Freitag, 25. Oktober 2013

Ein ewiger Bund



Predigt am 23. Sonntag nach Trinitatis (3. 11.13) mit Taufe und Vorstellung der Kandidierenden zur Kirchenwahl 2013

Matthäus 28, 18-20
Christus spricht: „Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden. Darum gehet hin und machet zu Jüngern alle Völker und taufet sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes und lehret sie halten alles, was ich euch befohlen habe. Und siehe ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.“ (EG 793)

Im Strom
Christus spricht: „Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden“. Gegeben ist ihm alles, in seine Hand gelegt, alles: Das Leben, der Sinn, heilsame Worte, Befreiung, Freude, Würde, Liebe, Hingabe, Freiheit, Kraft, täglich Brot, Vergebung. Alles, was im Himmel und auf Erden wirklich wichtig ist. Gott hat es in seine Hände gegeben und er hat es dort, bleibend, immer. Christus.
Er gibt es uns. Es bleibt aber immer sein. Wir tun. Es ist aber sein Tun. Wir machen es. Es ist aber sein Werk. Alles kommt von daher, alles fließt von dort über, von Gott zu Jesus und von ihm zu uns. Und wir geben es weiter. Wir schöpfen daraus, wie aus einer unendlichen, unerschöpflichen Quelle, wie aus einem Ursprung, an dem alles beginnt und uns selbst umfängt.
Nur darum, nur deshalb können und sollen wir. Nur weil das so ist: Er die Quelle und wir die, die selbst gefüllt werden und daraus, aus uns schöpfen, um anderen das, was in der Quelle unerschöpflich ist, weiterzugeben. Ein unglaublicher Strom des Lebens.

Bewegen
„Darum gehet hin und machet zu Jüngern alle Völker und taufet sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes und lehret sie halten alles, was ich euch befohlen habe.“ Wie der Sohn vom Vater kommt und der Heilige Geist von ihm, wie alles sich aus Gott herausbewegt zu seiner Welt, so bewegen wir uns auch:
Wir bewegen uns heraus, „gehet!“ Wir gehen heraus, auch wenn wir es so sehr gewohnt sind, dass Menschen zu uns in die Kirche kommen. Wir, der Pfarrer, die Ältesten und die Ortsältesten, ein jeder. Wir bewegen uns, bleiben nicht bei uns, wir verlassen unsere Räume und wir gehen heraus, wirklich zu denen, die wir zu suchen und zu finden haben.
Wir bewegen uns und wir bewegen andere. „Machte zu“ – verwandelt Menschen, bewegt sie, dass sie andere werden als sie sind, dass sie in sich Gott spüren und ihr Leben von ihm her anders wird. Bewegt und verwandelt Menschen in Begegnung mit ihnen, in persönlichen Begegnungen. Dazu strahlt aus, was euch selber beseelt und habt Vertrauen darin. Taufen ist ein Weg, die Grundbewegung ist immer der gleiche: Verknüpft auf unheimliche Weise Menschen mit Gott, bietet, seid für sie ein Anknüpfungspunkt für eine Geschichte mit ihm, setzt sie auf den Weg, auf ihren Weg mit Gott; spendet Segen, wendet euch zu, beginnt alles mit der Liebe in euch und eröffnet einen Raum der Gemeinschaft auf ewig, öffnet Türen, seid bereit, das Fremde zu suchen. Seid Engel für andere.
„ …und lehret sie halten alles, was ich euch befohlen habe.“ Gebt die Sache, die Idee, die Worte, die Geschichten, die große Liebe Gottes weiter, fügt nicht hinzu, was nicht dazugehört, lasst nichts Wesentliches weg, versucht Jesus 1:1 zu übersetzen, hinüberzutragen zu den Menschen, gebt Anteil an dem, von dem ihr selbst ein Teil seid. Seid sein kleiner Segen auf zwei Beinen.
Und dann geschieht, was geschieht, wenn „auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes“ Menschen einander sehen, begegnen, Leben teilen:

Verbinden
Dann werden Völker zu Jüngern. Dann werden Menschen in eurer Umgebung, näher und ferner zu Jüngern, zu Menschen, die sich mit Jesus verbinden lassen. Unser Ziel ist nicht Kirche, nicht Gemeinde, sondern Menschen, Menschen die Nachfolge Jesu schmecken zu lassen, sie mit Gottes Liebe zu infizieren, sie mit Jesus, der Gottes Lebensplan ist, irgendwie sachte zu verbinden. So wie wir mit ihm verbunden sind.
Auch wir sind Jünger, Menschen, die versuchen, diesem Gottes Sohn nachzufolgen, an ihm etwas zu sehen, was auch für unser Leben gilt. Und auf diesen Weg nehmen wir andere mit, erleben, ertragen, erhoffen ihre Verbundenheit mit Jesus, die so verschieden, so vielfältig, so offensichtlich, verborgen, dunkel und hell ist, wie das Leben selbst. Wie wir.
An dieser Verbindung arbeiten wird, werden wir selbst zu denen, die wir werden sollen im Lichte Gottes, wir werden das, sind auf dem Weg, er uns immer einen entscheidende Stritt entgegen.

Umarmt
„Und siehe“. Die kleinsten Worte sind die wichtigsten, wie bei Menschen. Und siehe! Schau. Hör zu. Lass dich unterbrechen. Halte. Lass dir sagen. Versteh! Erinnere dich. Vergiss nie:
Alles fließt aus Gott heraus zu uns. Die ganze Kraft. Euer Amt wird euch Kraft kosten, nicht wenige, ihr werdet euch manchmal fühlen wir leere Tonschalen. Aber Gott füllt sie euch, mit jedem Kraftabzug schenkt er euch einen Kraftschub. Manchmal zeitversetzt, unmerklich.
„Und siehe ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.“ Wir leben davon, dass ER da ist, das er bei uns ist, manchmal näher als wir uns selbst. Er ist in Raum und Zeit, gegenwärtig als unsere Zukunft. Warum würden wir uns sonst Christen nennen? Er ist der, der überall mit uns hingeht, unseren ganzen Lebensweg, der eure Schritte teilt, die leichten wie die schweren, die zögerlichen, erschöpften, die entschlossenen, die gemeinsamen, all, die zu den anderen und zu euch. Er ist alle Tage bei euch, nie nur in der Summe, sondern an jedem Tag, an jedem Tag nachts und tagsüber, jeden einzelnen Tag, den ihr lebt, den ihr Leben atmet, den ihr denkt, zweifelt, glaubt, im Amt seid, all eure Tage, bis ihr grau seid, bis ans Ende der Welt.
Dann, wenn alles Leid ein Ende hat, alle Tränen ausgeweint sind, alle Trauer in unglaubliche Freude verwandelt wird, jeder Gott gefunden hat und alle Jesus folgen, sein Reich bilden, genau bis dahin: Bis alles den vollen Glanz trägt, der jetzt schon euer Leben bescheint, der Glanz, den ein Amt hat, das von Gottes ewigen Bund getragen ist. Amen.

Freitag, 18. Oktober 2013

Durch Hohes und Tiefes



Predigt zur Einführung des neuen ESG-Gesangbuchs am 21. Sonntag nach Trinitatis (20.10.13)

Labyrinth
„Durch Hohes und Tiefes“ lesen wird auf dem Einband unseres neuen Gesangbuchs mit neuen Liedern. Ein Verb, ein Tuwort fehlt. Nur eine Richtungsangabe: Durch Hohes und Tiefes, durch Hohes und Tiefes hindurch, Tiefes und Hohes durchschreiten, durchleben. Und wenn wir länger denken, länger gehen, dann wünschten wir uns, dass das „und“ auch fehlen würde, nur durch Hohes hindurch.
Mit rotem Schriftzug steht aber „Durch Hohes und Tiefes“ auf unserem Liederbuch. Rot, weil es ins Auge stechen soll, weil das das Wesentliche ist: Das Hohe und Tiefe, die Höhepunkte und Tiefpunkte, das was prägt, was Leben ausmacht. In roter Farbe wie ein roter Faden, wie ein elementarer Geh-Weg im Leben. Dabei ist das „durch Hohes“ kleiner geschrieben als das „und Tiefes“, das Hohe kleiner als das Tiefe, weil das Tiefe auch immer tiefer ist als das Hohe hoch, bittrer, schlimmer, prägender?
Unter der Überschrift, den Titel, ist in gleicher Farbe wie der ganze Einband etwas eingeprägt, ein Bild, eigentlich zwei Bilder: ein Baum als Labyrinth, ein Labyrinth als Baum. Zwei Bilder ineinander für das eine Leben: Der Baum steht für das Wachsen und Werden des Lebens, für die Lebensäste, die unser Leben treibt, für totes Holz und Abschiede, für Wurzeln, die wir haben, für die Krone, die uns mal aufgesetzt wird, für das Blühen, Welken, den Atem, den wir haben und geben. Das Labyrinth darin steht für Suchen und Finden, für Außen und Innen, für Mitte und Gehen. Dieses Labyrinth hat keinen rechten Eingang und Ausgang. Man lebt immer darin. Es hat Sackgassen, immer wieder heilsame Punkte der Umkehr, es hat keine rechte Mitte, die man erreicht, immer nur Annäherung ans vollkommene Glück, wie im Leben. Es hat geprägt Höhen und Tiefen, als würde man in ihm auf den hohen Lebensgraden gehen können, erhoben, balancierend, absturzgefährdet, und als würde man in den Tiefen eingeprägt gehen, eingefurcht, beklemmend eng, aber irgendwie auch merkwürdig umgeben, eingerahmt.

Spielball
„Weder Hohes noch Tiefes“ kann uns von der Liebe Gottes scheiden. Das haben wir vorhin zusammen Paulus nachgesprochen, gebetet. Seine Gedanken sind Gedanken, sind Worte wie im Labyrinth. Gehen im Kreis, gehen hin und her, fragen, suchen, tasten um die Ecke, ins Dunkle, ins Vage: Was kann uns trennen von der Liebe Gottes? Was kann passieren? Was könnte? Was könnte zwischen ihm und uns treten? Gibt es etwas, was uns von ihm scheidet? Reißt der Lebensfaden? Verliere ich mich?
Wie ein Spielball das Fragen, das Leben, man selbst wie ins Labyrinth geworfen, nicht mehr Herr der eigenen Lage, der eigenen Kräfte, Geschichte, ausgesetzt, hin- und hergeworfen, Widersacher, Widerwärtiges, Verlorenheit vor Augen, im Gefühl. In Tiefen und in Höhen ausgesetzt etwas Größerem, etwas Mächtigem, etwas Mächtigeren als wir; wir nicht mehr, nie nur unser selbst, sondern immer auch geworfene, gemachte, gelebte Menschen.
Am Ende der Gedanken von Paulus, kreisend, im Labyrinth, steht, kommt zu stehen, erscheint: Gott ist für mich. Er hat mich auserwählt, sich für mich und mein Leben entschieden. Er hat mich mit Leben, mit Geist, mit Seele und Menschen beschenkt. Er tritt für mich ein. Er hält uns. Nichts, gar nichts, nichts auf dem Weg im Labyrinth, auf Höhen und Tiefenwegen, durch Hohes und Tiefes hindurch, Nichts kann uns scheiden, trennen, wegbringen von Gott und seiner Liebe zu uns. Nichts. Überhaupt nichts. Wir werden gehalten. Alles hat einen Grund, einen Tiefen-, ja Höhengrund, eine Durchfärbung. Wie das kleine Gesangbuch, das wir in Händen halten.

Getragen
Mit ihm halten wir 444 Lieder in den Händen, dazu Psalmen, biblische Texte, unzählige Worte, Worte von Leben, Gott, Glaube, Hoffnung, Leiden, von Verwandlung, Lob, Liebe und Tod. Abertausende Worte mit abertausenden Noten versehen, unzählige Noten, Töne, Erfahrungen, Durchlebtes, Melodien, Lebengestimmtes – haben wir in Händen zum Singen bereit.
Mit jedem Ton, den wir singen, jeder Notenlinie, jeder Melodie - und sei es noch so zaghaft, ungeübt, leise - bleiben wir nicht stumm, nicht still, nicht bei uns. Wir singen etwas heraus aus den gedruckten Buchseiten, aus dem Leben, das sich darin niedergeschrieben hat, aus uns selbst. Wir singen unser Lied, in ihm klingt unser Leben, wir singen aus der tiefen Quelle und Leben aus dir, Gott. Unsere Gedanken, Worte werden laut, gewinnen Raum, erklingen, haben Resonanz, in diesem Gebäude, schallen ab, in unseren Ohren gegenseitig, in unseren Herzen zurück.
Das, was wir singen, tritt uns wie gegenüber, nicht wirklich sichtbar, aber hörbar, vernehmbar, all diese tonhaften Worte, all diese klingenden Sätze, all das besungene Leben. Wir singen es gemeinsam, zu gleichen Zeitpunkt die gleichen Worte in fast gleichen Töne, wir singen miteinander, füreinander, zueinander. Wir sprechen uns nicht nur all das zu, lesen es uns nicht nur vor, sondern wir stellen es uns gesungen wie gegenseitig gegenüber und singen es uns zu, als das, was ich dir sagen, geben, schenken möchte, aus Herzens Grund, eingeladen, geborgen in Gottes Angesicht.
Hohes und Tiefes geteilt, Leben eben, erlebt, erfahren, erlitten, durchstanden. Hohe und tiefe Töne, aneinander gereiht, zur einer Melodie, die wir auf dem Weg durchs Labyrinth singen, mal leiser, mal mutiger, mal gefasster, mal fast verloren, mal kräftig, mal auf Stimmenhilfe angewiesen, eine Melodie, die uns singt, in der Gott uns lichtfroh geborgen fest in seinen Händen hält, Gott uns alle gemeinsam durch Hohes und Tiefes hindurch trägt. Amen.

Freitag, 11. Oktober 2013

Ins Böse hinein





Predigt zum „Nepal-Gottesdienst“ am 13.10.2013



Das Bild, das Christinnen und Christen vor Augen gemalt, geschrieben, zugesagt ist, in dem eingezeichnet ist, wie das Böse überwunden wird, werden soll, werden kann, ist Jesus Christus selbst. Jesus Christus sehen wir, ihn haben wir vor Augen, ihm folgen wir nach, in sein Bild werden wir verwandelt:



Hineingeboren

Hineingeboren wurde Jesus in die Finsternis, in eine feindliche Welt; hineingeboren in einen dunklen Stall, weit abgelegen, fast unbemerkt, hineingeboren nackt, als Bündel, wehrlos, verletzlich, ausgesetzt, schutzlos. Als kaum Geborener flieht er vor dem Bösen, vor dem Kinder-Mord nach Ägypten ins Land der früheren Sklaverei. Still wird Jesus erwachsen und wird nochmal wie geboren, hineingeboren in ein Fegfeuer der Versuchung durch das Böse, 40 Tage und 40 Nächte im Niemandsland, beharrlich verlockend versucht widersteht er, klammert er sich im teuflischen Gespräch an Gott, an sein Wort, an ihn allein, hängt am seidenen Faden unser Glück.



Hineingelebt

Dann: Hineingelebt, hineingepredigt, gesprochen, gelitten hat Jesus, hinein in Krankheit und Todgeweihter Leben, in die klein gemachte Welt von Blinden, Gelähmte, Aussätzige, Sündern, Zöllner, Menschen wie Petrus, Maria und Zachäus, wie du und ich. Hinein hat er Gott gebracht, hinein in eine Welt voll böser Geister, in Stürme, in Entzweiung, in Verfolgung, in Verwerfung, in entmutigt sinkende Menschen, in Unkraut, das wuchert, in Rangstreitigkeiten, in Anfeindungen, in Heimatlosigkeit, in Unverständnis, in leblose Fragen, in sinnentleerte Gesetze und Zeichenforderungen, hinein in die brüchige Welt der Verlorenen und Seelenängste, der beschwerten, beladenen, verrückten Menschen, hinein zu denen, die geistlich arm sind, die Leid tragen, die sanftmütig sind, die hungern und dürsten, die barmherzig ein reines Herz haben, die friedfertig denken, die verfolgt werden.

Hinein beseelt von der Idee der menschlichen Seligkeit, der göttlichen Liebe, dem unbändigen Willen, zu vergeben, zu verzeihen, zu versöhnen, selbst den Feind, dem Widersacher, das ewige Böse zu lieben, nicht aufzuhören, von Wachstum, Werden Gottes, seines Reiches, zu reden, zu träumen, es zu leben.



Hineingeraten

Und: Immer tiefer hineingeraten, auf die Straße mit trügerischen Palmwedeln, in den Tempel, der Räuberhöhle war, , in eine Welt voller Endzeichen, voller Gerichtsdrohungen, voller Klagen, voll bösen Weingärtner, bösen Knechten, törichten Jungfrauen ohne Öl, immer tiefer hinein in den Anfang seiner Geburt, in eine feindliche Welt: Verrat, Verleugnen, gefangen, verurteilt, geschlagen, verspottet, Mordgedanken, und nochmal zu tiefst betrübt und versucht, doch einen anderen Weg zu gehen, den Kelch nicht zu nehmen, aufzuhören, zu wachen, zu beten, zu vertrauen, zu lieben.



Hineingestorben

Schließlich: Ans Kreuz geraten, geschlagen, genagelt, mitten hinein ins Böse, ins Widerwärtige, ganz nah, ganz dicht, der Inbegriff des Guten am Kreuz des Bösen, hineingestorben in Gottes Ringen um unsere Welt, um uns, unser Böses trotz Gutem, hineingestorben in das „Warum Gott das macht“, am Rande des Vertrauens, ohne zu fliehen, ohne dumpfen Machterweis, hineingestorben in Soldatengesichter, in Marias Tränen, in unsere eigene Sprachlosigkeit, hineingestorben in den ewig bitteren Kampf des Guten gegen das Böse, in die wundersame Ohnmacht der Liebe; hineingestorben und drei Tage tot, solange!! und auferweckt worden, auferstanden, hineinauferstanden in unsere Welt, von dir und mir, lebendig geistvoll beseelend uns vor Augen gemalt: Liebe siegt gegen den Tod, er wird uns durch die Versuchung hindurch vom Bösen erlösen.

Amen.