„Ich
glaube; hilf meinem Unglauben! (Markus 9, 24)
Predigt zur Jahreslosung 2020 am 2. Sonntag nach Epiphanias (12.1.2020)
Predigt zur Jahreslosung 2020 am 2. Sonntag nach Epiphanias (12.1.2020)
Involviert
Wie Beobachter einer Szene kommen mir
das Volk, die Schriftgelehrten, der Vater und auch Jesus vor. Wie als ob sie
zuschauen würden, distanziert, mit gewissen Abstand irgendwie. Sie verhandeln
eine Streitfrage, sind miteinander in Streit geraten über etwas, Vater und
Jesus führen einen Dialog, einer antwortet, der andere fragt, es wird erzählt,
geschildert, berichtet, mit „Meister“ angesprochen. Nur der Sohn, das Kind erst
in Erzählung, dann ganz konkret wird hin- und hergerissen, wird auf den Boden
geworfen, schäumt, der böse Geist mitten in ihn und der Sohn mitten in dem, was
da mit ihm passiert. Die anderen scheinbar, wirklich nur indirekt beteiligt,
über Worte, Fragen, Diskussionen, Erwartungen, Möglichkeiten; alle nur
mittelbar.
Jahreslosungen wirken manchmal wie Überschriften
über ein Jahr, und im Laufe des Jahres rückt, wie alles, was am Anfang nur über
allem steht, in den Hintergrund. Wie Beobachter kommen wir mir vor, als würden
wir aus Distanz die Jahreslosung anblicken, den Text, die Worte, die zahllosen Bilder,
Drucksachen von ihr, als bliebe da ein merkwürdiger Abstand, als kämen wir
nicht recht rein in die Jahreslosung und sie nicht in uns. Wir müssten aber vom
Beobachter zum Beteiligten werden. Die Jahreslosung, dieser kleine Abschnitt
Bibel, dieser Fetzen Gottes Wort müsste uns zu Beteiligten machen, müsste uns
betreffen, beteiligen. Bitte.
Jesus ist aber nur scheinbar
distanziert, er steht nur scheinbar über der Sache. Er ist dem Sohn, dem besessenen
Sohn von Anfang ganz nah. Beide sind Besessene, der eine vom bösen, der andere
vom guten Geist, beide: ganz und gar besessen, erfüllt. Und beide erkennen
einander sofort. Jesus ist nur scheinbar auf Abstand, für ihn geht es von
Anfang um alles und Jesus macht aus allen Beteiligten, er macht aus den Beobachtern
beteiligte, betroffene, involvierte, hinein verwickelte Menschen. Das Volk
staunt über das Wunder. Die Schriftgelehrten verstummen. Die Jünger beschämt.
Und der Vater wird von Jesus hineingezogen, in die Geschichte, in die
Lebensgeschichte, in seinen Sohn, in sich selbst und steht dann plötzlich dem
sprachlosen, stummen, bösen Geist schreiend gegenüber, schreit unglaublich laut
und sein Schrei ist sein Schritt hinein, unmittelbar beteiligt, betroffen, tot lebendig
zu sein. Jesus macht uns zu Beteiligten der Jahreslosung, er lässt uns den Schrei
des Vaters hören.
Strichpunkt
„Ich glaube; hilf meinem Unglauben!“ Und zwischen beiden Teilsätzen ist
ein Strichpunkt, als wüsste man nicht, ob da ein Punkt oder ein Komma dahin
müsste, als wäre ein Punkt genauso unpassend wie ein Komma, als wäre es Trennung
und Zusammen zugleich.
Dieser Satz mit seinen beiden Teilsätzen
ist keine Beschreibung. Er ist Dasein, pures Dasein. Eigentlich müsste er so
etwas heißen wie: „Ich bin; hilf meinem Nichtsein!“ Der Satz ist keine
Theorie vom Glauben, keine Lehre, kein Inhalt über den Glauben, den man
mitnehmen könnte. Es gibt da zwischen beiden Teilsätzen, zwischen Glauben und
Unglauben keine Trennung, keinen zeitlichen, logischen, gedanklichen Ablauf,
keine Beides, kein Sezieren, kein irgendwie Dazwischen. Es gibt da nicht einmal
einen Atemzug. Es ist eigentlich ein Lebensschrei: „Ich lebe; hilf meinem
Tod!“ Und im Schrei wird der Vater eins mit seinem Sohn, eins mit dem ungläubigen
Volk, ja sogar eins mit den Jüngern. Und Jesus ist in ihnen allen, in allem, in
diesem Satz, im Strichpunkt.
Alle leiden an einem: Dass nicht ist,
was sein soll, was sein muss. Dass nicht geschieht, was geschehen muss. Dass nicht
wirklich ist, was wirklich sein zu hat. Sie alle leiden daran, dass die Welt an
bestimmten Punkten unerlöst, heillos, gottlos ist. Das ist, was der Vater und
was der Jesus mit „Unglaube“ meinen: es ist das Nicht-Dasein von Gott. Es ist da
etwas - der Sohn, die Fragen, die Gedanken, die Diskussion - nicht von Gott Erschlossenes
und deswegen von uns auch nicht als von Gott erschlossen sichtbar, verstehbar, wahrnehmbar
und zu leben. Es ist unerschlossen von Gott und so Unglaube – und das macht
absolut betroffen: Dieses kleine Etwas ist dann weit jenseits unserer
Möglichkeiten, es ist unsere unbedingte Unmöglichkeit. Wäre es von Gott schon
erschlossen, dann hätten wir dazu alle Möglichkeiten, so aber bleibt es uns unmöglich,
bleibt es uns Unglauben, Un-Gott.
Hilf!
Das Wunderbare ist: Der Vater bittet
um Hilfe, er schreit sogar mit einem Ausrufezeichen darum, dort endet sein Satz
und er endet so, wie sein Sohn endet: Durch den Tod hindurch zu neuem Leben.
Diese „Hilf!“ hat einen Adressaten, ist an jemanden gewandt, als Schrei aber
gilt es aller Welt, die hören kann, ist es lauter Schall für viele Ohren bis heute,
es trifft aber Jesus.
Und Jesus diskutiert nicht mehr,
entledigt sich aller scheinbaren Distanz, lebt seine für ihn so elementare
Unmittelbarkeit zu Gott und den Menschen und wird als voll Beteiligter
Seelsorger, wie so oft. Er erbarmt sich nicht nur dem Volk, den Jüngern, dem Vater,
dem Sohn, sondern der ganzen Szene, von Anfang an tut er das schon. Er erbarmt
sich der Szene und hilft dem Unglauben auf, er hilft dem Unglauben auf, indem
er die allen noch fehlende Gotteswirklichkeit vor Augen und ins Leben führt,
indem er das Etwas, was noch nicht von Gott war, göttlich machte, indem er die ausstehende
Wirklichkeit wirklich macht: Jesus zeigt dem Volk seine Leben schaffende Macht,
er beschenkt dem Vater mit Glauben, er heilt den Sohn und weißt die Jünger,
weißt uns auf das Beten hin.
Er ändert alles und nur vielleicht
ist sein ganzes Tun in dieser Szene, in den Worten des Vaters ein Gebet, ein
einziges Gebet, das uns in das Nachsprechen der Jahreslosung überführen soll.
Menschen bringen betend ihre Worte zu Jesus, sind entsetzt und grüßen ihn von
Ferne mit ihren strohernen Worten. Jesus fragt mich nach, diskutiert im Gebet
manches mit mir, erträgt mich, verweist auf die Zeit, auf das jetzt Drängende,
Jesus bedroht die üblen Mächte, Sünde, Hochmut, Krieg und Hass, und trägt unser
Bitten in seinem Gebet vor Gott, und Jesus nimmt betend unsere scheinbar toten
Hände und richtet uns auf, wir werden betend andere.
Im Gebet werden wir von Beobachter
zum Beteiligten, wird die Jahreslosung zu unseren Worten. Vielleicht dreimal am
Tag, morgens, mittags, abends, zu beten. Amen.