Predigt an
Septuagesimae (28.1.2018)
Jeremia 9, 22+23
So spricht der HERR: Ein Weiser rühme sich nicht
seiner Weisheit, ein Starker rühme sich nicht seiner Stärke, ein Reicher rühme
sich nicht seines Reichtums. Sondern wer sich rühmen will, der rühme sich
dessen, dass er klug sei und mich kenne, dass ich der HERR bin, der
Barmherzigkeit, Recht und Gerechtigkeit übt auf Erden; denn solches gefällt
mir, spricht der HERR.
Darstellen
Menschen
wollen nicht unbedingt bejubelt, angehimmelt, bewundert werden. Meistens nicht.
Und wirklich nicht alle. Menschen wollen auch gar nicht unbedingt sich selbst
rühmen, sich unsichtbar auf die Schulter klopfen, auf sich in Bewunderung
blicken. Meistens nicht. Wohl die wenigsten. Sie wollen es nicht, selbst, wenn
Menschen das, was sie tun, sagen, denken, wenn sie das, wie sie sind und
aussehen, ab und zu selbst nicht schlecht, ganz passabel, gut finden.
Im Blick in
den Spiegel, wenn man den eigenen Leib erblickt, wenn man im Spiegel der Zeit
die eigene Zeitstrecke sieht, wenn man im Spiegel des Getanen sich sieht, dann
haben die Menschen immer auch Abstand zu sich selbst, die allermeisten, finden
sie sich vielleicht ganz gut, aber auch manches, was nicht so gut an ihnen ist,
balancieren sie auf dem Grad ihres eigenes Selbst: zwischen gesunden
Selbstbewusstsein und der Versuchung, sich falsch, vielleicht zu hoch
einzuschätzen, zwischen so wichtiger Selbstachtung und der Gefahr, sich selbst
zu viel zu versprechen.
Was
Menschen innen drin sind, im Kern, das, was sie ganz selbst sind, das bleibt ja
nie nur in ihnen, es tritt wie aus ihnen heraus, in dem, was sie tun und
lassen, wie sie sprechen, in ihrem Augenaufschlag, in ihrem Blick, in ihren
Gesten, in ihrer ganzen Bewegung wird ihr inneres nach außen gekehrt, sichtbar,
stellen sie sich dar, treten sie anderen und sich selbst gegenüber.
Es ist
tragisch zu nennen, traurig auch und es verzeichnet Menschen: wenn Menschen nur
noch sich darstellen, darstellen müssen, wenn nur noch das Außen von ihnen
zählt, das Sichtbare, Ablesbare, Zählbare; für sie selbst und andere, in ihrem
Blick im Spiegel, im Blick der anderen. Wenn Menschen irgendwie den heilsamen
Abstand zu sich verlieren, sich nur noch aus nächster Nähe ganz groß und toll sehen,
nur noch in einem Hamsterrad des Selbstdarstellenmüssens im Kreise sich drehen
und sich selbst verlieren, sich rühmen, aber eigentlich kaum noch selbst sind.
Geerdet
Gott mag
sie dann erden, möglichst sanft und sicher. Um ihrer Seele willen. Er mag sie
dann einen Weg führen, irgendwie von sich selbst weg und dann wieder zu sich
hin. Nur dann als andere. Gott mag sie neu konzentrieren, ihren Blick wie umlenken,
Gott mag Fragen und andere Horizonte in ihren Kopf, in ihrer Seele, in ihrem
Selbstbild legen, fest – und freisetzen.
Sei klug,
sagt er, beginn deinen Kopf wieder zu benutzen, schau dich um, auf dein Werden,
auf die anderen, auf das um dich herum. Nennen dich klug, Gott zu kennen. Wage
diese ungeheuren Satz, still in deinem Kämmerlein; denn wer kann von sich
behaupten, er würde Gott kennen, jenen unendlichen, erhabenen, immer
übergroßen, die Welt in seinen Händen haltenden Gott. Wage es zu sehen, zu
sagen: du kennst ihn, den Erhabenen, den Heiligen, du kennst ihn als Geheimnis
von dir selbst. Beginn dich als sein Geschöpf zu sehen, nicht von dir gewollt,
gemacht, sondern von ihm wohl überlegt und gesucht, lern dich zu sehen, zu
empfinden als Geschenk, als Gabe des Lebens und werde kleiner, bescheidener,
demütiger. Erkenne Gott als den Herrn, den Herrn über Tod und vor allem über das
Leben, auch deines, vor allem deines, als Herr über Räume und Zeiten, als Herr
und Diener zugleich, als einer, der das Leben in Fülle kennt und zu bringen
vermag, der alles seins nennt und es dir zudenkt, zuspricht, sich dir zuwendet.
Übe ein in ihn, so wie er übt auf Erden, ausübt seine Herrschaft, spüre die
Hoffnung in dir, die Hoffnung nach Mehr und Geborgenheit, spüre, wie wunderbar
bedürftig und gehalten du bist, erkenne dich als Erdenkind. So mag Gott
Menschen erden, so lenkt er heilsam ihre Blicke um.
Klein ganz groß
Staunend
müssten Menschen dann da stehen, sie müssten sich nicht mehr darstellen oder
sogar sich selbstvergessend rühmen. Ihr Sehen, Ansehen und Denken wird gelenkt
sein auf Gott, auf sein Sehen, sein Ansehen, sein Denken und Tun, auf sein
ihnen geltendes Wesen, auf seine Erden mit den vielen Menschenkindern, mit
ihren Sorgen und manchmal schrecklich offenen Fragen, mit ihren
Alltagshoffnungen und allzu verständlichen Wünschen, mit ihren Fehlgriffen und
Unverständlichkeiten, mit dem, wie sie sind auf Erden und du als Erdenbürger
eingereiht in sie.
Klein, aber
doch irgendwie groß. Und befreit vom stressigen, qualvollen Selbstseinmüssen.
Der Blick gedreht dahin. Ja, Gott übt Barmherzigkeit, Recht und Gerechtigkeit
auf Erden. Dessen kann, ja muss man sich rühmen, um der Erde willen, um der
anderen willen, um seiner selbst willen. Menschen sind der lebendige Spiegel
Gottes, er sieht sich in ihnen, seine Fülle in Menschen auf Erden. Klein und
von ihm groß geliebt, bedürftig und wunderbar geheiligt, still strahlend in
Gottes Hand.
Dem
Menschen, der sich selbst rühmen wollte und nicht mehr muss, dem gilt Gottes
Barmherzigkeit, Recht und Gerechtigkeit, Gott erbarmt sich seiner, rückt ihn
zurecht und schenkt ihm seine eigene Gerechtigkeit, seinen alles umspannenden
Frieden. So, nur so kann sich der Mensch rühmen, als Gottes geliebtes Geschöpf
und so rühmt sich Gott des Menschen und so werden sie zu seinem Ruhm, eher leise
und manchmal geheimnisvoll, weniger laut und grell, eher ganz zart und behütet
werden Menschen sie selbst: durchsichtig auf Gott hin, auf das „von Gott“ in
ihnen, für sich und andere, für Gottes Liebesblick, ein kleiner Mensch ganz
groß gemacht. „Denn solches gefällt mir, spricht der Herr.“ Amen.