Freitag, 24. Januar 2014

Bindestrich



Predigt zur Eröffnung der Bibelwoche 2014 in St. Michael (26.1.14)

Und
Zwischen dem Geburtsdatum und dem Sterbedatum ist ein Strich. Dieser kleine Strich zwischen den Anfangs- und den Enddaten unseres Lebens ist unser Leben selbst. Es ist das, was zwischen Geburt und Tod liegt, lebt, geschieht, ist. Es ist das, was beides, Anfang und Ende verbindet, eigentlich auf stumme ja fast geheimnisvolle Weise. Es ist wie ein großes UND. Geboren und gestorben.  Es steht für die vielen UNDS in unserem Leben, die sich wie aneinanderreihen, wie verbinden zu einem, zu unserem Leben. Und manche UNDS sind eher ein ODER, weil sie etwas verbinden, was kaum miteinander verbunden werden kann, was auseinanderstrebt oder kaum auszuhalten ist. Und manches UND ist wunderschön, ich UND Du.
In der Bibelwoche, die morgen beginnt, gehen wir eine Woche lang mit Josef aus dem „alten Testament“ sein Leben entlang. An vier Abenden folgen wir ihm in sieben Textabschnitten aus seiner biblischen Geschichte des ersten Mosebuchs. Und in jeder Überschrift zu diesen sieben Textabschnitten ist von einem UND die Rede: Geliebt und gehasst, geschätzt und bloßgestellt, gefragt und beauftragt, gefürchtet und mächtig, erkannt und gnädig, versöhnt und versorgt. Die ersten drei UND-Paare sind gegensätzlich und zerreißen Josef, stürzen ihn in Unglück: Statt geliebt, geschätzt, gefragt wird er gehasst, bloßgestellt und vergessen; das vierte UND-Paar bedeutet die Lebenswende: Josef wird befördert und beauftragt. Und dann erfährt sein Leben eine zunehmende Vollendung, die UNDS werde immer verbindender bis endlich Josef in seinem Leben die tragischen UND überwunden hat und alles gut wird: gefürchtet und mächtig, erkannt und gnädig, versöhnt und versorgt.

So letztendlich geradlinig verläuft das Leben von Josef, eine Erfolgsgeschichte auf Umwegen, mit glorreichen Ende und Ziel. Der kleine Strich zwischen Anfang und Ende, zwischen Geburt und Tod ist letztlich wie ein Strich mit Pfeil nach vorne. Wie schön.

Oder im Kreis
Verläuft so Leben zwischen Anfang und Ende? Manchmal habe ich das Gefühl, alles ist drin, alles ist fast zu gleicher Zeit drin. Wie als würden die 7 mal 2 Wörter, die sich bei Josef so geradlinig auf eine Linie verteilen, als würden diese 14 Wörter wie in einem Kreis liegen, sein, und dieser Kreis wäre unser Leben und all diese Wörter würde unser Leben mal da und mal hier seine Gestalt geben, es prägen: mal gehasst, mal versorgt, mal bloßgestellt, mal gefragt, mal erkannt, mal beauftragt, mal gefürchtet, mal geliebt.
Und wo genau die UNDS zwischen den Worten sind, wie sie verbunden sind, ist manchmal undurchsichtig oder lose, oder es geht wirr hin und her, und irgendwie wird ein Faden durch diese Worte gesponnen, ein Faden, der unser Leben heißt, der auch reißt und an Punkten quälend ewig verweilt, bevor einer ihn weiterspinnt.
Von all den 14 Worten sind 12 passiv: ich werde geliebt, ich werde gehasst, ich werde geschätzt, ich werde bloßgestellt, ich werde gefragt, ich werde vergessen, ich werde befördert, ich werde beauftragt, ich werde gefürchtet, ich werde erkannt, ich werde versöhnt, ich werde versorgt; ich werde gelebt. Ich werde gelebt heißt das. Und es trifft unsere eigene Erfahrung im Kreis dieser Worte, alle unserer Wort, im Kreis der Fragen nach unserem Leben: Wie oft erleben wir unser Leben als eines, das gelebt wird, gelebt wird von anderen, von Bedeutsameren, von der Hektik, von vorgemachten Erfolgen, von Ansprüchen, von scheinbaren Notwendigkeiten, von guten Absichten und von Idealen. Nur zwei kleine Worte im ganzen Kreis sind nicht passiv, sondern ganz aktiv: mächtig und gnädig. Ich bin mächtig. Ich bin gnädig. Diese Beiden heben sich deutlich heraus.

Kristallisieren
Josef hat sich als beides erfahren. Er war mächtig und er war gnädig. Er war das eine für das andere. Für ihn ist zwischen Macht und Gnade kein UND oder ein ODER. Für ihn dient die Macht der Gnade, eigentlich kaum in Worte auszudrücken, bestenfalls durch einen Doppelpunkt. MACHT: GNADE. Josef hat seine gewonnene Macht für die Gnade an seinen Brüdern, letztlich an seinem Volk eingesetzt. Er konnte dank seiner Macht gnädig sein. Und so machte er das Motto der Bibelwoche wahr: „ … damit wir leben und nicht sterben.“
Josef hatte aber erlebt, dass seine Macht und seine Gnade nicht von ihm selbst kommen, sondern ihm letztlich von Gott gewährt, geschenkt wurden. Er erlebte und wusste: Macht und Gnade, beide wurzeln in Gott. Gott ist allmächtig und Gott ist gnädig. Aber auch mit Doppelpunkt dazwischen. Gott setzt seine Macht für seine Gnade ein. Er will und kann gnädig sein. Und so macht Gott das Motto der Bibelwoche von sich aus immer und für uns wahr: „… damit wir leben und nicht sterben“.
Mächtig und gnädig sind die im Meer der 14 und noch mehr Worte im Lebenskreis die sich wie herauskristallisieren, aktiv, aber im Grunde die aller passivsten: Nicht wir, Gott allein macht Menschen mächtig und er macht Menschen gnädig. Er bevollmächtigt uns und er begnadet uns. Wir empfangen. So sind wir mächtig und so sind wir gnädig, und leben das Motto der Bibelwoche. Wir können von Gott aus zu anderen, zu uns selbst mächtig und gnädig sein, nicht UND auch nicht ODER oder, sondern mit Doppelpunkt: Das eine um das anderen willen, mächtig um gnädig zu sein, um der Menschen willen, gegen Todesworte von Lebensworten sprechen und so für uns und andere wahr machen „ .. damit wir leben und nicht sterben.“ Amen.

Kaleidoskop



Predigt zum Mitarbeiter-Dankgottesdienst mit Einführung der neuen Ortsältesten (25.1.2014)

Unsere kleine Welt
Manchmal erscheint die Welt grau, dunkel, ungeordnet, wirr, aussichtslos. Für diese Manchmal haben Menschen Kaleidoskope erfunden. Um manchmal dem Grau, dem Wirren für einen Augenblick etwas entgegenzusetzen. Ein Bick mit einem Auge durch das kleine Guckloch hinein ins Kaleidoskop, in die Spiegelwelt fasziniert uns wie kleine Kinder, und für Augenblicke erscheint uns alles wie in einem Muster, wie wohl geordnet, symmetrisch, und ein kleiner Dreh, ein sachtes Schütteln nur entwirft neue Bilder vor unseren Augen, spiegelt sich und die Welt als etwas Buntes, Schönes, an dem wir uns, schauen wir näher, kaum satt sehen können und vergessen für kurze Zeit was Drumherum, beginnen vielleicht nur ganz kurz zu träumen. Dabei ist es nur eine Röhre, mit Spiegeln drin, vorne ein Loch zum Reingucken und am anderen Ende ein Füllbehälter mit kleinen meist bunten Gegenständen.

Zusammengesetzt
Faszinierend ist, wie sich diese kleinen Gegenstände immer neu zusammensetzen, immer wieder zu einem Ganzen werden, vor unseren Augen. Wie sich unser eigenes Leben zusammensetzt aus Einzelteilen, aus Tagen und deren Jahre aus Menschen und deren Begegnung, aus Erfahrung, Erlebten, Wunden, Lügen, Hoffnung, Bitterkeit und Freude. Wir, unser Leben zusammengesetzt, gewürfelt zu einem ganzen. Wie oft wird an uns gedreht und etwas neues aus unseren Lebenseinzelteilen beginnt zu entstehen, wie oft werden wir geschüttelt von unsichtbarer Hand und müssen uns gebrochen verwirrt neusortieren, wiederfinden.


Wie unsere Gemeinde sich aus all ihren Einzelteilen zusammensetzt, aus Ideen, Worten, Musiknoten, Sitzungen, Aktivitäten, Klagen, aus Kommen und Gehen, aus Ortsältesten, aus euch Mitarbeiter. Wie immer wieder neu zusammengesetzt an evangelischen Ort, seit Jahrhunderten das gleiche ernste Spiel. Wie kleine lebendige Gegenstände: wir alle im Füllbehälter des Lebenskaleidoskops, manchmal auch geschüttelt, durch Kriege, Schicksalsschläge, durch kommende und gehende Pfarrherren, durch uns selbst, wie wir zusammen Mitarbeiter sind. Dass Ihr das seid, bereit seid, an eurem Ort, mit dem, was ihr seid, tut und was ihr könnt, euch zusammenzusetzen als Gemeinde Jesu Christi, dafür bin ich jedes Jahr erneut tief dankbar.
Heute auch besonders für die Ortsältesten, die aufhören, und die Ortsältesten, die neu oder wieder anfangen.



Staunen
Ihr seid nie nur die, die im Füllbehälter des Kaleidoskops unter all den anderen Mitarbeitern zu sehen sind. Nein: Ihr schaut immer auch durch das Kaleidoskop hindurch auf Gemeinde und alle an. Manchmal versucht ihr zu Drehen und manchmal auch zu schütteln, denn die Frage, wie alle sich zusammensetzen, zusammenpassen, wie jeder seinen Platz findet, ist eure Frage. Und vielleicht ist es eure Aufgabe auch, aus Asymmetrien, die Gemeinde immer hat, sachte und behutsam manche Symmetrie, Frieden werden zu lassen.
Doch zuerst und immer wieder staunt, seid fasziniert. Im Blick auf die Gemeinde und Ihre Menschen. Es sind alle da. In der Mitte, am Rand, zusammen ergeben sie das Abbild Gemeinde. Vielleicht gar nicht drehen, sondern nur durchblicken, schauen und fasziniert sein von jedem, der da ist und in seiner Färbung erscheint, von allen, die im sanften Schwung der Gottesgeschichte immer wieder zusammengesetzt werden, von der manchmal rätselhaften Schönheit der Gemeinde.
Vielleicht ergibt sich dann alles aus diesem ersten und immer wieder gesuchten Staunen, so wie Gott bei allem, bei seiner Schöpfung auch mit dem Staunen begann und im Ruhen endete.

Licht-Einfall
Wie erscheint im Blick durch die Zeiten, durch das kleine Kaleidoskop, das das Leben ist, Gemeinde. Wie erscheint mir mein Leben? Wenn ich auf es blicke? Ohne das Licht, den Einfall des Lichts vom jenseits des Füllbehälters hinein in die Spiegelbrechungen, hinein in mein Auge geht es nicht. Gott ist das Licht und so erscheint mir mein Leben im Blick durch Kaleidoskop bunter, farbiger, geordneter, ja meine Einzelteile erscheinen überhaupt und durch sie hindurch, durch jedes und in allen, das Licht. Mögen wir Gott darin sehen, wie er uns, unser brüchiges Leben durchscheinen und in seinem Licht halten mag.
Ja, „wir sehen jetzt durch eine Spiegel ein dunkles Bild“, ein rätselhaftes. Stückweise, bruchstückhaft, nur in Teilblicken, mit Fragen und Schmerzen merkwürdig durchmengt sehen wir unser Leben, gespiegelt im Licht einer versprochenen Ewigkeit und Erfüllung. Bis alles erscheint bleibt und haben wir Liebe, haben wir Liebe, Hoffnung und Glaube. Mit ihnen blicken wir und erkennen im Blick auf uns, auf die anderen, auf unsere Gemeinde, auf die Mitarbeitenden rechts und links von euch, im Blick auf die Ortsältesten, die gehen und die bleiben, schon etwas von der Schönheit, mit der Gott alles, auch uns, geschaffen hat, können wir liebend auf alles blicken und spüren schon etwas von der tiefen Wahrheit, die uns allen gilt.

Dran gedreht
Gott blickt mit einem Kaleidoskop auf seine Welt. Klar, riesengroß muss es sein und für uns unsichtbar. Ein Art Fernrohr für den nahen Gott. Er blickt da durch auf seine Welt, die große und die kleine, auf seine Melanchthongemeinde, auf uns, auf die Ortsältesten besonders.
Er ist so beharrlich, so unbeirrbar in seinem Blick wie nur Gott es sein kann. Sein Auge kennt keine Müdigkeit und weint manche Träne wohl mit. Er blickt schon immer in Liebe, in Hoffnung, in Glauben an seine Menschen, sein Blick schaut uns an als die, die wir sind, es ist schon immer ein Blick von Angesicht zu Angesicht, einer der tief erkennt. Er weiß genau, wer ihr seid, wer ich bin und du. Er schaut sich uns schön. Er hört selbst nicht auf zu staunen, fasziniert zu sein, eben zu lieben wie am ersten Tag und immer.
Er dreht ein bisschen am Weltenkaleidoskop, zart schüttelt er es, ganz und uns, mich, damit alles und alle, jedes und jeder, jeder Moment seinen Platz findet, zurecht kommt, sich so zusammensetzt, wie von ihm in Liebe uns zugedacht. „Frag mich nicht nach meinen Sehnsuchtswegen bin in deinem Mosaik ein Stein. Wirst mich an die rechte Stelle legen.“ Amen.

Sonntag, 19. Januar 2014

Brot und Rosen

Predigt zur Einführung der Ältesten in der Pfarrgemeinde Südwest
(zusammen mit Angelika Büchelin (Rose))

 Rose und Labyrinth


Brot ist mehr
Brot in der Hand und es ist mehr zu sehen, zu spüren. Einer pflügte die Erde um und ein anderer warf die Saat in den Boden. Die Zeit lies sie aufgehen, der Wind ging darüber, Sonne und Regen schenkten Wachsen, die Ernte barchte Körner, gemahlen, Wasser hinzugefügt, mit den Händen berührt, kräftig, zum Teig gemacht, gebacken, uns auf den Tisch, ins Leben, unauffällig Lebensbrot.
Brot in der Hand, ein Bissen im Mund, erinnert an mehr, an den Gang der Wolken, die Sonne am Firmament, an die vielen Hände, bis es wurde, an die Millionen Händen durch all die Jahrtausend hindurch, die alltäglich es scheiden, beschmieren, zu Mund führen, kauben, schlucken und an die vielen Millionen Hände leer ohne täglich Brot, denen jenes Stückchen Manna vom Himmel fehlt.
Leben in unserer Hand, mehr ist es, vielmehr, eingebettet, eingebunden in das Leben so vieler anderer, die Brot, die Luft, Zeit und den Planeten neben uns leben, oft mehr schlecht als recht. Wir alle verstrickt in den ersten glänzenden Tag der Schöpfung und der Sehnsucht nach Neuwerden der Geplagten, in Würde und Elend aller Geschöpfte, in ein Leben, das es nur mit anderen gibt. Aufeinander angewiesen. Füreinander da. In dieses Amt gewählt, berufen, eingeführt, eingebunden in das Leben von Gemeinde, von Alten und Jungen, Suchenden und Verlorenen, verstrickt in deren Leben mit eigenem Leben. Oft nur ein Wort in der Hand.

Rose ist weniger
Eine Rose, samtig, erfrischender Duft, Blütenblatt um Blütenblatt, immer kleiner werdend, bis in das Zentrum, die Mitte. Ein Mandala, zentriert, konzentriert, meine Mitte finden. Und dort in der Tiefe Gott begegnen. Unio mystica, Vereinigung mit Gott.
Ein neues Amt; es macht neugierig und es macht Angst. Trägt das Amt mich oder muss ich das Amt tragen. Schaffe ich das? 
Der Blick auf die Rose. Aus der Mitte kommt ihre Kraft, diese Kraft hält sie, lässt sie stehen und blühen. Aus der Verbindung mit Gott kommt die Kraft für mein Amt. Sich immer wieder auf die Mitte zentrieren, auf Gott konzentrieren. Und die Kraft spüren, die von dort kommt. Wenn ich in mir die Verbindung zu Gott spüre, mich getragen weiß von ihm, dann kann ich mein Amt ausüben. In der Tiefe gehalten – durch meine Tiefen hindurch – gehalten durch seine Tiefe. Blütenblätter, die sich um die Mitte platzieren, gehalten von der Mitte – ich bin eines von ihnen.

Broterwerb
Brot in der Hand und es duftet beim Aufscheiden, als würde es von einem ersten Beginn uns leise erzählen. Als läge darin etwas, nach dem wir uns doch still sehnen. Brotgenuß, alltäglicher Genuß in tausend Sorten, eckig, rund, abgepackt, industriell hergestell. Brot, Lohn für die Mühe, Broterwerb. Schweiß und Brot. Wer denkt da noch daran.
Hunger haben, nicht weil man vergessen hat zu essen, der Rhythmus durcheinander kam, man vor lauter Stress sich selbst übersieht. Hunger haben, weil man satt werden muss, weil man sonst verhungert, nicht weiterleben kann. Dazu braucht es Brot, täglich. Den Hunger haben und spüren, den Hunger nach dem, ohne dass ich nicht leben kann. Ein gutes Wort vielleicht. Jemanden der mich trotzem liebt. Eine Perspektive. Genügend Geld. Ein Ort zum Schlafen. Die Würde im Blick auf mich.
Hunger danach und davon satt werden, wie Bissen Brot für unser Leben. Immer wieder neu verstehen, denken und sagen lernen, sich und den anderen, wie Jesus das ist, dieses Brot des Lebens, jener, der unseren Lebenshunger satt zu machen vermag. Ihn austeilen als seines Bissen Brot für den Hunger nach mehr. In dieses Amt gerufen, von ihm selbst, von Jesus, fast so wie jene, die damls ihm nachfolgten, selbst den Hunger immer wieder spüren und den leeren Magen von anderen sehen und satt machen.

Rosengeschenk
Ein Dichter geht durch die Straße mit einem Freund. Rilke. Er sieht eine Frau auf dem Markt sitzen, betteln, betteln um ein Stück Brot. Rilke geht zu der Frau. Er sieht sie an. Er gibt ihr eine Rose. Die Frau steht auf. Aufrecht verlässt sie ihren Platz. Erst nach zwei Wochen nimmt sie ihren Platz auf dem Boden wieder ein.
Die Rose hat ihren Hunger gestillt. Ihren Hunger nach Gesehen-Werden. Ihren Hunger nach Schönheit. Nicht nur der Leib braucht Fürsorge, auch die Seele. Sich versenken in einen Augenblick der Schönheit. Die Schönheit der Schöpfung Gottes wahrnehmen. Etwas von der Leichtigkeit des Sabbat spüren – mitten im Alltag. Ein Stückchen Gottes-Zeit mitten in den Terminen. Sich im Gebet verbinden mit den anderen im Amt. Gerufen von Gott nicht nur zum Handeln, auch zum Genießen, Staunen und Freuen. Die Rose nicht als das Überflüssige, die Zugabe, den Schmuck sehen, sondern erkennen: Das Ziel der Schöpfung ist der Sabbat, ist die Ruhe, die Unverfügbarkeit, Gottes-Zeit. Rosen-Geschenk

Brot brechen
Brot in der Hand und wir können es nie ganz, nie am Stück essen, wir müssen es aufschneiden, in Stücke teilen, brechen. Brot in der Hand. Wir können danken, kurz innerlich wie in den Himmel schauen, danken, dass es Hunger stillt und hoffen: Es möge sich vermehren, wenn wir es brechen, ein bisschen wie damals am Berg und so viele unverhofft satt wurden, ein bisschen wie damals, als Jesu das Brot brach und sein Leben uns schenkte.
Wir teilen Brot und damit das Leben selbst, wir geben und bekommen, machen etwas satter und haben weniger Hunger, legen etwas vom Schöpferwillen Gottes auf seine Welt, von jenem „Es ist gut“ und es wird besser für die, denen es schlecht geht. Brot in der Hand, es wir geteilt Stück für Stück, alle sitzen wie um einen Tisch, Gäste Gottes, die Welt ein Tisch, global verstrickt, die Stadt ein Tisch, die Pfarrgemeinde ein Tisch, wir holen die am Rande mit an den Tisch und teilen den Mehrwert des Lebens, einfach so und gar nicht so einfach.
An den Tisch gerufen, Brot zu brechen, auch manchmal zu kaufen oder zu backen, zu schneiden, an den Tisch gerufen, gewählt, zu danken, dass Ihr den Ruf gehört habt und folgt, auf den Himmel die letzte Hoffnung zu setzen, dass sich in euren Händen, Gedanken, Sorgen, Planen, in eurem Ältestesein das Leiden kleiner werde und das Leben sich mehre.

Rosenträume teilen
Die Sachzwänge drücken, der Haushalt drängt, die Vernunft siegt ... Und doch die klingenden Worte von Jesus: steh auf, nimm dein Bett und geh – dir geschehe wie du willst – dein Glaube hat dir geholfen – noch heute wirst du mit mir im Paradiese sein – das Reich Gottes ist mitten unter euch. Visionen, Träume, Frieden, Gerechtigkeit, Bewahrung der Schöpfung. Rose sein: Visionen teilen, einander Träume erzählen, einander teilhaben lassen am Traum, den Gott in uns träumt. Rose sein – die Dornen zeigen, aufzeigen was nicht gut ist, Prophet sein, Bote Gottes, Gottes Wort wahrhaftig sagen, auch wenn es spitz und dornig ist. Rose sein – den Traum Gottes leben, Gott durch uns hindurch wirken lassen – Gottes Schönheit ausstrahlen – Freude am Berufen-Sein. Rosenträume teilen.

Samstag, 4. Januar 2014

Untertauchen



Predigt am 2. Sonntag nach dem Christfest (5.1.14)

Jesu Taufe durch Johannes
Matthäus 3, 13-17: 13 Zu der Zeit kam Jesus aus Galiläa an den Jordan zu Johannes, daß er sich von ihm taufen ließe. 14 Aber Johannes wehrte ihm und sprach: Ich bedarf dessen, daß ich von dir getauft werde, und du kommst zu mir? 15 Jesus aber antwortete und sprach zu ihm: Laß es jetzt geschehen! Denn so gebührt es uns, alle Gerechtigkeit zu erfüllen. Da ließ er's geschehen. 16 Und als Jesus getauft war, stieg er alsbald herauf aus dem Wasser. Und siehe, da tat sich ihm der Himmel auf, und er sah den Geist Gottes wie eine Taube herabfahren und über sich kommen. 17 Und siehe, eine Stimme vom Himmel herab sprach: Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe.

Am Jordan sich begegnen

Jordan: Ort der Begegnung. Zwei treffen aufeinander. Angeblich trafen sie sich schon im Mutterleib, der eine den anderen und erkannten in Freude in Vorahnung einander. Später sollen sie voneinander gehört haben, nach einander gefragt haben, wer der andere wirklich sei.
Orte der Begegnung. Gibt es tausende. Millionen. Alltäglich. Immer wieder. Das ganze Leben. Begegnungen: Flüchtige. Beiläufige. Gewollte. Zufällige. Mit Vorkenntnis und ohne. Mit Konsequenzen und ohne. Gute und Unangenehme.
Johannes kam aus der Wüste und predigte, das Himmelreich ist nahe. Tut Buße. Jesus geht in die Wüste und predigt das auch, aber dann dazu, mehr: Er predigte den Himmel auf die Erde. Dazwischen der Jordan. Dazwischen ein kleines Zwiegespräch, ein Wortwechsel zwischen den beiden. Dazwischen dann das Wasser, ein Zunicken, ein Beugen, eine Berührung mit Händen, ein Untertauchen, Stille, ein Heraussteigen, eine Stimme.
Beide sterben, als der Weg vom Jordan weiterging. Der ein enthauptet, der andere am Kreuz. Beide in Konsequenz ihrer Worte und Taten. Beiden wurde ihre Geburt angesagt, als Geburt von etwas Besonderem, beide trugen Namen, die Gott ihnen zudachte. Für beide erfüllte sich etwas am Jordan, als sie sich begegneten. Jordan: Ort der Begegnung. Jordan: Ort der Erfüllung.
Sind unsere Begegnungsorte auch Erfüllungsorte? Orte, an denen sich etwas zumidnest ab und zu erfüllt? Für uns, für andere, für Gott? Erfüllte Begegnungen - wie und wann bei uns? Bei mir? Bei dir? Mit wem und warum und wo?
Beide Johannes und Jesus eint nicht nur Schicksal und Auftrag. Beide führt zusammen und vereint der Wille Gottes an diesem Ort. Gottes Wille wird erfüllt.Gott führt beide zusammen und eint beide: Den Täufer und den Getauften, den Wartenden und den Kommenden, den Glaubenden und den Verheißenen, Buße und Vergebung, Kreuz und Auferstehung, Opfer und Erlösung. Eine Begegnung mit erfüllenden, einmaligen, endgültigen, endzeitlichen Charakter. In einem Moment: Sich verlieren - und sich gewinnen für die Zukunft. In einer Begegnung.

Menschenhand überlassen

Jesus taucht unter. Jesus beugt sich unter den Ruf des Johannes. Demütig, anerkennend, einsichtig, überlässt er sich, passiv. Er lässt an sich geschehen. Von Menschen Hand wurde er geboren, von Menschenhand lässt er sich taufen. Von Menschenhand wird er sterben, begraben werden. Wahrer Mensch.
Viel weniger als wir macht er, macht er sich Gedanken darüber, ob er nicht größer ist als Johannes, ob er nicht sündlos ist, ob nicht ER jetzt besser sei, nicht eher machen, tun, geben gestalten sollte.
Jesus, der Mensch, der wahre Mensch uns voraus ist passiv, er ist empfindlich, ist geöffnet, durchlässig, empfängt, verwundbar wie verwandelbar. Er setzt sich aus der Begegnung, des wahrhaften Freiraum des Aufeinandertreffens, des Risikos und der Chance, berührt, geformt, geprägt zu werden. Wer weiß, was im Wasser auf ihn wartet.

Gott hören

Stille. Eine unglaubliche Stille. Dann: Der Stille unter Wasser, dem Aussetzen von Sünde und Tod, folgt das Heraussteigen, das Aufstehen und Aufsehen, das Ausstrecken und schließlich das Hören. Johannes lässt Jesus die Stimme Gottes hören.
Jesus im Wasser wird für Johannes über dem Wasser zum Schenkenden, zu einem, der Johannes selbst empfindbar, offen, Gottes Stimme hören lässt.
Eigentlich weicht all die Härte aus Johannes und er wird zum Boten des göttlichen Wohlgefallens. Da erfüllt sich etwas. Für beide. Warten und Kommen endet für eine Zeit. Ewigkeit bricht herein.
Mitten im Wasser stehend, noch zwischen Buße und Sünde und Liebe hören und empfangen, gut geheißen werden, wie am erst Tag der Schöpfung alles Leben, geliebt werden mitten in einer brüchigen Welt, geschützt, wird alles zu einem Vorgeschmack auf Auferstehung nach dem Weg ans Kreuz, auf ein Stück Himmel auf der Erde.
Es wird hörbar, sichtbar in der Taube, was in dieser Begegnung geschieht, die eintaucht in die Freiheit des anderen, ihm begegnet. Was ihre Verheißung ist, nicht ihre Garantie, aber Gottes Möglichkeit für alle Menschen, für dich und für mich:
Vom anderen, von Gott her hören: „Du bist geliebt“, hören: „Du gefällst“, spüren: „Ich bin Gotteskind“ Und anderen das Hören lassen. Das sind Begegnungen, die Taufe atmen, wo Altes, Trennendes geht und neues Leben, Gemeinsames kommt. Das sind Begegnungen, wie die am Jordan. Erfüllte und erfüllenden Begegnung der Liebe. Nicht einfach, nicht einfach so, nicht immer und gar nicht automatisch.
Denn immer wie im Leben: Durch das Untertauchen, der bedrohlichen Stille des Wassers hindurch. Denn: Hindurch durch unerfüllte Begegnung, durch Enttäuschung, Verfehlen, Wunden, die in Begegnungen geschehen, an anderen und an mir, an Körper und eigener Seele. Denn: Hindurch durch das düstere Gemenge aus Nicht-Begegnen-können oder-wollen, weil Angst, reserviert, Vorurteil, Berechnung mich verschließen, zu machen.
Hindurch durch Trennung, Sünde. Diese aber ertrinkt. Wir stumm, hören, wir lassen hören, wir lesen auf anderer Lippen, beginnen selbst auf Lippen zu bilden, hören, spütren wie eines anderen Stimme dazwischen, vom Himmel sagt: „Dennoch Geliebt“. „Gerade geliebt.“ Wie am Jordan. Erfüllungsort. Amen.