Freitag, 28. Juli 2017

Brot vermehre sich



Predigt am 7. Sonntag nach Trinitatis (30. Juli 2017)

Johannes 6, 30-36
Da sprachen sie zu ihm: Was tust du für ein Zeichen, auf dass wir sehen und dir glauben? Was wirkst du? Unsre Väter haben Manna gegessen in der Wüste, wie geschrieben steht (Psalm 78,24): »Brot vom Himmel gab er ihnen zu essen.« Da sprach Jesus zu ihnen: Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Nicht Mose hat euch das Brot vom Himmel gegeben, sondern mein Vater gibt euch das wahre Brot vom Himmel. Denn dies ist das Brot Gottes, das vom Himmel kommt und gibt der Welt das Leben. Da sprachen sie zu ihm: Herr, gib uns allezeit solches Brot. Jesus aber sprach zu ihnen: Ich bin das Brot des Lebens. Wer zu mir kommt, den wird nicht hungern; und wer an mich glaubt, den wird nimmermehr dürsten.

Brot in der Hand
Im Bauch unten ein Stück Brot, helles, dunkles, zerkaut, klein gemacht. Mehr davon, mehr Stücke füllen den Bauch mit sich, mit Brot. Brot – geschnitten: fein säuberlich in Scheiben, mit der Maschine, mit dem Messer in der eigenen Hand. Auf den Teller gelegt: Mit großen Hunger, aus Gewohnheit, weil es halbsieben am Morgen ist oder sechs Uhr am Abend; mit anderen am Tisch oder ganz allein, dann mit der Vergangenheit am Tisch die anderen, die ihr Brot mit uns schmierten, aßen, schluckten. Brot – belegt: schnell, flüchtig, routiniert, mit Bedacht, ausgesucht, mit anderen Stücken Lebensmittel, so zurechtgemacht, wie wir es mögen, vielleicht lieben. Menschen beißen in Brot, schmecken, schlucken.
Für Brot anstehen, eine lange Schlange, vielleicht früher, früher als Brot wenig war, als Menschen in Krisenzeiten Hunger hatten nach ihren Bissen Brot. Heute nur manchmal anstehen, samstags vielleicht, länger Zeit zu schauen, ungeduldig zu warten. Aus unzähligen Sorten aussuchen, überlegen, welches Brot soll es heute sein. Das Brot in eine Tüte geschoben wird dann getauscht gegen ein paar Münzen Geld, ein Stück Leben gegen das, was wir in Geldbeuteln, auf Konten sammeln.
Mit Brot im Gepäck, im Einkaufskorb, in der Tasche wieder nachhause, wieder zurück, kurze, längere Wege; wahrscheinlich millionenmal so gegangen, ohne weiteres zu denken. Daheim: Das Brot ausgepackt, vielleicht unter all den anderen Dingen, vielleicht beiseite gelegt bis zum nächsten Tag, das tägliche Brot, herausgeholt aus dem, wo wir es aufbewahren, den Staub leicht als Wolkennebel auf der Küchenarbeitsplatte, das Korn verstreut daneben, das Brot in der Hand, in meiner, deiner Hand. Was will es sein? Was kann es sein?

Wach geküsst
Kann es Erinnerung sein? Erinnerung an mehr? Ruft es etwas wach, was in ihm liegt, was in ihm irgendwie zu hören, zu sehen ist? Vielleicht:
Eine Sehnsucht nach Leben, unbestimmt, vage, ein Schmerz vielleicht auch. Eine Sehnsucht nach Leben, nach Bekommen, nach Leben dürfen, nach dem Notwenigen und Wichtigen, was nährt, was erhält, was bewahrt. Erinnert an Hunger, an Hunger nach Leben, nach Liebe, nach Gemeinschaft, nach Zuwendung, nach Ankommen und Daheimsein. Erinnert an die Momente, wo wir satt werden an unseren Seele, wo wir spüren und leben, warum wir leben, wozu und für wen; Momente, wo wir satt werden im Herzen, übervoll von Liebe, die uns jemand gibt, die wir jemanden geben; satt, still, selig. Erinnert an den Schmerz, dass der Hunger wiederkommt, die Liebe nicht bleibt, das Herz hasst, die Seele verletzt wird, das Leben sich weiterlebt, sich manchmal wie verlebt, vergilbt, Schatten wirft.
Erinnert Brot in der Hand an das, was wirklich nährt, uns nährt am Leben, und die eine Frage nährt, wie wir satt werden, wer uns diese Sehnsucht stillt, wer uns Brot in den Lebenshunger gibt. Herr, gib. Ich komme. Ich nehme. Ich, Mensch, bin Sehnsucht. Du, Herr, bist Antwort. Es kann mehr sein als Brot, so sehr es nur Brot ist. Es kann mehr werden als Brot, es kann uns Hinweis, Zeichen, Erinnerung, stiller Ruf sein. Es kann Brot werden auf unserer Wüstenwanderung durch die dürren Seelentäler, das, was uns am Leben hält; es kann Himmelsbrot werden für unser Leben auf Erden, etwas, was uns den Himmel in uns wach hält, unsere Seele bewahrt, uns der Liebe des himmlischen Vaters versichert, auch in dunkelster Zeit. Finsternis ist dann Licht.
Es kann uns Jesus Christus begegnen:

Anders zurück
Mehr sein als Brot, Brot in der Hand, den Kopf, das Herz und die Seele woanders, erinnert, wach, präsent für seine Verheißung, für die Zusage seiner Gegenwart mitten in unsere alltäglichen Welt. Im ganz täglichen Brot wird uns der Blick, der Sinn geöffnet für ihn. Für sein unendlich nahes „Ich bin“, dafür, dass ER die Seelennahrung für uns sein will, das Leben im Leben, die Lebensmitte in allem Kommen und Gehen, Werden und Vergehen, Verzweifeln und Glücklichsein.
Sein „Ich bin“, das alle Zeit überdauert. Das nie „Ich war“ meint, das nie ein „Ich werde nicht mehr sein“ sein kann. Ein „Ich bin“, das Menschen erfahren, erleben dürfen, das ihnen begegnet und allen Hunger nach Leben stillt, die Angst nimmt, Geborgenheit schenkt, gibt, von dem sie täglich leben können. Ein „Ich bin“, das Antwort wird auf die wichtigsten, nicht gestellten Fragen, Antwort auf eigene Schuld und erlittenes Leid von Menschenkindern, eine Antwort auf der Menschen „Wer bin ich?“. Dein bin ich.
Antwort auf unser „Ich bin“, das wir seit wir denken und dann sprechen können, sagen, immer mit der Stimme, die wir im Lauf der Zeiten haben, mit der Seele, die in uns liegt, mit dem Sinn, der uns gegeben, genommen wird, unser „ich bin …“ dem so viele Worte, Sätze, Bedeutungen, Zeiten, Räume folgen, die uns bezeichnen, ausmachen, in denen wir sind, wer wir sind. ER: Antwort, Brot, auf uns, auf unser kleines, großes, geliebtes „ich bin“, mit seinen Bissen Brot im Menschenbauch. Amen.

Samstag, 1. Juli 2017

Auf den Schultern



Predigt am 3. Sonntag nach Trinitatis (2. Juli 2017)

Lukas, 1-7
1 Es nahten sich ihm aber alle Zöllner und Sünder, um ihn zu hören. 2 Und die Pharisäer und die Schriftgelehrten murrten und sprachen: Dieser nimmt die Sünder an und isst mit ihnen. 3 Er sagte aber zu ihnen dies Gleichnis und sprach: 4 Welcher Mensch ist unter euch, der hundert Schafe hat und, wenn er eines von ihnen verliert, nicht die neunundneunzig in der Wüste lässt und geht dem verlorenen nach, bis er's findet? 5 Und wenn er's gefunden hat, so legt er sich's auf die Schultern voller Freude. 6 Und wenn er heimkommt, ruft er seine Freunde und Nachbarn und spricht zu ihnen: Freut euch mit mir; denn ich habe mein Schaf gefunden, das verloren war. 7 Ich sage euch: So wird auch Freude im Himmel sein über einen Sünder, der Buße tut, mehr als über neunundneunzig Gerechte, die der Buße nicht bedürfen.

Dem Leben verloren gehen
Verlieren können Menschen Dinge und sie wiederfinden, sie können sie verlegen, kurz suchen und wieder in Händen halten. Manchmal verlieren Menschen ein wertvolles Ding, suchen lange und sind glücklich, es wieder gefunden zu haben. Menschen verlieren wirklich Dinge, finden sie nicht wieder, wie verschwunden, weg für immer. Manchmal verlieren Menschen Dinge  für immer, die ihnen ganz wertvoll waren, die zu ihnen gehören, zu denen sie wie eine Beziehung hatten. Dann tut verlieren weh.
Verlieren können Menschen manchmal die Hoffnung, für einen Augenblick und gewinnen sie wieder. Sie können auch die Geduld verlieren und werden unruhig, fahrig und mitunter wütend. Menschen verlieren aus Versehen, unachtsam sind sie; sie verlieren mutwillig, viel zu unvorsichtig, sie verlieren absichtlich, warum auch immer; sie verlieren tragisch, gegen ihren Willen und Plan. Manchmal verlieren Menschen den Sinn, die Kraft, schleichend; manchmal die Liebe, und weinen Tränen; immer verlieren Menschen andere Menschen, stehen an Gräbern, spüren den Kloß des Abschieds im Hals, trauern, verzweifeln, müssen ohne geliebten Menschen weiterleben.
Manchmal und gar nicht so selten geht Menschen das Leben verloren, das eigene, mitten während sie leben, geht ihnen, geht in ihnen das Leben wie verloren, der Zugang dazu, die Kraft daraus, der Wille dafür; fühlen sie sich wie abgeschnitten vom Leben, schneiden sich selbst manchmal ab vom Leben, gehen irgendwie zugrunde, kommen im lebendigen Leibe um, verlassen das Leben, das Leben sie, auf eigentümliche Weise, verlassen sie auch die Quelle des Lebens, Gott, wenden sich ab von ihm, heißen sie Sünder. Und Gott fühlt sich verlassen, und Gott verliert, verliert einen seiner Menschen, den er zum Leben bestimmt hat, zur Gemeinschaft mit ihm, er verliert ihn und fühlt jenen Schmerz des Verlustes, wenn Liebgewonnenes verloren geht, verloren ist, jene Trauer, jene Verzweiflung, jenes: „Wo bist du“ von Liebenden.

Göttlich vermissen
Und Gott geht ihnen nach, sucht sie, bricht immer wieder auf am Morgen dieser Menschen und am Abend. Gott sucht sein Leben lang diese Menschen, in allen ihren Ecken und Ende, an entlegenen winkeln, dort, wo sie sind, Gott sucht sie selbst, ihre Seele wieder, seine Liebe wieder. Er sucht und wartet, Gott wartet wie jemand, der nicht mehr suchen kann, der bitter akzeptieren muss, das der andere geht, seinen Weg geht, sich verliert, der den anderen verliert, ihn tot fühlt und nur noch warten kann. Gott wartet mit einem göttlichen Gedanken in sich:
Mir fehlt dieser Mensch. Ein unglaubliches göttliches Vermissen. Ein in sich suchender Gott, der den, den er verloren hat, nicht vergisst, nicht vergessen kann, den Gott in sich trägt als Sehnsucht, als offene und wunde Frage, als stete stille innerliche Suche nach dem unwiederbringlich Verlorenen, nach dem, den Gott über alle Maßen vermisst, nach dessen Wohin und Wiederendlichzurück Gott unablässig fragt.
Ein Mensch, der ursprünglich zu Gott gehört, den Gott in großer Liebe geschaffen hat, den er mit Liebe begabt hat, den er zur Gemeinschaft mit ihm bestimmt hat. Ein Mensch unter unzählig vielen anderen in Raum und Zeit, ein Mensch aber für Gott, immer einer, der bestimmter Mensch; für Gott immer der Mensch, den er unendlich vermisst, der ihm schmerzlich fehlt als sein Gegenüber, als sein Teil. Ein Mensch, der ihm das wichtigste ist, nicht ein Teil, sondern immer das Teil von ihm, ohne das alles nichts ist, ein Lücke bliebe, ein dunkles Nicht-Da.

Endlich wieder umschließen
Gott findet diesen Menschen, im Warten, im Fragen, im unbändigen Vermissen. Gott umschließt ihn mit all seinem göttlichen Leben und Lieben. Endlich das Vermisste wiedergefunden. Endlich der Verlorene wieder da. Endlich das Leben wieder bei ihm. Endlich, zwei Liebenden gleich, endlich wieder vereint. Gott nimmt in die Hand, umarmt, trägt auf seine göttliche Schulter, auf der die Welt, die Last, das Kreuz, die größten Hoffnungen liegen.
Es muss, es kann nicht anders sein, in Gott eine unendliche, alle übersteigende, himmlische Freude sein, über diesen Menschen, den er vermisst hat und der wieder bei ihm ist, über jeden der verloren geht und der wieder das Leben findet, über jeden Sünder, der vom Weg umkehrt und sich angstvoll, aber doch endlich in Gottes liebende Arme wirft. Ein Freude muss da sein, unüberhörbar und unheimlich still, ein Lobgesang des Kosmos und der Herzen, ein Beben und Klingen; ein tief empfundene glücklich machende frohe Freude in Gott, in dem, der wieder da ist, der verloren war und wieder gefunden ist.
Eine Freude, wie sie Liebende kennen, wie sie Liebende leben, für die ein Leben ohne den anderen undenkbar ist, für die der andere immer alles ist, in denen, in deren Augen eine still-laute Freude am anderen um seiner selbst willen ist, ein Freude, dass man einander hat, einander das Leben teil. So eine Freude, nur noch mehr, hat Gott, wenn seine liebende Sehnsucht nach dem Menschen, der verloren geht, uns endlich findet. Amen.