Dienstag, 17. April 2018

Bestimmt


Predigt an Misericordias Domini (15.4.18)
 
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„I have a dream“ von Martin Luther King

Träumen
Von was träumen wir? Nicht in den Nachtträumen. In den Tagträumen. Wenn wir in uns etwas ausmalen, vorstellen, wünschen, etwas was werden soll. Erreichbares und Unerreichbares. Bilder, Gedanken, Wünsche, die uns entheben vom Alltag, beflügeln, vertrösten, täuschen. Was wir uns erträumen, hängt von dem ab, wie unsere Wirklichkeit aussieht, ob sie uns bedrückt, ob sie grau ist, ob sie etwas übrig hat, von dem wir träumen, was anders, besser, schöner werden soll.
Träumen wir überhaupt noch? Oder haben wir uns das schon lange verboten? Hat die Realität uns das Träumen ausgetrieben oder ist alles, so wie es sein soll? Haben wir schon alles ausgeträumt? Wir kennen, haben Alpträume, dunkle Bilder, wie schrecklich es sein kann und auch manchmal ist. Haben wir dagegen auch und vielleicht mehr, stärkere Träume, wie es wieder gut wird? Träume sind keine Visionen, Leitbilder, die man mit Zielsetzungen und guten Methoden erreichen könnte. Träume bewegen sich fast spielerisch, sehnsüchtig in Balance, auf dem Grat zwischen unerreichbar und doch machbar, zwischen unwirklich und doch möglich.
Träumen wir gemeinsame Träume? Träume, die nicht nur ich habe oder du, sondern wir beide, wir gemeinsam, die wir teilen, wie etwas, nach dem es sich gemeinsam streben, auf das sich gemeinsam hoffen lässt. Träume, die die Menschheit träumt? Irgendwo tief verankert in unserer gemeinsamen Geschichte und in einer gemeinsamen Zukunft. Träume davon, wie unser Leben gemeinsam aussehen soll, könnte, wie es für uns, für uns alle besser wäre. Ist da schon alles eingelöst?



I still have a dream
Martin Luther King hatte so einen Traum. Vor fast genau 50 Jahren, am 4. April 1968 wurde er in Memphis Opfer eines Attentats und ist gestorben. Aber sein Traum ist nicht gestorben. Er hat für uns alle einen gemeinsamen Traum in bis heute nachhallende Worte gefasst. Er hatte einen Traum von einer Oase der Gerechtigkeit, von einem Tisch der Brüderlichkeit, von einem neuen Exodus in die Freiheit hinein.
Sein Traum war ein gemeinsamer Traum. Auch wenn er immer wieder Ich sagte, träumte er für alle, mit allen, träumte er alle, Schwarze und Weiße, Arme und Reiche, Schwestern und Brüder. Sein Traum war ein alter, ewiger, wahrer Traum. Einer, der Wurzeln hatte, die hinunter reichen in das tiefe Bewusstsein der Menschen, der uneingelöst war, der versprochen war, der jetzt geträumt wird, der jetzt sich beginnt zu erfüllen, dessen Tag gekommen ist, der die Zukunft in Bilder so herbeiholt, dass sie beginnen zu werden, einer, der kleine und klein gemachte Menschen in seiner Größe hineinnimmt und sie so zu seinem Teil, zu seiner Bewegung macht.
Sein Traum war ein kämpferischer Traum. Einer, der aber mit den Waffen des Geistes, der Wort, der Hoffnung und des Glaubens kämpfte, der nie gewaltsam gegen andere kämpfte, der Leiden ertrug und darin erlösende Kraft sah, der unzufrieden war, aber nie aufgab, der beharrlich war und nie verzweifelte, der die Kraft gab, aufzustehen, zu singen, erschallen zu lassen überall, von was er träumte. Sein Traum war ein ganz alltäglicher Traum. Einer, der Menschen von ihm faszinierte, der in Menschen selbst diesen Traum erwachen ließ und sie dorthin diesen Traum sagen, leben ließ, wo sie waren, lebten. Ein Traum, der nicht fern der Wirklichkeit war, sondern der für die Wirklichkeit war, in ihr seine Wurzeln hatte und Menschen ihn dort weiter träumen ließ, wo sie lebten, wo der Traum ihre Wirklichkeit zu einer andere werden ließ.


Gott träumt
Christen träumen Gottes Traum. Nirgendwo wird in der Bibel gesagt, dass Gott träumt. Nirgends. Und doch ist dieses Buch, sind diese Worte ein einziger Traum Gottes, seine Vorstellung, sein Wunsch, sein Wollen, sein Hoffen, seine Vision, seine Bestimmung von der Welt, von Menschen, von mir und von dir, von uns.
Martin Luther King hat einen göttlichen Traum geträumt. Denn Gottes Traum ist ein gemeinsamer Traum, ist ein alter, ewiger, wahrer Traum, ist ein kämpferischer, ist ein alltäglicher Traum. Denn Gott ist ein liebender Gott, der uns alle schon immer und immer wieder ewig liebt, der uns leidenschaftlich, kämpferisch liebt, der uns als seine alltägliche Menschen liebt, so wie wir sind.
Gott hat seinem Traum ein Gesicht seiner Liebe gegeben. Sein Traum gewinnt Gestalt in Jesus Christus. Er ist das Ebenbild Gottes, in das Menschen hineinverwandelt werden sollen, so dass sie zu Gottes Ebenbild werden. Menschen sind unterschiedlich, immer. Sie werden nicht gleich geboren, die einen werden in den Slums geboren, die anderen im Nobelviertel, die einen sind homosexuell, die anderen heterosexuell, die einen sind intelligent, die anderen mit großen Herz, die einen haben schwarze Haut, die anderen weiße. Menschen haben Unterschiede, von Anfang an und noch mehr im Leben, das unterschiedlicher manchmal nicht sein könnte, und manchmal reiben Menschen sich an ihrer Unterschiedlichkeit bis zur Unerträglichkeit, benachteiligen und bevorzugen einander, beherrschen einander und lassen Unterschiede herrschen.
Gottes Traum ist es aber, dass Menschen einander immer zuerst als seine Ebenbilder anschauen, wahrnehmen, erkennen, achten; immer wieder, auch wenn´s an die Schmerzgrenze geht. Sein Traum ist es, dass Menschen im anderen Christus, sein Bild, suchen, sehen, entdecken, auch wenn es dazu immer einen zweiten, dritten, beharrlichen, zu recht liebenden Blick braucht.
 In diesem Blicken würden die Unterschiede nur eine zweite Rolle spielen, sie würden nicht den Ausschlag geben. Denn: Gottes Licht fiele auf alle, alle würden zuerst als seine geliebten Geschöpfe einander erscheinen, Geschöpfe, denen Leben und Zukunft gehört, deren Würde in Gott gründet. Alle würden gleich gesehen werden, alle würden einen gemeinsamen An-Blick teilen und Brüder und Schwestern sein, alle würden frei werden, frei so zu leben wie geliebte Menschen, wie Christus vor Gott. Amen.