Predigt am 13. Sonntag
nach Trinitatis (2.9.2012)
1. Mose
4, 1-16
Und Adam erkannte seine Frau Eva, und sie ward
schwanger und gebar den Kain und sprach: Ich habe einen Mann gewonnen mit Hilfe
des HERRN. Danach gebar sie Abel, seinen Bruder. Und Abel wurde ein Schäfer,
Kain aber wurde ein Ackermann.
Es begab sich aber nach etlicher Zeit, dass
Kain dem HERRN Opfer brachte von den Früchten des Feldes. Und auch Abel brachte
von den Erstlingen seiner Herde und von ihrem Fett. Und der HERR sah gnädig an
Abel und sein Opfer, aber Kain und sein Opfer sah er nicht gnädig an.
Da ergrimmte Kain sehr und senkte finster
seinen Blick. Da sprach der HERR zu Kain: Warum ergrimmst du? Und warum senkst
du deinen Blick? Ist's nicht also? Wenn du fromm bist, so kannst du frei den
Blick erheben. Bist du aber nicht fromm, so lauert die Sünde vor der Tür, und
nach dir hat sie Verlangen; du aber herrsche über sie.
Da sprach Kain zu seinem Bruder Abel: Lass uns
aufs Feld gehen! Und es begab sich, als sie auf dem Felde waren, erhob sich
Kain wider seinen Bruder Abel und schlug ihn tot. Da sprach der HERR zu Kain:
Wo ist dein Bruder Abel? Er sprach: Ich weiß nicht; soll ich meines Bruders
Hüter sein? Er aber sprach: Was hast du getan? Die Stimme des Blutes deines
Bruders schreit zu mir von der Erde. Und nun: Verflucht seist du auf der Erde,
die ihr Maul hat aufgetan und deines Bruders Blut von deinen Händen empfangen.
Wenn du den Acker bebauen wirst, soll er dir hinfort seinen Ertrag nicht geben.
Unstet und flüchtig sollst du sein auf Erden. Kain aber sprach zu dem HERRN:
Meine Strafe ist zu schwer, als dass ich sie tragen könnte. Siehe, du treibst
mich heute vom Acker, und ich muss mich vor deinem Angesicht verbergen und muss
unstet und flüchtig sein auf Erden. So wird mir's gehen, dass mich totschlägt,
wer mich findet. Aber der HERR sprach zu ihm: Nein, sondern wer Kain
totschlägt, das soll siebenfältig gerächt werden. Und der HERR machte ein
Zeichen an Kain, dass ihn niemand erschlüge, der ihn fände. So ging Kain hinweg
von dem Angesicht des HERRN.
Stummer Abel
Kein Wort spricht Abel. Kein
einziges Wort wird von ihm erzählt. Seine Mutter spricht nichts über ihn, als
er geboren wurde – anders als bei Kain. Gott spricht nicht mit ihm - anders als
mit Kain. Kein Wort, nichts, ist von ihm zu hören: Er spricht nicht, er antwortet
nicht. Abel bleibt stumm. Nur Kain spricht zu ihm, ein paar Worte, eher Fetzen.
Eine kurze Anweisung: Komm. Und Abel geht, stumm wie immer und erschlagen von
seinem Bruder stirbt er stumm.
Sein Blut schreit. Die Erde, auf
der sein Blut vergossen wird, tut ihren Mund, ihr Maul auf und schreit, schreit
zum Himmel, zu aller Geschichte, die nach Kain und Abel kommt, bis zu uns,
hinein in unsere Ohren. Die blutrote Erde schreit und schreit alle Worte
hinaus, die Abel in sich trug, die er nicht gesprochen hat, nicht gesagt hat,
mit denen er sie hätte wehren können, es richtig stellen können, hätte Nein
sagen können.
All diese Worte der Opfer dieser
Welt schreien in jenem Schrei der Erde, auf der der stumme tote Abel liegt. All
das leise Wimmern, all die vorsichtigen Worte, all die zu zaghaften Neins, all
die gesprochenen, aber einfach nicht gehörten, nicht ernstgenommenen,
wirkungslosen Schreie schreien da mit. Auch unsere, wenn wir zum Opfer werden,
von Trauer und Tod, von Schlägen und unerfüllten Träumen, von anderen und uns
selbst - und stumm sind wie Abel.
Unerträglich
Kain spricht. Über ihn wird
schon gesprochen, als er geboren wurde, er sei ein Mann gewonnen mit Gottes
Hilfe. Er wird von jenem Gott angesprochen, gefragt, als er seinen Blick
senkte, und Kain spricht mit Gott, argumentiert, rechtfertigt, hadert,
entgegnet ihm. Eigentlich unerträglich sind all diese Worte.
Unerträglich ist für Kain, dass
Gott einen Unterschied macht zwischen ihm und seinen Bruder, einen Unterschied,
wie es ihn immer gab und gibt: der eine früher, der andere später geboren, der
eine Schäfer, der andere Ackermann, der eine gnädig angesehen, der andere
nicht. Für Kain wird dieser Unterschied zur Demütigung, unerträglich.
Diese Unerträglichkeit des Seins
lässt ihn die Gesichtszüge entgleisen, seinen Blick senken, sein Inneres
verfinstern, lässt ihn seine Kontrolle verlieren, Worte des Todes sprechen,
töten. Unerträglich, wie die Sünde auf ihn lauert, wie sie ihm nachstellt, wie
er gegen sie ankämpfen muss. Unerträglich wie Gott ihn entdeckt und zur Rede
stellt, wie er verflucht wird, wie er vertrieben wird, wie er unstet und
flüchtig leben muss, wie ihm die Früchte des Lebens vorenthalten werden, wie er
sie sich erarbeiten muss, wie er weiterleben muss, gezeichnet, geschützt, wie
ihm Gott den Tod vorenthält. Wie unerträglich schwer dieses selbstverschuldete Leben.
Es gibt Tage, Stunden, Momente,
an denen Menschen wie wir diese Unerträglichkeit des eigenen Lebens spüren.
Spüren, fühlen, denken: Wie unerträglich schwer lastet auf mir mein eigenes Leben,
mit dem, was es getan, versäumt hat, ihm widerfährt. Unerträglich schwer ist es
mit den Unterschieden, die einfach gemacht werden. Warum der. Warum die. Warum
nicht ich.
erhoben
Warum bist du nicht fromm? Das
fragt Gott Kain mitten ins Gesicht. Ein frommer Kain müsste nicht innerlich
ergrimmen, seinen Blick senken und tun, was er dann tat. Ein frommer Kain
könnte seinen Blick frei heben und für ihn wäre der eine Unterschied, den Gott
machte nicht zur Unerträglichkeit geworden. Er hätte ihn in Blick auf Gott als
Moment der Gnadenlosigkeit empfangen.
Gott sieht Kain an und es gibt keinen
Grund, warum Gott Kains Opfer ungnädig ansieht, außer den Grund, den Gott hat.
Das ist eine Zumutung. Wie sie uns auch zugemutet wird: Warum der und warum
nicht ich? Warum geschieht dies und das nicht? Warum bleibt versagt, was ich
will, und warum widerfährt mir, was ich überhaupt nicht will? Warum stirbt mein
geliebter Mensch und darf nicht weiterleben wie die anderen?
Wie Kain bekommen wir keine
Antwort. Das ist unerträglich. Fromm aber würden wir den Blick versuchen,
aufrechtzuhalten, weiter frei in Richtung Gott zu schauen. Versuchen. Es ist
schwer. Fromm würden wir im Angesicht Gottes seinen Blick suchen, seinen Kontakt,
würden wir nicht unheilvoll gebunden werden durch den Blick auf den, dem es
scheinbar besser geht, der mehr hat, der vom Schicksal begünstigt wird, ja auf
uns selbst als Opfer einer Willkür wie Kain.
Fromm würden wir versuchen im unerbittlichsten
Unterschied, den er macht, noch frei auf ihn zu blicken, mit letzter Kraft ganz
genau am Rand der Unerträglichkeit. So wie Jesus am Kreuz. Auf Gott das Letzte
setzen, Hoffnung auf erneute Zuwendung und auf Auferstehung. Fromm würden wir
dann Gott anders antworten, geantwortet haben auf seine uralte Frage: Wo ist? Wir
könnten antworten: Dort ist. Dort ist mein Bruder und meine Schwester, dort ist
mein Nachbar, mein Nächster, der, nach dem du suchst, Gott, dem deine Sorgen und
deine Gnade gelten. Und fromm wären wir einander Hüter, solche, die nach dem
Vorteil für die anderen schauen, nach dem Unterschied zu ihren Gunsten, nach
Gottes gnädigen Blick auf sie. Amen.