Predigt an Karfreitag 2016 (25.3.16)
Herz gezeichnet
In Ihren Händen ein Lesezeichen, rot,
mit dem Bild eines Herzens. Ein Lesezeichen legen Menschen in die Bücher, die
sie lesen, manche knicken auch die Seitenecke, um sich zu merken, wo sie waren
beim Lesen. Doch eigentlich sind Bücher zu wertvoll dafür. Wo das Lesezeichen
eingelegt wurde, da hat man das letztemal aufgehört zu lesen und liest man das
nächstemal weiter. Man weiß, wo man steht im Lesen. Lesezeichen markieren uns:
Wir sind lesende Menschen. Wir sind am Lesen. Dieses Lesezeichen war gedacht
für die ersten Bibeln in deutscher Sprache.
Dieses rote Lesezeichen zeigt ein
Bild von einem Herzen. Bilder von Herzen gibt es unzählige, Herzen haben wir
sicher schon selbst irgendwo, irgendwem, nicht irgendwem, gemalt, mit rotem
Stift. Bilder von Herzen zeigen Herzen, die schlagen, die einen Namen tragen,
die zu zweit sind, die mit einem Pfeil durchbohrt sind, die bluten, und immer
stehen solche Herzbilder für die Liebe, dass da ein Mensch einen anderen liebt,
dass Liebe Leidenschaft ist, dass Verliebtsein wunderschön ist und manchmal schrecklich
weh tut, dass Liebe vergeht und zerbricht, dass sie etwas ewiges in sich trägt.
Ein Lesezeichen für Karfreitag. Als
würde hier das Lesen innehalten, stoppen, eine Markierung haben. Vielleicht
auch in unserem Lebensbuch: Gott legt ein Lesezeichen ein, in unser Lebensbuch,
er hält selbst im Lesen inne, macht eine Zäsur. Karfreitag auch ein Bild von
einem Herzen? Ein Herzensbild? Dann hätte Karfreitag mit der Liebe zu tun, die
Liebe mit Karfreitag. Was für ein Karfreitag-Herz ist gemalt, ist zu sehen? Das
Herz Gottes, das mit seinem Sohn leidet? Das Herz Jesu, wie es in seinem Leib
am Kreuz hängt? Unser Herz?
Gewaltsam geöffnet
Das Herzbild auf unserem Lesezeichen
ist von Hand gemalt, fast wie von Kinderhand, irgendwie scheint es, liebevoll
gemalt zu sein, mit und in Liebe. Um das Herz herum ist eine Bordüre, aus
gleichmäßigen Elementen. Eine spielerische Verzierung des Herzens. Darüber
steht in roten Letten ein Satz, kaum zu lesen, aber da. Ein Satz auf
Lateinisch.
Das Herz selbst hat einen dunkeln,
schwarzen Spalt, ein Riss. Es ist wie aufgeschnitten, wie durchbohrt,
verwundet, verletzt. Es ist tot. Unser Bild ist ein traditionelles
Speerbildchen, wie sie früher verwandt wurden. Der Speer ist auf dem Bild nicht
zu sehen, aber seine Wirkung, was er getan hat. Am Kreuz stach der Speer Jesus
in seine Seite, um zu schauen, ob Blut und Wasser aus ihm herausfließe, ob er
wirklich endlich echt tot sei. Dieses Wundmal an der Seite berührten die Jünger
noch leise zweifelnd vom Karfreitag zerstört an Ostern.
Ein wirklich durchbohrtes, durch
einen Spalt geöffnetes Herz kennen wir kaum. Vielleicht nur von Operationen und
den Erzählungen davon, von schrecklichen Unfällen und Morden, von denen wir nur
durch die Medien und deren Bildern erfahren. Jesu Herz wurde auch gewaltsam
durchbohrt, wirklich und auch symbolisch, symbolisch dadurch, dass sein großes
Herzensanliegen am Kreuz schrecklich tief getroffen wurde. Schrecklich: Jesus
öffnete selbst sein Herz für alle Welt, er wandte sich den Menschen zu, ließ
sie die wunderbare Nähe der Liebe Gottes in ihrem Herzen spüren, ließ Menschen
in sein Herz hinein. Er war offen, empfänglich, verwundbar, verletzlich. Diesem
weit in Liebe geöffnetem Herz Jesu wurde an Karfreitag ein Speerstoß versetzt,
einer, der das Herz Jesu gewaltsam aufriss, so weit, so tief, so
dunkel-schwarz, wie es unser Lesezeichen zeigt.
Liebe hält
Der lateinische Spruch über dem Herz
auf unserem Speerbildchen lautet auf Deutsch übersetzt: „Jenes Herz ist
durchstochen mit dem Speer unseres Herrn Jesus Christus.“ Wir sehen ein Herz
durchstochen von der Lanze, die auch Jesu Herz durchstach. Im Mittelalter wurde
das Fest der heiligen Lanze gefeiert, Gläubige konnten ihr eignes Herz an die
Reliquie einer Lanze halten und glaubten so dem Leiden, dem sterbenden Herzen
Jesu ganz nah zu kommen. Eine merkwürdige, aber auch wunderbare Szene der Nähe
von unserem Leiden und Jesu Leiden, von unserem Herzen und seinem.
Es ist mein Herz, das ich auf dem
Lesezeichen sehe, mein durchbohrtes Herz. Es ist mein Lesezeichen, das ich in
den Händen halte. Es ist mein Karfreitag, den ich heute lebe. Es ist mein
Lebensbuch, in dem Gott auch all die Karfreitage liest. Es ist mein Herz, das
ich sehe. Durchbohrt vom Leiden Jesu, durchbohrt vom Tod Jesu. Ein
schmerzvoller Stich ins Herz ist da, wo die Liebe berührt wird, wo der Liebe
Schmerz zugefügt wird, wo sie Schmerz empfindet. Ein Stich ins Herz, ein Loch
im Herz, ein Spalt, der aufgerissen wird, ist dort, wo etwas mit dem geschieht,
den ich liebe und der mich liebt. Jesus liebt mich. Und ich liebe ihn. Am Kreuz
geschieht etwas mit dieser Liebe, sie wird durchbohrt; so geschieht etwas mit
mir, der ich den liebe, der am Kreuze ist, und er mich: Mein Herz erfährt ein
Stich ins Herz, wird durchbohrt.
Doch mein Herz, das Herz auf unserem
Speerbildchen blutet nicht, blutet nicht aus. So groß und tief der Riss ist, so
viel Blut aus ihm herausfließen müsste, so rot bleibt es, so lebendig, so
pulsierend bleibt es. Irgendetwas ist mit der Liebe, die in ihm wohnt.
Irgendetwas ist mit dieser Liebe, das sie trotz Speerstich nicht herausfließt
endet, aufhört, stirbt. Irgendjemand hält sie fest. Am Leben. Amen.