Dienstag, 25. Juni 2013

Steinhaufen





Es stand zufällig auf der kleinen Weise beim Tor zum Pfarrhof und Sie kennen das Gebilde vielleicht von manchem Sandkasten, aber auf jeden Fall vom Meer oder von Bachläufen: Ein paar kunstvoll flach aufeinan­dergelegte Steine. So wie es das Titelbild zeigt.

So normale, fast alltägliche Sachen können einem ja zum Gleichnis für das Leben werden. Mir kommt mein eigenes Leben oder auch das Ihre manchmal so vor wie flach aufeinandergelegte Steine: meine Lebens­phasen, Lebensabschnitt und Lebensgeschichte wie Steine so ver­schieden und aufeinander flach gelegt, ein Stein auf dem anderen.

Dieser besondere Steinhaufen hat beides, so wie das Leben: Zum ei­nen ist er schön und kunstvoll gemacht, und oftmals (wenn man so einen Steinhaufen sieht) sieht er aus wie ein kleines Denkmal und man passt auf, ihn ja nicht kaputt zu machen, weil er einen irgendwie an­spricht. Zum anderen sind die Steine so filigran aufeinander gestapelt, dass der schöne Steinhaufen immer auch droht zusammenzustürzen, da reicht manchmal eine etwas stärkere Welle. So kommt mir das Leben auch vor: Ungeheuer schön, filigran, aber auch leicht zerbrechlich.

Mit Gott könnte es so sein, dass man ihn als den sieht, der unsere Lebenssteine zu unserem Leben flach aufeinanderstapelt; dann würde  er aber mit verursachen, dass unser Leben so zerbrechlich ist. Vielleicht ist das so, und das Leben besteht genau darin, dies zu erkennen, schön und zerbrechlich vor Gott zu leben. Die Alternative wäre so etwas wie ein in Beton gegossenes Leben. Nichts gegen Beton, der kann ja auch schön sein. Aber wollen wir unser Leben aus Beton gegossen, ohne die Schönheit aus verschiedenen Lebenssteinen, ohne die atemberaubende Kunst, Stein für Stein aufeinanderzulegen, damit das Leben hält, und ohne die Gefahr, auch zu zerbrechen? Wäre das dann noch Leben und Lebendigkeit? Kaum. Und wäre das noch ein Gott, dem man sein Leben ganz in Liebe und Freiheit, in Vertrauen und mit eigenen Wegen lebt? Auch kaum. Dann möchte ich mir lieber vorstellen: Gott hat Leben schön und zerbrechlich gemacht.

Freitag, 14. Juni 2013

Ein Lächeln



Predigt am 3. Sonntag nach Trinitatis (16. Juni 2013)

Lukas, 15, 1-10
Es nahten sich Jesus aber allerlei Zöllner und Sünder, um ihn zu hören.  Und die Pharisäer und Schriftgelehrten murrten und sprachen: Dieser nimmt die Sünder an und isst mit ihnen. Er sagte aber zu ihnen dies Gleichnis und sprach:
Welcher Mensch ist unter euch, der hundert Schafe hat und, wenn er "eins" von ihnen verliert, nicht die neunundneunzig in der Wüste lässt und geht dem verlorenen nach, bis er's findet? Und wenn er's gefunden hat, so legt er sich's auf die Schultern voller Freude. Und wenn er heimkommt, ruft er seine Freunde und Nachbarn und spricht zu ihnen: Freut euch mit mir; denn ich habe mein Schaf gefunden, das verloren war. Ich sage euch: So wird auch Freude im Himmel sein über "einen" Sünder, der Buße tut, mehr als über neunundneunzig Gerechte, die der Buße nicht bedürfen.
Oder welche Frau, die zehn Silbergroschen hat und "einen" davon verliert, zündet nicht ein Licht an und kehrt das Haus und sucht mit Fleiß, bis sie ihn findet? Und wenn sie ihn gefunden hat, ruft sie ihre Freundinnen und Nachbarinnen und spricht: Freut euch mit mir; denn ich habe meinen Silbergroschen gefunden, den ich verloren hatte. So, sage ich euch, wird Freude sein vor den Engeln Gottes über einen Sünder, der Buße tut.

Ein Lächeln
Ein sanftes Lächeln liegt auf dem Gesicht von Jesu, auf Gottes Gesicht. Ein tiefes Lächeln, angestrengt, erschöpft, beseelt, glücklich: Verlorenes wieder gefunden. Dich, ja dich, wieder gefunden, im Gestrüpp, im Dickicht, verlaufen, verlebt, verloren. Gefunden.

Gott sucht dich
Gott hat dich gesucht. Gott sucht. Er zählt täglich, stündlich ab die Menschenkinder und schaut, dass keines von ihnen fehlt, verloren geht. Er hat sie im Blick, die Menschenschar, die alten und die jungen, die selbstbewussten und die kleingemachten, die Sünder, die Verunsicherten, die Abgedrängten, wie sie alle ihr Leben leben, ihre Wege gehen. Es bleibt ihm nicht verborgen, wenn einer droht verloren zu gehen, rauszufallen aus dem Heil, dem Kosmos seiner Liebe. Er kennt doch jeden bei Namen und mit seiner eigenen Geschichte, dich und mich.
Er geht den Verlorenen nach, mit Fleiß und Mühe. Ihn treibt seine Liebe. Er zündet Licht um Licht an im Dunkel von Angst, Seelenacht, von Frage und Verlorenheit. Er kehrt den Dreck weg, den Dreck, den Sünde macht, den Menschen hinterlassen, der uns stolpern, uns verkommt und verlieren lässt. Er tastet und sucht ab, bis alles ausgeleuchtet, bis alles gekehrt, bis alles durchsucht, bis jeder Schuldstein umgedreht, an jeder Lebensecke geschaut, bis er sich hineingegraben hat in unser arg zerfurchtes Leben, bis er uns sieht, von seinem Angesicht zu unserem, sorgenvoll und von der Zeit der Suche gekennzeichnet, bis er uns dort gefunden, wo wir uns verloren haben.
Bis jener seltsam verschachtelte, liebevolles Satz in unsere Seele fällt: Du bist der, von dem jemand sagt, ich habe dich verloren. Du bist der, von dem Gott sagt, Mensch, ich habe dich ja verloren, und jetzt wiedergefunden.

Gott berührt mich
Und mit jenem Satz bückt sich Gott, kniet er sich nieder auf unsere Erde, so wie der barmherzige Samariter zu dem anderen, um aufzuheben, wie die Frau die Münze aufzuheben, der Hirte das Schaf, wie Jesus, der kein eigenes Haus hatte, kein Tisch sein eigen nannte und doch an so viele sich setze, er selbst, Gott in Menschgestalt einkehrte bei denen, die im eignen Haus verloren waren und sich an ihren Tisch setze, um mit ihnen ihren Tisch, ihr Brot, ihre Zeit, Sorgen, Sünde und Leben zu teilen.
Jesus muss in diesem Moment die Menschen berührt haben, so wie die Frau die Münze, der Hirte das Schaf, Gott die Verlorenen. Er hebt auf aus dem Schmutz, aus der Verlorenheit, und legt sich das fast verwirkte Leben auf die Schulter; nichts muss man tun, nicht mal herauskriechen. Gott hebt einen auf und trägt mich zu sich nachhause, zurück, legt mich und mein Leben zurück an die richtige Stelle bei ihm, zu den anderen, die auch hätten verloren gehen können.
Ein Lächeln schweißgefärbt von der Suche muss in diesem Moment ihn zeichnen. Am Tisch nimmt Jesus Platz, neben uns, er isst mit uns Sündern, Verlorenen, und wir sitzen da mit allem, was wir sind, der Last, der Angst, den Zeiten, in den wir uns müde, allein, verlassen und verloren fühlten, waren. Mit ihm am Tisch sind wir aber gefunden, gesehen, geliebt, solche, mit denen Gott seine Liebe teilt. Ein Lächeln verzaubert den Tisch und die Menschen daran.

Gott freut sich
Voll Freude im eigenen Herzen schultert der Hirte das gefundene Schaf, er und die Frau mit der Münze rufen Familie und Nachbarn, all die, die um sie sind, zusammen und alle freue sich mit. Der Himmel lacht auf und die Engel freuen sich über jeden Wiedergefundenen. Gott freut sich, sich im umfassende Sinne; der, der Himmel und Erde geschaffen hat, der dich ins Leben rief, der tagtäglich mitleidet und erlöst, der alles am Ende zum Neuanfang vollendet, der freut sich, in sich und aus sich heraus, ganz still und einzeln in Herzen gefundener Menschen und solcher, die suchen; freut sich als Freude zwischen Menschen, untereinander. Verlorenes wiederfinden steckt an, beglückt, versetzt in ein Frohgefühl. Es ist das Schönste, was unter Menschen passieren kann. So lacht auch der Himmel freudvoll darüber und Engeln entlockt es ein Lächeln, vielleicht ausgelassene Freudenschreie, dass sie zu Boten werden, was da auf Erden passiert: Gott findet dich und mich und er freut sich. Wie Jesus am Tisch, als er mit Sündern aß, es ein Festmahl wurde, ein Freudenmahl, an dem Nahrung ganz anderer Natur die Seelen füllte.

Ein Lächeln geschenkt
Gott hat gesucht und er war, als die Suche begann, als ihm in Herz und Auge fiel, dass du oder ich verloren gehen, zu tiefst erschrocken, besorgt, hatte so etwas wie Trauer, Wut, Ärger und Hass, aber immer mehr Liebe in sich. Er sucht und findet und so verwandelt er sich in Freude hinein, die begann, als das Verlorene mit tiefem Lächeln er in die Arme schloss. So verwandelt verloren in gefunden, Entfernung in Nähe, Sünde in Vergebung, Ende in Neuanfang, Angst in Freude und bittere Tränen in ein von Gott geschenktes Lächeln. Amen.

Samstag, 8. Juni 2013

Immer schon gesagt




Predigt zum Dokumentarstück „Ich glaub schon“ am 2. Sonntag nach Trinitatis (09.6.13)
 
Schon?
„Ich glaub schon.“ Im kleinen Wort „schon“ liegt alles: Je nach dem wie man es ausspricht. Wie man es betont. Was in ihm wohnt, an Erfahrung, an Leben, an Glauben. Was in ihm mitschwingt. Vielleicht ein tief liegendes Aber, Trotz, leiser Zweifel, Nachdenken, ein Zögern, eine irgendwann gewonnene Überzeugung; auch der Gegenwind, gegen den das Schon sanft angeht; auch der, zu dem das Schon gesprochen ist, das, worauf es Antwort ist.
Reicht ein „Schon“? Ist es nicht zu wenig, zu merkwürdig, ist es nicht wie eine kleine Einschränkung? Reicht Schon für den Glauben, den Glauben an einen Gott, der keine Einschränkung kennt noch duldet, der Gott ist und den wir mächtig, bestimmend, unser Leben prägend, schaffend, beendend, belebend, entscheidend nennen und glauben? Und spricht sich im kleinen Schon nicht dieser kleine Unterschied zwischen Leben und Glauben aus, als wäre das Leben das eine und Glauben das andere, Leben das eigentliche und Glauben käme dazu oder nicht? Was hat Glauben mit Leben zu tun?

Sich wenden
Leben und Glauben auf die Bühne bringen, ergründen, gestalten und sichtbar machen, warum Menschen glauben, wie Glauben anfing, wie sie ihn leben, wo in ihnen Zweifel und Visionen wohnen, wo sie sich im Leben für etwas entscheiden, was ihr Leben tiefen Sinn gibt, davon erzählt Paul Brodowsky seinen Teil:
In kurzen, längeren Sätzen, die monoton, rhythmisch mit Wir anfangen bohrt er sich hinein ins Leben, immer zwei Schritte vor und mindestens einer zurück, hinein in was Menschen machen und lassen mit ihren Körpern, Gedanken und Seelen, was sie glauben. Hin und her wenden sie sich durch die Tage zwischen dem eigenen Kleinsein und eigener Größe, zwischen leer, allein, zusammenbrechen, verlieren, haltlos und dem perfekten Moment, der heraushebt, in dessen Vergehen sie sogleich wieder im Gleichlauf des Lebens versinken.
Und mittendrin am Rande glauben für den Theatermensch Menschen, glauben an sich und an nichts, glauben privat ohne Alles und an den Jemand im Anderen, an den einem Moment, der für sie ganz intim Heiliges hat, und an die Notwendigkeit, sich einander abzugleichen und zu helfen. Mitten im Leben, mitten im „Wir wenden uns durch die Tage“ lebt der Glaube, hofft und zweifelt, ob es besser werden kann, wagt den Schritt vom Wichtigsten und Wertvollen kurz zu reden, verknüpft sich auf sonderliche Weise in den Abbiegungen des Lebens mit der Suche nach dem eignen und der anderen Glück.

Auf dem Baum klettern
Zachäus und Petrus, die waren irgendwie auch auf der Suche nach Glück. Uns voraus. Zachäus, der auf den Maulbeerbaum kletterte, um Jesus zu sehen, der spielt im Theaterstück auf den Gutleutmatten an den acht Abenden irgendwie mit und Petrus, der sich wie kein anderer durch seine Glaubenstage wand, der bekannte sich in denkbar knappen Sätzen zu Christus. Beide auch inmitten: auch inmitten jenes Schon des Glaubens, angesichts von gar nicht, nicht mehr; beide inmitten auch von anderen Optionen, der Möglichkeiten eines gottverlassenen Lebens, des Weggehens, eine andere Abbiegung des Lebens zu nehmen, inmitten einer Frage, die sich ihnen im Leben stellt, die Frage  Wohin soll ich gehen? Welches Leben hat Sinn und Ziel? Wie bei Brodowsky ist der Mensch Zachäus klein, schmächtig und irgendwie gibt er mit seinem Körper eine Antwort und klettert auf einen Baum, versucht, Jesus zu sehen, spürt Verzweiflung, Mut und Sehnsucht. Da oben.
Gefragt sind Menschen alle und Antwort müssen sie geben. Geben sie, indem sie leben, geben Antwort auf das Wohin gehst Du? Gott stellt die Frage, und jener Grundfragen kann sich keiner entziehen, selbst der Tod, der Stillstand wäre noch Antwort, Antwort auf Gottes Frage: Wer bist du Mensch vor mir, wohin gehst du, wie lebst du das Leben, das du vor mir hast?

Du gesagt
Petrus Antwort beginnt mit keinem Ich, sie beginnt mit einem Du; Menschen geben Antwort, indem sie nicht von sich reden, sondern von ihm. Sie sprechen sein Du an, benennen - und finden in diesem Du sich selbst. Menschen geben und sind Antwort auf die von Gott gestellte Fragen nach sich, indem sie selbst Antwort von Gott bekommen; indem sie Du sagen zu ihm, so wie Petrus sagt: Du hast Wort des ewigen Lebens, Du bist der Heilige Gottes, und dieses Du wird zur Antwort Gottes für Menschen: Du, Mensch, bist der, dem ewigen Worte gelten. Du, Mensch, bist der, der sich der Heilige Gottes zuwendet. Wir sprechen und es wird zur Sprache für uns, zum Zusprechen, dass wir welche sind, die unser Leben vor Gott haben und leben, immer schon Antwort sind.
Zachäus sitzt nicht auf dem Baum, damit er Jesus sieht, das auch. Zachäus sitzt dort oben, dass Jesus ihn sieht und zu ihm kommt. Glaube ist unsere Tat, unser Machen, unsere Lebensäußerung, unsere Antwort, so oder so. Das alles. Das alles auch. Glaube ist aber zuerst der Moment der Einkehr Gottes im Leben des Menschen. Jesus bittet Zachäus herunter vom Baum und kehrt in seinem Haus, in seinem Leben ein. Glaube ist wie Gott selbst in unserem Leben zu leben beginnt und wie wir dann dies Leben leben und Gott antworten.
Brodowskys letzter Satz an die, die nachkommen, ist Trost, ist: „Du bist nicht allein“. Es ist Gottes erster Satz, den er jedem und jeder als Vorsatz vors Leben, das zu leben ist, schreibt und schenkt. "Du bist nicht allein." Immer schon. Immer schon bist du von mir geliebt. Amen.