Predigt am Ewigkeitssonntag
2014 (23.11.14)
Eine leere Klappkarte
Eine leere
Klappkarte halten Sie in den Händen. Leer. Nur ein Spruch auf der einen Seite.
Sonst leer. Unbeschrieben. Als wolle jemand sie beschreiben, mit seiner Handschrift.
Sie erinnert an die Zeilen, die Sätze, die Briefe, Postkarten, Zettel, die ihr lieber,
verstorbener Mensch geschrieben hat, an seine Handschrift, an die Worte, an
ihn, an das, was er gedacht, geschrieben, gesagt hat, an seine Schrift, an
seine Hände.
Es schimmern
leicht durch auf der leeren Klappkarte all die Karten, die Briefe, die Sie
bekommen haben, einzelne, einige, formelhafte, herzvolle, mit denen Ihnen
geschrieben wurde, die Sie lasen, die ihnen Worte schenkten, Trost sprachen,
die Leere, die sich um sie auftat, als ihr lieber Menschen den letzten Atemzug
tat und starb, etwas anfüllte. Die leere Klappkarte, geöffnet in Ihren Händen,
spiegelt etwas wieder von der Leere des Todes, des Abschieds, der Trauer, der
Leere, die bleibt, wenn Menschen, die Leben gefüllt haben, gehen.
Ein dagegen
kleiner Vers auf der linken Seite: Gott spricht: „Ich habe deine Tränen
gesehen.“ Gott spricht. Das ist gut. Er bleibt nicht stumm, nicht abwesend,
nicht auch leer, er spricht. Und er spricht, dass er deine Tränen gesehen hat.
Er hat sie gesehen, nicht er wird sehen oder er sieht. Nicht Futur, nicht
Gegenwart, sondern Perfekt: Er hat sie gesehen. Unverrückbar. Sicher. So ist
es. Er hat sie gesehen, eure Tränen.
Wie manche.
Wie manche eure Tränen gesehen haben. Nicht viele, vielleicht nur die, die euch
nahestehen, die ihr in euer Gesicht, auf Euch sehen haben lasst. Die haben eure
Tränen gesehen, schon vorher, als ihr manche Nacht weintet, weil pflegen,
begleiten, mit jemanden auf den Tod zugehen, uns so nahe berührt; dann eure
Träne, als der Tod eintrat und klar war, nun ist er gegangen, und Tränen zur einzigen
noch sagbaren Sprache wurden. Die Tage und Wochen danach, Tränen bei der
Beerdigung, Tränen, wenn man an den lieben Menschen dachte, über ihn sprach,
Tränen in einsamen Stunden und manchen Abenden. Was wir vielleicht lieber
verbergen, was unsichtbar in uns ist, tritt heraus und wird sichtbar, wenn wir
weinen, in unseren Tränen.
Herz an Herz
Unter dem
Spruch von Gott sehen wir zwei kleine Herzen, miteinander verschlungen.
Vielleicht beginnen die Tränen im Herzen, sammelt und wohnt dort im Herzen das,
was wir beweinen, und aus dem Herzen steigen die Tränen irgendwie in uns hoch,
steigen in die Augen und beginnen dort sichtbar zu werden leicht glasig und
dann tropfen sie die Wange hinab.
Herztränen.
Gott sieht
diese Tränen. Er sieht das Herz und was darin ist, er sieht die Tränen dort
sein und er sieht, wie ihr sie weint. Gott schweigt nicht zu unseren Tränen.
Bevor er unsere Tränen im Krug sammelt, er sie in unseren Augen wie verheißen
abwischt, sieht er sie, ist er ihnen und uns nicht fern, nicht in Distanz. Er
ist unseren Tränen nahe. Sie berühren ihn. So wie die Tränen der Sünderin, die
zu Jesus Füßen saß, und seine Füße mit kostbarsten Öl salbte, und deren Tränen
seine Füße benetzen, berührten, Jesus berührten, sein Herz berührten, weil ihre
Tränen so kostbar waren wie das Öl für ihn, weil beide wussten, was sterben und
weinen heißt, und dass Gott denen nahe ist, die weinen und sterben.
Gott sieht
eure Tränen. Herz an Herz. Verschlungen.
Tränendes Herz
So können
wir die Karte zuklappen. Und sehen selbst. Sehen die Blüten der Pflanze
„Tränendes Herz“. Blüten, die aussehen wie Tränenherzen. Eines davon, stellen
wir uns vor, mag unser tränendes Herz sein. Die tränenden Herzen sind nicht
alleine, nebeneinander hängen sie dort, eines neben das andere; wie Sie
nebeneinander in den Bankreihen sitzen, Tränenherz neben Tränenherz, Trauer
neben Trauer, Abschied neben Abschied, Geschichte neben Geschichte, Trost neben
Trost, Mensch neben Mensch. Ihr. Wir.
Verbunden
sind die tränenden Herzen durch einen zarten Spross, der irgendwo ungesehen zur
Wurzel führt, von dort das Leben bekommt, entlang des Sprosses hinein ins
tränende Herz. Das Leben hört nicht auf. Wir bleiben verbunden mit ihm, hängen
an ihm, werden getragen, bis hinunter zur Wurzel, die wir manchmal nicht sehen,
die aber da ist, aus der wir heraus leben, Leben bekommen.
Die
tränenden Herzen scheinen wie zu weinen, ein Tropfen scheint aus ihrem Herzen
zu tropfen. Wie in einem Moment festgehalten wird sichtbar, wie aus dem Herzen,
vielleicht randvoll gefüllt mit Tränen, Tränen tropfen. Wohin ist egal, warum
ist egal. Sie tropfen, sie lassen ihre Tränen aus sich heraus und werden
leichter, tränenleerer.
Die
tropfenden Tränen der tränenden Herzen sind selbst Blüten, weiße Blüten. Die
Tropfen der tränenden Herzen sind Blüten. Jede Träne, die wir weinen, die in
sich all die Trauer und Traurigkeit trägt, die von Tod und Abschied erzählt,
von Schmerz und Leid weiß, jede dieser Tränen, eurer, ist eine zarte weiße
Blüte. Wie das ganze Tränenherz. In jeder Träne wohnt auch das neue Leben,
verborgen, zart, unsichtbar vielleicht, es wohnt aber darin. Es wird in der
Trauer sachte euch blühen.
Auf der Rückseite
Drehen wir
die zugeklappte Karte, zum Schluss. Noch mal das gleiche Bild, und ein kleiner
so alltägliche Hinweis, wie das Bild heißt, woher es kommt und wer es gemacht
hat. Nach dem Tod Rückkehr in den Alltag. Das Bild der tränenden Herzen ist
verblasst. Noch ist eure Erinnerung an das Sterben und an den Abschied ganz
präsent. Es mag sachte verblassen, und im Verblassen wünsche ich euch, dass
sichtbar werde - wie die ewige Liebe, wie „Herz an Herz“ - die Erinnerung an
eure lieben Menschen, dankbar lebendig.
Und seid
gewiss:
Innen drin
ist Gottes Wort für euch: „Ich habe deine Tränen gesehen.“ Bei jedem von Euch. Sein
Herz an eurem. Gerade wenn es weint. Eng verbunden. Für eure Leere. Keine
Leere. Gott schenkt euch seine Fülle, sich. Amen.