Samstag, 9. November 2013

Solidarisch?




Predigt zur Eröffnung der ökumenischen Friedensdekade 2013
 am Drittletzten Sonntag im Kirchenjahr (10.11.13)

Fragezeichen
Nur ein Wort und ein Satzzeichen, so knapp, so elementar reduziert ist das diesjährige Motto der ökumenischen Friedensdekade: „Solidarisch?“ Wie viel Worte kennen wir noch, sprechen sie alltäglich, gehören zu unserem Wortschatz, wie oft setzen wir in Sprechen und Schreiben Satzzeichen, Komma, Doppelpunkte, Strichpunkte, Ausrufezeichen, Doppelpunkte, Punkte. Und im Meer all diese Worte und Satzzeichen für eine kleine Dekade von 10 Tagen ein bestimmtes Wort und ein bestimmtes Satzzeichen: „Solidarisch?“
Wer mag das Fragezeichen dahin gesetzt haben, hinter solidarisch? Das kleine Satzzeichen stellt sozusagen am Ende des Worts das ganze Wort, die ganze Sache in Frage, macht solidarisch fraglich. Nicht: Wem gegenüber solidarisch sein? Nicht: Warum solidarisch sein? Nicht: Wie solidarisch sein? Sondern ganz einfach und radikal ein Fragezeichen hinterm kleinen Wort und solidarisch ist überhaupt fraglich.
Ein Wort mit Fragezeichen und wer setzt das Fragezeichen dahinter? Menschen, ich, du auch, wir, die Gesellschaft, Umstände, Unachtsamkeiten, Langweile, Bosheit, Verzweiflung, Unwissenheit, Globalität, Beziehungslosigkeit, Hände, Worte, Taten von Menschen, all das setzt das Fragezeichen hinter „solidarisch“, und markiert zu Beginn eine kleine bittere Beklemmung: Solidarisch ist fraglich.

Adjektiv
Vorm Fragezeichen steht nicht „Solidarität“, kein Hauptwort, kein abstraktes Substantiv. Es steht ein Adjektiv, ein Wiewort: „solidarisch“. Wieworte beschreiben, sagen aus, legen nahe, ja verheißen, suchen, wollen sagen wie etwas ist, sein mag, wie Gesellschaft, wie Menschen sind. Ein Adjektiv – ist wie zugeschrieben, als würde jemand mit unsichtbarer Hand etwas nehmen und es neben uns stellen, wie uns darin verorten, und sagen: So sollst du sein. So bist du: solidarisch.
Die ökumenische Friedensdekade legt uns nahe, vor uns, vor dem, was wir so als Hauptworte, Personen sind, vor unsere Namen, ein Wiewort zu schreiben, zu denken, zu fühlen, zu sein: solidarisch. Und das Fragezeichen vergessen zu machen, durch einen Punkt, durch ein Ausrufezeichen, durch einen Doppelpunkt hinaus, weit hinaus in unser Leben zu ersetzen. Solidarisch:
Menschen im Zusammenhang, Menschen unsichtbar verbunden, verbunden durch Geschichte, Herkommen, durch ihnen gemeinsam Gegebenes. Menschen angewiesen, gemacht zueinander, füreinander, aufeinander, bedürftig und reich, beschenkt und mitteilsam, zusammengebunden auf einem Planeten, in einer Stadt, in einer Zeit, zu einer Aufgabe.
Menschen verbunden unsichtbar wie durch unzählige kleine feine Fäden, die sich durch alle Räume, Zeiten zwischen uns sich ziehen, gewoben, geknüpft sind, die unsere Bewegungen, unsere Erschöpfung, unsere Energie, unser Leiden, unser Handeln unsichtbar und bestimmt miteinander verbinden und voneinander wirklich abhängig machen: Jede Bewegung zieht am Faden, mit dem wir verbunden sind, und bewegt den anderen mit, und umgekehrt. Und alle sind verbunden im Netzwerk des Lebens, das alle Zeiten und Räume übersteigt, das mal fest, mal loser ist, mal fast zerreißt und wieder gestärkt wird, alle sind verknüpft letztlich mit Gott, der all diese Fäden zwischen uns, wie ausgelegt, geknüpft hat, sie immer weder mit sich verbindet und sie in seinen Händen hält und mit spürt, wie wir bewegen.

Ineinander
Solidarisch? Das Motto der Friedensdekade hat auch ein „Motto-Bild“. In zwei ganz klaren, deutlichen, satten Farben gemalt: blau und rot, blau ist die Grundfarbe, darin wird die rote Hand deutlich sichtbar. Zwei Hände, grundlegend verschieden, so wie Menschen es sind. Die blaue Hand ist kleiner, vielleicht jünger, vielleicht klein gemacht, vielleicht bedürftiger. Sie scheint sich wie auf die größere rote Hand zu legen.
Auf jeden Fall sind beide Hände aufeinander gemalt. Sie bleiben ls eigene sichtbar, sind aber in Beziehung, in Verbindung gebracht. Geht man mit dem Blick die Fingerspitzen entlang, dann zerfließen langsam die Konturen der Finger und Hände, nicht so, als würden diese beiden Händen sich ineinander schließen, aber so, dass sie an den Rändern merkwürdig zu einer Hand, zumindest zu einem Vorgang: „solidarisch!“ werden.
Das Bild, dass Menschen alle verbunden sind, wird auf einen Punkt gebracht, den Anfangspunkt oder Endpunkt, dass Hände einander sich berühren, dass Menschenleben einander sich berühren, bis sich ihre eigenen Konturen leicht vermischen, etwas wie ein Leben für Sekunden, eine Hilfe, eine gute Tat, ein Lächeln, einen Moment der Verbundenheit wird.
Woher dafür die Kraft, die Zeit, manchmal auch die Idee nehmen? Ein kleines, vielleicht letztes Fragezeichen hinter solidarisch, hinter „solidarischer Mensch“. Gottes grundlegende und leidenschaftliche Verbundenheit mit uns, die uns allen gemeinsam ist und genau jedem einzelnen immer in seinem eigenen Leben gilt, bildet sich ab, inkarniert in der Hand von Jesus: Wie er Brot bricht und es vermehrt, wie er sie auf blinde Augen legt und Sehen schenkt, wie er den Kelch nahm und allen das Leben gibt, wie letztlich Gott sich auf Menschenleben legt und sgöttliche und menschliche Lebenskonturen heilsam ineinander übergehen und dann nichts als Friede still wird, ist, Friede, den Gottes Hand schließt, Seelenfrieden, gerechter Frieden Punkt.

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