Donnerstag, 25. Januar 2018

Still leuchten



Predigt an Septuagesimae (28.1.2018)

Jeremia 9, 22+23
So spricht der HERR: Ein Weiser rühme sich nicht seiner Weisheit, ein Starker rühme sich nicht seiner Stärke, ein Reicher rühme sich nicht seines Reichtums. Sondern wer sich rühmen will, der rühme sich dessen, dass er klug sei und mich kenne, dass ich der HERR bin, der Barmherzigkeit, Recht und Gerechtigkeit übt auf Erden; denn solches gefällt mir, spricht der HERR.

Darstellen
Menschen wollen nicht unbedingt bejubelt, angehimmelt, bewundert werden. Meistens nicht. Und wirklich nicht alle. Menschen wollen auch gar nicht unbedingt sich selbst rühmen, sich unsichtbar auf die Schulter klopfen, auf sich in Bewunderung blicken. Meistens nicht. Wohl die wenigsten. Sie wollen es nicht, selbst, wenn Menschen das, was sie tun, sagen, denken, wenn sie das, wie sie sind und aussehen, ab und zu selbst nicht schlecht, ganz passabel, gut finden.
Im Blick in den Spiegel, wenn man den eigenen Leib erblickt, wenn man im Spiegel der Zeit die eigene Zeitstrecke sieht, wenn man im Spiegel des Getanen sich sieht, dann haben die Menschen immer auch Abstand zu sich selbst, die allermeisten, finden sie sich vielleicht ganz gut, aber auch manches, was nicht so gut an ihnen ist, balancieren sie auf dem Grad ihres eigenes Selbst: zwischen gesunden Selbstbewusstsein und der Versuchung, sich falsch, vielleicht zu hoch einzuschätzen, zwischen so wichtiger Selbstachtung und der Gefahr, sich selbst zu viel zu versprechen.
Was Menschen innen drin sind, im Kern, das, was sie ganz selbst sind, das bleibt ja nie nur in ihnen, es tritt wie aus ihnen heraus, in dem, was sie tun und lassen, wie sie sprechen, in ihrem Augenaufschlag, in ihrem Blick, in ihren Gesten, in ihrer ganzen Bewegung wird ihr inneres nach außen gekehrt, sichtbar, stellen sie sich dar, treten sie anderen und sich selbst gegenüber.
Es ist tragisch zu nennen, traurig auch und es verzeichnet Menschen: wenn Menschen nur noch sich darstellen, darstellen müssen, wenn nur noch das Außen von ihnen zählt, das Sichtbare, Ablesbare, Zählbare; für sie selbst und andere, in ihrem Blick im Spiegel, im Blick der anderen. Wenn Menschen irgendwie den heilsamen Abstand zu sich verlieren, sich nur noch aus nächster Nähe ganz groß und toll sehen, nur noch in einem Hamsterrad des Selbstdarstellenmüssens im Kreise sich drehen und sich selbst verlieren, sich rühmen, aber eigentlich kaum noch selbst sind.

Geerdet
Gott mag sie dann erden, möglichst sanft und sicher. Um ihrer Seele willen. Er mag sie dann einen Weg führen, irgendwie von sich selbst weg und dann wieder zu sich hin. Nur dann als andere. Gott mag sie neu konzentrieren, ihren Blick wie umlenken, Gott mag Fragen und andere Horizonte in ihren Kopf, in ihrer Seele, in ihrem Selbstbild legen, fest – und freisetzen.
Sei klug, sagt er, beginn deinen Kopf wieder zu benutzen, schau dich um, auf dein Werden, auf die anderen, auf das um dich herum. Nennen dich klug, Gott zu kennen. Wage diese ungeheuren Satz, still in deinem Kämmerlein; denn wer kann von sich behaupten, er würde Gott kennen, jenen unendlichen, erhabenen, immer übergroßen, die Welt in seinen Händen haltenden Gott. Wage es zu sehen, zu sagen: du kennst ihn, den Erhabenen, den Heiligen, du kennst ihn als Geheimnis von dir selbst. Beginn dich als sein Geschöpf zu sehen, nicht von dir gewollt, gemacht, sondern von ihm wohl überlegt und gesucht, lern dich zu sehen, zu empfinden als Geschenk, als Gabe des Lebens und werde kleiner, bescheidener, demütiger. Erkenne Gott als den Herrn, den Herrn über Tod und vor allem über das Leben, auch deines, vor allem deines, als Herr über Räume und Zeiten, als Herr und Diener zugleich, als einer, der das Leben in Fülle kennt und zu bringen vermag, der alles seins nennt und es dir zudenkt, zuspricht, sich dir zuwendet. Übe ein in ihn, so wie er übt auf Erden, ausübt seine Herrschaft, spüre die Hoffnung in dir, die Hoffnung nach Mehr und Geborgenheit, spüre, wie wunderbar bedürftig und gehalten du bist, erkenne dich als Erdenkind. So mag Gott Menschen erden, so lenkt er heilsam ihre Blicke um.

Klein ganz groß
Staunend müssten Menschen dann da stehen, sie müssten sich nicht mehr darstellen oder sogar sich selbstvergessend rühmen. Ihr Sehen, Ansehen und Denken wird gelenkt sein auf Gott, auf sein Sehen, sein Ansehen, sein Denken und Tun, auf sein ihnen geltendes Wesen, auf seine Erden mit den vielen Menschenkindern, mit ihren Sorgen und manchmal schrecklich offenen Fragen, mit ihren Alltagshoffnungen und allzu verständlichen Wünschen, mit ihren Fehlgriffen und Unverständlichkeiten, mit dem, wie sie sind auf Erden und du als Erdenbürger eingereiht in sie.
Klein, aber doch irgendwie groß. Und befreit vom stressigen, qualvollen Selbstseinmüssen. Der Blick gedreht dahin. Ja, Gott übt Barmherzigkeit, Recht und Gerechtigkeit auf Erden. Dessen kann, ja muss man sich rühmen, um der Erde willen, um der anderen willen, um seiner selbst willen. Menschen sind der lebendige Spiegel Gottes, er sieht sich in ihnen, seine Fülle in Menschen auf Erden. Klein und von ihm groß geliebt, bedürftig und wunderbar geheiligt, still strahlend in Gottes Hand.
Dem Menschen, der sich selbst rühmen wollte und nicht mehr muss, dem gilt Gottes Barmherzigkeit, Recht und Gerechtigkeit, Gott erbarmt sich seiner, rückt ihn zurecht und schenkt ihm seine eigene Gerechtigkeit, seinen alles umspannenden Frieden. So, nur so kann sich der Mensch rühmen, als Gottes geliebtes Geschöpf und so rühmt sich Gott des Menschen und so werden sie zu seinem Ruhm, eher leise und manchmal geheimnisvoll, weniger laut und grell, eher ganz zart und behütet werden Menschen sie selbst: durchsichtig auf Gott hin, auf das „von Gott“ in ihnen, für sich und andere, für Gottes Liebesblick, ein kleiner Mensch ganz groß gemacht. „Denn solches gefällt mir, spricht der Herr.“ Amen.

Samstag, 6. Januar 2018

Geschöpf Gottes



Predigt am 1. Sonntag nach Epiphanias (7.1.18)
zur Jahreslosung 2018
„Gott spricht: Ich will dem Durstigen geben von der Quelle des lebendigen Wassers umsonst.“ (Offenbarung 21, 6)

Fast einfach so
Einfach so. Einfach so spricht Gott, spricht Gott auch in das noch neue Jahr hinein, in mein neues Jahr hinein, hinein in seine Tage und Nächte, in seine Fragen und Freuden, hinein in meine Entscheidungen und Überlegungen, hinein in mein Leben, wenn ich denke, suche, sündige, liebe, leide, bin.
Einfach so. Einfach so will Gott, will Gott etwas in meinem Jahr, mit meinem Jahr, will er etwas wollen, anfangen, tun, gestalten in meinem Leben, mit meinem Leben, mit mir zusammen, manchmal gegen mich, aber für mich: will er seinen Willen mit meinem Leben verbinden, ihn dort sehen, spüren lassen: will er mein Leben in seinem Willen bestimmen, prägen, werden lassen; soll ich ich unter, in seinem Willen und Wollen ein ganz bestimmter Mensch werden.
Einfach so. Einfach so will Gott geben, wie im letzten Jahr er das wollte und gab, wie all die Jahre zuvor er das wollte und gab, wie in Zukunft er das will und gibt. Gott will geben. Er will nicht bei sich bleiben, abgekapselt, abgekoppelt von seinen Menschen. Gott will aus sich herausgehen, zu denen kommen, die er sucht, die er finden möchte, seine Menschen. Gott will sich, er will das, was er ist, was er für andere sein möchte, geben, mitteilen, teilen. Er will nicht sparen mit sich, er will sich verschenken.
Und das einfach so. Umsonst. Ohne dass diese Bewegung Gottes, dieses Sich-Verschenken einen anderen Grund hätte als den, der in Gott selbst liegt. Nur diesen einen, seinen Grund der Liebe. Gott will sich geben, ganz ohne Vorleistung, Gegenleistung, Entgegenkommen, Vorbedingungen seitens derer, an die er sich verschenken will. Seine Liebe hat auch gar keinen Gegenwert, sie ist unermesslich wertvoll. Einfach so.

Langsam erschöpft
Nicht einfach haben es Menschen mit ihren Lebensquellen. Menschen haben solche, solche Lebensquellen. Jeder. Kein Mensch lebt nur aus sich selbst heraus, von sich, von seiner Kraft, von seiner Energie, von seinen Vorgaben, von seinem Dasein her. Immer brauchen Menschen Orte, bestimmte Zeiten, andere Menschen, von denen sie her leben, aus denen sie leben, aus den sie schöpfen. Jeder Mensch hat seine Lebensquelle, vielleicht eine bestimmte Art von Zeit, vielleicht ein bestimmter Ort, vielleicht ein bestimmtes Geschehen, ein wiederkehrendes, etwas, woran Menschen sich erinnern, zurückbinden können und das sie dann speist an Seele und mit Sinn. Und sicher haben und brauchen Menschen andere Menschen als Lebensquelle, Menschen, die ihnen geben, was sie brauchen: Zeit, Anerkennung, Rückhalt, Geborgenheit, richtige Fragen, Worte, ihre Liebe.
Und es gehört zur Tragik des Lebens, aber auch zu seiner wunderbaren Schönheit, dass Menschen diese Lebensquellen brauchen, lebensnotwendig brauchen, über eine Zeitlang auch ohne sie sein können, aber dann merken, wie sie ohne sie wie verdursten, ihre Seele wie austrocknet, sie selbst langsam und sicher verdorren. Und Menschen suchen solche Lebensquellen, bewusst und unbewusst, gezielt und manchmal wundersamen spielerisch, mitunter auch verkrampft. Es geht um viel, sehr viel. Menschen brauchen Lebensquellen. Sie sind Teil ihrer menschlichen Sehnsucht, ihres irdenen Verlangens. Zeichen, dass sie bedürftig sind. Und manchmal finden Menschen sie nicht, verlieren sie, oder das, was Lebensquelle ist, ist keine mehr, versickert, kann nicht mehr aus sich herausgeben, was Mensch braucht. Oder manche Lebensquellen entpuppen sich als falsche Lebensquelle, als trügerische, als etwas, was doch gar nicht speist, labt, gut tut. Im Gegenteil. Und manchmal erschöpft sie die Suche nach Lebensquellen und Menschen werden darüber verzweifelt, müde, erschöpft und ihr Lebensdurst geht irgendwie ins Leere, bleibt einfach da, kann nur punktuell, ab und zu oder gar nicht mehr gestillt werden. Und dann liegt eine unglaubliche hilflose Traurigkeit im Leben.

Gott mit der Hand gereicht
Gott will das nicht. Gott will geben. Gott will, dass Menschen ihre Lebensquellen haben, zu ihnen kommen, dort sind und daraus schöpfen. Gott will, dass jeder Mensch seine Lebensquelle findet, immer wieder bei ihr sein kann und aus ihr heraus lebt. Er will, dass diese Lebensquellen für Menschen Leben sind, Lebendigkeit schenken, eine Quelle sind, aus denen sie heraus das Leben getrost und getröstet leben können.
Gott will sich selbst hineinbegeben in unser noch neues Jahr. Er will mit uns diese Lebensquellen, die es für uns gibt, die er für uns geschaffen hat, sehen, suchen, finden. Er will uns diese Lebensquellen, Orte, Zeiten, Menschen, immer wieder erschließen, sie selbst öffnen, und dahin führen, damit sie fließen, herausfließen können und wir davon gespeist, genährt werden können an Seele und Sinn.
Gott will in diesem Jahr, wie in all den anderen davor und danach uns zu unseren Lebensquellen führen, uns bei ihnen sein lassen, selbst das Lebenswasser aus ihnen schöpfen, um es uns zu geben, zu stillen uns, unsere Seele, unser Leben - unseren schönen, unstillbares, manchmal quälenden Durst nach Leben, unsere Bedürftigkeit, von anderen, von der Liebe eines Gegenübers zu leben.
Gott will es einfach so. Er will es einfach so selbst sein. Er will das ganze Jahr unsere Lebensquelle sein, ein Ort, eine Zeit, sein Geist in anderen Menschen, eine nie versiegende, immer fließende Quelle, die uns gibt, was wir zum Leben brauchen, eine Quelle, aus der wir schöpfen und schöpfen, leben und leben können, immer wieder, einfach so. Amen.