Sonntag, 16. April 2017

Ein kleiner Schritt

Bildergebnis für und siehe er wird vor euch hingehen
Predigt an Ostern 2017 (16.4.17)

Ein Schritt voraus
„Und siehe, er wird vor euch hingehen …“ (Mt 28, 7) Die Unterschrift unter unserem Osterbild von Lukas Cranach dem Älteren schreibt uns einen Vers aus der Ostergeschichte nach Matthäus vor Augen. Der Engel sagt zu den Frauen am Grab: Fürchtet euch nicht. Jesus ist nicht hier im Grab. Er ist lebendig. Er wird vor euch hingehen nach Galiläa.
Der Auferstandene geht voraus, ein Schritt, ein Geschehen, ein wesentliches, das der Auferstehung. Er geht vor uns hin, er bezieht uns in seinen Weg ein, er geht voran und wir sollen, werden folgen, sollen dort hin kommen, wo er ist, sollen ihn sehen. Warum er vorausgeht und wir folgen, bleibt offen. Es ist die christliche Grundbewegung: Jesus geht voran und Christen folgen ihm.
Das „Und siehe“ ist in der Unterschrift großgeschrieben. Das Vorausgehen und das Folgen hat eine Sehnsucht, einen Sinn: Jesus sehen. Wie groß ist diese Sehnsucht, wie unmöglich, wie fern erscheint sie uns manchmal, wie notwendig ist sie in unserem Leben, für unser Leben: Jesus sehen. Und wir sehen Jesus, den Auferstandenen im Bild, zwei Mal sehen wir ihn.

Strahlend
Und wie wir sehen: Das Bild zur Überschrift ist übervoll, als würde dem Maler das Herz angesichts des Osterereignisses überlaufen. Irgendwie bildet sich das ganze Leben in dem Bild ab. Dominiert, regiert wird das Bild vom Auferstandenen. Es ist sein Bild. Der Auferstandene ist gemalt mit einem wallenden roten Gewand, einem zarten blauen Lendenschurz, halb nackt und mit einer Siegesfahne in seiner linken Hand.

Umgeben wird er von kleinen Engelchen, von einer, seiner ganz eigenen Sphäre, einer himmlischen, wunderbaren und er wird von einem hellen Lichtkegel umgeben, umstrahlt. Wie eine Sonne, in deren Mitte der Auferstandene ist, ein Lichtkegel, eine Herrlichkeit, die alles andere an den Rand drängt. Unter ihm die, die er durch seine Auferstehung hinterlassen hat: Die Soldaten, erschrocken, schlafend, wehrlos, entmachtet. Das Grabmal ist leer. Er lebt.
Eine auf den zweiten Blick erkennbare Diagonale, links von den Soldaten und übergehend in den linken Rand des Lichtkegels unterteilt das Bild, trennt die Szene – und der Auferstandene im Lichtkegel verbindet beide Szenen: Der Auferstandene bewegt sich, wie auf uns zu, er geht voraus, mit seinem linken Fuß, seine Segensgeste der rechten Hand, sein Blick schaut nach unten, Richtung der Ecke des Bildes unten links. Dort sieht der Auferstandene sich selbst, wir schauen mit ihm dorthin.


Auf´s Podest
Der zweite Jesus ist der gleiche Jesus. Es ist ein Jesus, nur für uns sind es zwei Geschehnisse: Seine und unsere Auferstehung. Für den Maler ist es ein Geschehen, er malt es ineinander. Jesu Auferstehung, der Auferstandene hat mit uns zu tun, mit unserem Leben, mit unserem Sterben, mit unserem Auferstehen. Das Bild malt uns vor Augen:  Der Auferstandene geht voraus, er geht zu uns voraus, zu mir und dir und wir folgen ihm.
Wir schauen auf die Menge der nackten Menschen. Eine erkennbare Schar, die aber, je weiter man blickt, nicht endet, eine unendliche Schar, Reihe von nackten Menschen, sie alle haben den Blick auf diesen Jesus gerichtet, Große und Kleine, Alte und Jüngere, Männer und Frauen. Alle beherzigen dieses „Siehe“. Der auf den kleinen Podest stehende Jesus teilt die Schar in eine rechts und eine links von ihm. Über der linken Schar am Bildrand drohen die Mächte, die Hölle, die Gefahren, die Alpträume, die Abgründe und  Monster, die jedes Leben kennt. Ganz unten am Bildrand ein offenes Loch, aus dem ist der zur Hölle hinabgestiegene Jesus auferstanden und sie droht allen, die dort stehen. Manche sind knapp am Abgrund.
Die Schar zur rechten von Jesus beginnt mit Adam und Eva, wie sie traditionell gemalt werden, Adam und Eva hat Jesu schon hinübergezogen, sie sind gerettet, sie, die ersten der Schöpfung und die ersten Sünder, sie schauen dankbar und scheinen Jesus froh zu klatschen. Die zur seinen Linke können hoffen, auch dorthin zu gelangen. Es ist nur ein kleiner Schritt. Sie müssen sich nur einreihen, lebensnackt sein, sich entblößen all ihrer allzumenschlichen Verkleidungen, müssen sich da hinstellen zum Podest und ein bisschen, ein bisschen nur sich in Blick und Haltung Jesus entgegenstrecken. Mögen wir uns da auch einreihen, dazugehören.

Engelchen
Jesus hat sicher die Siegesfahne in seiner linken Hand, er, der Auferstandene steht siegerhaft und sicher trittfest auf dem Podest, um das gut tun zu können, war tun will und zu tun hat: Den Menschen den kleinen Schritt hinauf auf das Podest, hinüber zu den anderen, hinein in den Himmel zu ermöglichen. Jesus streckt die Hand weit hinüber den Menschen, er packt sie zart und kräftig zugleich und er zieht sie zu sich hinüber, einem um den anderen, uns alle.
„Siehe, wie wunderbar“. Und dann geht unser Blick nochmal hinüber zum Auferstandenen in den Lichtkegel, in den Himmel, in den wir kommen, den wir schon immer schmecken als für das Reich Gottes vorgesehene Menschen. Jesu Liebe zieht uns an ihn heran, schon immer und jetzt. Ostern ist der Sieg unseres Lebens.
Ein letzter und erster Blick: Die kleinen Engel um den auferstandenen himmlischen Jesus herum. Kleine Köpfe mit ebenso kleinen Flügeln. Ohne Korpus. Nur Kopf und Flügel. Sie sind alle so verschieden gemalt, wie die Menschen der nackten Schar. Vielleicht sind sie es, zu Engel gemalt, zu Engeln geworden. Wir sind auch darunter. So verschieden himmlisch gedacht wie wir sind. Schön. Zum inneren Lächeln. Mit unseren kleinen durch das Leben ein bisschen gestutzten Flügeln können wir Jesus wunderbar umkreisen, ihn in der Mitte. Mit unseren Köpfen können wir das tun, wozu Ostern uns macht, wir können ein ewiges Lob anstimmen, ihm Halleluja Singen und unsere Augen dem Wunder unseres Lebens zuneigen.
Amen.

Donnerstag, 13. April 2017

Bedeutungslos



Predigt an Karfreitag 2017 (14.4.2017)

Worte Sterbender
Menschen leben niemals ohne Worte. Immer sind welche da. Auch heute. Auch jetzt. Menschen leben in Wort-Welten, ihren und der der anderen, sie teilen Worte wie täglich Brot und bewohnen ihre ganze eigenen Worte, deren Sprache nur sie kennen. Für vier Tage haben wir uns den Worten Jesu in seiner Passion eingewohnt, provisorisch, gehörten seine Worte von jenem bitteren Kelch, vom Schwert, das ihn sucht, vom Menschensohn, vom Reich, das kommen wird, zu unseren. Wir haben uns eingewohnt in letzte Worte, und haben selbst solche, werden solche haben, wenn wir sterben und ein letztes Mal sprechen.
Letzte Worte klingen nach großen Worten, nach berühmten, nach Vermächtnis, und doch sind letzte Worte vielleicht nur Spiegel des eigenen Lebens, oder ganz anders, vielleicht sterben wir stumm, und das zuletzt gesagte Wort war ein ganz und gar unbedachtes, beiläufiges, vielleicht gelingt uns ein letztes schönes Wort in Liebe, mit Blick auf die, die uns leiben, vielleicht sprechen dann auch nur noch unsere Körper, wie sie wundgelegen sich dem Tod langsam zubewegen, vielleicht sind letzte Worte elend und würdevoll genauso wie unser ganzes Leben.
Unter Qualen, am Ende seiner Kräfte, mit trockener Kehle, geschunden sprach Jesus seine letzten Worte. Das fleischgewordene Wort Gottes hängt am Kreuz und mit ihm hängen da merkwürdig all seine Worte, die er auf seiner weiten Wanderschaft wunderbar sprach, sie hänge da alle und verstummen immer mehr, und Jesus presst die letzten Worte aus sich heraus. Was alles hätte das Wort Gottes am Kreuz noch sagen können, wie mächtig, wie wortmächtig hätte es sein können, sich wortgewaltig wehren, kämpfen, trotzen können, noch einmal wunderbarste Worte aus sich schöpfen können und sie der Welt ein letztes Mal sagen.

Wie der Tod spricht
Wenn Menschen sterben, dann sterben auch die Worte mit ihnen. Zumindest die, die sie sprechen. Mit dem Tod verklingen auch die Stimme, der Atem, die Sprache und auch die Worte. Es bleiben nur noch die einst mal gesagten Worte, die Erinnerung an die gehörte Stimme, das Bild, mit dem sich Worte, Gesten und Sprache vermischten. Es bleiben dann nur noch die Worte über den Toten, wie er war, wie er fehlt, was er gesagt und was er bedeutet hat. Mit dem Tod bleibt manchmal ganz viel an Worten und manchmal kaum etwas, so wie Menschen waren, vielleicht noch am ehesten die einst geschriebenen Worte, die man las und immer wieder lesen kann, bis der Schmerz des Abschieds langsam nachlässt und eine stille Seelenruhe kommt.
Im allerletzten Moment des Lebens, wenn Atem und Stimme enden und sterben, spricht vielleicht nur der Tod, mit unsäglichen, unausweichlichen, wortlosen Worten. Vielleicht sagt er was, vielleicht bittet er zu sich, vielleicht ruft er auch, seine Stimme wird nie Freund, sie bleibt der Fremde, seine Stille ist ein merkwürdiges Reich, ein Reich des Nichts, ein Reich vielleicht der ewigen Wortlosigkeit.

Ich setzte den Fuß in die Luft
Kurz vor seinem Tod spricht Jesus seine letzten Worte. Drei Sätze sind es, aus drei Evangelien: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ (Matthäus 27,46 und Markus 15,34). „Vater, ich befehle meinen Geist in deine Hände!“ (Lukas 23,46) „Es ist vollbracht!“ (Johannes 19,30). Diese Worte haben keine Abfolge, als läge darin ein Erkenntnisgewinn, ein Fortschritt, Sie haben auch nicht einen Hauptsatz, als wären die anderen nur Nuancen. All das lässt der Tod nicht zu. Alle drei sind zusammen zu hören, wie in einem Atemzug des fleischgewordenen Wortes, wie eine dissonante gottmenschliche Komposition aus unheimlichen Worten. Worte die schwanken, die wie irr gehen zwischen Ich, Du und es; die tasten, schreien, suchen, die sich Gott hinschreien, hinwerfen, in ihm unbedingt bergen wollen, die alte Worte, Worte uralter Tradition nehmen, da selbst haltlos, wortlos und in diesen hergebrachten Worten auf Altes sich stützend sich selbst retten wollen, betende, klagende, hingebende, ungewisse, wahnwitzige letzte Worte.
Worte, die gegen allen Augenschein trotzig von Vollenden, vom Vollbringen stammeln, die am eigenen Leib spüren so bitter Vergänglichkeit spüren, Scheitern sehen und trotzdem von Erfüllung reden, von einem Auftrag, der hier und nur hier zum Ende zur verborgenen Vollendung kommt. Worte, die nicht abgesichert schon wissen, was kommt, die sich wie im freien Fall befinden, die ungewiss sich irgendwie los lassen, fallen lassen, ohne zu wissen, wo der freie Fall endet, wo das Leben im Tod hingeht, wer all die strebende Hoffnung aufbewahrt, wohin all die heilsam gesprochenen Worte kommen. Worte, die einsamer kaum sein könnten, Worte, die sich verlassen fühlen, die einsam klagen, alleine fragen, denen keine Antwort zu kommt, deren Schrei verhallt, als hörte keiner darauf, als wären niemals Worte vorher erklungen.

Worte sterben
Wie sterben Worte? Was haben Jesu letzte Worte mit unseren Worten zu tun? Was geschieht mit all unseren Worten, Wort-Welten am Kreuz, an dem Jesus sterbend hängt? Trägt er all unsere Worte mit ans Kreuz, erträgt er sie dort? Spricht er Worte, die wir auch sprechen, und wir sprechen Worte, die er auch sprach und teilen wir so Worte, verbinden sich seine und unsere in einer Gemeinschaft am Kreuz? Ist Jesus das für uns sterbende Wort? Müssen wir nicht mehr an den Worten sterben, für die er gestorben ist? Hat er in unserer Worte-Welt Worte zum Sterben gebracht?
Nochmal: Wie sterben Worte? Die, die uns quälen, die uns verletzt haben, mit denen wir andere verletzten, mit denen wir uns versündigen, mit denen die Sünde sich wortmächtig in unserem Leben Platz und Unheil verschafft? Wie sterben Worte? Worte sterben nicht, sie bleiben, mal gedacht, mal ausgesprochen, Worte sind Buchstaben in einer bestimmten Reihenfolge, so zusammengesetzt, dass sie einen Sinn, eine Bedeutung ergeben. Was sterben kann, könnte ist die Bedeutung von Worten, die Bedeutung, die sie für uns haben. Was passieren kann ist: dass Worte aufhören, Sinn zu haben, Sinn zu transportieren, auf uns zu wirken, wie ein alter böser Traum, aus dem wir nicht mehr entlassen werden. Worte sterben da, wo sie ihre Bedeutung für uns verlieren, so diese stirbt und wir von diesen Worten, von ihrer schweren, unheilvollen Wirkung frei werden.
Jesus ist das fleischgewordene Wort Gottes, das EINE Wort, in dem alle göttliche und für Menschen heilsame Fülle sich einwohnt. Mit seinem Tod am Kreuz stirbt das fleischgewordene Wort Gottes, stirbt jenes Wort der Fülle, sterben alle Worte, verlieren alle Worte angesichts des Todes des Gottessohnes ihre Bedeutung, wird alles bedeutungslos. Vielleicht, wahrscheinlich, hoffentlich auch genau die Worte aus unserer Welt, die uns quälen und ersticken, die der Sünde. Amen.