Predigt zum Sommergottesdienst im
EDKH
(25. Juli 2016)
Endlich
„Endlich Zeit“. Als hätte man sie,
die Zeit, irgendwie verloren, nicht mehr, und nun endlich hätte man sie.
Endlich Zeit – ein Gedanke, ein Wunsch, eine kleine Sehnsucht. Endlich Zeit für
mich, für jemand anderen, für etwas Schönes, Wohltuendes, für Gott. Endlich!
Denn die Zeit vorher und jetzt noch ist stressig, schwierig, mühsam,
anstrengend, gar keine richtige Zeit. Aber jetzt endlich: Zeit, lange darauf
gewartet.
Endlich. Das gleiche Wort bekommt
eine andere Bedeutung. Die Zeit ist endlich, hat einen Anfang und ein Ende. Die
Endlichkeit der Zeit merkt man im Krankenhaus. Wir arbeiten als hätten wir nur ein
Stück dieser endlichen Zeit, als hätten wir nur knapp bemessene, kostbare und
immer zu wenige Zeit für so vieles. Die Zeit hier ist merkwürdig beschleunigt,
verdichtet, der Takt auf Station, im OP, in der Verwaltung ist hoch, manchmal
fast atemlos.
Endliche Zeit. Das merken die, die
hier liegen, auf Zeit leben. Sie merken, ihre Körper sind vergänglich, und mit
dem Gang durch die Tür hier leben sie in einer anderen Zeit, eine Zeit, die
sich unterteilt in vor und nach der Krankheit, eine Zeit, die sich aufteilt in
Warten, Angsthaben, Hoffen. Zeit, die sich ungeheuerlich dehnt, irgendwie sich
ähnelt, von der viel zukünftige Zeit abhängt. Endlich Zeit, klingt ganz anders,
wenn Menschen unser Haus wieder verlassen. Und für die, die es nicht mehr
verlassen, war es endlich-letzte Zeit, und für Menschen, die im Pflegeheim
wohnen ist es in ihrer ganz eigenen Zeit der letzte größere Abschnitt Zeit und für
die jungen Menschen drüben im Haus Landwasser, die eigentlich noch so viel Zeit
vor sich hätten, scheint die Zeit eine verkehrte zu sein.
Zeit
Zeit bemisst sich nach Sekunden,
Minuten, Stunden, Tagen, Wochen, Monaten, Jahren, nach einer Lebenszeit, vom
ersten bis zum letzten Atemzug. Zeit ist das, worin alles irgendwie zu liegen
scheint, die Ereignisse mit Daten, die vielen Termine im Kalender, die
Begegnungen an bestimmten Zeiten und die vielen einzelnen Augenblicke, schwere
wie schöne, schnelle wie unendliche, einsame wie wunderschön gemeinsame. Unsere
Zeit hat eine Richtung, die wir selbst nie umdrehen können, das macht Zeit gnädig
und unbarmherzig zugleich, Zeit kennt Vergessen und Erinnern, Vergangenheit,
Gegenwart und Zukunft.
Durch Uhren lassen wir uns Zeit
anzeigen, nehmen Termine wahr, verfolgen Minutenzeiger, werden geweckt am
Morgen und beginnen unseren Tagestakt. Zeit hat man, oder sie hat einen. Zeit
hat man nicht, man nimmt sie sich. Zeit wird einem geschenkt, manchmal, eher
gestundet, es geht darum, sie zu füllen, irgendwie. Zeit ist immer die gleiche,
immer 60 Minuten in 24 Stunden, mehr und nicht weniger gibt es, und doch so
unterschiedlich ist sie. Mal Mangel, mal nicht tot zu bekommen, mal wunderbar
gefüllt und dann furchtbar leer und verloren. Zeit wird einem gegönnt oder
verwehrt, Zeit kann einen quälen, aber auch ein Stück Ewigkeit sein.
Zeit ist eigentlich nur Konstrukt,
nicht wirklich wirklich, sie ist nur da, damit wir uns treffen können und nicht
dauernd verfehlen, damit wir uns sagen können, seit wann wir uns lieben, damit
in den Schulen alle zur gleichen Zeit Pause haben; damit wir wissen, wie lange man
nach Köln braucht und ein medium gebratenes Steak; damit wir einander
Zeitfenster öffnen können, um sie fast gleich wieder zu schließen. Und keiner
weiß genau, wohin diese Fenster blicken lassen.
Er füllt
Jesus hatte keine Termine, zumindest
liest man nichts davon, er hatte keine Uhr und selten hört man ihn nach der
Zeit fragen, oder wie langes was noch geht oder wann wer kommt. Nacht und Tag
waren für ihn nicht entscheidend, und selbst die wenigen Stunden, die er noch
zu leben hatte, zählte er nicht. So wichtig es für Jesus war, einander zu
begegnen, sich anzublicken, Gottes Gegenwart zu spüren, Vergangenheit verziehen
zu bekommen und Zukunft für die Seelen zu finden, so scheinbar gleichgültig war
er der Zeit gegenüber. Für ihn spielt sie wohl keine Rolle.
Man sagt: Mit ihm erfülle sich die
Zeit. Mit ihm wurde die Zeit erfüllt. Unsere Zeit. Jede Zeit. Und dort, wo die
Zeit erfüllt ist, kann sie selbst nicht mehr das wichtigste sein, höchstens
noch Mittel zum Zweck, Struktur, Ordnung, Hilfestellung. Jesus erfüllt die Zeit
und endlich Zeit ist erfüllt. Jesus füllt die Zeit mit Sinn im Schmerz, mit Leben
auch im Tod, mit Woher und Wohin, mit Richtung, mit wunderbar ohnmächtig
mächtiger Liebe, er füllt die Zeit mit dem, was wesentlich, wichtig, bleibend,
rettend, heilsam ist. Er füllt Zeit mit wunderbaren Worten, mit sich, mit Gott.
geschenkt
Wie bekommt man eigentlich Zeit? Sie
ist ja immer schon da. Jeder Tag hat seine gleiche Zeitmenge. Manchmal bekommt
man Zeit, Zeit geschenkt, wenn das, was vorgesehen, geplant ist, sich nicht
ereignet. Dann kommt etwas anderes in die Zeit, und manchmal ist das wie kleine
Zeitgeschenke. Nur fällt es uns schwer, sie wirklich anzunehmen.
Wie löst man einen Zeit-Gutschein
ein? Kein Zettel der Welt enthält wirklich Zeit. Und viele Zettel, wie zum Beispiel
Geldscheine, tauschen Menschen jeweils nur wie in eine Richtung. Zeit können
wir immer in beide Richtungen tauschen. Wir können Zeit von uns schenken und
wir können Zeit vom anderen uns wünschen. Da, wo dieser Zeittausch um des
anderen willen geschieht, so drei Minuten von dir oder drei Minuten für dich,
da wird es von Menschen erfüllte Zeit und atmet etwas von jenem einen, der
seine Zeit nur und ausschließlich für Gott und seine Menschen verbrachte. Amen.