Donnerstag, 26. Januar 2012

TRÄNENBROT

Predigt zu den Psalmen zur Eröffnung der Bibelwoche 2012 (29.1.12)

Tränen und Brot
„Tränen und Brot“. So ist die Bibelwoche, die morgen Abend beginnt und bis Freitag geht, überschrieben. Sie beschäftigt sich mit den Psalmen.
Tränen und Brot.
Tränen werden geweint. Sie steigen in einem hoch, ganz plötzlich oder ganz langsam, aber dann sind sie da, werden wir rausgepresst, fließen einfach aus einem raus, stehen im Auge und kullern die Wangen herunter und tropfen als kleine Tropfen Menschenflüssigkeit langsam hinunter. Wir weinen und sind in uns von etwas berührt, so tief berührt, Ärger Trauer, Freude, Wut, Sprachlosigkeit. Wir weinen und haben keine anderen Worte gefunden als diese, diese kleinen großen Tropfen. In uns, aus uns heraus.
Als würde unsere Seele ihre ganz eigene Sprache sprechen, jene ohne Worte, aber ganz wir, unsere Tränen. Als würde unsere Seele sprechen und überfließen, aus uns heraus, als würde jede vergossene Träne auf eine Antwort warten. Fließend
Brot nehmen wir in unsere Hände und führen es zu unserem Mund. Brot riechen wir. Es duftet. Brot schmecken wir. Im Brot können wir schmecken das Feld und die Ähren, das Mahlen und Backen, den eigenen kleineren Hunger und den großen Hunger der Welt, können wir schmecken wie all die anderen schmecken, die mit uns Brot aßen und essen, schmecken wir Verbundenheit und Not, Sehnsucht und Gnade, werden wir  satt, kauen, schlucken den Bissen Brot herunter und er füllt uns den Magen, gibt uns eine kleine Antwort. Handfest.
„Du speisest uns mit Tränenbrot“, so betet ein Psalmbeter. Tränenbrot. Fließend und fest. Was soll das sein? Ein Brot aus Tränen gebacken. Eines, das wir essen müssen, sollen, dürfen? Tränen, die uns satt machen, statt Frage Antwort sind.

Lebendige Worte
Psalmen, die sprechen und beten wir im Gottesdienst, wir singen sie und wir murmeln und kauen so Wörter nach und vor, die hinter Klostermauern dem Tag eine Form geben und für fromme Frauen und Männern Lebenselixier sind. Im Bibelkreis und in der Bibelwoche sprechen wir übe Psalmen und deren Worte, denken nach, treten in Fußstapfen, nähern uns, versuchen, sie zu unseren zu machen und merken wie fremd und wie nahe sie uns sind, versuchen sie in unser Leben zu ziehen.
Zu unzähligen Trauungen, Taufen, Beerdigungen, Konfirmationen, Priesterweihen werden einzelne, kleine Psalmenworte ausgesucht, ausgewählt, flüchtiger und ganz sorgfältig, werden Worte der Psalmen laut über kleines Taufkind, über Brautpaar, über Verstorbene, über Junge und Alte, Arme und Reche, Gerechte und Sünder, Hilflose und Suchende ausgesprochen, wird ihr Leben mit dem Leben dieser Worte verbunden.
Fast auf geheimnisvolle Weise. Auf jeden Fall in Vertrauen und Hoffnung. Die ausgesuchten Worte der Psalmen mögen Leben in sich tragen, jedes ihre einzelnen Worte mag etwas in sich tragen, das das Leben, für die sie gesprochen sind, entschlüsselt, deutet, reicher, heiler, seliger macht. Mit jedem Wort am Taufstein, am Altar, am Grab, mit Handauflegung gesprochen, ja beschworen und gebetet, wird Gott ins Leben des Menschen gebracht, Gott und Mensch miteinander versprochen, verbunden.
„Du speist mich mit Tränenbrot.“ Damit ich weinen kann und satt werde. Damit all das, was in meiner Seele liegt, aus mir herausfließt und ich Antworte bekomme allein von dir, mein Gott. Für jede meiner Träne eine Antwort von dir, meine Freude du sprichst, meine Trauer du auch sprichst. Bei dir liegen meine Klage und mein Lob.

Schatzkiste
Mit jedem Psalm, mit jedem Psalmenwort betreten wir eine kleine Welt, betreten wir Gottes Welt, die sich mit unserer heilvoll verbinden will. Wir stellen uns hinein in eine tausendjährige Wörter-Geschichte, in der Menschen, die lange vor uns waren und die nach uns kommen werden, auch stehen. Wir gehen hinein mit unserer Seele und deren Hunger nach Leben, nach Liebe, nach Schutz, nach Freude in einen Raum von mal geheimnisvollen, anstößigen, wunderbaren, faszinierenden, offen, heilvollen Worten, die darauf geduldig warten, dass wir mit unserer Seele sie nachsprechen, neu sprechen
Jeder Psalm, jedes Psalmenwort ist wie eine kleinere oder größere Schatzkiste. Eine Schatzkiste, die ihren Glanz, ihre äußere Kostbarkeit, ihre Patina aus der Alltäglichkeit gewonnen hat, aus dem alltäglichen Schmerz von Menschen, aus ihrer Freude, aus ihren Tränen, aus ihrer Hoffnung, aus den unzähligen Geschichte, die Gott in das Leben schreibt.
Psalmen, Psalmenworte wie eine Schatzkiste, in die wir alles hineinlegen dürfen, können, ja mitunter sollen und müssen: All die Momente, die wir beklagen, beweinen, erhoffen, erwarten, die wir inständig suchen, die wir unglaublich erleiden, die Tränen, all die stammelnden Worte, abgebrochene Sätze, Bilderfetzen, Freudenlächeln, Sorgen und Küsse, unsere Seelentakte.
Psalmen, Psalmenworte wie eine Schatzkiste, aus der wir alles herausnehmen können, wie verwandelt, wie neu und anders, aus der wir behutsam schöpfen, mit der Hand, mit dem Wortelöffel, unsere Seele, herausnehmen, als sei es das, was wir immer genau jetzt für uns brauchen, zum Atmen, Denken, Sprechen, Sein - Nahrung, Lebensmittel, Grund für unsere Seele, jedes Wort entnommen ein Seelenstück von Gott.

Tränenbrot
Tränenbrot. Jeder Psalm. Jedes Psalmenwort ist eine Zuwendung Gottes, ein Stück seiner großen Liebe, die sich unserem Leben verspricht. Mal merkwürdig bitter schmeckend, wie Tränenbrot gebacken aus den tausend Tränen Gottes, die er mit uns weint. Mal merkwürdig heilsam, wie Tränenbrot, gekaut in tausend Gottes Stunden, uns satt zu machen mit seinem Leben. Amen.

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