Predigt zum Abschluss der ökumenischen Bibelwoche 2015 (Septugesimae,
1.2.15)
Wissen?
Menschen lieben. Warum sie jemanden
lieben, können sie in Worte und Sätze fassen; nicht aber alles davon. Sie
können ihre Liebe begründen, aber nicht bis ins Letzte. Sie wissen um ihre
Liebe und den, den sie lieben, es bleibt aber auch ein Geheimnis.
Menschen wissen. Insgesamt wissen wir
ungeheuer viel. Füllen Bücher, Büchereien, ganze digitale Welten damit. Manche
wissen mehr, manche weniger. Es gibt ganz kluge Menschen, ihr Kopf scheint
voller Wissen, es gibt Professoren, deren Beruf das Wissen ist, es gibt
Menschen mit wenig Wissen, keiner hat es ihnen geschenkt oder sie können es
einfach nicht fassen. Behinderte haben ihr ganz eigenes Wissen.
Wissen kann man sich aneignen, man
kann es lernen, abrufen, zeigen, damit Quizspiele gewinnen, damit prahlen, schamvoll
verstecken, oder so tun, als wüsste man viel. Lebenslang begleitet uns das Wissen,
und am Ende des Lebens tauchen viele ab ins Vergessen. Und manchmal ist es
wirklich gut, etwas nicht zu wissen und Bestimmtes, was man quälend wusste,
wieder zu vergessen; und keiner von uns kann alles wissen, es würde unser doch
dann kleines Leben sprengen, und weise Menschen, die Wissen, Erfahrung und
Liebe verbinden, wissen, was sie nicht wissen, respektieren die Grenzen um sich
herum.
Wissen ist wie eine zweite
Wirklichkeit über der wirklichen, wie eine Welt der Abstraktionen, der Fakten,
Informationen, Netzwerke, voll Zahlen, Sätzen, Modellen. Ein Baum kann man
anschauen, vom ihm Früchte genießen, ihn pflanzen und mögen; und man kann vom
gleichen Baum vieles wissen: wie groß er ist, wie die Früchte heißen, wie alt
er ist, wie viele verschiedene Insekten er beherbergt. Dieses Wissen ist wie
eine zweite Wirklichkeit und atmet genau unsere Wirklichkeit: Wissen kann
gebraucht und missbraucht werden, kann helfen oder schaden, kann arrogant sein
oder ärmlich, kann mächtig sein oder hilflos machen.
In der Bibelwoche hat Paulus im
Galaterbrief genau gewusst, was zu wissen, ist, gegen die, die falsches Wissen
hatten; sein Wissen war und ist kompromisslos. Für ihn ist das, was er weiß,
wahr, weil von Christus offenbart. Was wusste Jesus? Wahrscheinlich nicht weniger,
aber auch nicht mehr als ein durchschnittlicher Jude damals; aber wenn Jesus
Menschen begegnete, dann wusste er alles, dann sah er mehr, dann verband er
alles, was zu wissen war, mit Gottes Welt. Und Gott? Weiß Gottes alles; muss
wohl so sein, sonst hätte Gott Lücken, Wissenslücken. Seine Gedanken sind mehr
als der Sand. Und was macht Gott mit seinem alle umfassenden Wissen?
zählen
Gott zählt. Zumindest sagt das Jesus,
all unsere Haare auf unseren Häuptern, eines jedes ist ihm wichtig. Gott zählt
ab: ihm ist der eine Verlorene wichtiger als alle anderen. Jeder einzelne ist
ihm unschätzbar wichtig. Wie unglaublich groß muss seine Liebe sein.
Menschen zählen und lieben Zahlen,
nicht alle und je nach dem. Viele schwarze Zahlen vor dem Komma und auf dem
Bankauszug machen manche glücklich; andere zählen Schafe um endlich einschlafen
zu können vor Sorge. Durchgezählt werden Klassen und Kindergartengruppen, die
Seiten in Büchern sind fein säuberlich mit aufsteigenden Zahlen versehen, und
manch einer zählt die Minuten und Stunden voller Sehnsucht und schrecklich war
und ist, dass Menschen mal Nummern bekommen haben auf ihren zerschlissenen
Sträflingskleidern. Seit wir denken können, zählen Menschen, zählen vorwärts
und rückwärts, zählen auf und ab, und auch erzählen ist wie das
Aneinanderreihen von Sätzen, Bildern und Geschichten. Und jede dieser erzählten
Geschichte, jede noch so kleine Zahl erzählt davon, dass wir endlich sind, dass
wir selbst eingereiht sind in solche, die vor uns waren und nach uns kommen.
Was zählt bei all dem. Was zählt, wissen
wir. Theoretisch. Freunde zählen; die Hoffnung nicht zu verlieren, zählt; eine
gute Ausbildung zählt; das richtige Wort zum richtigen Augenblick, zählt, dem
einen geliebten Menschen zu begegnen zählt; Glaube, Gott zählt. Was zählt, ist
entscheidend, ist bleibend wichtig, ist grundlegend, auf das Ganze und im
Augenblick. Was zählt, ist kostbar, ist eigentlich unzählig, unbezahlbar, hat
einen unermesslichen Wert. „Du bist alles für mich“, vielleicht so. Was zählt,
merken wir, können wir nur sehr bedingt machen, wir können es wissen, wir
können uns darauf einstellen, wir können versuchen es zu erkennen, dafür offen
und gegenwärtig zu sein; aber was zählt, das bekommen wir, das bekommen wir
geschenkt, gewährt, das können wir verfehlen, daran scheitern, es verlieren, weggenommen
bekommen, daran verzweifeln, darum kämpfen. Was zählt, wissen wir, bleibt
Geheimnis. Wie die Liebe. Was zählt bist du.
Gott liebt Wissen
Nicht ganz wenige Dus haben sich
vergangene Woche an vier Abenden zu Bibelwoche zum Galaterbrief gefunden und
unter diese Motto „Wissen, was zählt“ gestellt. Die Bibelwoche ist ökumenisch,
so waren und sind diese Dus evangelisch und katholisch, gemeinsam haben wir gesungen,
nachgedacht, gehört, gelesen, gebetet und gefeiert.
Gemeinsam als katholische und
evangelische Christen wissen, was zählt. Zählt bei uns das Gleiche? Wirklich? Ist
bei euch Katholiken und bei uns Evangelischen das Gleiche gleich wichtig? Wie
geht eigentlich gemeinsam wissen? Ist es voneinander wissen? Ist es miteinander
wissen? Gemeinsam wissen ist wie gemeinsam beten, hoffen, glauben, singen: Jeder
weiß etwas, weiß das seine und wir setzen es zusammen, legen es nebeneinander
und zusammen ergibt es etwas, ergibt mehr, zusammen wird es gemeinsam und
gemeinsam ist es wunderbar, ragt er herein an das große Geheimnis von all dem,
was zu wissen wäre, was zu zählen, erzählen, zu hoffen und zu glauben wäre.
Wir, katholische und evangelische Christinnen
und Christen, werden immer Unterschiedliches glauben, werden aus unterschiedlichem
Wissen schöpfen, werden den Reichtum der Gnade Gottes mit unterschiedlichen Augen
und Herzen sehen. Wo wir das Unterschiedliche gemeinsam wissen und schätzen,
sind wir auf dem Weg Liebende zu werden.
Letztlich ist Gott alles Wissen, und
wir alle haben nur und Gott sei Dank Anteil an diesem einen Wissen Gottes, das
uns alle, ob katholisch oder evangelisch, bei weitem übersteigt und heilvoll
umfasst. Gott weiß alles, wirklich alles, alles von uns und seiner Welt und
weil er alles von uns weiß, kommt zu seinem Wissen seine Liebe, ist sein Wissen
Liebe, liebt er wie kein anderer, das, was er weiß.
So mag unser Wissen immer mit Liebe
einhergehen, mag es selbst Anteil haben an Gottes allwissender Liebe. Wir mögen wie Gott unsere
gegenseitigen Unterschiede, ja sogar unsere Gegensätzlichkeit, dass wir
verschieden das gleiche wissen und glauben, lieben, gegenseitig lieben als
Formen der einen gemeinsamen Suche nach Wissen und Wahrheit, die allein Gott
ist. Die Liebe weiß um das Geheimnis, darum, was wirklich zählt, sie verbindet
das Gegensätzliche zärtlich und kennt den Reichtum des Verschiedenen. Wir
werden als zwei Konfessionen immer verschieden sein, aber als Liebende können wir
eins sein. Amen.