meinen Gliedern, das widerstreitet dem Gesetz in meinem Verstand und hält mich gefangen im Gesetz der Sünde, das in meinen Gliedern ist. 24 Ich elender Mensch! Wer wird mich erlösen von diesem Leib des Todes? 25 Dank sei Gott durch Jesus Christus, unsern Herrn! So diene ich nun mit dem Verstand dem Gesetz Gottes, aber mit dem Fleisch dem Gesetz der Sünde.

Mitten im Ringen
Paulus ringt, ringt mit sich, mit seinen Fragen im Kopf, mit Sünde und Gesetz, mit seinem Wollen und Tun, mit Fleisch und Verstand. Mitten im Ringen ist Gott. Mitten im Ringen von Paulus, mitten im Ringen von Menschen, mitten in ihrer Not, in ihrer merkwürdig hell und zugleich dunklen Herrlichkeit ist Gott.
Gott kann doch Paulus nicht distanziert gegenüber. Gott kann doch nicht jenseits von Paulus sein. Gott kann doch von Paulus nicht unberührt bleiben. Paulus muss ihn angehen. Menschen müssen ihn angehen. Ich, Mensch, muss Gott angehen; ich mit meinem Ringen mit mir selbst, mit meinem Wohin und Woher, mit meinen quälend offenen Fragen, mit meiner ewigen Suche nach Sinn, mit meiner Sehnsucht und Hinterhältigkeit, mit meiner Rastlosigkeit und Liebe.

Gott ringt um mich
Gott muss Paulus doch sehen! Gott muss doch sehen, wie es im Kopf von Paulus kreist, wie er unsicher ist, wie er fragt und fragt, wie er zweifelt, kämpft, wie Paulus hin- und hergeworfen wird, wie es fast Chaos herrscht in seinen Gefühlen, in seinem Denken, in seinem Wollen, in seinem Tun, wie Paulus sich abquält, hohl dreht, wie in einem eigenen Teufelskreis durch die Hölle geht.
Gott muss doch sehen, wie Paulus Böses tut, kleines, nickliges, großes Böses, in Gedanken, im Tun. Gott muss doch sehen, wie Paulus fehlsteuert, wie er den falschen Weg geht, und meint es wäre der richtige, wie Paulus aus Gottes Sicht nicht ganz bei sich, bei Sinnen ist, wie Paulus eigentlich will, aber was anderes tut. Gott muss doch sehen, wie die Sünde, die Gegenspielerin Gottes, von Paulus scheinbar, ja wirklich Besitz ergreift, wie sie ihn entmachtet, Macht über ihn hat, das Böse ihn verkauft, gefangen nimmt.
Das muss Gott doch sehen, dass muss ihn doch verzweifelt machen, zornig, wütend, hilflos zugleich. Immer muss ihn das so machen, wenn das mit Menschen geschieht, mit seinen Menschen. Immer muss dies Gott auch irgendwie hin- und herreißen, in ihm kreisen, muss ihn das quälen.
Gott muss doch sehen, wie Paulus nach Halt im Chaos sucht, wie er versucht, mühsam Orientierung zu behalten, nicht unterzugehen, zu sortieren: in oben und unten, in Verstand und Fleisch, in Wollen und Tun, in eigentlich und wirklich, in Geist und Sünde, in Außen und Innen, in Gut und Böse. Aber immer wieder muss Gott sehen, wie es über Paulus zusammenbringt, wie Paulus, wie Menschen das Ringen verlieren. Gott muss doch um Paulus ringen.


Gott ringt mit mir
Gott ringt um Paulus. Gott ringt mit Paulus. Gott ringt mit Paulus gegen Paulus. Gott ist alles andere als jenseits von Paulus, alles andere als Zuschauer, alles andere als nur irgendwie berührt. Er ist mitten drin. Gott ringt nicht um Paulus, als gäbe es noch Platz für ein Dazwischen, als stünden sich fein säuberlich getrennte Pole gegenüber, als könnte man, als könnte Paulus, als könnte Gott, aus bestimmter, gewählter Distanz sich auf die eine oder auf die andere Seite schlagen. Nein. Es geht um alles.
Gott ringt mit den Gefühlen von Paulus, mit seinem Denken, mit seinem Tun und Wollen. Er ringt mit Paulus. Mit seinem Hochmut, mit seiner Blindheit, mit seiner Ausweglosigkeit, mit seiner Sünde, mit seinem Leben. Es geht um Alles. Auch wenn Menschen das vielleicht nicht merken, es geht manchmal um alles.
Gott ringt mit Paulus. Gott stellt Paulus sich selbst gegenüber. Er stellt Paulus sein Wort, seine anspruchsvolles, Leben schaffendes, lebendiges, scharfes, klares, mächtiges, liebendes Wort gegenüber. Und das Wort stellt Paulus gegen Paulus, Gott gegen Gott. Gott ringt mit Paulus, mit Menschen – und Gott geht für Menschen unter, Gott wird verkannt, wird verdeckt, wird geleugnet, wird verkehrt, sein Wort wird dunkel, leer, entmachtet, wertlos, Gericht - und Gott hört nicht auf damit, er hört nicht auf zu ringen, Gott hält fest an seinem Wort, er glaubt an sein Wort für Menschen, er vertraut ihm, er traut ihm alles zu, wie es gut ist, wie Paulus ihm zustimmen könnte, wie Paulus sich an ihm freuen könnte, wie Menschen aus ihm schöpfen, nehmen und leben könnten.

Gott ringt für mich
Gott ringt mit Paulus. Gott steht auf Paulus Seite. Die ganze Zeit. Er bleibt dort. Immer. Gott bleibt immer an unserer Seite. Gott ringt für Paulus. Gott ringt für uns, gegen alles, was uns widersteht, was uns quält, was uns der Sünde unterwirft, uns wirr macht und das Leben verdirbt.
Gott hört Paulus Schrei. Er schallt in Gottes Ohren, er durchdringt göttlich Mark und Bein. Jeder Schrei tut das, jeder Schrei, der wie Paulus mitten im Ringen nur noch eigenes Elend beweinen und beschreien kann. Gott hört das leiseste Schreien, Gott will erlösen, Gott will und tut, Gott ist mitten im Ringen menschlicher Existenz, mitten in jedem Kreuz -  und vollbringt, was er will, was er tut, was er ist.
Gott stellt Paulus Jesus Christus vor Augen, er stellt Jesus Christus hinein in sein Leben, mitten hinein in sein Ringen, in seinen Kopf. Wie auch immer er das schafft. Jesus Christus ist Gottes Ringen für uns. Gott provoziert selbst mitten im Ringen, mitten im Schrei des Elends Dank, er provoziert Dank an Christus. Gott verspricht sich: Wie ihn, wie Christus, hole ich dich heraus, heraus aus dem quälenden Ringen an deinem Kreuz, heraus aus der Sünde, aus deinem totverfallenen Leben, ich hole dich heraus: hinein in seufzendes Schweigen, hinein leise in den Anbruch eines neuen Lebens. Amen.

Freitag, 12. Oktober 2018

Andere nahe Welt


Predigt am 20. Sonntag nach Trinitatis (14.10.18)

1. Korinther 7, 29-31
Das sage ich aber, liebe Brüder (und Schwestern): Die Zeit ist kurz. Fortan sollen auch die, die Frauen haben, sein, als hätten sie keine; und die weinen, als weinten sie nicht; und die sich freuen, als freuten sie sich nicht; und die kaufen, als behielten sie es nicht; und die diese Welt gebrauchen, als brauchten sie sie nicht. Denn das Wesen dieser Welt vergeht

In jedem deiner Augenblicke
Ein brennender Dornbusch, der nicht verbrennt. Starre Steine, die lebendig werden. Blindgeborene, die wieder sehen. Ein Gottessohn am Kreuz der Menschen. Tote Menschen, die auferstehen. Eine heilige Gemeinschaftaus Sündern auf Erden. Alles eine merkwürdige Wirklichkeit. Wundersam. Wunderbar. Geheimnisvoll. So wie die Zeit manchmal. So wie Zeit, die Paulus empfindet:
Für ihn ist die Zeit kurz. Das Ende ist nah. Die Zeit ist zusammengedrängt, als müsste sie noch schneller vergehen. Die Zeit ist schnell und rennt vorüber. Die Zeit wird wie angesaugt vom immer schneller kommenden nächsten Augenblick. Das Ende der Augenblicke ist immer näher als ihr Anfang, das Vergehen stärker als das Bleiben, das Werden präsenter als das Ruhen. Alles wird zu kurz, zu knapp, vergeht und trägt schon sein Ende in sich.
Und das Ende bestimmt schon immer die Zeit in sich, der nächste Augenblick den derzeitigen. Und das, was nahe ist, ist schon da, bevor der Moment vergangen war. Alles bekommt seinen Wert, seinen Sinn von dem, was gleich kommt. So stark wie damals von Paulus gespürt: In der Schnelligkeit und der Vergänglichkeit der Zeit werden wir von dem bestimmt, was immer gerade nahe ist und am Ende da sein wird, da ist, schon da ist. Das Ende der Zeit ist nicht das Ende unserer Tage, nicht das Ende einer Welt, es ist das Ende des Augenblicks, der Minute, der Stunden, des Tages, und in jedem seiner Augenblicke ist nahe, was kommt am Ende und danach.

Anders werden
Rechnen Menschen damit: An jedem Ende ist Gott nahe, in jeder unserer vergehenden Minuten, Stunden, Tage, Wochen? In jedem unserer Augenblicke steht am Ende nicht nur der neue Takt des nächsten Augenblicks. Es steht dort Gott selbst, mit seiner alten und ewig gleichen und dann ganz aktuellen Frage: Wie lebst du Mensch? In jedem Augenblick ist Endzeit: Gott kommt uns nah, stellt uns zu jeder Zeit vor sich und fragt uns nach uns selbst.
In der Zeit sich dann auf Gott vorbereiten, in jedem Augenblick vorbereitet sein, sich in seinem Kommen, in seinem Nahesein auf diese Nähe sich auch hinzubewegen, im Lauf unserer Zeit immer auch mit Gottes Nähe, dem Takt seiner Zeit rechnen und mit seinem Augenblick für uns.
Das hieße: Anders leben. Anders als jetzt. Anders, weil hinleben auf den Gott, der alles anders macht, der verwandelt. Es hieße: Mit seiner Wirklichkeit rechnen, ja die Wirklichkeit der Welt, ihrer Dinge und Menschen, ihrer Worte und Geschehnisse, als seine Wirklichkeit, von ihm bestimmt und anders gedacht, gemacht, sehen, wahrnehmen, wollen und lieben. Und so im Vorbereiten auf ihn anders werden, so werden, wie wir gemeint sind, uns in seinen göttlichen Horizont stellen und all was wir sind, anders sein:
Unsere Tränen würden dann andere werden, die Menschen, mit denen wir zusammenleben, würden andere werden, das, was wir besitzen, würde anders werden, das, was wir gebrauchen auch, und auch unsere Freude würde eine andere werden. All das wäre nicht unser. Es stünde in Gottes Nähe: Unsere Freude würde ganz still und Gottes Lob würde das Dunkle in uns umhüllen. Das was wir gebrauchen, würde vergehen und das Wertvolle würde in uns weiterglänzen. Was wir besitzen, vergäßen wir und hätten das Wesentliche ewig. Die, mit denen wir gehen, werden zum Zeichen der Liebe zu Gott. Und jede Tränen, die geweint wird, trügen schon Zuversicht in sich. Das wahre und göttliche Wesen der Welt, der Dinge läge für uns bereit, wie ein Kleid der Zeit, in das wir uns hüllen dürften.
Nah zu Gott
Gott ist in jedem Augenblick ungeheuer nah, so ist jede Zeit Endzeit, Ende von dem, was gegen Gott steht und der Anfang eines neuen und anderen Lebens. Wo wir Gottes Nähe spüren, wo wir in ihr schon versuchen zu leben, dort tritt er ein in Ewigkeit. Unsere Zeit bekommt ein anderes Gesicht. Gott verwandelt Tränen, Freude, Liebe, Besitz und Nutzen. Er füllt alles mit sich und seinem Sinn.
Wir werden frei, befreit von all der Vergänglichkeit, dem Schmerz der Tränen, der Liebe, der Freude, des Habens und Gebrauchens. Wir kommen los und unser Herz wird ungeteilt sein, nach Weltzeit schlagen, aber Ewiges in sich spüren, von Gott selbst seinen eigenen Seelenpuls bekommen
Wir werden ungebunden, frei und los, Gott im Blick haben, uns von ihm fast kindlich im Augenblick erfüllen lassen und das Seine tun, ihm dienen und unsere Freude wäre sein, unsere Tränen auch, auch das, was wir besäßen und gebrauchen, wäre nur vorläufig und im letzten auch sein, und all die Menschen, die mit uns verbunden sind, wären auch sein, mit ihm verbunden und seine Liebe die Letzte und die Erste.
Ein Gott, der uns zu verwandeln mag. Der an jedem hastig gelebten Tag am Ende auf uns wartet. Der jeden Augenblick zu seinen zu machen vermag. Der unsere menschlichen Seelen anders ansieht und ihnen unheimlich nahe kommt. Sie göttlich hält. Merkwürdig. Wunderbar. Wirklich. Amen.