Donnerstag, 26. Januar 2012

TRÄNENBROT

Predigt zu den Psalmen zur Eröffnung der Bibelwoche 2012 (29.1.12)

Tränen und Brot
„Tränen und Brot“. So ist die Bibelwoche, die morgen Abend beginnt und bis Freitag geht, überschrieben. Sie beschäftigt sich mit den Psalmen.
Tränen und Brot.
Tränen werden geweint. Sie steigen in einem hoch, ganz plötzlich oder ganz langsam, aber dann sind sie da, werden wir rausgepresst, fließen einfach aus einem raus, stehen im Auge und kullern die Wangen herunter und tropfen als kleine Tropfen Menschenflüssigkeit langsam hinunter. Wir weinen und sind in uns von etwas berührt, so tief berührt, Ärger Trauer, Freude, Wut, Sprachlosigkeit. Wir weinen und haben keine anderen Worte gefunden als diese, diese kleinen großen Tropfen. In uns, aus uns heraus.
Als würde unsere Seele ihre ganz eigene Sprache sprechen, jene ohne Worte, aber ganz wir, unsere Tränen. Als würde unsere Seele sprechen und überfließen, aus uns heraus, als würde jede vergossene Träne auf eine Antwort warten. Fließend
Brot nehmen wir in unsere Hände und führen es zu unserem Mund. Brot riechen wir. Es duftet. Brot schmecken wir. Im Brot können wir schmecken das Feld und die Ähren, das Mahlen und Backen, den eigenen kleineren Hunger und den großen Hunger der Welt, können wir schmecken wie all die anderen schmecken, die mit uns Brot aßen und essen, schmecken wir Verbundenheit und Not, Sehnsucht und Gnade, werden wir  satt, kauen, schlucken den Bissen Brot herunter und er füllt uns den Magen, gibt uns eine kleine Antwort. Handfest.
„Du speisest uns mit Tränenbrot“, so betet ein Psalmbeter. Tränenbrot. Fließend und fest. Was soll das sein? Ein Brot aus Tränen gebacken. Eines, das wir essen müssen, sollen, dürfen? Tränen, die uns satt machen, statt Frage Antwort sind.

Lebendige Worte
Psalmen, die sprechen und beten wir im Gottesdienst, wir singen sie und wir murmeln und kauen so Wörter nach und vor, die hinter Klostermauern dem Tag eine Form geben und für fromme Frauen und Männern Lebenselixier sind. Im Bibelkreis und in der Bibelwoche sprechen wir übe Psalmen und deren Worte, denken nach, treten in Fußstapfen, nähern uns, versuchen, sie zu unseren zu machen und merken wie fremd und wie nahe sie uns sind, versuchen sie in unser Leben zu ziehen.
Zu unzähligen Trauungen, Taufen, Beerdigungen, Konfirmationen, Priesterweihen werden einzelne, kleine Psalmenworte ausgesucht, ausgewählt, flüchtiger und ganz sorgfältig, werden Worte der Psalmen laut über kleines Taufkind, über Brautpaar, über Verstorbene, über Junge und Alte, Arme und Reche, Gerechte und Sünder, Hilflose und Suchende ausgesprochen, wird ihr Leben mit dem Leben dieser Worte verbunden.
Fast auf geheimnisvolle Weise. Auf jeden Fall in Vertrauen und Hoffnung. Die ausgesuchten Worte der Psalmen mögen Leben in sich tragen, jedes ihre einzelnen Worte mag etwas in sich tragen, das das Leben, für die sie gesprochen sind, entschlüsselt, deutet, reicher, heiler, seliger macht. Mit jedem Wort am Taufstein, am Altar, am Grab, mit Handauflegung gesprochen, ja beschworen und gebetet, wird Gott ins Leben des Menschen gebracht, Gott und Mensch miteinander versprochen, verbunden.
„Du speist mich mit Tränenbrot.“ Damit ich weinen kann und satt werde. Damit all das, was in meiner Seele liegt, aus mir herausfließt und ich Antworte bekomme allein von dir, mein Gott. Für jede meiner Träne eine Antwort von dir, meine Freude du sprichst, meine Trauer du auch sprichst. Bei dir liegen meine Klage und mein Lob.

Schatzkiste
Mit jedem Psalm, mit jedem Psalmenwort betreten wir eine kleine Welt, betreten wir Gottes Welt, die sich mit unserer heilvoll verbinden will. Wir stellen uns hinein in eine tausendjährige Wörter-Geschichte, in der Menschen, die lange vor uns waren und die nach uns kommen werden, auch stehen. Wir gehen hinein mit unserer Seele und deren Hunger nach Leben, nach Liebe, nach Schutz, nach Freude in einen Raum von mal geheimnisvollen, anstößigen, wunderbaren, faszinierenden, offen, heilvollen Worten, die darauf geduldig warten, dass wir mit unserer Seele sie nachsprechen, neu sprechen
Jeder Psalm, jedes Psalmenwort ist wie eine kleinere oder größere Schatzkiste. Eine Schatzkiste, die ihren Glanz, ihre äußere Kostbarkeit, ihre Patina aus der Alltäglichkeit gewonnen hat, aus dem alltäglichen Schmerz von Menschen, aus ihrer Freude, aus ihren Tränen, aus ihrer Hoffnung, aus den unzähligen Geschichte, die Gott in das Leben schreibt.
Psalmen, Psalmenworte wie eine Schatzkiste, in die wir alles hineinlegen dürfen, können, ja mitunter sollen und müssen: All die Momente, die wir beklagen, beweinen, erhoffen, erwarten, die wir inständig suchen, die wir unglaublich erleiden, die Tränen, all die stammelnden Worte, abgebrochene Sätze, Bilderfetzen, Freudenlächeln, Sorgen und Küsse, unsere Seelentakte.
Psalmen, Psalmenworte wie eine Schatzkiste, aus der wir alles herausnehmen können, wie verwandelt, wie neu und anders, aus der wir behutsam schöpfen, mit der Hand, mit dem Wortelöffel, unsere Seele, herausnehmen, als sei es das, was wir immer genau jetzt für uns brauchen, zum Atmen, Denken, Sprechen, Sein - Nahrung, Lebensmittel, Grund für unsere Seele, jedes Wort entnommen ein Seelenstück von Gott.

Tränenbrot
Tränenbrot. Jeder Psalm. Jedes Psalmenwort ist eine Zuwendung Gottes, ein Stück seiner großen Liebe, die sich unserem Leben verspricht. Mal merkwürdig bitter schmeckend, wie Tränenbrot gebacken aus den tausend Tränen Gottes, die er mit uns weint. Mal merkwürdig heilsam, wie Tränenbrot, gekaut in tausend Gottes Stunden, uns satt zu machen mit seinem Leben. Amen.

Montag, 23. Januar 2012

„DER GEMEINDE WIEGENLIED“

„DER GEMEINDE WIEGENLIED“
Predigt am Mitarbeiterfest zu „Abend ward, bald kommt die Nacht“ (EG 487)

Predigtteil 1: Schlafende Gemeinde
Eine Gemeinde geht schlafen, legt sich hinein, schließt langsam die Augen. 7000 Augen, 3500 Augenpaare. Tausend kleine und große Gedanken, Kindersorgen, Erwachsenenwünsche, beginnende Alpträume, die Bettdecke bis zur Gemeindenase. In so vielen evangelischen Betten in Haslach. So verschiedene Menschen mit verschiedenen Tagen, die zu Bett getragen werden, verschiedene Kleider, die abgelegt werden, Zähne, die verschieden geputzt werden, verschiedene Bücher, die als Bettlektüre aufgeschlagen erden, verschiedene Hände - gefaltet werden, allein auf der Bettdecke, zwei, die sich umschließen. Eine schlafende Gemeinde, gemeinsam evangelisch und gemeinsam hier verortet.
Es passiert doch nichts. Diese Nacht. Die Zeit, der wilden Tiere, die ums Nachtlager streifen, ist vorbei. Die Zeit, als Bomben vom Himmel fielen und deren Pfeifen aus dem Bett trieb, ist vorbei. Erdbeben, Springfluten, Waldbrände, Atomkraftwerke, die gibt´s hier nicht, nicht so nah.
Es passiert doch nichts. Diese Nacht. Und doch gehen wir nie alleine ins Bett. Nehmen uns mit, jeder sich und all die anderen, die lebenden und die toten, die erhofften und verwünschten, die verhassten und geliebten; mit im Bett liegen die ungewissen Tage, die Sorgenmomente, die geweinten Tränen, manche Lebensangst, gewälzte Probleme, dunkle Gedanken, lässliche und haarsträubende Sünden. Es passiert doch nichts.

Strophe 1.
Abend ward, bald kommt die Nacht,
schlafen geht die Welt;
denn sie weiß, es ist die Wacht
über ihr bestellt.


Predigtteil 2: Entlasten
Wach liegen, vor dem Einschlafen, mitten in der Nacht, in den Morgenstunden. Dann: Beruhigt einschlafen, wieder, bis der Morgen da ist. Einer muss wachen, wenn alle anderen schlafen. Alte Pfadfinderregel. Wenn alle schlafen, dann muss einer wachen.
Einer muss aufpassen, dass nichts passiert, muss die Augen offenhalten, die Ohren spitzen, auf der Hut sein.
Wer übernimmt diese Aufgabe? Wenn die Gemeinde ruhig schlafen soll? Wer ist es? Die einen für die anderen? Mindestens immer ein guter Prozentsatz von Gemeindemitgliedern für die große Masse? Die Ortsältesten? Der Pfarrer? Müssen wir das auch noch organisieren? Ein Wachdienst für unsere ruhig schlafende Gemeinde?
Einer muss die Wacht bestellen. Bestellen. Die Wacht bestellen. Wir müssen diese Bestellung aufgeben - unbedingt.
Es passiert immer was. Jeden Tag. Gutes wie schlechtes. Manches lässt uns nicht ruhen, nicht los, sorgt uns, quält uns, bis in die Nacht hinein. Sorgenvolle Gemeinde. Einer muss uns entlasten an der Schwelle vom Abend zur Nacht. Einer muss alles mittragen die Müh und Plag des Tages, diese Beschwernisse und manche Beschwerde auch. Einer muss am besten all das Schwere, was uns nicht ruhen lässt, nehmen und in sein Himmel-Bett legen. Dann haben wir es los. Und der eine mag sich dann noch ganz fleischgeworden in unser Bett des Nachts schleichen, sanft bei uns liegen. Wacht sein, wenn wir alle selig schlafen den Schlaf der gerechten Gemeinde.

Strophe 2.
Einer wacht und trägt allein
ihre Müh und Plag,
der lässt keinen einsam sein,
weder Nacht noch Tag.


Predigtteil 3:Ein Gedanke
Wenn wir schlafen gehen, wir die Hände falten nach dem Tagewerk. Es sammeln sich die zahlreichen Gedanken, Wünsche, Ängste, Erinnerungen und wir selbst fassen uns, unser Leben still gesagte Worte - beten. 3500 müde Augenpaare, 3500 Gebete, irgendwie gebetet.
Eine Gemeinde geht schlafen und betet. Ringt sich und dem Tag ab Worte hin auf Gott gedacht, vor ihm gebracht, vor die Füße gesprochen, müde gemacht vom Tag von vorn beginnend, weil den Gebetsfaden, den Lebensfaden verloren. Wie? Wenn wir uns alle verabreden würden, zu einer bestimmten Minute im Übergang vom Abend zur Nacht, dass wir gemeinsam die Hände falteten, gemeinsam alle unsere Taggedanken hin auf ihn sammelten, zu ihm wie in einem gemeinsamen Gebetsaugenblick hin zu ihm sprächen. Es wäre wir ein unsichtbar goldenes Netz, dessen Mitte er unwillkürlich würde.
Betend und bittend er zur Wacht bestellt, wenn die Augen langsam vom Tag zufallen, wir alle wie eine ihn bitten: Bleib bei uns diese Nacht, bleib bei deiner zu Bett gegangenen, schlafenden Gemeinde, halte Wacht, sei Halt und Hort. Lass uns ruhen. Irgendwie haben wir uns es uns als Gemeinde doch verdient, wie wir uns um deine Angelegenheiten am Tag sorgten und Gemeinde waren.

Strophe 3.
Jesu Christ, mein Hort und Halt,
dein gedenk ich nun,
tu mit Bitten dir Gewalt:
Bleib bei meinem Ruhn.


Predigtteil 4: fromme Gemeinde
Im Schlaf fromm werden. Das, was wir uns tief in unserer Seelenecke wünschen, was auch die vor uns hier und die nach uns, die um uns herum sich wünschen: fromm werden, gottwohlgefällig, selig, glücklich sein. Und das eben nicht im unabläßlichen Tun, Schaffen, nein: im Schlaf. Eine schlafende Gemeinde, die darüber fromm wird.
7000 Augen, 3500 Augenpaare und Eines wacht darüber. In Christi Blick geht keiner verloren, sei er noch so klein, so zurückgezogen, bescheiden, sei er, wer er will. Christus hat die schlafende Gemeinde im Blick, schaut auf sie. All seine Müdigkeit ist abgegolten am Kreuz. Nun wacht er und passt auf uns auf. Er schaut euch beim Schlafen zu. Es ist sein durch und durch liebender Blick, nicht enttarnen, nur zu schützen, einen jeden von euch; denn euer Abend und Morgen, euer Leben ist ihm wertvoll.
Da lässt sich schlafen. Gut schlafen. Es kann wirklich nichts passieren, was uns das Leben nehmen könnte. Er erhält es uns, er blickt darauf, er passt darauf auf. Er nimmt die Lasten. Er tröstet uns. Wie neben uns liegend, nimmt er uns in die Arme, bergend, schützend, tröstend. Eine getröstete Gemeinde. Eine fromme Gemeinde. Eine selig schlafende Gemeinde. Gott gewiss. Gute Nacht.
Eine Gemeinde wacht auf nach guter, von Christus bewachter Nacht. Aus dem frommen Schlaf erwachen. Sein guter Morgen ist da. Jeder geht an sein Tagewerk. Die Gemeinde geht getrost an ihr Tagewerk. Sie tut, was Gott frommt, nutzt. Danke dafür. Amen.

Ganzes Lied! Strophen 1-4

[4. Wenn dein Aug ob meinem wacht,
wenn dein Trost mir frommt,
weiß ich, dass auf gute Nacht
guter Morgen kommt.]

Freitag, 20. Januar 2012

„SICH UNTERTAUCHEN“

Predigt am 3. Sonntag nach Epiphanias (22.1.12)

2. Könige 5, 9 So kam Naaman [, der Feldhauptmann des Königs von Aram … ein trefflicher Mann …, jedoch aussätzig,] mit Rossen und Wagen und hielt vor der Tür am Hause Elisas, [des Propheten Gottes]. 10 Da sandte Elisa einen Boten zu ihm und ließ ihm sagen: Geh hin und wasche dich siebenmal im Jordan, so wird dir dein Fleisch wieder heil und du wirst rein werden. 11 Da wurde Naaman zornig und zog weg und sprach: Ich meinte, er selbst sollte zu mir herauskommen und hertreten und den Namen des HERRN, seines Gottes, anrufen und seine Hand hin zum Heiligtum erheben und mich so von dem Aussatz befreien. 12 Sind nicht die Flüsse von Damaskus, Abana und Parpar, besser als alle Wasser in Israel, sodass ich mich in ihnen waschen und rein werden könnte? Und er wandte sich und zog weg im Zorn. 13 Da machten sich seine Diener an ihn heran, redeten mit ihm und sprachen: Lieber Vater, wenn dir der Prophet etwas Großes geboten hätte, hättest du es nicht getan? Wie viel mehr, wenn er zu dir sagt: Wasche dich, so wirst du rein! 14 Da stieg er ab und tauchte unter im Jordan siebenmal, wie der Mann Gottes geboten hatte. Und sein Fleisch wurde wieder heil wie das Fleisch eines jungen Knaben und er wurde rein. 15 Und er kehrte zurück zu dem Mann Gottes mit allen seinen Leuten. Und als er hinkam, trat er vor ihn und sprach: Siehe, nun weiß ich, dass kein Gott ist in allen Landen, außer in Israel … 19 [Elisa aber] sprach zu ihm: Zieh hin mit Frieden

Mein Weg
Im Frieden sein, Gott gefunden, geheilt, frei von dem, was quält. Naaman findet diesen Weg. Er geht hin in Frieden. Er erfährt Gott. Er wird heil. Er wird frei von seinem Aussatz, der ihn quält. Es ist ein Weg mit Umwegen, Hindernissen nicht geradlinig, nicht schnurstracks. Über Umwegen seinen Weg finden. Frei werden von dem, was uns quält, auf dem Körper und auf der Seele liegt, frei vom Seelenaussatz; geheilt werden, innen drin, die eigenen Seelenrisse verbunden bekommen, versöhnt werden mit seinem eigenen Leben, so etwas wie Heil, Glück erfahren; Gott finden, den richtigen inmitten der falschen, nur fragwürdigen, Pseudogötter, den richtigen Gott finden, der wirklich das Leben ist, das Leben hat und gibt. Der Liebe ist. Im Frieden gehen, leben, Seelenfrieden, mit sich im reinen, nicht perfekt, nicht ohne Schmerzen und Wunden, aber im Reinen. Unser Weg. Dorthin. Ein Weg mit Umwegen, ein Weg mit Wegbegleitern:

Wegbegleiter
Menschen, die einen auf den richtigen Weg aufmerksam machen; so wie eine Dienerin des Naaman, die ihm von Elisa, seiner Heilungschance, erzählt. Menschen, so wie der Diener von Naaman, der ihn mühsam und mutig davon überzeugt, doch das zu machen, was Elisa ihm rät. Menschen, so wie der Bote des Elisa, der Naaman eigentlich die gute Nachricht von der Heilung überbringen möchte, den Naaman aber abweist. Menschen wie kleine Zeichen, wie Fürsprecher, die uns den Weg zeigen, auf die wir hören können, die wir sehen, kaum sehen, nicht sehen, übersehen, überhören, deren Weg wir gehen sollen.
Menschen, so wie der aramäische König von Naaman, der den Heilungswunsch von Naaman aufgreift, einen Brief an den König von Israel schreibt und Naaman dorthin sendet. Einer, der die Sache von Naaman in die Hand nimmt und Naaman schickt, gehen lässt. Menschen, die uns senden, die sagen, wo es hingeht, die für uns unsere Wege gehen, gehen sollen, müssen, meinen zu müssen; Menschen, die uns dann auf ihren Weg schicken, weil sie meinen, gut meinen, es wäre unserer; aber gehen, gehen müssen wir selbst, ganz und gar selbst unseren Weg zum Heil, auf Umwegen.

Sich verlassen
Naaman kommt mit seinen eigenen Vorstellungen zu Elisa. Auf dem hohe Ross. Er erwartet etwas ganz bestimmtes. Und das trifft nicht ein. Seine eigenen Vorstellungen werden enttäuscht. Naaman versteht es nicht, es passt nicht zu dem, wie er sich, seine Heilung sieht. Er wird darüber unwillig, zornig, wendet sich ab und geht weg. Zu stolz scheint er. Zu fremd, zu weit weg das, wie Elisa, seine Heilung geschehen möchte.
Es braucht den Diener, seinen eigene demütigen Mut, vom hohen Ross herunterzusteigen, seine eigenen Vorstellungen zu verlassen, den nicht so erwarteten Weg zu gehen, im Kleinen, nicht Großen, die Heilungschance zu ergreifen, den Umweg über Unverständnis, Zorn, Widerstand, seinen eigenen Umweg zum Heil zu gehen.
Wie nahe ist er uns, dieser Naaman. Über eigene Umweg und Hindernisse zum Heil gehen: Seine eigenen Vorstellungen verlassen, wirklich aus sich herausgehen, den gebotenen, aber anders erwarteten Weg einschlagen, sich eher an das Unspektakuläre, an das Unscheinbare halten, den eigenen Widerstand in sich, den Zorn überwinden, und umkehren, wieder umkehren und selber den Weg gehen, die letzte wichtigen Schritte.

Selber gehen
Naaman tut das Gebotene, ganz selbst und für sich. Er tut es. Er steigt herab in den Jordan. Er taucht unter. Er tut dies siebenmal. Er wird rein.
Heil werden, indem man in das Heil hinabsteigt, in es untertaucht, nicht einmal, nicht zweimal, nicht dreimal, sondern so oft, bis das Heil einem wieder nach oben entlässt und reingewaschen hat. Man ganz selbst. Erlebt an eigenen Körper, an sich selbst. Abgewaschen, weggewaschen all das, was einen juckt und quält, was sich wie Aussatz einem auf der Seele legt und sich in sie hineinfrisst. Siebenmal. Beim Weg zum Heil muss man Geduld mitbringen, oft etwas mehrmals tun. Aber dann wieder auftauchen, auftauchen als ein anderer, als eine andere, an sich herabschauen und sehen, mit den Augen und den Händen spüren: Ich bin ohne das Quälende, ohne Seelenflecken, ohne Todesgeschwür; ich bin rein, heil, in Frieden.
Das ist, war mein Weg zum Heil über Umwege.

Gottes Weg
Jesus kennt Naaman. Er kennt seine Geschichte. Jesus sieht in ihm einen, an dem sich Gott erfüllt. Den Armen wird das Evangelium gepredigt, die Gefangenen werden frei, die Blinden sehen, die Zerschlagenen werden aufgerichtet, die Aussätzige werden rein. Jesus erfüllt Gott in Menschen. Jesus ist für Menschen Frieden, Heilung, Reinigung, Glücksort, Seelenhalt.
Jesus geht aus sich heraus. Er bleibt nie bei sich selbst. Gott geht aus sich heraus. Gott kommt in Jesus Christus zu den Menschen. Gott kann nicht bei sich bleiben, seine Liebe in sich bricht aus ihm heraus, fließt über, überwindet jede Kluft, Fremdheit, überwindet eigene Vorstellungen, manchen dummen Stolz und lässt umkehren. Unser Umweg zum Heil, unser Weg des Naamans, ist Jesu Weg zu uns. Er geht zu denen, deren Seele danach ruft, frei zu werden von üblen Lebensaussatz, er lässt sie hören, wohin sie gehen könnten, er setzt ihre Füße auf den Weg, er lässt sie ihre Weg finden, er taucht sie mit unter, taucht selbst mit unter, siebenmal, und wäscht sie rein und wir tauchen wieder auf, er ist es, der unseren Weg gegangen ist zum Heil und er sagt zu: Zieh hin mit Frieden. Amen.

Mittwoch, 4. Januar 2012

Das Licht wächst still


Predigt am 1. Sonntag nach Epiphanias (09.01.12)

Geboren
Nicht in Bethlehem. Nicht damals vor mehr als 2000 Jahren wurde Jesus geboren. Weihnachten, Heiliger Abend liegen vierzehn Tage hinter uns. Jesus ist geboren. In uns. Mitten unter uns. Zwischen uns.
Jesus ist uns geboren worden. Klein, nackt, in einer abgeschiedenen Ecke unserer Seele, unseres Lebens. Wir haben ihn empfangen. Er ist in uns eingepflanzt. Er, das Licht, das Heil, die Rettung. Und alles ist schon da mit dieser Geburt in uns: All seine Worte, die er dann spricht; all die Taten, die er dann tut; all das Gleichnishafte, all das Heilsame, alles von diesem Gott, den er den Menschen so nahe in ihr Leben bringt. All das ist da, ist in uns geboren - und wartet darauf, dass es beginnt zu werden, zu wachsen, zu leben, sich zu entfalten, zu strahlen, zu leuchten, zu heilen; in uns, mitten unter uns, zwischen uns.
Dreißig Jahre hat es gedauert von der Geburt Jesu in Bethlehem bis er begann zu predigen, zu heilen, Wunder zu tun, vom Himmel zu erzählen, bis er öffentlich auftrat und alle ihn hören, sehen, spüren konnten. Dreißig Jahre, so lange dauerte, bis er gewachsen war, die Zeit reif ist; wie ein heiliges Innehalten, in dem Gott alles selbst bereitet und Atem holt für uns. Zeit der Ruhe, des Reifens, Wartens, und dann leuchtete das Licht bald über den ganzen Erdenkreis.
Dreißig Jahre. Solange dauert es bei uns, in uns nicht, von der Geburt des Lichts, bis wir darin erstrahlen. Oder doch? Es dauert auf jeden Fall. Das Licht geboren muss ruhen, warten, reifen, wachsen in uns.
Nur spärlich, äußert spärlich füllt die Bibel diese Zeit, diese dreißig Jahre bis zur Taufe Jesu. Nur mit ganz wenigen, fast rätselhaften Geschichte: Mit Johannes, dem Täufer; mit Simeon, der kurz vor seinem Tod noch den erhofften Heiland als Kind sieht; mit Jesu Beschneidung; mit dem zwölfjährige Jesus im Tempel; mit den heiligen drei Königen, und mit dieser Geschichte:

Die Flucht nach Ägypten und die Rückkehr
Als sie aber hinweggezogen waren, siehe, da erschien der Engel des Herrn dem Josef im Traum und sprach: Steh auf, nimm das Kindlein und seine Mutter mit dir und flieh nach Ägypten und bleib dort, bis ich dir's sage; denn Herodes hat vor, das Kindlein zu suchen, um es umzubringen.

Da stand er auf und nahm das Kindlein und seine Mutter mit sich bei Nacht und entwich nach Ägypten und blieb dort bis nach dem Tod des Herodes, damit erfüllt würde, was der Herr durch den Propheten gesagt hat, der da spricht (Hosea 11,1): »Aus Ägypten habe ich meinen Sohn gerufen.« ….
Als aber Herodes gestorben war, siehe, da erschien der Engel des Herrn dem Josef im Traum in Ägypten und sprach: Steh auf, nimm das Kindlein und seine Mutter mit dir und zieh hin in das Land Israel; sie sind gestorben, die dem Kindlein nach dem Leben getrachtet haben.
Da stand er auf und nahm das Kindlein und seine Mutter mit sich und kam in das Land Israel. Als er aber hörte, dass Archelaus in Judäa König war anstatt seines Vaters Herodes, fürchtete er sich, dorthin zu gehen. Und im Traum empfing er Befehl von Gott und zog ins galiläische Land und kam und wohnte in einer Stadt mit Namen Nazareth, damit erfüllt würde, was gesagt ist durch die Propheten: Er soll Nazoräer heißen.

Gefährdet
Kaum ist das Licht, ER, seine Worte, seine Taten voller Heilsamkeit in uns geboren, müssen sie fliehen. Ist das Licht in uns gefährdet, vom Tod bedroht, trachtet man ihm nach dem Leben, möchte man es in uns mundtot, unwirksam machen, es rausreißen, vertilgen, auslöschen.
Kaum in uns wird das Licht zum Spielball der Mächte, der Mächte zwischen uns, in uns. Spielball von Hass, Neid, Zweifel, anderen dunklen, verwirrenden, bösen Mächten – und es muss weg von dort, weit weg, so weit, dass es die dunklen Mächten nicht erreichen. Es muss fliehen an einen sicheren, anderen Ort. In uns. Wo ist dieser Ort, dieser versteckte, sichere Ort für das Licht Gottes in uns? Vielleicht gerade der Ort, den man nicht erwartet. Ägypten war das Land der ehemaligen Knechtschaft, der Ort, aus dem Israel selbst floh, befreit wurde; gerade dieser Ort, früherer Un-Ort, wird Fluchtort, sicherer Ort. Das Licht sucht einen Ort des Asyls in uns.

Bewegt
Nachts. Im Traum. Auf engelhafte Weise. Josef hört es. Josef nimmt es. Josef bringt es an einen anderen Ort. Das Jesuskind. Nachts. Wenn es dunkel ist. Merkwürdig. Wundersam. Wer sieht und hört es? Wer steht auf? Wer nimmt das gerade göttlich geborene Licht in uns, nimmt und bringt es an einen sicheren Ort?

Wir merken, wie wenig wir das tun können. Wie sollen wir das Licht in uns nehmen und in uns woanders verorten? Wie wenig können wir das, was tief in uns ist, wohnt, lebt, steuern, lenken, vernehmen, wegnehmen und wo hin bringen; unsere Gedanken in uns, unsere Gefühle, unsere Ideen, unsere Hoffnung, unsere Sehnsucht, unser Licht von dir, o Gott.
Es muss einer in die Hand nehmen, wenn das Licht, das „Von dir Gott“, gefährdet ist, droht zu sterben. Es muss einer aufmerksam sein, um die Gefährdung wissen, sie sehen, sie sagen, unser Licht geborgen sichern, retten. Du, Du musst es sein. Du sagst es zu dir und uns im Stillen, du stehst auf und nimmst in uns dich selbst und rettest das Licht.

Eingenistet
Über Umwege gelangt Jesus an den Ort, wo er wächst, bis durch ihn Gott sichtbar beginnt zu leuchten. Über Umwege findet das Licht in uns seinen Platz, seinen Ort. Es musste fliehen, sich verbergen, gerettet werden; nun findet das Geborene seinen Ort, wo es sich fest einnistet, bleibt, anwächst, sich beheimatet und reift, wird, das wird, was es schon immer war, in der Geburt, in der Flucht und in der wundersamen Rettung: Licht von Gott in uns.
Bethlehem, Ägypten, Nazareth sind Orte in uns. Wir selbst sind die Topographie, die Landkarte des Heils. Geburt, Flucht, wunderbare Rettung. Gott schenkt uns sein Licht. Zwischen uns. Mitten unter uns. In uns. Er selbst, Gott, nistet sich bei uns sicher ein, verwächst mit uns, dreißig Jahre, dreißig Wüstenwochen, dreißig Tage, dreißig Minuten, Sekunden; hindurch durch dunkle Bedrohungen wächst er beharrlich, in uns, wird er in uns strahlend, werden wir selbst ein Stück vom Licht, erscheinen wir. Sind wir Ort des Wunders, Ort der göttlichen Liebe. Amen.

Sonntag, 1. Januar 2012

Christuskraft

Predigt an Neujahr (1.1.2012) zur Jahreslosung 2012:
Christus spricht: „Meine Kraft ist in den Schwachen mächtig.“ 
(2. Korinther 12, 9)

Kräfte messen
Aus eigener Kraft wurde ich nicht gezeugt. Oder doch? Als ich geboren wurde, musste meine Mutter sicher mehr Kraft aufwenden als ich. Sie presste mich heraus in diese Welt. Ich schrie. Seitdem setzen Eltern alles daran, dass man zu Kräften kommt, so weit, bis man seine Kräfte mit anderen messen kann, im Armdrücken, Rechenspielen, Karriereplanung. Je mehr man Kraft bekommt, um so öfter sieht man: Die eigene Kraft reicht manchmal nicht aus - und man bewundert sie, die Kraft, Vitalität der anderen; manche Menschen sind Kraftmaschinen, als wären sie im Zaubertrank geschwommen und doch können sie sich den Kräften der Natur nicht entziehen, sie werden älter, ihre Kräfte schwinden auch. Ganz am Rande leben die, die von den meisten wesentlichen Kräften ausgeschlossen sind, von der Finanzkraft des Marktes, der Durchsetzungskraft, dem Kräftespiel, das immer die anderen nach oben befördert. Und wenn man sich selbst in den Finger schneidet, dann kann man mit Geduld sehen, wie die Wunde durch Selbstheilungskräfte langsam geschlossen wird. An der Seele funktioniert das schlechter. Viel schlechter.

Entkräftet
Eigene Schwächen, Kraftlosigkeiten zu sehen, einzusehen, zuzugeben, fällt schwer. Viel lieber kaschieren wir sie. Ein Indianer kennt keinen Schmerz und Männer weinen auch nicht. Manchmal wird man von der Kraft anderen wie eingeschüchtert, erdrückt, abhängig, ohnmächtig gemacht; und wenn wir uns selbst kräftig fühlen, kräftig in den Armen, in den Oberschenkeln, im Kopf, im Leben, dann spüren wir diese Kraft in uns, fühlen uns ungemein lebendig, vital, stark, und ahnen: Unsere Kraft ist nie nur meine; sie kommt auch irgendwie von woanders her.
Und wenn sie fehlt, diese Kraft. Wenn wir abends müde zu Bett gehen und morgens genauso müde wieder aus dem Bett aufstehen. Wenn wir schaffen, tun, ruhen, uns bemühen und fühlen uns nur noch schlapp, kraftlos. Jeder Gedanke, jeder Finger, den wir rühren, jeder Schritt, ist unendlich mühsam, schwer, beschwerlich, kostet so viel Kraft, als flösse sie aus uns heraus, als hätten wir sie wie verloren, aus welchen Gründen auch immer: wegen der anderen, die uns einfach keinen Raum zu leben geben, die uns wie verfolgen und Angst machen, wegen der Gesellschaft, die uns von Kraftreserven abschneidet, wegen Not oder Krankheit, die uns nicht loslassen, wegen uns selbst, die wir uns verausgaben, wegen … ach, wir sind zu müde zum Denken, Reden.
Entkräftet. Erschöpft. Ausgepumpt. Leer.
Bemächtigt
In denen, die entkräftet, erschöpft, ausgepumpt, leer sind, in den Schwachen ist SEINE Kraft mächtig. Christus füllt leere Menschen, mit sich. Er füllt Leere, Entkräftete, Erschöpfte. Er will in sie hinein kommen, wie ein neuer Lebensatem, wie eine leise Sinnzufuhr, wie ein Kraftzentrum, das sie beseelt. Wie in einen entleerten Körper, schlapp, dahin lebend, will er kommen, durch alle noch offenen Öffnungen, durch Augen, Mund und Herz, durch die Poren letzter Hoffnung.
Christus will in entkräfteten Menschen nah, gegenwärtig, lebendig, wirksam werden, sie anfüllen, erfüllen, die Leere vertreiben, die Kraftlosigkeit beenden, die Erschöpfung verwandeln, neuschaffen - und in und durch sie als Kraft aufleuchten und ganz spürbar und ganz deutlich als ihre, ihre eigene, aber eben als seine Kraft in ihnen da sein, sie wirklich in all ihrer Schwachheit und Erschöpfung kräftig, stark machen. Von IHM bemächtigt, von IMH erkräftigt, von IHM belebt.

Von einer Kraft zur andern
Die Kraft von Christus in mir.
Eine Kraft, die von außen, von ihm zu mir kommt, die mir, gerade wenn ich schwach bin, verheißen, versprochen, gegeben, geschenkt ist. Nicht ich habe sie gemacht, ich kann nicht über sie verfügen, ich kann nicht mit ihr prahlen, ich kann sie nicht verlieren; sie kommt zu mir, sie ist seine, sie ist mir gegeben, in mir wirksam, sicher, weil von ihm. Sie ist der Flügel, der mir wächst. Auf sie kann ich mich verlassen, mehr als sie brauche ich nicht, mehr als IHN:
Er in mir, ich ihm nahe, und ich Gott so nahe, wie Jesus Gott nahe war und ist. Seine Kraft und seine Stärke war, ist und wird sein seine Nähe zu Gott und seine Nähe zu den Menschen, seine Liebe zu Gott und zu den Menschen, seine Leidenschaft für beides, die Nähe von beiden, von mir und Gott. Diese Nähe-Kraft ist in mir wirksam.
Ich werde in Schwachheit, in Leere, durchsichtig auf ihn hin. In mir erscheint Christus. Für andere sichtbar, ablesebar, hörbar, für mich auch. Ich werde ihm ähnlicher, dem Menschen Gottes ähnlicher. Erleide Ohnmacht wie ER, erleide Entkräftung wie ER, Kreuzesmomente wie ER. Ich erlebe Machtmomente wie ER, kleine Wunder, dass Gottes große Schöpferkraft kräftig fließt und Menschen zu ihrem Heil wird, Auferstehungsmomente. Das ist seine Kraft in mir. Sie erzeugt in mir Verwundbarkeit, Geduld, Bewährung, feste Hoffnung, Demut und zarte, beharrliche Liebe.

Eine Kraft, die anders stark ist, macht; eine, die selig macht, die tröstet, die leere, entkräftete Menschen erfüllt und mithineinnimmt in eine ganz andere Kraft: Die herrliche Kraft Gottes, die unbeschreibliche Durchsetzungskraft seiner Liebe, die Himmel und Erde, Leiden und Freude, Ohnmacht und Kraft miteinander verspricht – und seine Liebe, die niemals aufhört und alle umschließt. Gott schenke euch diese Kraft von Christus für euer neues Jahr und immer. Amen.