Freitag, 26. Mai 2017

Herz geht über



Predigt an Exaudi (28. Mai 2017)

Johannes 7, 37-39a
37 Aber am letzten, dem höchsten Tag des Festes trat Jesus auf und rief: Wen da dürstet, der komme zu mir und trinke! 38 Wer an mich glaubt, von dessen Leib werden, wie die Schrift sagt, Ströme lebendigen Wassers fließen. 39 Das sagte er aber von dem Geist, den die empfangen sollten, die an ihn glaubten.

Mitreißend
Jesu Herz geht über. Es ist voll, randvoll, übervoll von Gott und er möchte Menschenherzen erfüllen von Gott. Am höchsten Tag des Festes, am Höhepunkt der Feierlichkeiten, am Fest-Zenit steht Jesus auf, tritt er auf, vor allen Menschen dort, vor der Menschenmenge, öffentlich. Er, der sonst einem eher ruhiger, stiller, manchmal zurückgezogener, bedachter vorkommt, tritt auf und erhebt seine Stimme, erhebt sein Herz, und ruft, schreit laut, lädt mit Worten, mit Bilder, mit Verheißung die Menschen ein:
Kommt. Glaubt. Nehmt! Trinkt!
In überströmender Weise macht Jesus ein Angebot, all denen, die ihn, es hören. Er macht das Angebot von Leben, er verheißt, verspricht es. Er macht ein Angebot, das er selbst ist. Er verspricht sich, er gibt sich ganz hin, sich, sein Leben, sein Gott. Er gibt sich ganz; er behält nichts vor, will ganz nahm, ganz beim anderen sein. Sein Herz geht über. Über zu Menschen. Zu uns.
Wir heute und jetzt: Menschen zwischen Himmelfahrt und Pfingsten. Zwischen Himmelfahrt des Herren, seinem Abschied, seiner Rückkehr zum Vater, zu seiner Quelle des Lebens, und: Pfingsten, der Gabe des Geistes, der Gabe des Trösters, der Gabe der Quelle, der Verbindung mit ihm und seinem Gott. Wir zwischen Himmelfahrt und Pfingsten. Wir warten. Warten mit unseren Herzen.

Vertrocknen
Menschen dürsten, haben Durst, haben eine trockene Kehle, wie: schon lange nichts mehr getrunken, schon sehr lange. Menschen brauchen Flüssigkeit, brauchen sie für ihren Körper, für ihren Organismus, sie brauchen sie zum Leben. Menschen wie dürres Land: Ein Land ausgetrocknet, wo Regen, Flüssigkeit ausbleiben, fehlen, mangeln;, ausgetrocknete, rissige Erde, ohne Gras, ohne Grün, ohne Frucht. Tote Erden. Durstig.
Durst nach Leben. Haben Menschen den? Wann? Haben wir Durst nach Leben? Ein großes, fast merkwürdiges Wort, Bild: Durst nach Leben. Man lebt doch sein Leben. Ist es ein Durst nach mehr, nach mehr Leben, nach intensiver, tiefer, stimmiger, heiler? Durst nach Leben meint Menschen, sehnsuchtsvolle, bedürftige Menschen, Mensch, für den etwas immer aussteht, der braucht, den es hungert und dürstet nach dem, was er eigentlich hat, was er eigentlich ist, und doch nicht ist. Durst, Sehnsucht nach satt, nach erfüllt, nach nicht mehr dürsten.
Es gibt durstige Menschen, die ohne Quelle bleiben, etwas und jemand, der Lebensdurst sieht und stillt. Menschen, die verdursten, die vertrocknen, die austrocknen, ausgetrocknet sind vom Leben, ausgetrocknet ohne Zuwendung und Zeit, ausgetrocknet ohne Liebe und Bedacht, ausgetrocknet, ausgelaugt, leer vom Leben selbst gemacht, von einem Leben, das einem entgegenschlägt, das einem nimmt, das Wunden schlägt, das verzweifeln, das verdursten und aufgeben lässt.
Und Jesus ruft: Komm! Glaub! Nimm! Trink! Mühseliger, Beladene.

strömen
Ein Leib, aus dem Ströme lebendigen Wasser fließen. Was fließt nicht alles aus Menschenleibern, Flüssigkeit, Schweiß, Blut, Worte, Flüche, Hoffnungsschreie, plötzlich, eruptiv, bricht es aus Menschenleibern, aus Menschenleben heraus, strömt es heraus, fließt es. Aus Menschen strömt immer irgendwas, aus ihrem Angesicht, aus ihrem Leib, aus ihrem Dasein, wie sie sind; aus ihnen strömt immer etwas und immer hinterlassen sie etwas von sich bei denen anderen, strömt aus ihnen Freude und stecken andere damit an, strömt aus ihnen Gleichgültigkeit und man weiß nicht so genau, was damit zu tun; strömt aus ihnen Wut und Hass und man fürchtet und meidet.
Ein Leib, aus dem Ströme lebendigen Wasser fließen. Ein Leib, in dem Jesus volles Gottesherz strömt, in dem Gottes Liebe übergeht, hineinfließt, Raum gewinnt und ist und bleibt und ruht und lebt. Ein Leib, in dessen Seele Gott einkehrt, der Geist einwohnt, Jesu Wort, Gleichnisse, Taten, Bilder wohnen. Ein Leib, aus dessen Innersten, aus dessen Mitte, aus dessen Einwohnung, aus dessen Höhle für Gott, selbst das herausströmt, was von Gott hineingeströmt ist, hinein- und herausströmt ohne weniger zu werden, ein mit dem Beginn Gottes niemals endendes Fließen, Fließen Gottes. Ein Leib, dem eine geschenkt ist, aus der Mensch unerschöpflich schöpfen, eine Quelle, zu der die Menschen selbst werden und aus der andere unerschöpflich schöpfen.
Ein Leben, das gottgleich fließt, lebendiges Wasser. Wasser des Lebens. Leben, das uns von Gott gegeben wird, Leben in, mit und für ihn, Leben nie ohne Schmerz, Trauer, Abschied und Warten, aber ein Leben erfüllt, gehalten, getröstet, wunderbar geborgen. Ein Leben, das seinen wunderbaren Jesus gleichen Glanz auf uns legt, das wir tragen und selbst ausstrahlen, in das wir hineingenommen sind, mit all den anderen Heiligen, in das wir hineinnehmen aus Liebe, das wir haben und geben, ein Leben wie Taufwasser: Zart über uns gegossen, wir hinein getaucht, aller Durst ist gestillt, aller Seelen-Vertrocknung gewehrt, Quelle des Lebens. Jesus ruft. Herz geh´ über:
Nimm! Glaub! Trink! Amen.

Freitag, 19. Mai 2017

Schließ die Augen




Predigt am Sonntag Rogate (21. Mai 2017)

Lukas 11, 5-13
Und Jesus sprach zu ihnen: Wer unter euch hat einen Freund und ginge zu ihm um Mitternacht und spräche zu ihm: Lieber Freund, leih mir drei Brote; denn mein Freund ist zu mir gekommen auf der Reise, und ich habe nichts, was ich ihm vorsetzen kann,  und der drinnen würde antworten und sprechen: Mach mir keine Unruhe! Die Tür ist schon zugeschlossen und meine Kinder und ich liegen schon zu Bett; ich kann nicht aufstehen und dir etwas geben.  Ich sage euch: Und wenn er schon nicht aufsteht und ihm etwas gibt, weil er sein Freund ist, so wird er doch wegen seines unverschämten Drängens aufstehen und ihm geben, so viel er bedarf.
Und ich sage euch auch: Bittet, so wird euch gegeben; suchet, so werdet ihr finden; klopfet an, so wird euch aufgetan. Denn wer da bittet, der empfängt; und wer da sucht, der findet; und wer da anklopft, dem wird aufgetan.  Wo bittet unter euch ein Sohn den Vater um einen Fisch, und der gibt ihm statt des Fisches eine Schlange? Oder gibt ihm, wenn er um ein Ei bittet, einen Skorpion?
Wenn nun ihr, die ihr böse seid, euren Kindern gute Gaben zu geben wisst, wie viel mehr wird der Vater im Himmel den Heiligen Geist geben denen, die ihn bitten!

Stimmen
Herr, lehre uns beten. Das wünschen sich die Jünger, und vielleicht auch wir. Das versuchen wir und die Jünger, können wir und können wir manchmal doch nicht. Lehre uns beten, und Jesus gibt den Jüngern und uns das Vaterunser, Worte, mit denen wir zu Gott sprechen, Worte, die das Leben in sich tragen, die sich vor Gott stellen, vor seine Herrlichkeit und Ewigkeit, Worte, die ihn um Leben bitten, um tägliches Brot und Sündenvergebung. Lehre uns beten, Herr, und wir bitten, immer auch mit den Jüngern, beten wir: Herr, gib uns auch die Kraft dazu, die Hoffnung, den Mut, die Zuversicht.
Lehre uns beten, und ich höre die Stimmen der vielen, die versuchen zu beten und zu bitten, die tasten, verwundet flehen, jammern. Lehre uns beten, und ich höre die vielen Stimmen, denen die Worte nicht leicht über die Lippen kommen, aus ihrem dunklen herzen, Stimmen, die klagen und verzweifeln, denen genommen wurde, die die nur sehr wenig haben und kaum etwas bekommen, die seufzen unter der Last des Lebens, die ihre Hände auftun und sie bleiben leer, die sich etwas so sehr wünschen und es bleibt unerfüllt, die leere Bäuche haben und Brot suchen, die ihre ängstlichen Herzen öffnen und nichts geschieht.
Lehre uns beten, Herr, und ich höre irgendwie auch unsere, meine Stimme in diesen Stimmen.

gesprochen
Am Ende, am Anfang, immer wieder dazwischen wird die Bitte um den Heiligen Geist erfüllt. Erfüllt von Gott, mitten im Beten, schenkt Gott ihn, kommt Gott und ist der Heilige Geist da und erfüllt uns, mitten im Sprechen, im Suchen, im Tasten werden Gebete, ihre Worte, ihre Sehnsucht, ihr Wollen und Wünschen gehört, fallen sie in Gottes Herz, gewährt Gott unseren stammelnden, zweifelnden, geschundenen Worte Raum bei ihm und uns wird gegeben - von ihn, wir werden gefunden - von ihm, wir werden sachte geöffnet - von ihm, zu ihm, für ihn.
Gott ist nahe im Beten, er ist ansprechbar, bemerkbar, spürbar als Freund, als Vater, als Vertrauter, als Nächster. Im Gebet können wir uns in die Intimität Gottes hinein bergen, will er uns ganz nah kommen, und sich selbst, sein Leben, seine Kraft, seine Hoffnung uns geben, uns schenken: Uns wird dann aufgetan, uns wird gegeben, wir werden gefunden, mitten im Beten, Berühren, Suchen. Wir bekommen Brot des Lebens, Fisch und Ei, etwas zu essen, etwas zu nehmen, etwas zu vernehmen, etwas zum Leben für unsere suchende Seele.
Gottes gute Gaben, die jedes Gebet erfüllen, gibt Gott gerne, selbstverständlich, natürlich. Jener Gott, der das Leben ist, der das Leben schenkt, der Leben sucht, gewährt, schützt und segnet, der Leben erhält und liebt, der sich hingibt und auferweckt, der tröstet und aufrechterhält, der finden und sucht, der bittet und gibt, der anklopft und auftut.

Zumutung
Manchmal sind Gebete wie eine Zumutung, eine Zumutung für Gott und für Menschen. Sie rennen an, beten an, in eigener Not, in eigener Bedürftigkeit, im eigenen Wenig-und Nichtshaben mit der Bitte, etwas zu bekommen, das Notdürftigste, etwas geliehen zu bekommen, gestundet zu bekommen vom Großen Leben.
Manchmal sind Gebete widerspenstig, eine harte Schule, trockenes Schwarzbrot, mehr ungute Stille, denn Worte, mehr Hadern und Ringen als passend gesprochene Sätze. Es sind Gebete, die mühsam hinausgehen aus dem eigenen Herz und Mund, die sich unsicher aufmachen, zu später Stunde, zu Unzeiten, die wissen, dass sie stören könnten, in Unruhe bringen könnte, müssten, die beides sind: ein Gemisch aus Respekt und Schmerz, tiefe Angst und letzten Mut.
Manchmal beten Gebete an, an gegen die eigene Zaghaftigkeit, gegen die eigenen schlechte Erfahrung, gegen die eigenen gefährlichen Gedanken, Gott würde nicht hören, Gott hätte sich jenseits von mir eingerichtet, er wäre drinnen und wir stünden draußen und er würde verschlossen sein für meine Worte, mein Anliegen, mein Bitten; gefährliche Gedanken, er könnte mich betrügen, Skorpion statt Ei, Schlange statt Fisch mir geben, Tod statt Leben, Gleichgültigkeit statt Liebe.
Manchmal wirken Gebete schamlos, dreist, rücksichtlos; sie muten sich Gott zu, sie muten Gott uns zu. Sie drängen Gott und Gott lässt sich drängen, denn für Gott ist es kein Drängen, es ist für ihn ein Anbeten, ein Anbeten um seine Gabe; es ist für ihn mit uns eine Lernschule des Betens, ein „Lehre, Herr, uns beten“, das durch das Seufzen zur Zuversicht kommt, in dessen Seufzen schon längst der Geist uns vertritt, unser Bitten erhört, uns Beten hoffnungsvoll lehrt. Herr, lehre uns beten. Amen.

Samstag, 6. Mai 2017

Auf Wiedersehen



Predigt an Jubilate (7. Mai 2017)

Johannes 16, 16-17.19.20-23
Noch eine kleine Weile, dann werdet ihr mich nicht mehr sehen; und abermals eine kleine Weile, dann werdet ihr mich sehen. Da sprachen einige seiner Jünger untereinander: Was bedeutet das, was er zu uns sagt: Noch eine kleine Weile, dann werdet ihr mich nicht sehen; und abermals eine kleine Weile, dann werdet ihr mich sehen. … Da merkte Jesus, dass sie ihn fragen wollten, und sprach zu ihnen: … Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Ihr werdet weinen und klagen, aber die Welt wird sich freuen; ihr werdet traurig sein, doch eure Traurigkeit soll zur Freude werden. Eine Frau, wenn sie gebiert, so hat sie Schmerzen, denn ihre Stunde ist gekommen. Wenn sie aber das Kind geboren hat, denkt sie nicht mehr an die Angst um der Freude willen, dass ein Mensch zur Welt gekommen ist. Auch ihr habt nun Traurigkeit; aber ich will euch wiedersehen, und euer Herz soll sich freuen, und eure Freude soll niemand von euch nehmen. Und an jenem Tage werdet ihr mich nichts fragen.

Noch zweimal
Noch zweimal schlafen, zweimal zu Bett gehen, die Augen zu machen und aufstehen. Nur noch zweimal schlafen, angesichts der vielen Nächte, die du sonst schläfst, die du schon geschlafen hast, die du noch schlafen wirst. Nur zwei kleine Zeitabschnitte. Mehr nicht. Eine kleine Weile und dann noch eine kleine Weile. Zwei kleinen Weilen, absehbar, klar bemessen, klar beschränkt, unmittelbar aufeinanderfolgend. Angesichts all unserer Zeiten, Augenblicke, Momente, Stunden, Tage, Lebensjahre. Mehr nicht: Zwei kleine vergehende Zeiten, bald, schnell vergehend, zwei kleine Vergänglichkeiten – und dann werden wir sehen. Bald. Dann endlich. Dann Großes.
Jesus sehen. Nicht leibhaftig, wie die Jünger lange vor und kurz nach Ostern. Nicht leibhaftig, wie wenn er erscheint, um alles neu zu machen. Jesus sehen: Jesus lesen in der Heiligen Schrift, Worte über ihn, Worte von ihm, ihn zwischen und in den Worten. Jesus sehen: ihn hören, wenn andere von ihm sprechen, wenn andere von ihm predigen, wenn andere und wir selbst seine Worte sagen, weitergeben wie täglich Brot, wenn wir seine Taten tun, Menschen seinen Gott näher bringen. Jesus sehen: ihn überliefert bekommen, als Wort in den Worten, als Sinn zwischen den Zeilen, als Lebensinhalt quer zu allen Zeiten, als zugesprochenes, heilsames, richtend rettendes, nah fernes Liebes-Wort. Jesus sehen.
Noch zweimal schlafen, zweimal nur. Noch zwei kleine Weilen, nur noch kurz. Dann sehen. Immer auch dann. Inmitten, dass wir Jesus nicht sehen, ihn aus den Augen verlieren, unser Blick getrübt wird, durch eigenes und fremdes Fragen, dass wir ihn ferner als nah, unverständlicher als verstanden, fremder als vertraut sehen. Inmitten, dass wir Jesus nicht sehen: Nur eine Weile und dann noch eine.

Österlich sehen
Und dann: Österlich sehen. Immer dann österlich sehen. Genau so wie die Jüngerinnen am leeren Grab, die von der neuen Wirklichkeit angesprochen werden, die von ihr beseelt, geschickt, gesandt, auf einen neuen Lebensweg gesetzt werden; denen die Angst genommen wird, die auf das leere Grab verwiesen werden, wie wunderbar leer es ist, die gehen, die Jesus zu sehen bekommen, denen Jesus sich zeigt, die ihn umfassen, spüren, ihn in der Mitte wissen, die neu, ganz neu sehen.
Österlich sehen: Von Jesus selbst entdeckt in je unserer Zeit, von Jesus selbst mit seinen göttlichen Augen gesehen. Österlich sehen: Selbst sehen, sich selbst sehen als von Jesus angesehener Mensch, als von Gott gemachtes, gewolltes Geschöpf, als sein Ebenbild, als Bild des Gekreuzigten und Auferstandenen, als von Gott geliebter Mensch. Sich selbst im Blick Jesu ganz neu wiedersehen, die Welt im anderen, neuen Licht sehen.
Eine österliche Verwandlung im Augenblick. Der Blick, das Licht, der Horizont Gottes kommt in unsere Wirklichkeit, in unser Leben. Wir verwandeln uns, Gottes Wirklichkeit verändert, wie wir sehen, wie wir wahrnehmen, wie wir denken, wie wir einordnen, bewerten, was wir erleben, erleiden. Aus Traurigkeit erwächst Freude, im Schmerz wird die Neugeburt, in Angst keimt Hoffnung, im Weinen trocknet Gott die Tränen.

Alles beantwortet
Und: Die Jünger fragen nicht mehr. Jene Jünger, deren wiederholtes Fragen wir in uns tragen, fragen nichts mehr. Alles Fragen hat in jenem Augenblick, in jenem Augenblick, wo Menschen Jesus sehen, in sein Bild einer neuen Welt, einer siegenden Liebe, hinein genommen werden, selbst dieses Bild sehen, daraus leben beginnen, alles Fragen hat sein Ende. Alles Fragen hat ein Ende, all dieses Suchen, all diese ungewisse Offenheit, in der wir hinein fragen. All unsere drängenden, sorgenden, quälenden, ängstlichen Fragen im Kopf, in der Seele, im Herzen haben ein Ende. Für einen Augenblick. Für einen wunderbaren Moment.
Alles ist beantwortet. Alle fehlende Antwort wird gegeben, ist gegeben, Antwort auf Wohin und Woher, Antwort auf Warum und Wozu von uns, wird gegeben, ist da. Wir sind wie angekommen, endlich. Wir sind wie beantwortet und wir selbst sind Antwort, Antwort auf Gottes ewiger Frage nach uns. Was für ein menschlich göttlicher Augenblick muss das sein: keine Fragen mehr, alles drängende Lebenswichtige beantwortet.
Ein stiller, ein ruhiger, Atem anhaltender, Atem holender Augenblick, voller Gewissheit, Ewigkeit in der Zeit. Angekommen ….endlich. Nur zwei kleinen Weilen. Zweimal schlafen. Bald. Immer wieder bald, immer wieder gleich. Immer wieder da. Grund ewiger Freude. Sie kann uns keiner nehmen, Gottes Gabe ist sie, sein Lebensgeschenk. Sie lässt immer wieder alles andere in den Hintergrund treten, vergessen, das Nichtsehen, die Angst, den Schmerz, das Vorösterliche im Leben. Es ist eine tief in uns geborenen, liegenden Freude, Freude über unser Dasein in Gott. Amen.

Wir sind heilige Schrift



Predigt zur Jubelkonfirmation 2017
an Quasimodogeniti (23. April 2017)

Festschreiben
Flüchtig irgendwo eine Notiz machen. Auf einen Zettel. Mit einem Stift. Ein kleiner Gedanke, eine Adresse oder eine Telefonnummer, schnell aufgeschrieben.
Schreiben. Schreiben lernen wir in der Schule. Buchstabe für Buchstabe. Erst unförmig, holprig, dann immer flüssiger, irgendwann schreiben wir selbstverständlich und haben unsere Schrift, unsere Handschrift gefunden, typisch und fast unverwechselbar. Im Alter wird unsere Handschrift dann wieder krakeliger, wackeliger, als ob die Buchstaben umfallen würden; ab einem bestimmten Zeitpunkt geht selbst schreiben dann nicht mehr, nur noch zittrig und blas die Unterschrift, wenn überhaupt.
Dazwischen, zwischen Anfang und Ende schreiben wir, nieder oder ab; nach und nebenbei, auf Zettel, Blätter, Briefpapier; am PC, mit Mails und SMS. Es gibt ganz Bedeutsames, was Menschen schreiben, Rechnungen, Hasstiraden, Schwüre und Liebesbriefe, und was sie geschrieben bekommen.
Und es gibt Tintenkiller, Radierer und die Delete-Taste am PC; man kann Geschriebenes rückgängig machen, wegkillern, wegradiere, löschen, als sei nichts gewesen, nur ein blasser Abdruck auf dem Papier.
Das geht im Leben nicht, da gibt es keinen Radierer und keinen Tintenkiller. Wir schreiben unser Leben. Wir sind alles mehr oder weniger Autoren unseres eigenen Lebens und auch das der anderen. Und manchmal neben den wunderschönen Zeilen verschreiben wir uns, gehörig - und immer schreiben auch andere unser Leben, weiter, mit und manchmal auch ab.
Wir schreiben. Und genau besehen, nicht immer, atmen die Buchstaben, die wir zu Worten, zu Sätzen, zu Briefbögen, Mails und kleinen großen Geschichten zusammensetzen, atmen sie uns, sind sie wir; wie wir uns ausdrücken und uns Sprache geben, wie wir uns einrichten und unsere Welt bewohnen, wie wir leben, uns verbergen, preisgeben, verhalten, zu uns, zu anderen:

Geschriebenes ist fixiert, ist da, präsent, es ist mir als Schrift immer gegenüber auf dem Blatt. Gesagtes, Gesprochenes verhallt im Raum. Geschriebenes bleibt, wird gesehen, wird gelesen, gräbt sich ein, ist wie eingeritzt. Jedes Wort wie ein kleines Zeichen von mir. Wie mein Name, mit deM mich die Menschen nennen. Als Israel aus der Knechtschaft floh, von Gott befreit wurde, schrieb jeder von ihnen an seinen Türpfosten ein blutiges Zeichen, damit Gott erkenne, wen er zu schützen hat und herausführt. In der Konfirmation wurde früher viel aufgeschrieben, diktiert vom Pfarrer, heute werden massenweise Kopien ausgeteilt. Gleich blieb, dass junge Menschen wie ihr und wie heute selbst mit ihrer Zeit und ihrem Leben unterschreiben, was andere bei der Taufe versprachen.

Einschreiben Gottes
Gott schreibt. Auf steinerne Tafeln seine Gebote. Er diktiert Propheten Worte und er führt Buch. Die Sünde ist mit eisernem Griffel geschrieben und Jesus schrieb auf den Erdboden und unterbrach heilvoll den unheilvollen Zusammenhang von Schuld und Strafe. Man sagt, Gott schreibe auf uns krummen Linien gerade.
Gottes Bibel nennen wir Heilige Schrift und manche können in der Natur und in sich selbst ihn lesen. Gott schreibt seinen neuen Bund in unsere Sinne und in unser Herzen und füllt so mit uns das Buch des Lebens Blatt für Blatt. Alle Tage, auch die noch nicht sind und noch sein werden, hat er dorthin geschrieben und unsere Namen leuchten vom ihm geschrieben hell und gut leserlich am Himmel.
Gott schreibt unser Leben. Er ist zumindest Co-Autor, eigentlich Schriftleiter, ja Poet unseres Lebens. Er schreibt uns nicht nur in das Buch seines Lebens. Er schreibt unser Leben selbst und fügt alles zusammen über den Tod hinaus. Wir sind wie unbeschriebene Blätter, in Gottes Hand. Er füllt diese Blätter mit seinem Worten, Verheißungen, Versprechen und Sinn. Er schreibt uns auf´ s Herz Sorge und Freunde, ins Gesicht manche Falte, geboren aus Lachen und Weinen. Er schreibt unter Widerstand und Ergebung, in Würde und Elend, mit unserem Danken und Klagen, mit unserem Wundern und Zagen.

Gott, der Heilige, schreibt uns, und wir werden darüber heilig, sind selbst seine Heilige Schrift. Und mit der Konfirmation, die er mit uns Menschen Jahr ein und Jahr aus feiert, im Wandeln der Zeiten, in der Ewigkeit seiner Liebe, schreibt er sich ein, ein für allemal ein - als der, der uns Gegenüber ist als uns zart prägende Kraft.

Erlesene Menschen
Wir sind Geschriebene Gottes. Wir sind Wort Gottes. Manchmal recht flüchtig, unleserlich, zu entziffern, aber dennoch. Wir sind eben nicht nur dahin gesagt, dahin gemeint oder nur gut gedacht. Wir sind mehr, vielmehr. Ein ganzer Brief Christi, Geschriebenes, von Gottes Liebe ausgedrücktes Wort für Wort.
Wir sind Wort, geschrieben mit der Tinte des Heiligen Geistes, zu lesen von anderen, von Gott aus zu lesen. Ich bin Wort Gottes anderen Gegenüber, für und manchmal auch gegen andere. Ich bin AntWORT auf das Leben des Anderen, und im Spiegel meines Lebens auch immer mir selbst.

Und andere sind mir Wort, in die Zeit geschriebene Worte, auf Länger oder Kürzer, so wie all diese Mitkonfirmanden an anderen Orten damals und heute. Ich lese in anderen Gott. Gott in anderen lesen ist sie anschauen, genau, sie suchen, neugierig in ihnen blättern; ist an manchen schönen, anrührenden Stellen fast andächtig im Lesen von ihnen stehen bleiben, sich festlesen, verschlingen, alles im lesenden Herz von ihnen bewahren. Lesen ist Lieben.

Geliebte, erlesene Menschen, sind wir. Von Gott auf jeden Fall erlesen, Tag für Tag, Lebensseite für Lebensseite solange wir leben. Gott liest uns, und wir sind von ihm erlesen, wertvoll, das macht seiner Liebe Leserblick. Notiz. Randnotiz. Das sind wir nicht. Nie nur flüchtig dahin geschöpft. Sondern: Absichtsvoll, liebestoll, gehalten, getröstet, beantwortet, erlesen, getauft, konfirmiert, gesegnet. Amen.