Samstag, 23. Mai 2015

Für immer zusammenbleiben



Predigt an Pfingstsonntag (24. Mai 2015)

Johannes 14, 23-27
Jesus antwortete ihm:  Wenn jemand mich liebt, wird er an meinem Wort festhalten; mein Vater wird ihn lieben und wir werden zu ihm kommen und bei ihm wohnen. Wer mich nicht liebt, hält an meinen Worten nicht fest. Und das Wort, das ihr hört, stammt nicht von mir, sondern vom Vater, der mich gesandt hat.
Das habe ich zu euch gesagt, während ich noch bei euch bin. Der Beistand aber, der Heilige Geist, den der Vater in meinem Namen senden wird, der wird euch alles lehren und euch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe.
Frieden hinterlasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch; nicht einen Frieden, wie die Welt ihn gibt, gebe ich euch. Euer Herz beunruhige sich nicht und verzage nicht.

Festhalten
Unser Herz schlägt, in seinem Takt, jeden Tag, jede Nacht, vom ersten bis zum letzten Herzschlag. All das, was unser Herz umgibt, all das, was ihm wichtig und teuer ist, was der Mensch um es herum, hört, erfährt, spürt, bekommt, prägt: wie kann das Herz all das festhalten?
Festhalten tun Menschen mit den Händen, mit den Fingern, den Henkel einer Tasse, einen Stift, etwas, was benutzt wird, was man nehmen, halten, festhalten muss. Menschen halten manchmal ganz fest, umklammern, lassen nicht los. Menschen halten andere Menschen fest, in Liebe, in Irrsinn, gewollt, gewaltsam, Menschen halten einander fest in schweren Zeiten, wollen nicht fallen, verlieren. Menschen halten Momente fest, auf Fotos, in Kameras, im Gedächtnis, halten etwas von dem fest, was seinen Augenblick hat, wird und vergeht. Menschen halten Sterbende fest, dass der Tod sanfter kommt, halten fest nach dem Sterben, fest an dem, was der andere für einen war und ist. Menschen müssen gehen lassen, müssen los lassen, können, sollen nicht mehr festhalten.
Worte festhalten. Wie soll das gehen? Worte werden gedacht und gesagt, werden gehört und aufgenommen, klingen nach, berühren, verletzten, erfreuen, tragen in sich kleine und große Welten, sind wunderbar gefüllt, merkwürdig schwer dunkel, haben wie eine Seele. Worte sind flüchtig, oft traut das Ohr ihnen kaum, Worte verklingen, werden unhörbar, verlieren sich im Wortgewirr, verblassen im Gehörtsein, verschwinden. Wie können wir sie nur festhalten, die Worte, richtig festhalten, nicht alle, viele mögen kommen und gehen, aber manche, die wichtigen für mich und dich, die, die in sich tragen etwas von unserem Leben, für und von uns. Wertvoll. Kostbar. Lebensworte. Liebesworte.

Wort lieben
Gottes Wort in den unendlich vielen Worten war dabei, als Gott die Welt schuf, seinen Sinn und seine Bestimmung auf die Welt und ihre Menschen legte und immer wieder legt. Sein Wort wird am Ende sein, als letztes Wort, das alles ins rechte Licht setzt und die letzte und ewige Bedeutung allem, unserem Leben zuspricht – und hinüberführt. Gottes Wort kommt von ihm selbst her, trägt alles in sich, was Leben sich nennt und sein soll, und kehrt wieder zu ihm zurück. Immer wieder, gleich einem unendlichen Pulsschlag göttlichen Lebens, strömt es in all den vielen Worten aus ihm heraus und zu ihm wieder hin und nimmt alles Leben der Welt immer wieder heilsam in sich auf, ist Leben selbst für diese Welt.
Es will Gottes-Wort bei Menschen sein, es will bei Menschen wohnen, in ihnen, Wort an Wort mit ihren, mit unseren.
Wort in uns, bist du, Heiliger Geist, verheißener Beistand, Tröster. Du bist der, der in uns göttliche Worte weiß, findet, entdeckt, bevor wir sie noch kennen und zu sagen vermögen. Du bist es, der im unendlichen Meer der Wortewelten göttliches Wort uns hören, uns sehen, verstehen lässt; der göttlich Wort in uns lebendig macht, es uns leben lässt, von ihm her und zu ihm hin.

Du bist es, der uns an seine Schönheit erinnert, daran, was es schon tat und noch tun wird, erinnert an all die Worte, die das eine Wort Christus sprach und spricht, Worte, mit denen er Blind heilte, Gottes wunderbares Reich heraus sprach, Tote auferweckte, die Welt mit Gottes Augen sehen lehrte. Du bist es, der uns erinnert an unsere eigene Sehnsucht nach heilmachenden Worten, nach wahren Worten in all den anderen Worten, die wir hören; Sehnsucht nach Worten, die unsere Seele zu berühren vermögen, die uns bergen, Gott so nahe sagen, dass wir göttlich spüren. Du bist es, der uns die Liebe lehrt, bedürftig, sehnsuchtsvoll, ausgestreckt nach dir und allem, der uns die Liebe lehrt zum göttlichen Wort, alles von ihm zu empfangen, auf es zu warten in Geduld, es in Not zu beherbergen, in sich aufzunehmen in Liebe, wie Liebende es tun, behutsam an ihm festzuhalten, es nie loszulassen, es in seiner ganzen Freiheit, wild und gefährlich, leidenschaftlich und engagiert, zu achten und ihm uns hinzugeben, um von ihm genommen zu werden, zu sein.

Herz fest gehalten
Unser Herz schlägt, pulsiert in unserem Takt, es wird festgehalten von niemand anderen als von ihm, von Gott und seinem Wort, von Jesus Christus dem fleischgewordenen, lebendigen, das Leben in all seinen Tiefen und Höhen durchlebten, in Kreuz und Auferstehung durch deklinierten Wort.
Von Gottes Liebe festgehalten braucht kein Herz auf der Welt mehr verzagt und beunruhigt sein, sich verlassen und alleine zu spüren. Bei ihm ist, was Christus hinterlässt wie kein anderer, was Christus ohne jeden Vorbehalt, ohne etwas davon zurückzuhalten ganz da sein lässt, bei uns sein und lebendig sein lässt, was uns beseelt und durchdringt, göttlich beatmet und ewig in uns pulsiert, was in seiner ganzen Fülle, in seiner ganzen Präsenz und Wahrheit bei uns, uns gegeben, hinterlassen, geschenkt ist: seinen Frieden.

Den Frieden, der aus der Liebe lebt und ihr zu, der vom göttlichen Wort stammt, durch es gesandt ist und Gott gilt, der selbst den Unfrieden in sich zu lieben vermag und der tiefer ist als wir denken, ahnen, so tief wie unser Seelengrund, der uns immer wieder zurückbindet an Gottes Friedensreich von Anbeginn der Welt bis zu ihrer Verherrlichung. Ein tiefer Frieden für unser manchmal arg aufgescheuchtes und verunsichertes Herz.
Gott hält fest, ganz fest, an jedem seiner Worte, an jenem Wort in uns, an seinem Beistand, an seinem Geist. Gott hält unser Herz in aller Bestimmtheit zart liebend fest. Für immer. Amen.

Samstag, 9. Mai 2015

Der Liebe Votum



 Predigt am Sonntag Rogate (10. Mai 2015)

Johannes 16, 23b-28 und 33
Amen, amen, ich sage euch: Was ihr vom Vater erbitten werdet, das wird er euch in meinem Namen geben. Bis jetzt habt ihr noch nichts in meinem Namen erbeten. Bittet und ihr werdet empfangen, damit eure Freude vollkommen ist. Dies habe ich in verhüllter Rede zu euch gesagt; es kommt die Stunde, in der ich nicht mehr in verhüllter Rede zu euch spreche, sondern euch offen den Vater verkünden werde. An jenem Tag werdet ihr in meinem Namen bitten und ich sage nicht, dass ich den Vater für euch bitten werde; denn der Vater selbst liebt euch, weil ihr mich geliebt und weil ihr geglaubt habt, dass ich von Gott ausgegangen bin. Vom Vater bin ich ausgegangen und in die Welt gekommen; ich verlasse die Welt wieder und gehe zum Vater. … Dies habe ich zu euch gesagt, damit ihr in mir Frieden habt. In der Welt seid ihr in Bedrängnis; aber habt Mut: Ich habe die Welt besiegt. 

Amen, Amen
Amen. Das kommt, steht, wird gesagt ganz am Ende, ganz am Ende vom Gebet. Vielleicht auch nur still und nur gefühlt, wie ein letzter Atemzug nach den Worten, nach dem Stammeln, nach dem Aussprechen, als würde dieser Atemzug, dieses Amen noch einmal das Ganze des Gebets wie sammeln und bündeln, alles ganz aus Menschen Münder und Gedanken, Flehen und Bitten aussprechen, heraus gehen lassen.
Amen klingt, tönt wie das Beten davor, vielleicht lobend fröhlich, vielleicht dankend befreit, vielleicht nachdenklich, oft, oft aber auch unendlich schwer und dunkel, so wie das Gebet, das erbittet, das fleht, wie die Sätze und Worte, die Schweres tragen und aussprechen, die in sich tragen Leid, Schmerz, Sorgen, und wohin wollen, irgendwohin wollen mit all diesem Klagen, Zweifeln, bangen Hoffnungswarten.
Beten in Bedrängnis, weder Lob noch Dank, hat Jesus im Blick. Beten und Bitten, Stammeln und Flehen, vorsichtiges Tasten und angstvolle Hoffnungssuche. Beten, das seinen Adressaten sucht, gar nicht so sehr um ihn weiß, an ihm und seinem Tun zweifelt, das sich ihm eigentlich in die Arme werfen möchte, aber kaum noch kann, das „Vater“ sagen mag, aber nur Fragen, Klage und Leid in sich trägt.
Beten, das bittet, inständig, vielleicht mit letzter Kraft, etwas zu bekommen, etwas zu empfangen, das wirklich notwendig ist, das auf das Wenden der Not harrt und wartet, sie herbei beten möchte, fast oder ganz wortkarg, wortlos wird, nur noch nach oben, nach innen, nach unten schaut und in einem schier unaussprechlichen Amen endet und es dem vorwirft, der es hören könnte und nicht hört.

Im Namen
Im Namen von Jemanden etwas tun, sagen … irgendwie fremd. Wir tun, sprechen, sagen, beten, leben doch selbst, ganz selbst, ganz für uns mit unserem, ganz mit unserem Leben und was darin ist - und doch mitten da drin die untergründige Sehnsucht: Es möge jemand für uns beten, sagen, ja manchmal leben, sich all unserer Worte wie annehmen, bevor sie gesprochen sind, all unseres Lebens annehmen, bevor es gelebt wird, und für uns sprechen, beten, leben.
Im Namen von etwas tun, sagen, beten: in einem Auftrag, auf Geheiß, in Vollmacht, irgendwie im Willen von, für … , aber auch für uns, auch mit unserem Willen. Irgendwie selbst, aber ausgestattet mit mehr, mit etwas, mit Jemanden, hinter uns, ja über uns. Selbst und doch nicht ganz selbst. Ein anderer, aber auch wir.
„Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes“ steht, wird gesagt, wird gehört zu Beginn, ganz zu Beginn eines jeden Gottesdienstes. Alles, was Menschen dann in diesem Gottesdienst tun, sagen, hören, alle Worte, alle Bewegungen, alle Gedanken, alle Sorgen, alle Fragen, alle Atemzüge und Augenblicke geschehen dann nie für sich selbst, sondern sind diesem einem Namen wie unterstellt, geschehen in seinem Bereich, unter seiner Obhut, im Horizont seines Lebens und Wirkens, von ihm her und auf ihn zu; sind und geschehen alle gelebt, gesagt, gedacht, gehofft, fürchtend, gebetet in seinem Machtbereich, in seiner wirksamen Gegenwart.

Jesu
Seine Gegenwart wird angerufen, wie ausgerufen, herbeigerufen und wird da, präsent, lebendig. Jesu Gegenwart, die Gegenwart dessen, der Kristallisationspunkt der Liebe und des Lebens in Liebe ist, Jesus, der in Liebe verbindet mit Gott, den Menschen lieben können, und der die Liebe Gottes Menschen entdecken, spüren und leben lässt, der in den Raum der göttlichen Liebe leidenschaftlich und beharrlich, zart und entschlossen zieht, bringt, Menschen in diesem Liebesbereich teilhaben lässt an Gott und untereinander, an ihm, an Kreuz und Auferstehung, an den unglaublichen ohnmächtigen Sieg der Liebe. Er klingt als Herzschlag Gottes in dieser Welt, und in jedem Pulsieren werden alle hineingenommen in diese Liebe. Er lebt den Atemzug Gottes, in dessen Mitte wir selbst atmen und beten können.
In Jesus kam Gottes Liebe auf und zu der Welt, in sie radikal hinein, hinein bis ins Dunkelste, Leidvollste, in Schmerz und Fragen, dort, genau dort zu wohnen und zu wirken. Sein Kommen hat die Welt nicht sein lassen, wie sie ist, hat sie durch seine Liebe aufgebrochen, verändert. Seine Liebe durchlebt die Schattenseiten des Lebens und besiegt sie ohnmächtig, bricht deren unbeschränkte Macht durch seine Gegenwart.
In seinem Namen beten unterstellt uns dieser Liebe. Alles, was wir beten, sprechen, ob stumm oder lauter, ob zornig oder nachdenklich, ob allein oder mit anderen, all das kehrt ein in seine Liebe, lässt uns mit ihm beginnen und mit ihm enden, gibt in unseren Worten seinen Raum, übergibt unser Bitten seinem Tun, überlässt unser Fragen seiner Zeit, verspricht unser notdürftiges Amen selbst geheimnisvoll mit seiner Liebe.

beten
Amen, amen; dann: In unserem unruhigen Herz, das in Bedrängnis manchmal zittern betet und ängstlich harrt, keimt der Friede auf, der Friede eines anderen, der Friede dessen, der im Unfrieden an Gottes Liebe festhielt. In unseren Worten, die wir leidvoll suchen und zu dunklen Sätzen bilden, wächst eine sachte Freude, die die Vollkommenheit dessen atmet, der genauso strapaziert alles in Gottes Hände lag und alles daraus empfingt. In unser Beten kommt jener Mut, auf unser Amen seines folgen zu lassen und tief darauf zu hoffen, dass wer in seinem Namen bittet, Gott Liebe selbst empfängt. Amen.

Freitag, 8. Mai 2015

Wie die Engel dienen



Predigt zur Einführung als Vorsteher im Diakonissenhaus Freiburg (6. Mai 2015)

Matthäus 4, 1-11
Da wurde Jesus vom Geist in die Wüste geführt, damit er von dem Teufel versucht würde. Und da er vierzig Tage und vierzig Nächte gefastet hatte, hungerte ihn.
Und der Versucher trat zu ihm und sprach: Bist du Gottes Sohn, so sprich, dass diese Steine Brot werden. Er aber antwortete und sprach: Es steht geschrieben (5.Mose 8,3): »Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von einem jeden Wort, das aus dem Mund Gottes geht.«
Da führte ihn der Teufel mit sich in die heilige Stadt und stellte ihn auf die Zinne des Tempels und sprach zu ihm: Bist du Gottes Sohn, so wirf dich hinab; denn es steht geschrieben (Psalm 91,11-12): »Er wird seinen Engeln deinetwegen Befehl geben; und sie werden dich auf den Händen tragen, damit du deinen Fuß nicht an einen Stein stößt.« Da sprach Jesus zu ihm: Wiederum steht auch geschrieben (5.Mose 6,16): »Du sollst den Herrn, deinen Gott, nicht versuchen.«
Darauf führte ihn der Teufel mit sich auf einen sehr hohen Berg und zeigte ihm alle Reiche der Welt und ihre Herrlichkeit und sprach zu ihm: Das alles will ich dir geben, wenn du niederfällst und mich anbetest. Da sprach Jesus zu ihm: Weg mit dir, Satan! Denn es steht geschrieben (5.Mose 6,13): »Du sollst anbeten den Herrn, deinen Gott, und ihm allein dienen.«
Da verließ ihn der Teufel. Und siehe, da traten Engel zu ihm und dienten ihm.

Wer bin ich?
Engel, die dienen. Das ist hier im Haus irgendwie gegenwärtig. Tradition. Auch stumm lebendig.
Dienen geht durch die Wüste, bis es vielleicht am Ende dahin kommt, da ist, wohin es sein soll. Wüste. Ort: karg, bedrohlich, voller Entbehrung; 40 Tage und 40 Nächte, unendlich lang, nur mit sich, voller Fragen, Grenzgängen, voller Wortwechsel mit Schattenbildern, mit Versuchungen, mit dem, was auch sein könnte, vielleicht sein müsste, mit in letzter Konsequenz: Wer bin ich? Wirklich. Vor Gott? Gottes Sohn, Gottes Tochter? Ein Mensch, der Gott entspricht, der im Leben Gott antwortet, Antwort ist, der dient?

Aus Gottes Mund
Wie oft würden Menschen, die dienen, gerne aus Steinen Brot machen, aus Leblosen, Totem wieder Lebendiges; wenn Diagnosen hart treffen; wenn Therapien nicht wirken, wenn am Krankenbett Augen starr werden. Wie gerne würden wir jenes Wort sprechen können, jenes eine, das Stein in Brot, Tod in Leben, Angst in Hoffnung, Dunkles in Helles wendet, verwandelt.
Manchmal mag es geschehen, gelingen: wie wunderbar. Oft gelingt es nicht, scheitern Menschen, scheitern sie verzweifelt, tragisch, dass es nicht passiert, dass Brot trotzdem Stein bleibt. Trotz aller Versuche. Scheitern auch im Dienen, im Trösten, Pflegen, Helfen. Trotz eigenem Bemühen und eigenen Möglichkeiten.
Mit Jesus können Menschen aus einer anderen Macht und Möglichkeit heraus leben. Sie können aus dem Leben, was aus Gottes Mund kommt, von jedem Wort, das Gott in sich hat, das Leben in sich trägt; können aus dieser Kraft und Quelle, Bemühen und Möglichkeit schöpfen, vielleicht Steine zu Brot versprechen, ohnmächtig trösten, wo heilen und pflegen zu Ende kommt, dennoch dienen. Anders.

In Gottes Hand
Wie oft würden Menschen sich gerne fallen lassen, nicht tun und machen, leiten und denken, schaffen und bewegen, selbst auffangen und halten, trösten, pflegen, heilen und lieben, sondern selbst fallen, unendlich lange durch alle Angstnächte hindurch in die Arme dessen, der alle in seiner Hand aufzufangen vermag. Und absurd versucht vermögen sie nicht, wagen sie es nicht, den kleinen Fall - und steigen paradox höher, und je höher wird die Sehnsucht größer wird, die Angst auch, das Tasten und Suchen nach dem, was Halt gibt und auffängt.
Wie gelähmt mit innerlich ausgebreiteten Armen zum Sturz bereit stehen Menschen auf ihren hohen Lebens-Zinnen und wissen nicht mehr, wo und wer der ist, der noch auffangen könnte, der unten steht, der da ist und bleibt, suchen im Stehen das Stürzen zu verhindern, im Fallen sich selbst zu halten, werden trotzig fahrlässig, leichtsinnig, verbittern, hoffnungslos, Fallen im Fallen, verlieren den Grund.
Mit Jesus können Menschen sich selbst auf dem Boden bleiben, können sich immer in Gottes Hand wissen, brauchen keine hohen Zinnen und Höhenflüge, können tief vertrauen, dass Gott in allen Höhen und Tiefen, an jedem Punkt, auch wenn es still, fraglich, zum Zweifeln, Hadern und Murren wird, er da ist und unser Leben hält, auffängt, begleitet, er uns mit seinem Leben dient. Anders. Zutiefst. Genug.

Genug
Wie oft würden Menschen gerne genug haben, genug zu leben, zu essen, denken, planen, genug zu atmen, zu lieben. Wie oft ist es tragisch, dass Menschen überhaupt nicht dahin kommen, dass ihnen das, was sie haben, genügt. Wie oft ist es so schwierig ist für Menschen da stehen zu bleiben, wo sie genug haben. Wie oft haben Menschen zu viel, zu wenig, nicht genug und können nicht leben, lieben, hoffen, Sinn finden, Antwort sein das ihnen Gestellte und dienen merkwürdigen anderen Mächten, die das genug und mehr und viel mehr versprechen, werden selbst Diener, Knechte von dem, was letztlich niemals genug sein wird.
Mit Jesus reicht Menschen Gott. ER allein. Er reicht Menschen für alles, was sie brauchen, brauchen zum Leben, er ist vollkommen genug, er ist die Liebe, die Liebe pur. Menschen, die ihm dienen, lieben, leben im Machtbereich seiner Liebe, leben von ihm her und auf ihn zu, leben von ihm geliebt, geben ihm die Ehre und lassen anderen an seiner Liebe teilhaben, pflegen, heilen, trösten so wie sie selbst von Gott in jeder Sekunde des Lebens getröstet, geheilt und gepflegt werden, sind, er ihnen dient und sie ihm.

Engelhaft
Menschen gehen durch Wüstenzeiten, auch dienende. Gott erlöst sie alle vom Bösen, führt sie durch die Versuchungen, die auch das Dienen kennt. Es verlässt sie der eigene Teufel. Mit Jesus werden Menschen zu Gott entsprechende Menschen, werden im Leben Antwort auf ihn. Wie Jesus schöpfen sie aus Gott, leben ihm und lassen sich Gott genügen. Sie tragen Christi Kreuz und auch immer seine Auferstehung schon an sich. Sie werden als Menschen engelhaft, in Gemeinschaft mit ihm und untereinander. Sie dienen, können trösten, helfen und pflegen engelgleich und die Engel dienen ihnen. Hier und anderswo. Amen.

Sonntag, 3. Mai 2015

In aller Freiheit gehen



Predigt zur Konfirmation 2015 (26. April 2015)

Hinstellen
Jetzt endlich sind wir klug, seid Ihr Sieben klug. „Damit wir klug werden.“ Das war das Motto der Konfi-Zeit und jetzt seid ihr es. Mit dem heutigen Tag eurer Konfirmation ist eure Konfi-Zeit vorbei. Ihr habt Erfahrungen mit Gott gemacht und nun seid ihr „gott-klug“. Ab jetzt lebt damit. Ihr werdet mit eurer Konfirmation entlassen, entlassen mit der Gott-Klugheit weiter zu leben. Gott stellt eure vierzehn Füße auf einen weiten Raum.
Ihr sieben werdet hingestellt von ihm. Wie oft sitzt ihr oder geht, wie oft seid ihr früher gekrabbelt und habt laufen gelernt, wie habe euch eure Eltern groß werden sehen und wurdet immer mehr frei gelassen. Jetzt werdet ihr hingestellt. Aufrecht, geliebt, wertgeschätzt. Hingestellt, ganz selbst-ständig. Jetzt in diesem Moment werdet ihr von Gott ganz sanft und behutsam gott-klug hingestellt. In aller Freiheit.

Gerhard I
In aller Freiheit, was heißt das? Freiheit – etwas so empfindliches. Bedroht von mir selbst von jedem anderen / jeder anderen. Von so vielen Kräften in mir und außerhalb von mir.
Wie viel Freiheit vertrage ich; mit wie viel Freiheit kann ich verantwortlich umgehen?
Ohne jede Frage ist Freiheit ein wertvolles Gut und ich wünsche mir nichts mehr, als jeden Menschen in ›Freiheit‹ aufwachsen zu sehen. Aber die Schwierigkeit daran ist, dass das was ich vielleicht als Freiheit begreife andere Menschen ängstigt oder überfordert oder gar beschränkt.
Rosa Luxemburg hat es in einer politischen Schrift 1920 unübertroffen und knapp auf den Punkt gebracht: »Freiheit ist immer die Freiheit des Andersdenkenden.« – Überall wo die Freiheit nicht für ALLE gilt, ist es keine Freiheit.
Daraus erwächst jedoch eine Verantwortung: Habe ich meine Mitmenschen im Blick? Die sichtbaren – Nachbarn, Mitschüler, den Bettler auf der Straße; die unsichtbaren – an anderen Orten, aus anderen Kulturen, die die sich nicht zeigen wollen oder einfach übersehen werden.
Wie oft verletze ich andere Menschen, weil Sie MEINER FREIHEIT im Weg stehen?
Es ist unsere Aufgabe die Freiheit die wir für uns wünschen und die wir brauchen daran zu messen, ob sie in irgendeiner Form die Freiheit ALLER ANDEREN NICHT beeinträchtigt?
Ein Beispiel: In Deutschland stehen wir vor einem unbegrenzten Warenangebot, selbst mit geringem Einkommen haben wir eine unermessliche Auswahl an Konsumgütern.
Wenn wir diese ›Freiheit des Kaufens‹ nutzen: Können wir dann sicher sein, dass die Produktion ALLER dieser Konsumgüter keinerlei Freiheitsrechte anderer beschränkt, ignoriert oder mit Füßen tritt?
Unter welchen Bedingungen werden zum Beispiel die sogenannten ›seltenen Erden‹ in China abgebaut? Dieser Rohstoff befindet sich in fast jedem aktuellen technischen Gerät (Handy, Computer, Fernseher, …). Mache ich mich mitschuldig, wenn ich mich nicht darüber informiere bzw. etwas an den katastrophalen Bedingungen der chinesischen Arbeiter ändere?

Weiter Raum
In einen weiten Raum von Gott hingestellt. Das seid Ihr. Ein weiter Raum kann beides: Angst machen und beflügeln. In Räumen stehen Menschen und fürchten sich vor dem, was da kommt. In Räumen stehen Menschen und freuen sich, aufzubrechen. In Räumen sind manche Menschen wie gelähmt und manche machen neugierig Schritte hinein. Beides sind auch wir.
Menschen sind immer irgendwie in Räumen, seit sie geboren wurden, und auch wenn sie sterben. Räume prägen das Leben, in Räumen leben und erleben wir alles, an Räumen lässt sich unsere Lebensgeschichte ablesen, in Räumen sind wir allein, begegnen einander, sitzen, stehen, lieben, weinen, hoffen wir.
In speziellen „Konfi-Räumen“ habt ihr euch fast ein Jahr bewegt, im Saal, in der Kirche, beim Bestatter, auf der Freizeit. Und Ihr seid in dieser Zeit auch innerliche Räume abgeschritten, Räume die hoffentlich irgendwie auch von Gottes Gegenwart bestimmt waren, Gebete, mancher Gedanke hier, eure Perlen im Reagenzgläser, bestimmte Worte. Gottes-Räume waren das, sind das. In die stellt er sich und euch hinein.

Gerhard II
Gott möchte – liebe Gemeinde –  dass wir ein Segen sind (genau wie er es zu Abraham gesagt hat in dem Lesungstext). Da wird die Freiheit für die er unumwunden steht keine Beliebigkeit, kein ›alles egal‹ sondern eine Chance für uns alle, die wir immer wieder aufs Neue verantwortlich nutzen müssen.
Gott schenkt uns diese Freiheit NICHT, damit wir UNSERE Freiheit egoistisch GEGEN unsere Mitmenschen und die Schöpfung durchsetzen. Gott verknüpft damit vielmehr die Aufforderung / und vor allem Zusage, DASS WIR EIN SEGEN SIND. Also, dass wir alles in unserer Macht stehende tun um das Elend und die Ungleichheit auf diesem Planeten, die Ausbeutung und die Unfreiheit zu beenden.
Das Wort ›FREI‹ kommt darin vor und ohne die Details dieses Abkommens welches derzeit zwischen Europa und Amerika verhandelt wird erläutern zu können, stellt sich in diesem Abkommen die Frage: Wie viel Freiraum darf man der Wirtschaft einräumen ohne die Freiheit des Menschen, seine Gesundheit, seine Würde zu beschränken. Die Wirtschaft soll schließlich dem FREIEN Menschen dienen und nicht der Mensch der FREIEN Wirtschaft!

Aber kommen wir zurück zur persönlichen Freiheit des Menschen. Wir sind nicht eingesperrt, nicht versklavt, immer wieder stehen WIR ›vor der Wahl‹, ›müssen uns entscheiden‹, ›wir sind so frei‹!

Eure Füße
Ganz frei in Gottes-Raum hineingestellt seid ihr. Und nun geht. Geht mit euren Füßen. Mit denen seid ihr in den weiten Raum gestellt. Eure Konfi-Füße: 7 x zwei Stück. Groß geworden, seit sie ganz klein und schrumpelig auf die Welt kamen, eure Eltern sie zärtlich das erste Mal sahen, eincremten, die ersten Schuhe für sie kauften, um sie zu schützen und euch das Gehen zu ermöglichen, Füße mit Schuhen, die ihr schon etwas länger selber aussucht, die eure sind, die ihr tragt, die euch tragen.
Diese Füße und daran euer Körper, Kopf und Herz sind durch die Konfi-Zeit gegangen, so wie jeder von euch eben geht, wie seine Füße aussehen. Jesus hat Menschen die Füße gewaschen, ihm waren die Menschen so zutiefst wertvoll. Eure Füße, die in Zukunft gehen, gehen in aller Freiheit. Sie mögen stolpern, mögen staubig werden, mögen euch wehtun, mögen wunderbar gehalten werden von Liebenden, immer sind sie eure Füße - und von Jesus wertvoll angeschaute, in Händen gehaltene, sozusagen ebenso mit kostbaren Öl gesalbt, wie seine Füße es in Liebe wurden.

Gerhard III
Heute ist der Tag an dem Ihr in die ›Freiheit des Glaubens‹ entlassen werdet. Ihr werdet euch in aller Freiheit entscheiden: Ein Segen zu sein.
In welcher Form? In welchem Rahmen? Ob mit oder ohne Kirche? Ob hier oder woanders?
Ihr steht auf weitem Raum, schaut Euch um! Nutzt den ›weiten Raum‹. Ihr seid ›gewachsen‹ im Glauben. Ihr seid ›erwachsen‹ im Glauben, Ihr habt also alles, was Ihr ›jetzt‹ braucht an Ausstattung, an Rüstzeug und nun SEID IHR EIN SEGEN. Begreift es als Verantwortung und viel wichtiger begreift es als Zusage. Gott weiß: Ihr seid ein Segen. Er wird Euch mit allem Notwendigen IMMER WIEDER aufs Neue ausstatten also fliegt. Amen.