Samstag, 31. Dezember 2011

Notration


Predigt am Altjahresabend 2011 (31.12.11)

2.Mose 13,17-22: Die Wolken- und Feuersäule
17 Als nun der Pharao das Volk hatte ziehen lassen, führte sie Gott nicht den Weg durch das Land der Philister, der am nächsten war; denn Gott dachte, es könnte das Volk gereuen, wenn sie Kämpfe vor sich sähen, und sie könnten wieder nach Ägypten umkehren. 18 Darum ließ er das Volk einen Umweg machen und führte es durch die Wüste zum Schilfmeer. Und Israel zog wohlgeordnet aus Ägyptenland. 19 Und Mose nahm mit sich die Gebeine Josefs; denn dieser hatte den Söhnen Israels einen Eid abgenommen und gesprochen: Gott wird sich gewiss euer annehmen; dann führt meine Gebeine von hier mit euch fort. 20 So zogen sie aus von Sukkot und lagerten sich in Etam am Rande der Wüste. 21 Und der HERR zog vor ihnen her, am Tage in einer Wolkensäule, um sie den rechten Weg zu führen, und bei Nacht in einer Feuersäule, um ihnen zu leuchten, damit sie Tag und Nacht wandern konnten. 22 Niemals wich die Wolkensäule von dem Volk bei Tage noch die Feuersäule bei Nacht.
 

Gemischte Gefühle
Einen Umweg machen. Auf dem Weg. Zwischen der Flucht aus Ägypten, der Rettung aus der Knechtschaft, dem Auszug aus den schlechten Tagen – und: dem Einzug ins gelobte Land, in die Zeit der versprochenen Verheißung, ins Heil. Auf dem Weg nach dem schrecklichen zehn Plagen, die den Pharao zur Freigabe zwingen - und vor dem Durchzug durchs Schilfmeer, der endgültig aus der Hand der Verfolger befreit. Zwischen Elend, von dem man befreit wird; Aufbruchstimmung, in die ein Silberstreif am Horizont einen bringt; Vertrauen und Hoffnung, die beginnen wie Bäume in den ägyptischen Himmel zu wachsen; - und: leisem Zweifel, ob das wirklich der Weg ist; Elegie und Müdigkeit, weil der Weg so mühsam, sich so lange hinzieht, Mutlosigkeit, die sich einschleicht.
Einen Umweg machen. Auf dem Weg. Gemischte Gefühle. Im Blick auf das vergehende Jahr. Umwege, die man gehen musste, notgedrungen, missmutig, aber doch auf dem Weg. Wie viele Plagen hatte das Jahr? Kosmische, persönliche, welche mit Namen, Gesichtern. Aus was sind wir heraus gezogen, haben es hinter uns gelassen, ja sind beginnend befreit worden; können es wie Israel noch nicht ganz loslassen, weil es einen noch hält, fest hält; aber der Durchbruch kommt. Unser Exodus aus den kleinen Knechtschaften des vergehenden Jahres; Befreiungsmomente.
Wie weit sind wir gekommen, geführt, gegangen auf unserem Weg ins gelobte Land, in das Land, in dem sich unsere Wünsche und Sehnsüchte finden, das, was uns versprochen ist? Wo war Zweifel? Wo Mutlosigkeit? Wo Vertrauen? Wo Hoffnung? Noch mal kurz innehalten, die bösen Momente des Jahres wie schlechte den Atem im Nacken, in der Seele spüren; es wie Israel in Ägypten, im alten, in vergehenden lassen können. Noch mal kurz innehalten, das gute mitnehmen, ja zum Guten befreit sein und hineingehen ins neue, ins Gelobte. Auf Umwegen.

Gemeinsam am Rande
Am Rande der Wüste lagern. Wie Israel. Ein kleiner kurzer ewig sich wiederholender Moment. Am Rande der Wüste, die zu durchqueren ist. An deren Rande lagern. Wie Israel. Gemeinsam. Wir sind gemeinsam unterwegs, im Jahr, das fast hinter uns liegt, im kommenden Jahr, das gleich kommt. Wir sind gemeinsam unterwegs. Mit denen, die auch gehen, leben, auf Umwegen, bekannte, vertraute, verlorene Gesichter, unbekannte, verzerrte, gehasste, fremde Gesichter, Schritte, Weggefährte. Gemeinsam unterwegs, gemeinsam lagern.
Am Rande der Wüste, der Blick geht auf die Landschaft; eine Wüste, die wie das Jahr, noch unberührt vor einem liegt, die noch ungezeichnet ist von unseren Fußspuren, Wegen, Umwegen. Ein Jahr, an dessen Rand wir lagern, wir spüren den Übergang, noch am Rande, aber gleich geht es wieder weiter, weiter Richtung, neues Jahr, Spur des gelobten Landes. Stehen bleiben, Zögern, Warten, Mut schöpfen, Ausschau halten am Rande der Jahre, jetzt heute Abend: Wo ist der richtige Weg hindurch? Wer kann uns führen? Wie kommen wenn es wirklich Wüste wird, weiter ins gelobte Land, in unser gelobtes Leben?
Eine Notration. Auf unserem Weg im neuen Jahr. Eine Notration für die bitteren, sandigen, staubigen, gefährlichen, undurchsichtigen Momente, Stunden, Wiederfahrnisse Umwege, für die wirklichen Wüstenmomente. Im kommenden Jahr wird nie alles Wüste sein, vielleicht vieles, einiges, hoffentlich Weniges, durch das wir schnell, weil quälend, hindurch müssen auf unserem Lebensweg. Für diesen Moment, an deren Rand wir auch stehen, jetzt, noch unerlebt, aber eintretend, für die Wüstenwege eine Notration:

Hindurch gerettet
Für Israel war diese Notration durch die Wüste die Wolken- und Feuersäule. In ihr war Gott gegenwärtig, ging mit dem Volk, führt es durch die Wüste. Hell sichtbar, spürbar am Tag durch Wolken, in der Nacht leuchtete das Feuer.
Das Volk sah es als Gotteszeichen und kam sicher geleitet und schnell durch die unwegsame Wüste. Gott rettete es ein Schritt weiter ins gelobte Land.
Gott stellt solche Notration für Menschen in deren Wüstenmomente ins Leben, führt sie, leitet sie, rettet sie hindurch, hindurch durch Not, Trauer, Mutlosigkeit, Zweifel, durch dunkle Jahresmomente. Gott geht mit in der Not, er ist gegenwärtig in ihr, nah, Tag und Nacht, sichtbar, spürbar, erlebbar, nimmt Menschen an die Hand, bis wir durch sind durch die Not, durch die Wüstenzeit, ein Schritt hinaus und weiter ins gelobte Land.
Wolkenberge und Feuersäulen, Wolken und Feuer mögen uns heute woanders begegnen, damals war er seinem Volk auf diesem Weg in der Not rettend nah. Uns ist er auch in der Not rettend nah, führt uns durch Wüstenzeiten des kommenden Jahres. Worin er sich dann zeigt, worin er uns dann zur Wolken- und Feuersäule wird, bleibt so offen, wie das Jahr neu wird, aber er wird es machen, mit uns gehen in Not. Notration sein.
Wolken- und Feuersäulen sind dann ganz kleine Vertrauenslichter in unseren Seelen, von Gott hineingegeben, unverfügbar, aber da, wenn man IHN braucht. Auch Menschen, Worte, Jesus Christus, der in anderen nah wird, sind dann rettende Notrationen, die uns hindurchführen durch Not. Ein letzte eigener Kraftakt, der von woanders her, von IHM, seine Kraft nimmt, ist Notration, auch diese Kirche ist dann Wolken- und Feuersäule für unserer Seelennacht, ein Ort, mal mit und ohne Menschen, der immer dasteht als Notration uns geschenkt.
Umwege, gemischte Gefühle, loslassen, mitnehmen, am Rande der Wüste. Gemeinsam heute Abend lagern, unbetretenes Land, Wüstenmomente, Notrationen. Gottes Nähe. Geführt, gerettet, das alte Versprechen neu gesagt: Wir, wir alle kommen in unser gelobtes Land. Amen.

Samstag, 24. Dezember 2011

Heiligabend-Gesicht

Predigt an Heiligabend 2011 - Christvesper

gesichtslos
Abertausend Mal sind sie abgebildet, gemalt, gedruckt, geschnitzt, geformt. Abertausend Mal ihre Gesichter. Sie sind aber gesichtslos, namenslos, die Hirten, jene, die dem Ruf des Engels in den Stall folgten. Gesichtslos, namenslos. Nichts kennen wir eigentlich von ihnen, nichts wissen wir eigentlich von ihnen. Wer sie waren. Wie sie hießen. Was sie dachten, fühlten, liebten.
Diese Hirten waren aber die ersten beim heiligen Kind? Warum? Warum sie? Merkwürdig unbekannt, unentdeckt, verborgen sind die Hirten. So wie das ganze Geschehen damals, als Jesus geboren wurde: An einem abgelegenen Ort der Weltgeschichte, mit Eltern, die nicht weiter bekannt waren, in einer Nacht, die dunkel war wie all die anderen, zu einer Zeit im ganz normalen Zeitenlauf. Irgendwie gesichtslos.
Abertausend Gesichter sind dieses Weihnachten, abertausend, unsere darunter. Gesichter, die uns begegnen, kaum angeschaut, hastig vorbeigehend, Gesichter, die fehlen, Gesichter, in die wir sahen, Gesichter in der Werbung, in den Zeitungen, im Fernsehen, daheim, in der Phantasie. Weihnachten ein Gesichtermeer, darunter wir. Ein Meer weihnachtlicher, heiliger Gesichter? Von Gottes Glanz beleuchtet?
Wir folgen dem Ruf in die Krippe zum Heiligen Kind. Strecken irgendwie unsere mal müden, aufgeregten, warmen und kalten Gesichter ihm entgegen. Viele gehen uns voraus seit jener einen Heiligen Nacht, viele folgten diesem Mann aus Nazareth, bis ans Fuß des Kreuzes, bis zum Ostermorgen, und danach abertausende. Angefangen hat es mit jenen gesichtslosen Hirten. Sie kamen als erste. Warum sie?

Ein Gesicht bekommen
Warum wir? Wie kommen wir zuerst an die Krippe, ins Heiligabendland? Wer sollen wir zuerst, in erster Linie sein an diesem Heiligen Abend?
Hirtenmenschen tragen Alltagsgesichter. Nicht geschminkt, wenn, nur ganz zart. Die Falten sind sichtbar. Jede Gesichtskontur, die das Leben ins Gesicht schrieb, erkennt man. Die Augen sieht man, Augen, in denen sich ihre Seele tief spiegelt, Seelenmenschen.
Hirtenmenschen waren einfach in der Gegend der Heiligen Nacht. Wer weiß schon, warum sie da waren und nicht woanders. Es war einfach der Ort ihres Hirtenmenschenlebens.
Einfach da sein, das Seine tun, und dabei, daneben, wohnt sich das Heil einem ein, als fiele es vom Himmel, genau vor die Füße.
Hirtenmenschen leben unterm freien Himmel. Ihr Gesicht kann nach oben blicken. All diese Dächer, all die Häute, all die Schutzeinrichtungen, aber auch Taktiken, sich zu verstecken, sind wie weg, den Blick nach oben, offen, vielleicht empfindsamer, wie Kinder, die ihr Gesicht dem warmen Sommerregen entgegenstrecken, ungeschützt, empfänglich, auch furchtsamer für engelhafte Botschaften.
Hirtenmenschen, wir, schauen uns an, sprechen miteinander über das Unaussprechliche. Nicht allein, sondern zu dritt, zu viert, zu mehreren empfinden sie, fühlen sie, fragen, suchen sie. Sie blicken in ihre Gesichter, in denen sich Furcht und unheimliche Freude mischen, und in denen auf einmal etwas ganz anderes sich spiegelt: Etwas von Gottes Himmel. Gesichter, wie unsere, in denen diese unheimliche große Sehnsucht wächst, unermesslich wachsen mag das zu sehen, was damals geschehen, zu verstehen, zu spüren, was damals und immer wieder heute, jetzt, für uns geschehen ist, geschieht. Innerlich sehen, gehen, eilend, schneller, sehnsüchtiger, voller aufgewecktem, von Hoffnung geschürtem Vertrauen in dieses eine Geschehen in der Krippe mit jenem heiligen Kind. Entscheidendes passiert.

Gesichtet
Schon lange sind die Hirten nicht mehr gesichtslos. Sie haben Gesichter bekommen. Mit der Engelsbotschaft haben sie Gesichter bekommen, Gesichter, die blicken, schauen, in denen sich Heiliges wiederspiegelt.
Sie, die an sich Gesichts- wie Namenslosen, haben Gesichter, unsere, Alltagsgesichter. Gesichter von Gott selbst gesehen.
Gott muss es gewesen sein. Gott muss eigentlich auf diese Hirten aufmerksam geworden sein. Er muss sie in Blick gehabt haben, sozusagen wirklich ausersehen: Sie sollen die ersten sein, die ersten unter allen. Sie sollen als erste das Wunder dieser Nacht entdecken, ein Wunder, das aus Vorsicht und Liebe Gott verborgen hat, ein Wunder seiner großen Liebe zu seinen Menschen.
Und in seinem Blick auf die Hirten, auf Maria, Josef und das heilige Kind, in seinem eigentlich immer weihnachtlichen Blick, jenem Blick, der vom Himmel auf die Erde schaut, sind auch wir angeschaut: Hirtenmenschen. So schaut Gott uns zuerst an, zuerst, bevor wir überhaupt anfangen, bemüht, willig, schön weihnachtlich zu denken, zu schauen, zu leben; zuerst, bevor er anders und weiter auf uns blickt.
Er stellt diesen Stall, er legt dieses Kind, er verortet sich, seine heilige Liebe neben uns, in unsere eigene Alltagswelt. Wir leben wie die Hirten in derselben Gegend. Keine Sorge. Er sagt wie zu den Hirten: Keine Angst. Kommt, tretet herzu. Euer Heil, eure Freude! Er ruft zart und spricht uns an, umleuchtet uns mit seiner Herrlichkeit, seinem Lebenslicht und verleiht uns sein Gesicht, sein göttliches Angesicht.
Angekommen. Angenommen. Von Gott beseelt – ihn gesehen, mein Heil, sein Wort nach Hause tragen. Davon leben. Amen.

Licht-Blicke

Predigt an Heiligabend 2011 – Christmette

K/leine heile Welt
Eine kleine heile Welt. Ins Wohnzimmer, in Kirchen, in Lieder, in Gedanken gestellt. Kleine, heile Welt. Friedvoll. Eng beieinander, vertraut, verbunden durch das göttliche Licht. Maria, Josef, die Hirten, in der Mitte die Krippe mit dem Heiligen Kind. Still. Welt wie angehalten. Friede. Nicht ganz von dieser Welt, nicht ganz in dieser Welt.
Eine kleine heile Welt, die keine ist. Zu viel passiert, was nicht heil, nicht friedvoll ist, auch jetzt. Kleine, heile Welt, die keine ist. Spiegelbild, kleiner Ort für unsere eigenen Sehnsüchte und Wünsche. Es soll so sein. Sehnsüchte nach jener heilen Welt, nach Frieden, in uns, um uns herum, uns in die Welt, ins Leben, in die Seele geschenkt.
Eine Sehnsucht, die wir ewig kauen, manchmal schmerzvoll in angstvoll durchwachten Nächten. Eine Sehnsucht, deren Wege wir schon so lange immer wieder gehen. Eine Sehnsucht, die wir fast verloren, die wir aber an jedem Weihnachten still wieder träumen beginnen. Eine Sehnsucht tief gestört im Kreuzfeuer des kleinen, stacheligen Unfriedens. Eine Sehnsucht, der aber nie vergraben wird von all dem, was uns unverdaubar ist an Krieg, an Gewalt, an Angst, an Zwang, an Macht, an Unfriede. Eine Sehnsucht, tief uns in die Seele gelegt, eine, die das Kind uns stillen mag.

Friedefürst
Kleines, heiliges Kind, in den Schatten der Geschichte geboren, Licht, kleingeborener Friedefürst. Alltags-Friedefürst für den Frieden auf der Welt, der großen, kleinen, klitzekleinen; für den Frieden zwischen uns, zwischen mir und dir, Friedefürst für meine Seele, Friedefürst für meinen und deinen Seelenfrieden; Friedefürst für den Frieden mit Gott.
Kleingeborener Friedefürst, der größer wird und Gottes Seele in sich hat. Kleingeborener Friedefürst, der als groß gewordener Gottessohn den Mächtigen gewaltlos den Kampf ansagt, der mit aller Energie eine gerechte Gesellschaftsordnung vom Himmel predigt, der bittet, den linken Backen hinzu halten, der sich wünscht, den Feind zu lieben, der bis an Kreuz, an dem sich der Unfriede an Gott austobt, geht, gegangen wird und der den Frieden an Ostern siegreich erlebt.
Gott überwindet die größte Kluft, die zwischen Himmel und Erde. Mit Christus überwindet er alle Klüfte, Risse, Abgründe, Trennungen. Er nimmt all das, allen Unfrieden in sich auf und füllt das Abgründige mit Liebe. Er schließt selbst Frieden mit seinen Menschen. Inmitten von Feindschaft, Gewalt, Angst und Unfriede gebiert er immer wieder und immer neu den Mittelpunkt seiner Liebe, seinen Sohn, und schenkt so Frieden hinein in die Welt.
Die kleine, heile Welt mit dem Heiligen Kind in der Krippe gab es nicht, so nicht. Sie gibt es und wird es geben. Genau so. Sie ist Gottes sichere Vision von der Welt. Sie ist seine Sehnsucht nach einer großen, heilen, friedvollen Welt mit Christus in unserer Mitte. Heile, friedvolle Welt er schenkt sie uns, in uns: Unsere Seele – eng beieinander, vertraut, verbunden durch das göttliche Licht.

Ein Abglanz des Himmels
„Ehre sei Gott in der Höhe und auf Erden Friede den Menschen seines Wohlgefallens.“ Diese Engelsbotschaft, dieser Lobpreis, diese Zusage, diese Verwandlung verbindet weihnachtlich Himmel und Erde, fügt beides fest ineinander, Gott und Mensch, und verbindet schmerzhafte Kriegswunden heilsam zum Frieden.
Mit Christus, dem Friedefürst, gebiert Gott all seine göttliche Liebesfülle wirklich auf Menschenerden, mitten vor unsere Augen, zu unseren Seelen hin. Diese Lebensfülle ist zum Greifen, zum leben nahe, die Fülle je unseres Lebens. Diese Fülle macht die Welt nicht zu einer vollkommen heilen Welt. Unfriede, Schmerz, Abschied, Hass bleiben. Schon gleich nach seiner Geburt muss das heilige Kind vor dem Tod nach Ägypten fliehen. Aber er ist und bleibt heiliges Kind, Heiliges, Fülle bei uns. Gottes Liebesfülle gibt uns alles, was wir zum Leben brauchen: um vor dem Tod zu entkommen, um in der Dunkelheit Licht zu sehen, im Schweren getragen zu werden, in Angst Trost zu erfahren, im Zweifel geliebt zu werden, unseren Seelenfrieden zu spüren.
„Ehre sei Gott in der Höhe und auf Erden Friede den Menschen seines Wohlgefallens.“ Wo Friede auf Erden wird, fällt der Ganz des Himmels auf das Angesicht der Menschen. Unsere Gesichter beginnen zu leuchten. Friede ist Abglanz des Himmels: Menschen werden gottgleicher. Menschen geben anderen Menschen die Ehre und haben aneinander Wohl gefallen. Menschen sehen Im anderen immer mehr, als er gerade ist; sie sehen ihn und sich selbst im göttlichen Licht, die Seele vom Trog der Krippe gefüllt. Frieden.

Flieg Taube
Friede ist jene wurmstichige Taube mit nur einem Flügel. Der Un-Friede, der nagt an ihr mächtig. Der andere Flügel der Taube, des Friedens ist ungebrochen. Ungebrochen, unzerbrechlich göttlich. Sein sanfter ewiger Schwung ist der Schwung eurer Seele, Krippenkinder. Friede ist in uns. Amen.

Dienstag, 13. Dezember 2011

Das Leben berühren


Predigt am 4. Advent 2011
„Das Leben berühren“

Unentschieden
Maria war allein. Allein in ihrem Zimmer. Niemand war bei ihr. Nur ein unsichtbarer Engel.
„Weihnachten wird unter dem Baum entschieden“, so heißt der Werbeslogan von Media-Markt und er zeigt Weihnachten, den Weihnachtsbaum, eine Gruppe von Menschen am schön gedeckten Tisch , die Geschenke überreichen und einen Mann, der einen Flachbildfernseher staunend in den Händen hält und seine Frau glücklich anlächelt.
Wie wird Weihnachten? Dieses Jahr? Wann und wie entscheidet es sich, dass es wirklich Weihnachten ist. Wir bereiten uns lange auf dieses Fest vor, kaufen ein, machen uns Gedanken, basteln, backen, dekorieren. Es muss doch etwas Entscheidendes haben, dieses Fest. Warum sonst der Aufwand. Dem Fest kann man kaum entkommen, kaum entziehen und alles kommt dann auf die richtigen Augenblicke an am Heilig Abend. Sind wir weihnachtlich gestimmt? Gefallen die Geschenke? Wie ist der Baum? Schmeckt das Essen? Sind die Kinder glücklich? Ich und Du? Irgendwie entscheidet sich Weihnachten mit aller Vorbereitung an Weihnachten selbst, doch unterm Baum.

Ein entschiedener Gott
Paulus, Silvanus und Timotheus. Die haben nie Weihachten gefeiert. Zumindest nicht wie wir. Paulus, Silvanus und Timotheus sind von Stadt zu Stadt gezogen und haben dort auf den Markplätzen und in den Häusern den gepredigt, den wir als Kind in der Krippe an Weihnachten suchen: Jesus Christus. In ihm haben sie Entscheidendes entdeckt und weitergegeben. Ihrer Gemeinde in der umtriebigen Großstadt Korinth schrieben sie:
„Gott ist mein Zeuge, dass unser Wort an euch nicht Ja und Nein zugleich ist. Denn der Sohn Gottes, Jesus Christus, der unter euch durch uns gepredigt worden ist, durch mich und Silvanus und Timotheus, der war nicht Ja und Nein, sondern es war Ja in ihm. Denn auf alle Gottesverheißungen ist in ihm das Ja; darum sprechen wir auch durch ihn das Amen, Gott zum Lobe. Gott ist's aber, der uns fest macht samt euch in Christus und uns gesalbt und versiegelt und in unsre Herzen als Unterpfand den Geist gegeben hat.“ (2. Korinther 1, 18-22)
Ein Gott, der sich entschieden hat, weit vor jedem unserer Weihnachten. Entschieden gegen ein Nein, entschieden für ein Ja, ein Ja zu seinen eigenen Verheißungen. Mit Jesus Christus erfüllt Gott all seine Versprechungen.
In Jesus Christus sagt Gott ja zu uns, zu jedem Menschen, erfüllt ihn mit sich, beseelt ihn, verwurzelt ihn in sich und schenkt sich ihm ganz in sein Herz. Jesus Christus ist Gottes Ja. Jedes Wort, jede Tat, seine Kreuz und seine Auferstehung, seine Taufe und seine Geburt – ein Ja. Gott hat sich für uns entschieden.

Der entscheidende Augenblick
Das ist der alles entscheidende Augenblick. Das Bild in Ihren Händen versucht ihn für uns abzubilden. Maria erfährt, dass Gott durch sie seinen Sohn auf die Welt bringen wird. Damit wird sich für die Welt alles ändern- und für Maria. Jetzt, als der Engel, der nicht zu sehen ist, dies sagt, entscheidet sich in einem göttlichen Nu ihr ganzes Leben. Sie erfährt dies als Erbarmen, als Befreiung, als Hochachtung, sich selbst als auserwählte Dienerin.
Still und dunkel war es im Raum. Eine Abgeschiedenheit, durch die sich alles auf Maria konzentriert. Ihr Haupt ist bedeckt, umhüllt, nur ihr Gesicht und ihre Hände sind zu sehen. Sie hält mit ihrer linken Hand den Umhang fest. Sie wirkt von allem, was sonst von außen auf Menschen eindringen könnte, wie geschützt, eigentümlich rein. Ihr Gesicht ist jung, unverbraucht, ihr Kopf ist unbewegt, ihre Augen blicken nach rechts, ihr Blick wirkt irritiert, fasziniert, schüchtern, gegenwärtig.
Maria streckt ihre rechte Hand aus, vorsichtig, als wolle sie berühren, anfassen, spüren. Es ist der Engel. Es ist aber viel mehr. Von Gott angesprochen, von Gott berührt, von Gottes Entscheidung getroffen, ist sie still, andächtig, schaut sie vom Gewohnte auf und weg, geschützt, berührt sie selbst, tastet sie nach dem, was sich da für sie entschieden hat, nach dem, was Entscheidendes passiert.
Ihre Hand tastet, fühlt sachte, was nun ihre Bestimmung sein wird, was ihr Leben ist. Sie tastet und erfährt genau das, was Paulus, Silvanus, Timotheus auch spürten und weitergaben. Maria erfasst schemenhaft mit Blick und Hand, mit sich: Gottes Verheißung für mich erfüllt sich. Ich bin ganz fest in seinen Wollen und Gedanken. Ich spüre seinen Glanz auf mir. Ich trage ihn in mir auf meinem Herzen. Ich höre Gottes Ja zu mir.

Es weihnachtet
Entscheidendes passiert, geschieht. So sehr wir entscheiden. Menschen werden entschieden. Sie tasten danach, ihre ganze eigene Bestimmung, Lebenserfüllung zu finden, geschenkt zu bekommen.
Gott hat sich entschieden. Er sagt sein Ja zu Menschen. An Weihnachten wird dies spürbar. Weihnachten ist die große Erzählung, dass Gott sich für die Welt, für Menschen entscheidet, sein Ja zu uns hineingebiert in die Welt. Eindeutiger geht es nicht.
Dass hier Entscheidendes passiert, spüren selbst aberwitzige Slogans. Sie verdrehen es kommerziell. Am wahrlich tiefsten an sich spürt es Maria. Sie ist ein adventlicher Mensch – so wie wir. So wie Maria tasten wir mit unserer Seelen Händen nach jenem entscheidenden Augenblick: Gott sagt mitten im Trubel Ja zu mir sagt. Er macht seine Verheißung wahr. Ich finde meine eigene Bestimmung, das Lebens selbst. Ich werde von seiner Liebe glänzend beschienen, innerlich königlich gesalbt, trage Heilige in mir, werde getragen. An Heiligabend und zu anderer, seiner Zeit
Und dann Amen sagen. Wie Maria, wie Paulus, Silvanus, Timotheus und all die anderen. So sei es. So soll es sei mit mir. An sich geschehen lassen und den gerade noch still andächtigen Mund langsam zum Lob öffnen. Sein Ja entschieden zu Gott singen. Amen.

Sonntag, 4. Dezember 2011

Zerreiß dein Herz


Predigt am 2. Advent (4.12.11.)

Jesaja 63,  15-64, 3
15 So schau nun vom Himmel und sieh herab von deiner heiligen, herrlichen Wohnung! Wo ist nun dein Eifer und deine Macht? Deine große, herzliche Barmherzigkeit hält sich hart gegen mich. 16 Bist du doch unser Vater; denn Abraham weiß von uns nichts, und Israel kennt uns nicht. Du, HERR, bist unser Vater; »Unser Erlöser«, das ist von alters her dein Name.
Warum lässt du uns, HERR, abirren von deinen Wegen und unser Herz verstocken, dass wir dich nicht fürchten? Kehr zurück um deiner Knechte willen, um der Stämme willen, die dein Erbe sind! 18 Kurze Zeit haben sie dein heiliges Volk vertrieben, unsre Widersacher haben dein Heiligtum zertreten. 19 Wir sind geworden wie solche, über die du niemals herrschtest, wie Leute, über die dein Name nie genannt wurde.
Ach dass du den Himmel zerrissest und führest herab, dass die Berge vor dir zerflössen,
(64) 1 wie Feuer Reisig entzündet und wie Feuer Wasser sieden macht, dass dein Name kundwürde unter deinen Feinden und die Völker vor dir zittern müssten, 2 wenn du Furchtbares tust, das wir nicht erwarten – und führest herab, dass die Berge vor dir zerflössen! –3 und das man von alters her nicht vernommen hat. Kein Ohr hat gehört, kein Auge hat gesehen einen Gott außer dir, der so wohltut denen, die auf ihn harren.

Finsterzeit
Wir sind geworden, wie solche, geworden: …  So viele Adventszeiten. So viele Schritte dem Licht entgegen, so viele Schritte heraus ans Licht. So viele Schritte im Dunkeln. Im Finstern. Tastend. Suchend.
Wir sind geworden, wie solche. Wer sind wir geworden? Wer sind wir? Auch solche, die irre gehen, deren Herz zumindest Stockflecken trägt, die furchtbar furchtlos sind, die vertrieben, namenslos und machtlos gehen, angefeindet, im eigenen Gegenwind?
Wir sind geworden, wie solche. Spüren wir noch in und an uns jene Herrlichkeit, jenen eigentümlichen Glanz, jene Heiligkeit, die Gottes Liebe in unser Leben, uns in den Alltag, auf Leib und Seele geschrieben hat? Sind wir solche noch, die im Advent gehen, zugehen auf ihre eigene Herrlichkeit, ihren eigenen Glanz, ihr eigenes Licht. In der Finsternis. Suchend. Tastend.
Steckt in all den Besorgungen, in allen Zubereitungen, in allen Stilleversuchen, in all der fast vergrabenen Sehnsucht, in all dem Spüren der besonderen Zeit noch ein Harren, noch etwas von jener Suche nach dem Licht, nach Erlösung, nach Erbarmen, nach eigenem göttlichem Glanz?
Eine Suche nach Licht, im Dunkeln, in der Finsternis des eigenen Lebens, der eigenen Seele, mit ihren Abgründen, Widersprüchen, Wunden, Schatten, Verirrungen, Stockflecken, Verhärtungen?
Eine Suche sozusagen mitten ins göttliche Herz:

Herzschatten
Gottes Herz. Auf Gottes Herz liegen Schatten. Es sind Schatten, die menschliche Hartherzigkeit in Gottes Herz wirft.
Gottes Herz verschließt sich, seine ganze, große und herzliche Barmherzigkeit hat Gott in sich verschlossen. Sie existiert, sie gibt es, aber sie ist in sich verschlossen, ja sein Herz ist verdunkelt.
Gottes innersten Gefühle, seine Liebe, sind verschlossen, sind in ihm vergraben, verborgen, zeigen sich nicht, enthält er vor, sein Gefühl für sein Volk, seine Menschheit, für seine Menschen, seine Herzensliebe, mit der er sich den Menschen zuwendet, ihnen entgegenkommt, sie umschließt, sie mit hinein nimmt in sein Leben. All das ist in Gottes Herzen wie verfinstert, wie verschlossen, ist fern, ist gegen, ist wie von Menschen abgekapselt im fernsten aller Himmel.

Herz pulsiere
Erinnere dich, Gott! Blick in dein Herz. Kehr zurück in dein Herz. Komm wieder näher.
Erinnere dich daran, wer du bist und wer wir sind. Erinnere dich daran, wer du schon immer warst, bevor wir andere wurden. Erinnere dich an uns, dein Volk, deine Menschheit, deine Menschen – an mich und dich.
Erinnere dich, Gott, vergiss nicht: Du bist doch der, der uns ins Leben rief, der uns seine Ebenbilder nennt, der uns seine Liebe ins Leben schenkt. Erinnere dich: Du bist doch Erlöser, der, der unser Leben annimmt, immer mit Liebe betrachtet, der es herausreißt aus eigener Schuld, aus jener Finsternis, die andere, das Leben um uns breitet. Du bist der, der uns gegen alle anderen Atemzüge mit seinen Geist beseelt. Wir sind doch deine erste und letzte, ewige Wahl.
Erinnere dich an deine Macht und öffne dein verschlossenes Herz wieder für uns:

Es öffnet sich
Gott schaut in sich, in sein eigenes Herz, dort sieht er als Spiegelbild allen Lebens uns, jene, die er mit dem Glanz seiner Liebe bekleidet hat und umhüllt. Er schaut sein Herz an und es pulsiert noch, immer voller Liebe und Erbarmen, es pulsiert und er öffnet es uns.
Gott schaut vom Himmel herab und er kommt von dort, seiner heiligen, herrlichen Wohnung herunter. Er erinnert sich daran, wie mächtig, wie herrlich, wie heilig, wie eifernd er ist. Ein Gott wie keiner:
Wie keiner. Im Advent harren wir auf den Gott, der im Kind von Bethlehem, im Mann von Nazareth, in Jesus, den Gekreuzigten, in Christus, den Auferstandenen zu uns kommt, mit dem Gott sein Herz unwiderruflich öffnet und es uns in Liebe ausschüttet:
Gott reißt die Himmel auf und es breitet sich Furcht und Schrecken aus. Bei denen, die sonst an der Macht sind, die andere beherrschen und Menschenseelen unterdrücken, knechten und drangsalieren, Menschen kleiner, randständiger machen.
Gott reißt die Himmel auf und es zerschmilzt, zerfließt all das, was Gottes Liebe widersteht, entgegensteht; die harten Herzen werden weicher, die Verstockungen lösen sich, mitten im Advent werden Menschen in Hast und Eile aufgebrochen und spüren Gottes Nähe, mitten im Advent werden Herzen entzündet für sein Licht und es gescheit eine herzliche Wärme untereinander, die von Gottes Kommen erzählt.
Gott reißt die Himmel auf und wir werden, egal wie wir geworden sind; wir werden adventlich und licht- wir werden solche, über die Christus herrscht, über die er seinen Namen zart flüstern, alles verwandelnd nennt: Ich bin dein, dein Heiland, dein Erlöser, Retter, Befreier, dein Licht. Amen.