Sonntag, 30. Dezember 2012

Gott wohnt in meiner Stadt



Predigt an Neujahr 2013 zur Jahreslosung 2013:
„Wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir.“ 
(Hebräer 13, 14)

Städte bleiben
Menschen werden in Städten geboren und sterben dort. Sie wohnen in Städten, kaufen dort ein, treffen Freunde, besuchen Fußballspiele und Theater. Menschen ziehen um, wechseln die Städte im Laufe ihres Lebens. Menschen besuchen Städte, große, bekannte und sehen sie sich deren Gebäude an.
Menschen leben in Städten und Städte sind dichte Ansammlungen von verschiedenen Häusern. In den Häusern leben auch Menschen und sie leben in Wohnungen und die Wohnungen haben Räume. Menschen wohnen und leben in Räumen und an Orten.
Städte sind Orte. Dort, wo ich geboren wurde, ist ein Ort; da, wo ich arbeite, ein anderer; und dort, wo ich andere treffe, ist wieder ein anderer Ort. Unser Leben ist eine Landkarte mit verschiedenen Orten, vielen oder wenigen, und jeder Ort erzählt ein bisschen die Geschichte von uns. Schöne und schmerzliche, alte und heilsame, bekannte und stille Geschichten von uns.
Orte bleiben, auch wenn sie sich verändern mögen, wenn sie Laufe der Jahre anders werden; sie bleiben und verschwinden nicht; das Wohnzimmer der Eltern trägt man in Bildern immer an sich; auch den Ort des ersten Kusses, oder den Ort, an dem man jemanden verloren hat. Orte bleiben und wir auch an manchen Orten lange, lebenslang, und doch sind wir es, die wir irgendwie innerlich oder äußerlich immer weiterziehen.
Auch Städte bleiben. Die allermeisten. Sie sind aus Stein und Beton gebaut, bestehen schon seit vielen, vielen Jahrhunderten und werden auch nach uns bestehen. Aus unserer Menschensicht sind sie für die Ewigkeit gebaut, auch wenn Häuser, Straßen, Gebäude dazu kommen oder andere wegbleiben.
Jesus war kein Städter. Zumindest war er meistens unterwegs, von Dorf zu Dorf, von Stadt zu Stadt, auf dem Land. Und er hat immer wieder einsame, stille Orte und Unorte wie die Wüste aufgesucht, Orte, an denen er sich Gott näher spürte. Jesus ging in die Häuser, die Wohnungen, an die Orte der Menschen und dann geschah es, dass sich die ganze Stadt vor seiner Tür sammelte. Die Städter in Jerusalem riefen Hosianna ihm zu. In dieser großen Stadt starb Jesus. Dort war er auch ganz zu Beginn seines Lebens und wurde als frisch Geborener mit acht Tagen beschnitten und begegnete dort Simeon.

Ich suche
Simeon wartete auf den Messias. Er war einer, der eine tiefe Sehnsucht in sich hatte, der danach suchte, endlich den zu finden, der ihm das Heil bedeutete. Als er Jesus in den Händen hielt war es für ihn so weit.
Menschen leben vom Haben, weniger vom Suchen. Menschen bekommen das Leben geschenkt und ab da haben sie, haben sie Glück und Pech, Erfolg und Sorgen, Probleme und Freunde. Vor allem haben sie aber Dinge. Sie kaufen sie oder bekommen sie geschenkt, sie erarbeiteten sie sich oder erben sie. Menschen haben Kleidung, Handys, Wohnungen, Autos, Ketten, Habseligkeiten. Und viele, viele haben nichts. Nicht mal das tägliche Brot. Das, was ich aber habe, ist mein, es gehört mir. Es ist Besitz. Haben ist Zustand.
Suchen aber ist Bewegung. Suchen ist verlangen, ist fragen, forschen, erstreben, aufspüren. Suchen ist Sehnsucht und Sehnsucht ist Durst, ist Hunger nach etwas, was ich wirklich brauche, ohne das ich nicht sein kann. Ich sehne mich nach etwas, das mich vollständiger macht, vielleicht zu dem macht, der ich sein soll, und ich ahne, weiß, spüre, dieses Sehnen wird mir erfüllt nicht von mir selbst, sondern von woanders her.
Diesem Suchen wohnt eine Unruhe inne. Diese Sehnsucht ist wie eine Spiegelung der Unendlichkeit in mir, und sie wird da zum unauslöschlichen Schmerz, wo dieser Sehnsucht die Erfüllung versagt wird, wo sie nur unbestimmt ins Leere geht und bleibt. Jede Sehnsucht streckt sich aus in die Welt der Möglichkeiten und will, dass etwas Bestimmtes für sie wirklich wird.
Für Simeon wird der erhoffte Messias in Jesus wirklich. Es ist eine große Sehnsucht nach Gott. Nach der fragt uns Gott von Zeit zu Zeit, ob wir sie auch spüren. So wie er sie spürt. Gottes Sehnsucht ist der Mensch. Und seine Sehnsucht ist seine Liebe zum Menschen. Er sehnt sich nach den Menschen und mit Jesus beginnt die Erfüllung dieser Sehnsucht.

Gott wohnt
Da, wo Gottes Sehnsucht sich in einem Menschen erfüllt, dort ist Zukunft. Dort beginnt Gott wirklich zu werden im Menschen, und der Mensch wird ein Gott gefälliger Mensch und hat Gegenwart, fortgesetzte, bewahrte, gewollte, gesegnete Gegenwart sogar über den Tod hinaus.
Zukunft ist immer der Raum der Möglichkeiten. Eigentlich ist ja schon alles immer Zukunft. In jeder Sekunde, die gerade ist, bricht schon die nächste an, um zu werden. Meistens ist die Zukunft einfach die Fortsetzung der Gegenwart und wir schöpfen aus den alltäglichen Möglichkeiten. Dann und wann werden noch nicht da gewesene Möglichkeiten wirklich, verändert sich das Leben und Zukunft wird als Neues spürbar.
Wie sieht die zukünftige Stadt aus? Wie ist die Stadt der Zukunft? Welches Gesicht tragen unsere Städte in 20, 30 oder 50 Jahren? Gottes Zukunft ist, dass er zu Menschen kommt, dass er dort in deren Leben wirklich wird und sie mit ihm leben und so in ihrem Leben das anbricht, was mit Gott anbricht, Seelenheil, Frieden, Gerechtigkeit, dass die tiefsten Sehnsüchte des Menschen gestillt werden.
Gott wohnt seit Weihnachten unter Menschen. So sehr sich Menschen um die Frage drehen, wo und wie sie wohnen, ob in Städten, auf dem Land, einsam, zu zweit, in Familien, in Luxusvillen oder verschimmelten Wohnungen, ob auf der Straße oder im Mietsblock, so sehr hat sich Gott mit Jesus entschieden, dass er sich hier bei uns verortet, unter uns und in uns wohnt, einwohnt. Dort endet unsere Suche und wird Gott zu unserer Zukunft. Gott kann überall wohnen. Er wohnt in einem jeden von uns. Er wohnt aber auch in unserer Stadt. Nicht nebenan oder in einem bestimmten Gebäude und auch nicht unbedingt sicher hier in der Kirche.
Außerhalb, außerhalb des Lagers, draußen, draußen vor dem Tor, das ist die städtische Ortsangabe für den Tod Jesu. Dort verortet der Hebräerbrief Jesu Tod und verbindet es mit seiner Suche nach der zukünftigen Stadt. Mit Jesu Tod ist diese Ortsangabe gestorben. Es gibt kein „draußen vor dem Tor“ mehr und auch kein „außerhalb“ mehr. Nicht für Gott, nicht für sein Wohnen in der Stadt. Er wohnt bei und in uns absolut inklusive. Gott bricht jegliche Mauern, Wänden, Türen, virtuelle, in Köpfen und aus Stein, die in Städten immer gegenwärtiger sind, auf und macht alle zu solchen, die drinnen sind, die dazugehören, zu ihm, zu Gott, zu uns. Wie wir selbst. Für immer bei Gott verortet. Amen.

Gottes Herrlichkeit tragen



Predigt am Altjahresabend 2012


Masse
Auf den ersten Blick eine Masse Menschen, wie ein Keil im Bild. Die Masse reißt mit dem rechten Bildrand nicht ab. Es geht weiter. Wie viele es sind, sieht man, weiß man nicht. Da sind an der Spitze die drei Weisen auf dem Morgenland, links davon eine Frau mit zwei Kindern, eine Frau auf der Bahre, ein Mann, der einer anderen aufhilft, ein Liebespaar ganz rechts, eine Nonne, ein Mönch, ein Pfarrer, ein Hund, Adlige, Einfache, Gefesselte, Arme, Hände, Körper.
Alle sind irgendwie in Bewegung, haben eine Ausrichtung, mit ihren Körpern, Gesichtern, Händen, mit ihren Schritten. Sie teilen den gleichen Blick, die drei Weisen aus dem Morgenland, die Frau, die ihren Oberköpre, ihren Kopf vorsichtig nach vorne reckt, das Kind an ihrer linken Hand, das auf seine Mutter schaut, das Kind an der anderen Hand, das zu uns, dem Betrachter, schaut und uns mit seinem Blick hinein nimmt ins Bild.

Alle stehen wie auf einem leichten Plateau der Landschaft, wie bei einem Zug ins fremde, andere, neue Land. Für Sekunden alle still. Alle folgen dem Stern, der nur sachte ganz links oben erscheint, der nur halb zu sehen ist.
An diesem Abend sind wir alle, wie die ganze Masse der Menschen, unterwegs vom alten ins neue Jahr. Eigentliche eine Massenerfahrung, aber jeder für sich steht an der Schwelle von einem zum anderen Jahr, vom gewesenen zum zukünftigen, und irgendwie sekundenstill auf dem sachten Plateau des Lebens und ins neue Jahr schauend. Was wird kommen? Haben wir, unsere Körper, unsere Sinne, unsere Herzen, unsere Blicke ein Ausrichtung, wie die Menschen auf dem Bild?

Gesichter
Deren Gesichter sind staunend, fragend, vorsichtig hoffend, nachschauend, verwundert, still freudig, verschlossen, ausblickend. In welchem Gesicht spiegelt sich das unsere? Wenn wir mit ihm hineingehen in das Kommende? Finden wir unser Gesicht in deren Gesicht wieder? Folgen wir wie sie?
Wem oder was folgen? Wem werden wir folgen und wem sind wir im vergangenen Jahr gefolgt, welchen Zielen, Vorhaben, Plänen, Menschen, Sinnrichtungen, Ereignissen, welcher Bestimmung? Sind wir überhaupt gefolgt oder sind wir vorangegangen oder haben wir einfach nur gelebt, ohne uns selbst, anderen, etwas zu folgen?
Der Stern auf dem Bild, der da sicher am Horizont steht, sonst ließe sich Bewegung der Masse nicht erklären, dieser Stern ist nur halb zu sehen, aber er zeichnet sich ab, er wird sichtbar in den Menschen, in ihrer Bewegung, in ihren Händen, Gesichtern und Herzen. Eine tiefe Erwartung scheint dieser Stern ins Leben der Menschen zu zeichnen, das sie aufbrechen, losgehen, aufhelfen, mitnehmen, Hände recken, Fesseln zeigen, Krücken bewegen, schauen lässt. Eine tiefe Erwartung nach neuem Leben.

Schweif
Alle folgen dem Stern, der vor ihnen ist. Weihnachten liegt eine Woche hinter uns und es liegt immer vor uns. Weihnachten hat umwälzende Folgen und wir folgen diesen Folgen, folgen wieder dem Stern. Der Stern ist ohne Kopf, der ist uns voraus, um uns zu führen, der Schweif des Sterns geht sanft über in die Masse der Menschen. Sie schauen ihn und wie sie ausschauen, wie sie sich ausrichten, wie sie in Bewegung sind und viele noch hinzukommen, werden diese Menschen zusammen selsbt zum Teil des Sternenschweifs.
Sie werden selbst Teil des Sterns und leuchten als kleine Sterne sich und anderen. Der Stern von Bethlehem ist den Weisen aus dem Morgenland erschienen. Diese waren Sterndeuter, ein bisschen wie wir heute Abend, die wir gerne wissen würden, was Morgen wird. Diese Sterndeuter sahen den Stern und er ging ihn voraus und zeigte ihnen das Kindlein, Gottes Heil, und sie wurden am Stall Teil der Herrlichkeit Gottes. Sie beteten das Kindlein an.
Es ist jene Herrlichkeit, die den Hirten auf dem Felde erschien, als die „Klarheit des Herrn um sie leuchtete“ und alle Furcht vertrieb und ihnen die Geburt des Heilandes verkündete. Mit dieser Botschaft im Herzen eilten die Hirten zum Stall und wurden selbst ein Teil der sie anleuchtenden Herrlichkeit und beteten das Kind an.

Gottes Gnadenkleid
Alle folgten dem herrlichen Licht und wurden zu seinem Teil. Wie die Menschen auf dem Bild Teil des Sterns sind. In allem, dem wir folgen im vergangenen und im kommenden, sind wir schon auch dort, Teil von dem, was wir suchen. Wir werden dazu gemacht. Gott zu finden ist Lebenssuche, dem einen Stern zu folgen, und wir werden in dieser Suche schon immer von Gott Gefundene sein. Teil der göttlichen Herrlichkeit.
Die Menschen auf dem Bild sind so aufgebrochen, wie sie sind, sie haben sich nicht vorbereitet, nicht zurechtgemacht. Füße blieben barfuß, zerschlissene Gewänder blieben zerschlissen, Königskleid blieb Königskleid. Mönchskutte Mönchskutte. Sie tragen all ihre Kleidung, ihre Alltagskleidung. Jeder von ihnen.
So wie wir, die wir dem Kommenden so oder so entgegen leben. Wir werden im kommenden meistens wieder die Alltagskleider tragen wie im vergehenden. Jeder von uns. Unterwäsche. Socken. Hose. Hemd. Bluse. T-Shirt. Pullover. Schuhe. Jacke. Lieblingsstücke. Alltagskleider.
Und wir werden wie diese Teil des Stern sein, Teil der weihnachtlichen Herrlichkeit, die wir suchen. Wir werden bei allem, wohin wir uns austrecken, bewegen, erwarten, mit Gottes herrlichen Kleid umkleidet sein, unsichtbar sicher, als zweite glänzend heilsame Haut und mit ihr werden wir, wie all die Jahre zuvor verheißen, unter Gottes Gnade gehen, mit seinem Segen und in seinen Frieden, gemeinsam dem Stern folgend. Amen.

Samstag, 22. Dezember 2012

Maßlos



Predigt am ersten Christtag 2012

Johannes 3, 31-36
Der von oben her kommt, ist über allen. Wer von der Erde ist, der ist von der Erde und redet von der Erde. Der vom Himmel kommt, der ist über allen und bezeugt, was er gesehen und gehört hat; und sein Zeugnis nimmt niemand an.
Wer es aber annimmt,  der besiegelt,  dass Gott wahrhaftig ist. Denn der, den Gott gesandt hat, redet Gottes Worte; denn Gott gibt den Geist ohne Maß. Der Vater hat den Sohn lieb und hat ihm alles in seine Hand gegeben. Wer an den Sohn glaubt, der hat das ewige Leben. Wer aber dem Sohn nicht gehorsam ist, der wird das Leben nicht sehen, sondern der Zorn Gottes bleibt über ihm.

Irdische Schwerkraft
Das Irdische hat eine eigentümliche Schwerkraft. Eine allzu irdische Schwerkraft, die uns manchmal wie bindet und wie am Boden hält. Die uns schwer anzieht, drückt und wie fesselt. Die sich wie eine grauer, dunkler Schleier, Mantel über uns legt und auf den Boden drückt, uns am Boden hält.
Ganz verschiedene Formen und Namen hat diese allzu irdische Schwerkraft und wir spüren sie, wenn sie uns morgens das Aufstehen und abends das Einschlafen schwer macht, die Freude am Tag nimmt, Probleme übergroß erscheinen, Sorgen über den Kopf wachsen lässt, wenn Schuld und Unausgesprochenes uns unterschwellig quälen, wir kaum mehr Kraft haben, nur Lebensmüdigkeit, wenn alles grau scheint, wenn unsere Seele wie verdunkelt ist, ohne Licht, leer.
Annehmen, einfach darauf zu leben, Vertrauen fallen dann schwer. Sehen auch, weil über das Sehen ein Grauschleier liegt, der alles, auch Buntes, Helles, Gutes, Schönes grau sieht und macht. Sehenden Auges ist Mensch dann wie seelenblind, verschlossen, zugemacht. Es ist auch nichts mehr, dem man richtig folgen könnte. Einem Plan, einem anderen, der einen liebt, Gott. Jeder Kontakt ist wie abgedichtet, wie abgeschnitten, hören, gehorchen, gehorsam sein, Gott, anderen, sich selbst ist  nur schwer, ist kaum möglich. Von Erde ist man genommen und es scheint, dass man wieder zur Erde wird mitten im Leben.
Darüber kann Gott wütend werden. Darüber wird Gott zornig. Darüber ist Gott zornig. Er ist zornig über diese Schwerkraft des allzu Irdischen, die uns zu Boden drückt, uns das Leben erschwert, es wie wegnimmt und gegen ihn, gegen Gott steht, der unser Leben will, es uns schenkt, der uns Menschen von der Erden himmelwärts ausrichten will.

Die Fülle ist da
Heiligabend, Weihnachten, das Christfest ist Zeichen, ist Erinnerung, ist Verheißung: Die Fülle ist da. Trotzdem. Es gibt sie. Es gibt ein Leben, das die Ewigkeit atmet. Es gibt Worte, die die Wahrheit und das Leben in sich haben. Es gibt die Wahrheit, die von Qual und Schuld befreit. Es gibt die Liebe, die erfüllt, beseelt, uns meint Es gibt Heil ohne Maßen, für alle.
Und: Es gib einen, der uns all das bringt, der mit all dem zu uns kommt, der im Kommen selbst die Fülle bringt und uns den Weg in die Fülle zeigt, ihn mitgeht. Es gibt einen, der diese Fülle besitzt, aus Liebe ihm in die Hand gegeben, und der sie uns schenkt, von dem und über den diese Fülle auf uns, die Welt, ihre Menschen, groß und klein, gestern, jetzt und morgen überfließt, maßlos, ohne Einschränkung, ohne Vorbehalt, zügellos, ohne etwas zurückzuhalten.
Es gibt einen, der in dieser Fülle selbst ist, dessen Herz, dessen Worte, dessen Blick, dessen Taten, dessen Berührungen, dessen ganzes Leben, Geburt und Tod, tief und fest verankert sind in dieser Fülle. Einer, der diese Fülle Menschen sagt, davon erzählt, sie hören und spüren lässt, der diese Fülle im Leben wahr und wirklich werden lässt. Einer, der schon immer beheimatet ist in dieser Fülle und sie uns mit ausgestreckten und weit offenen Händen gibt und wir das Leben sehen und bekommen, ja von ihm selbst wie umhüllt werden, himmelwärts angezogen werden.
Heiligabend, Weihnachten, das Christfest sagt, lässt uns hören, sehen, spüren: Dieser eine ist Christus, dessen Geburt wir bestaunen.

Unterstellen
So sehr Gott zornig ist über die Schwerkraft, die uns manchmal hart an den Boden bindet, so sehr ist es seine Liebe, die uns die Fülle des Lebens schenkt, vorbehaltlos und aus freien Stücken. Seine Liebem, die uns mit einem, unserem Stück Himmel, mit Licht, Freude, Hoffnung auf unserem Fleck Erde anzieht, ja wie überkommt.
Wir können uns dem unterstellen, dem was uns überkommt mit Christus. Unterstellen als sachte weihnachtliche Gegenbewegung gegen die allzu irdische Schwerkraft, die uns bindet und Gott brechen möchte. Unterstellen unter dieser Fülle und versuchen, sie anzunehmen, auch wenn sie fern oder zweifelhaft scheint, sich von ihr überreden lassen, sich ihr fügen, in weihnachtlicher Demut, in sie einstimmen mit dem, was wir gerade sind, wunderbar oder elendig, glänzend oder verletzt, trotzig oder leer, einstimmen, einstellen hinein in die Fülle, die über uns kommt.
Das wäre: Sich dem Himmel unterstellen. Eigentlich stehen wir da immer. Er ist der Horizont unseres Lebens. Mit Heiligabend ist er auf die Erde gekommen, ist die Fülle des Göttlichen für uns in diesem Krippenkind, das erwachsen wird, zum Leben ganz nah. Sich dem Himmel auf Erden unterstellen. Eigentlich wäre das, dem Krippenkind Jesus folgen, wie er zu suchen das Heilige im Schmutz, das Ewige im Vergänglichen, heilsame Worte in der Stille, die Wahrheit im Gespräch, Liebe im Kleinen, die Fülle im anderen, die Auferstehung im Tod, das Leben in Gott.
Und dabei von IHM weihnachtlich erfüllt werden. Maßlos. Maßlose Freude darüber wird bei Gott des Himmels und der Erden sein. Amen.

Für mich geboren





Predigt an Heiligabend 2012

Zeitübersetzt
Die Augen müssen genau hinschauen, die Hände müssen das Bild nahe ans Gesicht halten. Dort sehen wir liegen das frisch geborene Kind. Geboren, hingelegt, runzelig, etwas rot, die Augen ganz klein, die Arme fast zappelnd. Seit Jahrhunderten, ja seit Jahrtausenden sehen Augen frisch geborene Kinder und sehen sie so. Und sie sehen mit ihnen die Schutzlosigkeit und Anmut, etwas Vollkommenes und Bedürftiges, etwas ganz unberührt Anfängliches und etwas, was werden wird, jeden Tag bis zum Altwerden.
Stauend sehen Menschen das und werden erinnert, dass sie selbst Geborene sind, jemand, dem der Anfang in Zeugung und Geburt gemacht wurde, mit dem begonnen wurde, der zu einem nicht selbst bestimmten Augenblick da ist und lebt, sein Leben lebt: verletzlich, gebrechlich, stolz, freudvoll, eigen, angepasst, mit Risiko und Freiheit, gewollt und gesucht, verloren und gefunden.
Das Bild in Ihren Händen von Jörgen Habedank heißt „Kleines großes Wunder“. Es stammt aus dem Jahr 2009 und es zitiert in seiner Mitte ein anderes Bild, ein Bild von dem mittelalterlichen Meister von Moulin, der es vor 500 Jahren gemalt hat und versucht in ein Bild zu fassen, was vor 2000 Jahren passierte, die Geburt Jesu, die wir, seit wir leben, als Kinder und als Erwachsene, an jedem unserer Heiligen Abend feiern.
In beiden Bildern ist das frischgeborene Jesuskind das gleiche, als würde es selbst all die Zeiten miteinander verschränken, sie sich in ihm wie kreuzen und in seiner Geburt etwas für alle Zeiten, für uns liegen, als wäre er nicht nur für Maria und Josef, die ihn still glücklich, beseelt ihn bewundern anschauen, geboren worden, nicht nur für die Hirten, die am Fenster stehen und ihn entdeckt haben, sondern für alle Menschen aller Zeiten, als wäre er geboren für uns, für mich.
Vieles auf der Welt ist für mich, für mich gemacht, gekauft, geschenkt. Potentiell alles. Wenn ich es erreiche, bekomme, dann ist es für mich, es kann mein werden. Für mich geboren kann nur Lebendiges sein. Sind es meine Kinder, denen das Leben ich schenkte. So sehr sie für mich alles bedeuten mögen, sind sie nie für mich geboren, sondern für sich. So wie ich selbst für mich geboren wurden, damit ich bin und lebe. Und doch liegt in jeder Geburt auch ein für dich, für uns geboren begründet. Mit jeder Geburt erscheint etwas, was noch nicht war und ab jetzt sein wird – bei, vor, mit und für anderen.

Gott gebärt
An Weihnachten, an Heiligabend können wir spüren: Jene eine Geburt ist nicht fern, sie ist für mich geschehen, sie geschieht für mich. Mir ist in jener Nacht etwas geboren.
Im Gegensatz zum Bild, das der Künstler zitiert, ist das Kind und das Wunder seiner Geburt, das sie zuerst im Gesicht seiner leiblichen Eltern spiegelt und zuletzt und heute in unserem, in die Mitte gerückt, in die Mitte des Bildes und von allem. Hier kreuzen sich Blau und Gelb-Orange, Horizontale und Vertikale, Himmel und Erde, Gott und Mensch, Er und ich.
Hier mittet sich Gott selbst. Hier bestimmt er sich selbst, wer er ist. Hier zeichnet sich seine Bezug, seine Beziehung, sein Weg zu uns endgültig ab: Gott wählt den Weg der Geburt, der Geburt von sich selbst für uns, für mich und für dich. So unausweichlich jedes Leben auf dem Weg der Geburt zur Welt kommt, so unausweichlich ist Gottes Weg zur Welt auch der der Geburt seines Lebens.
Und wie bei jeder Geburt ist Gottes Geburt tiefer Schmerz und unbändige Freude, ist sie höchstes Geben und beginnendes Loslassen, Selbstgewinn und Körperverlust, ist sie ungeheure dichte Gegenwart und Verschwimmen aller Horizonte, ist sie Grenzgang ans Heilige, ist Gottes Geburt letzte Geborgenheit und erster Aufbruch, ist es der Sprung in ein anderes Leben, ist es der Anfang von etwas, was noch nie dagewesen ist. Für Gott und für uns.
Gott gebärt in dieser Nacht, in der sich alle Zeiten und Horizonte verschränken. Er ist in dieser Geburt der Gebärende und wir sind die, die empfangen, vor deren Augen, in deren Hände, in deren Leben hinein Gott sich selbst gebärt.

Ich liege da
So klein, so runzelig, so gerade geboren Gott in satt-zarten Gelb liegt, so sehr Gottes Menschwerdung mit dem Kind in der Krippe beginnt, so sehr liegt dort schon alles, was Gott ist, ist im Jesuskind gegenwärtig, was er als Erwachsener Jesus von Gott, vom Himmel auf die Erde für uns bringt.
Das Gotteskind ist als Mitte ins Bild, von Gott in die Mitte des Lebens gerückt, das Bild wird aber dominiert von dem, was dieses Kind in sich trägt, was das Kind aus sich heraus gibt. Es ist uns in Kreuzform um das Kind gemalt:
Die Unendlichkeit des weiten Himmels und ein gnädiges Wolkenband, Leben schaffendes Wasser, ein hellblauer Horizont, der nicht abreißt; ein warmes Gelb, das Sonne und Licht ist, ein schwaches Rot, das an geheilten Schmerz erinnert, ein untrüglich weißes Licht, das unserem irdischen Leben einen heiligen Glanz verleiht, Lebensringe im Holz, die ganz unten, ganz irden Abdruck des Laufes unseres Lebens ist, in dem wir uns weiten und konzentrieren, und darüber als Spiegelbild, heller zum Licht, der gleiche Lebenslauf mit dem Jesuskind in seiner Mitte. Alles endet und beginnt bei ihm.
Für Gott endet und beginnt alles mit uns. Wir sind sein Liebstes. Für uns gebärt er sich und bringt ans Licht, was er ist und was er für uns sein möchte Er gebärt Licht selbst und Liebe, Freiheit und Hingabe, Freude und Geborgenheit, Richtung und Geduld, Anspruch und Umarmung, den Sinn, die Zeit, Fülle, Heilung, das Leben selbst, sein unverrückbares geburtliches Ja zu uns, den Himmel in Menschenherzen.
Irgendwie liegen wir selbst dort, wer wir auch geworden sind Die ganze Zeit haben wir uns selbst angeschaut, als die, von deren Geburt der Heilige Abend erzählt. Sanft zu der Geburt unseres Lebens zu einer bestimmten Zeit, zu der wir so wenig selbst taten, macht einer mit uns den Anfang immer wieder aus Liebe, sind wir Gottes „kleines großes Wunder“. Amen.