Sonntag, 1. Januar 2012

Christuskraft

Predigt an Neujahr (1.1.2012) zur Jahreslosung 2012:
Christus spricht: „Meine Kraft ist in den Schwachen mächtig.“ 
(2. Korinther 12, 9)

Kräfte messen
Aus eigener Kraft wurde ich nicht gezeugt. Oder doch? Als ich geboren wurde, musste meine Mutter sicher mehr Kraft aufwenden als ich. Sie presste mich heraus in diese Welt. Ich schrie. Seitdem setzen Eltern alles daran, dass man zu Kräften kommt, so weit, bis man seine Kräfte mit anderen messen kann, im Armdrücken, Rechenspielen, Karriereplanung. Je mehr man Kraft bekommt, um so öfter sieht man: Die eigene Kraft reicht manchmal nicht aus - und man bewundert sie, die Kraft, Vitalität der anderen; manche Menschen sind Kraftmaschinen, als wären sie im Zaubertrank geschwommen und doch können sie sich den Kräften der Natur nicht entziehen, sie werden älter, ihre Kräfte schwinden auch. Ganz am Rande leben die, die von den meisten wesentlichen Kräften ausgeschlossen sind, von der Finanzkraft des Marktes, der Durchsetzungskraft, dem Kräftespiel, das immer die anderen nach oben befördert. Und wenn man sich selbst in den Finger schneidet, dann kann man mit Geduld sehen, wie die Wunde durch Selbstheilungskräfte langsam geschlossen wird. An der Seele funktioniert das schlechter. Viel schlechter.

Entkräftet
Eigene Schwächen, Kraftlosigkeiten zu sehen, einzusehen, zuzugeben, fällt schwer. Viel lieber kaschieren wir sie. Ein Indianer kennt keinen Schmerz und Männer weinen auch nicht. Manchmal wird man von der Kraft anderen wie eingeschüchtert, erdrückt, abhängig, ohnmächtig gemacht; und wenn wir uns selbst kräftig fühlen, kräftig in den Armen, in den Oberschenkeln, im Kopf, im Leben, dann spüren wir diese Kraft in uns, fühlen uns ungemein lebendig, vital, stark, und ahnen: Unsere Kraft ist nie nur meine; sie kommt auch irgendwie von woanders her.
Und wenn sie fehlt, diese Kraft. Wenn wir abends müde zu Bett gehen und morgens genauso müde wieder aus dem Bett aufstehen. Wenn wir schaffen, tun, ruhen, uns bemühen und fühlen uns nur noch schlapp, kraftlos. Jeder Gedanke, jeder Finger, den wir rühren, jeder Schritt, ist unendlich mühsam, schwer, beschwerlich, kostet so viel Kraft, als flösse sie aus uns heraus, als hätten wir sie wie verloren, aus welchen Gründen auch immer: wegen der anderen, die uns einfach keinen Raum zu leben geben, die uns wie verfolgen und Angst machen, wegen der Gesellschaft, die uns von Kraftreserven abschneidet, wegen Not oder Krankheit, die uns nicht loslassen, wegen uns selbst, die wir uns verausgaben, wegen … ach, wir sind zu müde zum Denken, Reden.
Entkräftet. Erschöpft. Ausgepumpt. Leer.
Bemächtigt
In denen, die entkräftet, erschöpft, ausgepumpt, leer sind, in den Schwachen ist SEINE Kraft mächtig. Christus füllt leere Menschen, mit sich. Er füllt Leere, Entkräftete, Erschöpfte. Er will in sie hinein kommen, wie ein neuer Lebensatem, wie eine leise Sinnzufuhr, wie ein Kraftzentrum, das sie beseelt. Wie in einen entleerten Körper, schlapp, dahin lebend, will er kommen, durch alle noch offenen Öffnungen, durch Augen, Mund und Herz, durch die Poren letzter Hoffnung.
Christus will in entkräfteten Menschen nah, gegenwärtig, lebendig, wirksam werden, sie anfüllen, erfüllen, die Leere vertreiben, die Kraftlosigkeit beenden, die Erschöpfung verwandeln, neuschaffen - und in und durch sie als Kraft aufleuchten und ganz spürbar und ganz deutlich als ihre, ihre eigene, aber eben als seine Kraft in ihnen da sein, sie wirklich in all ihrer Schwachheit und Erschöpfung kräftig, stark machen. Von IHM bemächtigt, von IMH erkräftigt, von IHM belebt.

Von einer Kraft zur andern
Die Kraft von Christus in mir.
Eine Kraft, die von außen, von ihm zu mir kommt, die mir, gerade wenn ich schwach bin, verheißen, versprochen, gegeben, geschenkt ist. Nicht ich habe sie gemacht, ich kann nicht über sie verfügen, ich kann nicht mit ihr prahlen, ich kann sie nicht verlieren; sie kommt zu mir, sie ist seine, sie ist mir gegeben, in mir wirksam, sicher, weil von ihm. Sie ist der Flügel, der mir wächst. Auf sie kann ich mich verlassen, mehr als sie brauche ich nicht, mehr als IHN:
Er in mir, ich ihm nahe, und ich Gott so nahe, wie Jesus Gott nahe war und ist. Seine Kraft und seine Stärke war, ist und wird sein seine Nähe zu Gott und seine Nähe zu den Menschen, seine Liebe zu Gott und zu den Menschen, seine Leidenschaft für beides, die Nähe von beiden, von mir und Gott. Diese Nähe-Kraft ist in mir wirksam.
Ich werde in Schwachheit, in Leere, durchsichtig auf ihn hin. In mir erscheint Christus. Für andere sichtbar, ablesebar, hörbar, für mich auch. Ich werde ihm ähnlicher, dem Menschen Gottes ähnlicher. Erleide Ohnmacht wie ER, erleide Entkräftung wie ER, Kreuzesmomente wie ER. Ich erlebe Machtmomente wie ER, kleine Wunder, dass Gottes große Schöpferkraft kräftig fließt und Menschen zu ihrem Heil wird, Auferstehungsmomente. Das ist seine Kraft in mir. Sie erzeugt in mir Verwundbarkeit, Geduld, Bewährung, feste Hoffnung, Demut und zarte, beharrliche Liebe.

Eine Kraft, die anders stark ist, macht; eine, die selig macht, die tröstet, die leere, entkräftete Menschen erfüllt und mithineinnimmt in eine ganz andere Kraft: Die herrliche Kraft Gottes, die unbeschreibliche Durchsetzungskraft seiner Liebe, die Himmel und Erde, Leiden und Freude, Ohnmacht und Kraft miteinander verspricht – und seine Liebe, die niemals aufhört und alle umschließt. Gott schenke euch diese Kraft von Christus für euer neues Jahr und immer. Amen.

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