Freitag, 24. Juli 2015

Aus heiterem Himmel



Predigt zum 117. Jahresfest des Diakonissenhauses (26. Juli 2015)

Rote Rosen
Für dich soll´s rote Rosen regnen. Von oben, herabfallend, aus dem Himmel, zu dir, dir von Liebe erzählen. Der Mensch steht, sitzt oder liegt direkt oder indirekt meistens auf der Erde. Über ihm der Himmel, verbaut durch Betondecken, verhüllt durch Blätterwerk, ganz klar, strahlend blau. Regen fällt aus dem Himmel. Schnee im Winter auch, leicht tanzend, Blitz und Donner, und irgendwie fallen auch die Sonnenstrahlen aus dem Himmel, aber anders, verbindender. Aus dem Himmel … als sei der Himmel ein wunderbares Reservoir, aus dem auf Menschen manches fällt.
Menschen können aufrecht stehen, auch sitzen, aufrechte Menschen, aufgerichtet. Sie sind himmelausgerichtet. Sie blicken in den Himmel, manchem Flugzeug folgend, die Wolken beobachtend, die Sterne am Abendhimmel; sie liegen auf dem Grasboden und schauen in den fernen nahen leuchtendblauen Sommerhimmel. Sie beten und hoffen, bitten und flehen, manchmal danken, strecken sich jenem Himmel entgegen, den Wissenschaftler Weltall nennen.
Und der Himmel wird zum eigentümlichen Sehnsuchtsort. Der Himmel über uns erzählt vom Himmel in uns, erzählt von Weite und Geborgenheit, von Heimat und Fernweh, von Höhe und Tiefe. Wie kommt man in den Himmel? Wie kommt er zu uns, auf die Erde? Phantastischer Ort für die gedachte Heimat von Engeln, Überirdischen, von Gott, auf jeden Fall ist Himmel mehr als Erde, die Ausweitung der Erde nach Woanders, ein himmlischer Baldachin für Menschenkinder.
Zachäus, jener reicher Sünder rückt dem Himmel ein Stück näher, von Natur aus nah an die Erde gewachsen, klein von Statur, klettert er auf einen Baum und will von dort Jesus sehen. Und: Jesus, Gottes Sohnes, sieht im Vorübergehen Zachäus, er, der von Gott vom Himmel auf die Erde geschickt wurde, schaut in den Himmel und sieht dort den Mensch, Zachäus. Verkehrte Welt?
Heiter
Heiter bis wolkig. Tausendmal schon gehört von der Wettervorhersage. Heiter ist nur leicht wolkig, um meteorologisch genau zu sein: Heiter ist eine zweiachtel Bewölkung, viel mehr Sonne als Wolken, viel mehr blau als grau. Wie wunderschön: das kann auch für Menschenleben und Seelen gelten. Nur wenig von Sorgen, Problemen, Dunkelheit bewölkte, grau gemachte Seelen, sondern: Heitere, fast vollkommen sonnige Seelen.
Heiter lässt sich mit wunderbaren deutschen Worten beschreiben, die von so viel erzählen: von Mut und Raum, von Lockerheit und Fröhlichkeit. Wer heiter ist und wird, der ist frohgemut, der ist aufgeräumt, ist aufgelockert, ist positiv gestimmt und gelassen, er ist alles andere als ein Griesgram, als einer mit Schwermut.
Zachäus mag vielleicht eine solcher gewesen sein. Wer weiß. Vielleicht hat ihn die Sünde, die Kontaktlosigkeit zum Leben, so gemacht, schwermütig, negativ, griesgrämig. Als Jesus ihn über sich auf dem Baum den Himmel als Horizont hinter ihm sah und ihn bat eilends herunterzusteigen, um bei ihm einzukehren, da wurde Zachäus heiter gemacht, da stieg er heiter vom Baum: Es hatte sich was gelöst, gelockert in ihm, die Sündenwolken verzogen in ihm, er wurde innerlich aufgeräumt und er fasste Mut. Eilends stieg er vom Baum auf die Erde zurück, eine für ihn andere, und nahm Jesus mit Freuden, froh und heiter auf. Und Jesus? Er war wohl der, der er vom Anfang an war, jener vom Himmel auf die Erde Heruntergekommene, von dem der himmlische Engelsbote bei seiner Geburt heiter und Mut machend rief: „Fürchtet euch nicht, siehe, ich verkündige große Freude, die allem Volk widerfahren wird.“ Eine frohmachende, erheiternde Botschaft, die Jesus da ist, bis heute.

Ein heiterer Himmel
Aus heiterem Himmel: Plötzlich, unerwartet, schlagartig. Gerade sah es am Himmel vollkommen heiter aus, so gar nicht nach Regen, und plötzlich, sprichwörtlich aus heiterem Himmel beginnt es zu regnen, ziehen Gewitterwolken auf, wird aus heiter unerwartet stark wolkig. Verkehrte Welt für Zachäus: Aus heiterem Himmel widerfuhr ihm gerade das umgekehrte: Jesus blickt in den Himmel, sieht Zachäus, begegnet ihm und das Leben von Zachäus wird von sehr wolkig plötzlich und unerwartet heiter, sehr heiter. Der Grund seiner Freude niemand anderes als Jesus, als Gott.
Trotz allen Leids, trotz allem, was schief geht, was Menschen falsch machen, sich antun, erleiden, trotz dem, dass Gott zornig werden könnte, er auch Wut im Bauch hat, er sich zutiefst schämt für manches, was passiert, ist und bleibt er ein liebender, ein grundpositiver, ein heiterer Gott, ein Gott, der eine tiefe Freude an Menschen hat, sie beharrlich mag und liebt, sich an ihnen freuen möchte und freut, der noch mehr als Menschen es jemals sein könnten, dies ist: irgendwie göttlich frohgemutet, aufgeräumt, aufgelockert, eben heiter.
Vielleicht ist das manchmal unerwartet, unglaublich. Für uns. Eben: Aus heiterem Himmel. Das könnten wir wörtlich nehmen. Gott im Himmel hat das gegeben, was seine tiefste Freude ist, seinen eignen Sohn, damit er unsere Freude ist und wird: Jesus. Wie Zachäus von Jesus entdunkelt und erheitert wird und seinem Haus Heil widerfährt, werden auch wir entdunkelt, erheitert und widerfährt diesem Haus Heil. Wirklich aus heiterem Himmel. Warum dann nicht auch um des Himmels willen: Für euch soll´s rote Rosen regnen. Amen.







Samstag, 18. Juli 2015

In allem mehr



Predigt am 7. Sonntag nach Trinitatis (19. Juli 2015)

Johannes 6, 1-13
1 Danach fuhr Jesus weg über das Galiläische Meer, das auch See von Tiberias heißt. 2 Und es zog ihm viel Volk nach, weil sie die Zeichen sahen, die er an den Kranken tat. 3 Jesus aber ging auf einen Berg und setzte sich dort mit seinen Jüngern. 4 Es war aber kurz vor dem Passa, dem Fest der Juden. 5 Da hob Jesus seine Augen auf und sieht, dass viel Volk zu ihm kommt, und spricht zu Philippus: Wo kaufen wir Brot, damit diese zu essen haben? 6 Das sagte er aber, um ihn zu prüfen; denn er wusste wohl, was er tun wollte. 7 Philippus antwortete ihm: Für zweihundert Silbergroschen Brot ist nicht genug für sie, dass jeder ein wenig bekomme. 8 Spricht zu ihm einer seiner Jünger, Andreas, der Bruder des Simon Petrus: 9 Es ist ein Kind hier, das hat fünf Gerstenbrote und zwei Fische; aber was ist das für so viele? 10 Jesus aber sprach: Lasst die Leute sich lagern. Es war aber viel Gras an dem Ort. Da lagerten sich etwa fünftausend Männer. 11 Jesus aber nahm die Brote, dankte und gab sie denen, die sich gelagert hatten; desgleichen auch von den Fischen, soviel sie wollten. 12 Als sie aber satt waren, sprach er zu seinen Jüngern: Sammelt die übrigen Brocken, damit nichts umkommt. 13 Da sammelten sie und füllten von den fünf Gerstenbroten zwölf Körbe mit Brocken, die denen übrig blieben, die gespeist worden waren.

wenig und viel
Geburtsorte sind verschieden verteilt: Manche liegen irgendwo in Armenslums und andere auf einer Wochenbettstation im reichen Mitteleuropa. Geschwister sind ungleich verteilt: Manche haben gar keine und vermissen sie ein Leben lang und andere wachsen im Kreis von Geschwistern auf und sind nie ganz alleine. Das, was zu lernen ist, ist auch unterschiedlich verteilt: Manche haben große Talente und gute Bedingungen, andere nur Talente, aber schlechte Chancen, dritte keines von beiden. Auch die Liebe ist nicht gleich verteilt: manche bekommen ganz viel und geben wenig, andere werden kaum geliebt und wieder andere lieben nur ihre Arbeit. Fragen sind auch ungleich verteilt: Manche haben ganz viele Fragen und finden keine Ruhe, andere sind unbedarft und gehen einfach so durchs Leben und dann gibt’s noch die, nach denen niemand so recht fragt. Essen ist ungleich verteilt, Wasser auf den ganzen Globus gesehen auch, Geld im Geldbeutel und auf dem Konto natürlich auch, selbst die Haare auf den Kopf, die Freunde im Leben, die Schicksalsschläge, die Krankheiten, die schönen Momente, selbst der Tod trifft nicht alle gleich.
Irgendwie scheint alles, so gut wie alles, im Leben schon irgendwie verteilt zu sein. Unterschiedlich verteilt: die einen haben mehr, die anderen weniger, von einem ist viel da, vom anderen kaum etwas. Die Fragen der Jünger: Wo kaufen wir nur? Reicht das Geld für so viele? Genügt das? Was ist das schon? sind alltägliche Fragen und manchmal werden sie zugespitzt und dass alles schon immer verteilt ist, wird zur Not, zur Anfrage, zur himmelschreiender Ungleichheit, vor der wir fragend stehen: Die einen verhungern und die anderen haben volle Bäuche. Die einen flüchten ohne alles und die anderen haben 5-Zimmer-Wohnungen. Die einen rechnen in Millionen und die anderen fühlen sich wie Nullen. Die einen haben so viel und die anderen wenig.

Reste sammeln
Allein. Jesus ist vorher und nachher auf dem Berg. Er alleine sieht die Vielen. Er sieht jeden einzelnen der Vielen und jeden einzelnen hungrigen Bauch. Jesus lässt sie lagern, jeden seinen Platz nehmen und macht aus der Masse der Vielen eine Tischgemeinschaft für Momente. Jesus sieht das Kleine unscheinbare und es reicht, es reicht vollkommen, es muss gar nicht mehr und groß und herrlich sein. Er sieht ein Kind, vielleicht fast untergegangen in der Menge der Menschen, er stellt es für Sekunden in die Mitte, macht es groß und größer. Jesus reicht, was das Kind hat, Jesus reichen seine Brote und seine Fische für alle.
Jesus nimmt, was er vorher nicht hatte und er gibt es dann weiter an andere. Jesus nimmt, was da ist und gibt es weiter an die, die da sind. Jesus dankt zwischen nehmen und geben, inmitten des Werks seiner eigenen beiden Hände dankt er dem, dessen Werk im Grunde alles ist: Das Brot, die Fische, das Kind, die vielen, die Jünger und er selbst. Jesus dankt für das Geschenk in seinen Händen, für das Unverfügbare, das ihm jetzt zur Verfügung steht, für die Schöpfung in diesen Dingen und in diesem Moment des Wunderbaren, für das ewige und ewig immer schöpferische „sehr gut“, für Gottes Möglichkeit, die zur Wirklichkeit für viele wird.
Jesus macht alle satt, sie bekommen so viel, sie wollen, es gibt keine Essengrenze und keine Beschränkung. Was für eine unglaubliche Freude und tiefe Stille, welch Essensgeräusche und Herzschläge. Jesus schöpft aus dem Dank und unerschöpflich wird es für so viele. Nichts ist schon verteilt, alles wird in diesem Moment verteilt, wirklich alles, unerschöpflich. Und nichts, aber auch nichts darf vom Rest umkommen. In allem, im noch so Kleinen, im Rest wohnt jene Fülle, die Jesus von Gott in die Hände gelegt bekommt und in Liebe bis heute austeilt. Nichts ist nichts. In allem wohnt ein Stück der Fülle; deswegen vorsichtig damit, deswegen aufsammeln, deswegen herumgehen und aufsammeln, aufbewahren. Die Reste sind so kostbar, so wertvoll, so sättigend. Vom Heiligen gibt es eigentlich keinen Rest.

Nichts wird verteilt
Satt, Heilige werden. Vielleicht so leben: Es ist nicht alles schon immer verteilt. Sondern: Es wird in dem Moment verteilt, in dem Menschen es anblicken, es sehen, es annehmen, es nehmen, empfangen, wie Jesus es sieht, nimmt und verteilt. Mit seinem Blick, mit seiner wunderbaren Bewegung die Dinge, die Menschen, alles, was ist, sehen, nehmen und teilen.
In allem mehr sehen, im Brot, im Wasser, im Menschen. Nie nur das scheinbar vorhandene, das dann ungleich verteilt ist, sehen und nehmen, sondern mehr:
Gottes Möglichkeit in allem: Im Brot den hungrigen Bauch, im Flüchtling ein Menschen wie dich, in Geld das Leben des Anderes, im Armen jemand, der reich wird, im Dunkeln das Licht, im Haben den Dank und im Geben das Empfangen, in den Vielen den EINEN.
Nichts ist schon verteilt. Wir verteilen es neu, jeden Tag ein kleines Wunder. Amen.