Donnerstag, 24. März 2016

Ein Stich ins Herz



Predigt an Karfreitag 2016 (25.3.16)
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Herz gezeichnet
In Ihren Händen ein Lesezeichen, rot, mit dem Bild eines Herzens. Ein Lesezeichen legen Menschen in die Bücher, die sie lesen, manche knicken auch die Seitenecke, um sich zu merken, wo sie waren beim Lesen. Doch eigentlich sind Bücher zu wertvoll dafür. Wo das Lesezeichen eingelegt wurde, da hat man das letztemal aufgehört zu lesen und liest man das nächstemal weiter. Man weiß, wo man steht im Lesen. Lesezeichen markieren uns: Wir sind lesende Menschen. Wir sind am Lesen. Dieses Lesezeichen war gedacht für die ersten Bibeln in deutscher Sprache.
Dieses rote Lesezeichen zeigt ein Bild von einem Herzen. Bilder von Herzen gibt es unzählige, Herzen haben wir sicher schon selbst irgendwo, irgendwem, nicht irgendwem, gemalt, mit rotem Stift. Bilder von Herzen zeigen Herzen, die schlagen, die einen Namen tragen, die zu zweit sind, die mit einem Pfeil durchbohrt sind, die bluten, und immer stehen solche Herzbilder für die Liebe, dass da ein Mensch einen anderen liebt, dass Liebe Leidenschaft ist, dass Verliebtsein wunderschön ist und manchmal schrecklich weh tut, dass Liebe vergeht und zerbricht, dass sie etwas ewiges in sich trägt.
Ein Lesezeichen für Karfreitag. Als würde hier das Lesen innehalten, stoppen, eine Markierung haben. Vielleicht auch in unserem Lebensbuch: Gott legt ein Lesezeichen ein, in unser Lebensbuch, er hält selbst im Lesen inne, macht eine Zäsur. Karfreitag auch ein Bild von einem Herzen? Ein Herzensbild? Dann hätte Karfreitag mit der Liebe zu tun, die Liebe mit Karfreitag. Was für ein Karfreitag-Herz ist gemalt, ist zu sehen? Das Herz Gottes, das mit seinem Sohn leidet? Das Herz Jesu, wie es in seinem Leib am Kreuz hängt? Unser Herz?

Gewaltsam geöffnet
Das Herzbild auf unserem Lesezeichen ist von Hand gemalt, fast wie von Kinderhand, irgendwie scheint es, liebevoll gemalt zu sein, mit und in Liebe. Um das Herz herum ist eine Bordüre, aus gleichmäßigen Elementen. Eine spielerische Verzierung des Herzens. Darüber steht in roten Letten ein Satz, kaum zu lesen, aber da. Ein Satz auf Lateinisch.
Das Herz selbst hat einen dunkeln, schwarzen Spalt, ein Riss. Es ist wie aufgeschnitten, wie durchbohrt, verwundet, verletzt. Es ist tot. Unser Bild ist ein traditionelles Speerbildchen, wie sie früher verwandt wurden. Der Speer ist auf dem Bild nicht zu sehen, aber seine Wirkung, was er getan hat. Am Kreuz stach der Speer Jesus in seine Seite, um zu schauen, ob Blut und Wasser aus ihm herausfließe, ob er wirklich endlich echt tot sei. Dieses Wundmal an der Seite berührten die Jünger noch leise zweifelnd vom Karfreitag zerstört an Ostern.
Ein wirklich durchbohrtes, durch einen Spalt geöffnetes Herz kennen wir kaum. Vielleicht nur von Operationen und den Erzählungen davon, von schrecklichen Unfällen und Morden, von denen wir nur durch die Medien und deren Bildern erfahren. Jesu Herz wurde auch gewaltsam durchbohrt, wirklich und auch symbolisch, symbolisch dadurch, dass sein großes Herzensanliegen am Kreuz schrecklich tief getroffen wurde. Schrecklich: Jesus öffnete selbst sein Herz für alle Welt, er wandte sich den Menschen zu, ließ sie die wunderbare Nähe der Liebe Gottes in ihrem Herzen spüren, ließ Menschen in sein Herz hinein. Er war offen, empfänglich, verwundbar, verletzlich. Diesem weit in Liebe geöffnetem Herz Jesu wurde an Karfreitag ein Speerstoß versetzt, einer, der das Herz Jesu gewaltsam aufriss, so weit, so tief, so dunkel-schwarz, wie es unser Lesezeichen zeigt.

Liebe hält
Der lateinische Spruch über dem Herz auf unserem Speerbildchen lautet auf Deutsch übersetzt: „Jenes Herz ist durchstochen mit dem Speer unseres Herrn Jesus Christus.“ Wir sehen ein Herz durchstochen von der Lanze, die auch Jesu Herz durchstach. Im Mittelalter wurde das Fest der heiligen Lanze gefeiert, Gläubige konnten ihr eignes Herz an die Reliquie einer Lanze halten und glaubten so dem Leiden, dem sterbenden Herzen Jesu ganz nah zu kommen. Eine merkwürdige, aber auch wunderbare Szene der Nähe von unserem Leiden und Jesu Leiden, von unserem Herzen und seinem.
Es ist mein Herz, das ich auf dem Lesezeichen sehe, mein durchbohrtes Herz. Es ist mein Lesezeichen, das ich in den Händen halte. Es ist mein Karfreitag, den ich heute lebe. Es ist mein Lebensbuch, in dem Gott auch all die Karfreitage liest. Es ist mein Herz, das ich sehe. Durchbohrt vom Leiden Jesu, durchbohrt vom Tod Jesu. Ein schmerzvoller Stich ins Herz ist da, wo die Liebe berührt wird, wo der Liebe Schmerz zugefügt wird, wo sie Schmerz empfindet. Ein Stich ins Herz, ein Loch im Herz, ein Spalt, der aufgerissen wird, ist dort, wo etwas mit dem geschieht, den ich liebe und der mich liebt. Jesus liebt mich. Und ich liebe ihn. Am Kreuz geschieht etwas mit dieser Liebe, sie wird durchbohrt; so geschieht etwas mit mir, der ich den liebe, der am Kreuze ist, und er mich: Mein Herz erfährt ein Stich ins Herz, wird durchbohrt.
Doch mein Herz, das Herz auf unserem Speerbildchen blutet nicht, blutet nicht aus. So groß und tief der Riss ist, so viel Blut aus ihm herausfließen müsste, so rot bleibt es, so lebendig, so pulsierend bleibt es. Irgendetwas ist mit der Liebe, die in ihm wohnt. Irgendetwas ist mit dieser Liebe, das sie trotz Speerstich nicht herausfließt endet, aufhört, stirbt. Irgendjemand hält sie fest. Am Leben. Amen.


Warum - Meditation zu Karfreitag



Warum ?
Fünf Buchstaben, aber irgendwie ein großes Wort.
Ein großes Wort, das Menschen hier seit Montag begleitet hat.
Ein Warum, das im Raum stand.
Ein Warum, dem sich Menschen hier gestellt haben

Warum ist ein Fragewort wie manches, immer eigentlich mit einem Fragezeichen versehen.
Fragezeichen symbolisieren und zeigen dem, der sie sieht: Da ist noch etwas offen, ungewiss, wartet, wartet, sehnt, hofft auf eine Antwort.
Fragen haben ihre Ursprünge, ihren Grund, ihr Woher und ihr Wohin. Ganz verschiedene Ursprünge, mit ganz verschiedenen Emotionen, Sachlagen, Intentionen, Nöten, Geschichten und Menschen.

Warum ist oft die Bitte nach einem „Erkläre es mir“; erkläre mir, warum etwas so ist, wie es ist; warum es so wurde, wie es wurde; warum etwas so funktioniert, geht, kam, wie es funktioniert, geht und kam.
Dieser Bitte nach Antwort auf Warum kommt oft aus neugierigen Kindermündern, oft fragen aber auch Erwachsene, manchmal leise, manchmal mit Nachdruck. Und oft ist es die Frage, wer wen fragt und wie die Antwort warum so ausfällt.
Vieles, was es gibt, was geworden ist, lässt sich erklären, hat seine Erklärung, seinen Grund, seine Deshalb und Darum. Das erleichtert, hilft, tut gut-

Manches hat aber kein Deshalb und Darum, Manches bekommt keine Antwort, bleibt stumm und still. Ganz gleich, wie sehr der Fragende sich bemüht, nach Antwort auf Warum sucht; deswegen ist das WARUM so groß, so mächtig, fast bedrohlich.
Es trägt so vieles in sich: die Tränen, die Sorgen, die ungelösten Themen, die schmerzoffenen Fragen, die durchwachten Nächte, die grauen Haare, die Falten, die stillen Schreie in sich.
Und Gott trägt dieses WARUM in sich; denn manche Fragen gelten auch Gott, manches Warum will von ihm Antwort, und bekommt keine, zumindest keine, die wir hören.
Und es trägt auch Jesu WARUM in sich; jenes Warum, das er am Kreuz sprach, das er seinem Gott klagte:  Mein Gott, mein Gott: WARUM hast du mich verlassen? Es liegt hier mit auf dem Boden, es schallt still mit in diesem Raum, wir hören und denken es mit, wenn wir heute Karfreitag feiern, an Jesu Kreuzestod erinnern, an sein Passions-WARUM.

Jesus war kein fragender Mensch, vielleicht schon manchmal, aber in seinen Fragen wohnte schon die Antwort; die Passion machte ihn aber zum Fragenden, in Gethsemane, am Kreuz, aber er übergab seine Fragen Gott, wenn auch mit und in Schmerz.
Jesus war weniger Fragender als Antwortender, aber seine Antworten suchten, suchten die Menschen, seine Liebe war Frage und suchte die Menschen, es war die antwortende Frage nicht nach Warum und Weshalb, nicht nach Wie und Wer, sondern die antwortende Frage: Liebst du mich. Letztlich war es eine Frage nach uns, ob wir ihm im Leben antworten wollen. Jesus sprach diese Frage den Menschen zu, er eröffnete in Liebe die Antwort selbst dazu und er war und ist immer zuerst Antwortender, Antwort der Liebe Gottes zu uns: Ein Ich-liebe-dich, Mensch! Mit Ausrufezeichen.
Karfreitag ist der Moment, in dem diese Antwort, in dem die Liebe Gottes in Jesus Christus ans Kreuz kommt, dort angenagelt zum Sterben kommt, der Moment, in dem der antwortende Jesus zum offen Fragenden wird wie wir und seine und unsere Antwort der Liebe ohnmächtig in jenem großen, übermächtigen WARUM wie verschlungen wird.
Karfreitag hat aber ein anderes Wort, in sich, ein ABER: Auf Karfreitag aber folgt Ostern, auf die Frage von Karfreitag folgt aber die Antwort von Ostern, auf das Warum folgt aber das Deshalb aus Liebe. Amen.

Montag, 21. März 2016

Andachten in der Karwoche: Nachfolge



 

 

Montag, 21. März: Alles verlassen

Schriftlesung

Markus 1, 16-20

Gedanken

Nachfolge: jemanden folgen, Jemanden nachgehen, seinen Schritten und Spuren folgen, seinen Ideen, Vorstellungen, seinem Leben. Seinen Weg gehen, so werden wie er. Nachfolge ist Gemeinschaft, mit jemanden gehen, teilen, was er erlebt, erleidet, erfährt. Ein ihm entsprechendes, gleiches, gleichförmiges Leben.
Jesus nachfolgen: Seinen Weg gehen, ihm gleich werden, Christusförmig. Nachfolge in der Passionszeit: Ihm im Leiden, ihn ans Kreuz nachfolgen, selbst leiden, das Kreuz tragen. Das in vier Schritten: Von Montag bis Donnerstag: Ruf in die Nachfolge (alles verlassen) – Bedingungen der Nachfolge (nichts haben) – Ernst der Nachfolge (das Kreuz auf sich nehmen) – Lohn der Nachfolge (alles bekommen)

Montag/heute: Ruf in die Nachfolge/Berufung. Jesus sieht den Menschen, den er ruft; er sieht ihn mitten in seinem Alltag, in dem, was er tut. Er sieht die Menschen, wer sie sind. Jesus sieht uns, er sieht uns mitten in unserem Alltag, in unserem Tun, er sieht und weiß, wer wir sind.
Jesus folgt dem Ruf Gottes. Er hat ihn für sich gehört. Er ist von Gott gesandt. Er soll Gott den Menschen nahe bringen. Seine Sendung, sein Weg umfasst das Leiden, zu seiner Berufung gehört der Weg ans Kreuz. Vielleicht zu jeder ernsthaften Berufung, zu jedem Ruf von Außen. Jesus ringt um diesen Ruf. Er ringt damit, ob er diesem Ruf wirklich folgt, folgt bis in die letzte Konsequenz. Er ringt im Garten Gethsemane und folgt dem Ruf.
Jesus spricht Menschen an. Er ruft sie nahe, indem er sie anspricht. Er sagt zu: Folgt mir. ER sagt entscheidende Worte. Er gibt Menschen eine neue Aufgabe, eine neues „Du sollst und du kannst“. Er gibt ihnen Leben, ein Da-Sein in seiner Gegenwart, in Gottes Gegenwart. Jesus ruft uns in eine Aufgabe, in seine Aufgabe, er macht uns zum Bestandteil seiner eigenen Sendung.
Jesus ruft aus dem Vorfindlichen heraus, aus dem Bisherigen. Die Jünger verlassen die Netze, sie lassen den Vater, sie lassen hinter sich und gehen heraus. Sein Ruf in die Nachfolge, der Weg, christusförmig zu werden, bedeutet: herausgerufen zu werden, heißt verlassen, heißt hinter sich zu lassen, vielleicht Alles, und genau daran zu leiden. Es ist jener Schritt ins Luftleere hinaus, ein Schritt des Wagnis, des wirklichen Verlassen. Jenes von Hilde Domin: „Ich setze den Fuß in die Luft / …“
Jesus erfuhr in seinem Weg ans Kreuz das Verlassen. Er verließ alles und alle verließen ihn. Er lebte und wagte radikal seinen eigenen Ruf in die Nachfolge. Am Ende rief er in die Leere des Kreuzes jene Worte aus Psalm 22: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen.

Dienstag, 22. März: Nichts haben

Schriftlesung

Matthäus 8, 18-22

Gedanken

Am Montag: Ruf in die Nachfolge: Alles verlassen. Heute/Dienstag: Bedingung der Nachfolge: Nichts haben. Alles verlassen bedeutet am Ende und währenddessen vielleicht nichts haben. Entscheidend ist der Wille, Jesus nachzufolgen. Es ist aber kein Wille, den man haben, besitzen, verfolgen könnte, sondern der im Ruf selbst gründet.
Der eigene Wille stellt die Frage nach dem Grund des Wollens, nach der Sicherheit, die ein begründetes Wollen braucht. Wohin führt der Weg? Das fragt der Schriftgelehrte und wir fragen es uns: Wir wollen Jesus, Christus ja nachfolgen, ein christusförmiges Leben führen, gestalten, aber wie und wohin wird das führen? Kann ich nachfolgen? Kann das der, mein Weg wirklich sein?
Nichts ist die Antwort von Jesus. In ganzer Radikalität. Nichts. Nichts haben, vielleicht nichts sein, das bedeutet nachfolgen. Wer Jesus nachfolgt, der wird wie er keinen Ort, nichts haben, wo man sich nachts hinlegt. Unbehaust. Heimatlos. Nichts für mich. Und noch radikaler: Wer Jesus nachfolgt wird nichts anderes haben als die Nachfolge. Keine Toten, die zu beerdigen wären, keine Familie, zu der man gehört, keine Vergangenheit, auf die man sich berufen könnte. Nichts hat man, wenn man nachfolgt.
Es ist jenes Nichts, das Jesus selbst in der Passion erlebt und erleidet. Jesus verliert alles und steht am Ende vor dem Nichts. Er wird auf dem Weg geschlagen und entblößt, verhöhnt und nackt gemacht. Golgatha ist sein Ort und es ist der Ort des Nichts, des Todes.
Will ich Jesus nachfolgen? Wohin führt das? Wie wird das sein? Nichts ist zu erwarten. So radikal. Das Nichts, das als Leere, als Widerstand, als Anfeindung, als Infragestellung, als Ortlsoigkeit einem entgegenschlägt. In der Passionszeit, nachzufolgen einzuüben, ist als würde dieses Nichts einem auf Schritt und Tritt folgen.

Mittwoch, 23. März: SeiN Kreuz tragen

Schriftlesung

Markus 8, 34-37
  
Gedanken
Dem: Alles verlassen (Montag) und Nichts haben (Dienstag) folgt nun heute am Mittwoch: sein Kreuz auf sich nehmen. Das ist vielleicht das Anstößigste, das Schwerste, das, was uns am unmittelbarsten, am körperlichsten in die Passion mit hineinnimmt. Es hat aber am Ende schon fast etwas Österliches, weil es von Seelenrettung spricht.
Wer nachfolgt, muss sich selbst verleugnen, er muss den Weg des Nichts, ganz radikal gehen, bis zum eigenen Nichts. Sich selbst verleugnen, heißt: Sich für nichts achten. Wie Jesus sich für nichts achtete, sich selbst entäußerte und selbst erniedrigte bis zum Tode am Kreuz. Wer Jesus nachfolgt soll sein Kreuz auf sich nehmen, sein Kreuz. Das ist fast körperliche Nachfolge Jesu, Passionsnachfolge, Leidensnachfolge: Wie Jesus sein Kreuz getragen hat, wahrscheinlich den Querbalken, so sollen die, die ihm nachfolgen, auch ihr Kreuz tragen. Jesus trägt das Kreuz, weil es das ist, an dem er stirbt. Wer glaubt, dass Jesus für einen stirbt, der sieht im Kreuz, die Last, die Jesus ans Kreuz trägt. Das Lamm trägt unsere Schuld ans Kreuz. Kreuz und wir werden wie gleichgesetzt und wir werden mit dem Leiden Jesu verbunden.
Sein Kreuz auf sich nehmen heißt, das eigene Leiden auf sich nehmen, die Last des eigenen Lebens tragen, aber es könnte in Blick auf Jesus, der in seinem Kreuz die Last der anderen getragen hat, auch meinen, die Last der anderen als eigenes Kreuz zu tragen und zu ertragen: Sein Kreuz wäre dann die Schwere der anderen. Selbstverleugnend wäre dies, weil es ganz von sich absehen würde und auf die Belastung mit anderen blickt.
Jesus verliert sich für die Welt und gewinnt alles für Gott. Sein Selbstverlust ist letztlich Selbstgewinn. So ist der Weg der Nachfolge auch ein Weg des Selbstverlust, dem aber das Selbstgewinnen verheißen ist. Jesus geht es darum, dass die Seele keinen Schaden nimmt. Für ihn ist der Weg der Selbstfindung der Weg zu Gott, ein Weg ganz und gar vor Gott, auch in allem Leiden. Auf diesem Weg kann man sich selbst verlieren, kann man es nahezu unerträglich finden, an der Last der Welt zu tragen, kann es kein Weg sein, alles gewinnen zu wollen, sondern muss man alles lassen und nichts haben, dieser Weg führt mit Jesus ans Kreuz, aber auf den Ort zu, an dem Gott uns und wir ihn gewinnen: Ostern.

Tischabendmahl an Gründonnerstag
(24. März 2016) „Alles empfangen“

Schriftlesung
Markus 10, 28-21

Gedanken
Nachfolge: jemanden folgen, Jemanden nachgehen, seinen Schritten und Spuren folgen, seinen Ideen, Vorstellungen, seinem Leben. Seinen Weg gehen, so werden wie er. Nachfolge ist Gemeinschaft, mit jemanden gehen, teilen, was er erlebt, erleidet, erfährt. Ein ihm entsprechendes, gleiches, gleichförmiges Leben.
Jesus nachfolgen: Seinen Weg gehen, ihm gleich werden, Christusförmig. Nachfolge in der Passionszeit: Ihm im Leiden, ihn ans Kreuz nachfolgen, selbst leiden, das Kreuz tragen.
Wir sind im Lauf der Woche einen Nachfolge-Weg gegangen: Ruf in die Nachfolge: Alles verlassen. Bedingungen der Nachfolge: Nichts haben. Ernst der Nachfolge: Sein Kreuz auf sich nehmen. Heute am Donnerstag, am Gründonnerstag: Lohn der Nachfolge. Es wird alles noch einmal aufgenommen.
Gründonnerstag: Der Tag vor Karfreitag. Tag der Erinnerung an das Abendmahl, an das letzte Mahl Jesu mit seinen Jüngern, Erinnerung an das Passamahl des jüdischen Volkes. Passahmahl und letztes Abendmahl: Erinnerung und Vergegenwärtigung einer Geschichte der Bedrängnis, der Sklaverei, der Unfreiheit und einer Geschichte der Befreiung und des Auszugs, des Aufbruchs und Neubeginns. Erinnerung an Tod und neues Leben. Im Abendmahl bündelt sich dies alles: Sakrament, heiliger Moment. Es es bündelt sich die Passionsgeschichte, als Geschichte der Hingabe Jesu, der Selbsthingabe, der Übergabe und Übertragung seines Lebens an uns. Für uns gestorben uns das Leben schenkend. Das ist das Geheimnis von Gründonnerstag. Im Abendmahl bündelt sich die Frage nach der Nachfolge, der Ruf, die Bedingungen, der Ernst. So wie für Petrus, der an unserer Stelle fragt: Wir haben doch alles verlassen, wir haben erlebt, wie wir nichts haben, wir sind dir nachgefolgt!
Jesus hört Petrus. Er hört uns. Er hört unsere Frage, unser Bitten, unsere Sehnsucht nach dem Lohn der Nachfolge, keinem billigen, schnellen Lohn, sondern einem durch das Leiden, durch Kreuz hindurch geschenkten Lohn. Er hört dies und er verheißt, er verheißt: Ihr habt alles verlassen, nichts war euch, so werdet ihr hundertfach empfangen. Jetzt und in der Zukunft, in der Ewigkeit.
Hundertfach empfangen. Das ist die Verheißung des Abendmahls, gerade an Gründonnerstag, gerade in der Passionszeit und in der Karwoche. Jetzt, wenn wir Abendmahl feiern, immer wieder und in der Ewigkeit. Hundertfach empfangen im Abendmahl. Jesus nachfolgen an den Tisch, dort bei ihm sein, gerufen, in allem Ernst, mit nichts, aber auch gar nichts, was man hat, vorbringen könnte, nackt, mit leeren Händen dastehen, da sitzen und empfangen. Hundertfach empfangen: mit seinem Kreuz kommen, seinen eigenen und fremden Lasten, beladen, mühselig, geschunden an der Seele, und empfangen: Das Leben, Christus, das Leben selbst. Sehen, spüren, in sich aufnehmen, den Satz von Hilde Domin vom Montag am Donnerstag zu Ende sagen: „Ich setze den Fuß in die Luft / und sie trug“.

Freitag, 18. März 2016

Bewegt



Predigt an Palmsonntag (20. März 2016)

Philipper 2, 5-11
Seid so unter euch gesinnt, wie es auch der Gemeinschaft in Christus Jesus entspricht: Er, der in göttlicher Gestalt war, hielt es nicht für einen Raub, Gott gleich zu sein, sondern entäußerte sich selbst und nahm Knechtsgestalt an, ward den Menschen gleich und der Erscheinung nach als Mensch erkannt. Er erniedrigte sich selbst und ward gehorsam bis zum Tode, ja zum Tode am Kreuz. Darum hat ihn auch Gott erhöht und hat ihm den Namen gegeben, der über alle Namen ist, dass in dem Namen Jesu sich beugen sollen aller derer Knie, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind, und alle Zungen bekennen sollen, dass Jesus Christus der Herr ist, zur Ehre Gottes, des Vaters.

entsprechen
Das Leben von Menschen wird im Lauf seiner Zeit geformt, geprägt, bewegt, bestimmt. Menschen gestalten es selbst, bestimmen es, geben ihm eine Form und Gestalt, und von anderen wird es geformt, bekommt es Abdrücke, Einkerbungen, von schönen wie schrecklichen Ereignissen, von den Tränen der Nacht, vom Lachen mit anderen, durch die Wunden, die Küsse, die Pflege, den Raubbau. Alles gibt menschlichen Leben seine Gestalt, bildet und formt es, ganz individuell, ein Leben lang.
Ein Leben, das dann einem bestimmten Bild entspricht: Ihm ähnelt, gleich kommt, wird, wie es wird. Ein Bild, das sich im menschlichen Leben abbildet, einzeichnet, erscheint, ablesbar ist, ihm entspricht. Ist so menschliches Leben? Unseres? Oder ist es Leben, das gar nicht einem anderen, einem bestimmten Bild, einem „So-soll-es-So könnt es sein“ folgt, entspricht?
Im Kopf aber dieses Bild haben, im Sinn, wie ein Bild, auf das mein Leben sich hin formen soll, darf. Im Kopf, bei dem was wir denken, überlegen, befürchten, hoffen, glauben, ersinnen, planen, trachten, erbauen, im Kopf ein bestimmtes Bild vom Leben, das wir erstreben, das uns erstrebt, wir ihm mit unserer Lebensgestaltung entsprechen, antworten, Antwort sind, als solche, die vom ersten bis zum letzten Atem leben, zu leben versuchen. Ein Bild vom Leben, wie ein stummer Film im eigenen Kopf, ein bestimmtes, dem es nachzuleben lohnt, dem wir nachleben sollen und können.

verortet
Ein Leben, das einer Gemeinschaft entspricht, nicht einem starren Bild, nicht einer fixen Person, nicht einer abstrakten Idee, sondern: Ein Leben, das einer Gemeinschaft entspricht, einer lebendigen, dynamischen Beziehung entspricht, das dem entspricht, das es in Gemeinschaft ist, in Gemeinschaft lebt, in Gemeinschaft bekommt, gibt, wird an dem anderen, eine Gemeinschaft, die Anteil gibt und zu dessen Teil Menschen werden.
Die Gemeinschaft mit Jesus Christus. Dieser entsprechen. Anteil an ihr und ihm bekommen, selbst Teil von ihr und ihm werden, „in Christus“ sein und davon leben und daraus leben, diesem immer ähnlicher, gleicher, entsprechender werden, im Leben und im Sterben. Von Christus beindruckt werden und sein, von seiner Gestalt von Leben, von seinem Sterben und Auferstehen, von seinem Werden, von Christus das Leben geprägt, gehalten, getragen, geliebt bekommen, und von ihm geformt dann selbst Ausdruck sein, sein Ausdruck, seine Gestalt nach außen hinaus, selbst von Christus beindruckt ihn ausdrücken, seine Form des Lebens, seine Kultur des Lebens an sich haben, tragen, sein und zeigen.
Der Grund dieser Dynamik aber, dieses Sein-Bild-Werden, dieser Gemeinschaft ist Christus selbst. Er setzt in diese Gemeinschaft. Er ist die Quelle dieser Gemeinschaft. Er ist ihr Ursprungsort und ihre Essenz, Zusage und Erfüllung dieser Gemeinschaft: Christus ruft uns in die Entsprechung, er sagt sich uns zu, dass wir antworten können, er nimmt uns hinein in seine wunderbare Lebensbewegung.

hineinleben
Christus weiß, wer er ist. Sein Ich ist Gott. Er entäußert sich aber, er geht weg von sich, nach außen. Es ist die wunderbare Bewegung der Liebe, die nicht bei sich bleibt, sondern den anderen beharrlich, mutig, zärtlich sucht. Christus veräußert sich, er lässt von seinem eigentlichen gottgleichen Wesen ab, er nimmt eine Form, eine Gestalt unter menschlichen Bedingungen an, er führt ein Leben, wie menschliches Leben ist, wie gewöhnliches, alltägliches Leben. Er erniedrigt sich sogar in es hinein, wie verliebt, er macht sich kleiner als klein, kriecht hinein in die kleinsten, unscheinbarsten menschlichen Lebensecken, er geht bis an die Schmerzgrenze, an die Grenze, wo menschliches Leben nur noch erniedrigt, klein geworden, elendig, erbarmungswürdig ist. Dorthin entäußert er sich, geht er ans Äußerste menschlicher Existenz, auch hinein in die schäbigste Schuld und bleibt dort gehorsam, treu seinem Wesen, treu seinem Gott, bleibt entäußert der, der er ist, bis in den Tod, rückt er nicht ab, bleibt er gehorsam Hörer Gottes bei den Stummen der Welt selbst am Kreuz verstummt.
Dies im Kopf, in unserem Sinn, dieser Gemeinschaft mit dem entäußerten, erniedrigten, gehorsamen Christus entsprechen. Er erniedrigt sich zu mir. Er entäußert sich für mich. Er ist gehorsam bis zu meinem Tod an meinen Kreuzwegen des Lebens. Das kann ich in Gemeinschaft mit ihm empfangen, unter Leiden und Qualen, in meinen Sorgen und Momenten, wo ich nicht mehr entsprechen kann, von ihm bekommen. Und hineingenommen werden in diese Bewegung, ihm gleichen, ihm entsprechen, ihm antworten: selbstvergessen sich selbst entäußern, erniedrigen, gehorsam Gott den Erniedrigten, Entblößten, Geschlagenen nah, mit ihnen in Gemeinschaft und in Christus-Solidarität.

magnificare
Christus wird erhöht. Durch den Tod hindurch. Er bekommt einen Namen, der über alle Namen ist, einzigartig. Unter seine Macht der Liebe beugen sich alle, zeitlich und räumlich, werden gefunden und finden sich, bekennen ihn als Quelle und Grund und finden Antwort der Liebe auf ihn, lieben. Er ist der Herr und er ist die Ehre Gottes. In ihm verherrlicht sich Gott als Schöpfer der Welt, als der, vor dem Menschen ihr Leben ihm wohlgefällig gestalten, in Elend und Würde gehalten sind.
Auch dies im Kopf, im Sinn, dieser Gemeinschaft mit dem Erhöhten entsprechen: Seinen einzigartig liebevollen Namen anerkennen, unser Leben ihm zuordnen, ihn als Herrn des Lebens sehen und als Geschöpf Gott die Ehre geben. Mit ihm erhöht werden, daran Anteil bekommen, Teil seines Namens werden, so einzigartig wie er. Mit ihm herrschen und mit ihm Gott die Ehre geben. Hineingenommen werden in aller Erniedrigung, in allen Knechtserfahrungen, in allem Leiden, hineingenommen werden in die Bewegung, erhöht zu werden, von Gott, so wie Maria ihr Magnificat singt, ihr „Gott mach mich kleinen Mensch groß“, erhöht werden und andere, die klein gemacht sind, erhöhen, aufheben, in diese Kultur des wunderbaren Erbarmens aufnehmen, hineinnehmen, ihr entsprechen, in Gemeinschaft mit diesen, mit sich und mit Christus.
Das Leben von Menschen  in Christus geformt. Erhöht sich erniedrigen. Erniedrigt erhöht werden. Amen.