Predigt zur Eröffnung der
ökumenischen Friedensdekade 2013
am Drittletzten Sonntag im Kirchenjahr
(10.11.13)
Fragezeichen
Nur ein Wort und ein Satzzeichen, so knapp, so elementar
reduziert ist das diesjährige Motto der ökumenischen Friedensdekade: „Solidarisch?“
Wie viel Worte kennen wir noch, sprechen sie alltäglich, gehören zu unserem
Wortschatz, wie oft setzen wir in Sprechen und Schreiben Satzzeichen, Komma,
Doppelpunkte, Strichpunkte, Ausrufezeichen, Doppelpunkte, Punkte. Und im Meer
all diese Worte und Satzzeichen für eine kleine Dekade von 10 Tagen ein
bestimmtes Wort und ein bestimmtes Satzzeichen: „Solidarisch?“
Wer mag das Fragezeichen dahin gesetzt haben, hinter
solidarisch? Das kleine Satzzeichen stellt sozusagen am Ende des Worts das
ganze Wort, die ganze Sache in Frage, macht solidarisch fraglich. Nicht: Wem
gegenüber solidarisch sein? Nicht: Warum solidarisch sein? Nicht: Wie
solidarisch sein? Sondern ganz einfach und radikal ein Fragezeichen hinterm
kleinen Wort und solidarisch ist überhaupt fraglich.
Ein Wort mit Fragezeichen und wer setzt das Fragezeichen dahinter?
Menschen, ich, du auch, wir, die Gesellschaft, Umstände, Unachtsamkeiten,
Langweile, Bosheit, Verzweiflung, Unwissenheit, Globalität,
Beziehungslosigkeit, Hände, Worte, Taten von Menschen, all das setzt das
Fragezeichen hinter „solidarisch“, und markiert zu Beginn eine kleine bittere Beklemmung:
Solidarisch ist fraglich.
Adjektiv
Vorm Fragezeichen steht nicht „Solidarität“, kein Hauptwort,
kein abstraktes Substantiv. Es steht ein Adjektiv, ein Wiewort: „solidarisch“.
Wieworte beschreiben, sagen aus, legen nahe, ja verheißen, suchen, wollen sagen
wie etwas ist, sein mag, wie Gesellschaft, wie Menschen sind. Ein Adjektiv –
ist wie zugeschrieben, als würde jemand mit unsichtbarer Hand etwas nehmen und
es neben uns stellen, wie uns darin verorten, und sagen: So sollst du sein. So
bist du: solidarisch.
Die ökumenische Friedensdekade legt uns nahe, vor uns, vor
dem, was wir so als Hauptworte, Personen sind, vor unsere Namen, ein Wiewort zu
schreiben, zu denken, zu fühlen, zu sein: solidarisch. Und das Fragezeichen
vergessen zu machen, durch einen Punkt, durch ein Ausrufezeichen, durch einen
Doppelpunkt hinaus, weit hinaus in unser Leben zu ersetzen. Solidarisch:
Menschen im Zusammenhang, Menschen unsichtbar verbunden,
verbunden durch Geschichte, Herkommen, durch ihnen gemeinsam Gegebenes.
Menschen angewiesen, gemacht zueinander, füreinander, aufeinander, bedürftig
und reich, beschenkt und mitteilsam, zusammengebunden auf einem Planeten, in
einer Stadt, in einer Zeit, zu einer Aufgabe.
Menschen verbunden unsichtbar wie durch unzählige kleine
feine Fäden, die sich durch alle Räume, Zeiten zwischen uns sich ziehen, gewoben,
geknüpft sind, die unsere Bewegungen, unsere Erschöpfung, unsere Energie, unser
Leiden, unser Handeln unsichtbar und bestimmt miteinander verbinden und voneinander
wirklich abhängig machen: Jede Bewegung zieht am Faden, mit dem wir verbunden
sind, und bewegt den anderen mit, und umgekehrt. Und alle sind verbunden im
Netzwerk des Lebens, das alle Zeiten und Räume übersteigt, das mal fest, mal loser
ist, mal fast zerreißt und wieder gestärkt wird, alle sind verknüpft letztlich
mit Gott, der all diese Fäden zwischen uns, wie ausgelegt, geknüpft hat, sie
immer weder mit sich verbindet und sie in seinen Händen hält und mit spürt, wie
wir bewegen.
Ineinander
Solidarisch? Das Motto der Friedensdekade hat auch ein
„Motto-Bild“. In zwei ganz klaren, deutlichen, satten Farben gemalt: blau und
rot, blau ist die Grundfarbe, darin wird die rote Hand deutlich sichtbar. Zwei
Hände, grundlegend verschieden, so wie Menschen es sind. Die blaue Hand ist
kleiner, vielleicht jünger, vielleicht klein gemacht, vielleicht bedürftiger.
Sie scheint sich wie auf die größere rote Hand zu legen.
Auf jeden Fall sind beide Hände aufeinander gemalt. Sie bleiben
ls eigene sichtbar, sind aber in Beziehung, in Verbindung gebracht. Geht man
mit dem Blick die Fingerspitzen entlang, dann zerfließen langsam die Konturen
der Finger und Hände, nicht so, als würden diese beiden Händen sich ineinander
schließen, aber so, dass sie an den Rändern merkwürdig zu einer Hand, zumindest
zu einem Vorgang: „solidarisch!“ werden.
Das Bild, dass Menschen alle verbunden sind, wird auf einen
Punkt gebracht, den Anfangspunkt oder Endpunkt, dass Hände einander sich
berühren, dass Menschenleben einander sich berühren, bis sich ihre eigenen
Konturen leicht vermischen, etwas wie ein
Leben für Sekunden, eine Hilfe, eine gute Tat, ein Lächeln, einen Moment der Verbundenheit
wird.
Woher dafür die Kraft, die Zeit, manchmal auch die Idee
nehmen? Ein kleines, vielleicht letztes Fragezeichen hinter solidarisch, hinter
„solidarischer Mensch“. Gottes grundlegende und leidenschaftliche Verbundenheit
mit uns, die uns allen gemeinsam ist und genau jedem einzelnen immer in seinem
eigenen Leben gilt, bildet sich ab, inkarniert in der Hand von Jesus: Wie er
Brot bricht und es vermehrt, wie er sie auf blinde Augen legt und Sehen
schenkt, wie er den Kelch nahm und allen das Leben gibt, wie letztlich Gott
sich auf Menschenleben legt und sgöttliche und menschliche Lebenskonturen heilsam
ineinander übergehen und dann nichts als Friede still wird, ist, Friede, den
Gottes Hand schließt, Seelenfrieden, gerechter Frieden Punkt.
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