Mittwoch, 17. November 2021

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Ihr Jochen Kunath

Donnerstag, 27. Februar 2020

Auch


Predigt am Sonntag Invocavit (1. März 2020)

1. Mose 3, 1-24: Der Sündenfall
1 Und die Schlange war listiger als alle Tiere auf dem Felde, die Gott der Herr gemacht hatte, und sprach zu der Frau: Ja, sollte Gott gesagt haben: Ihr sollt nicht essen von allen Bäumen im Garten? 2 Da sprach die Frau zu der Schlange: Wir essen von den Früchten der Bäume im Garten; 3 aber von den Früchten des Baumes mitten im Garten hat Gott gesagt: Esset nicht davon, rühret sie auch nicht an, dass ihr nicht sterbet! 4 Da sprach die Schlange zur Frau: Ihr werdet keineswegs des Todes sterben, 5 sondern Gott weiß: an dem Tage, da ihr davon esst, werden eure Augen aufgetan, und ihr werdet sein wie Gott und wissen, was gut und böse ist.
6 Und die Frau sah, dass von dem Baum gut zu essen wäre und dass er eine Lust für die Augen wäre und verlockend, weil er klug machte. Und sie nahm von seiner Frucht und aß und gab ihrem Mann, der bei ihr war, auch davon und er aß. 7 Da wurden ihnen beiden die Augen aufgetan und sie wurden gewahr, dass sie nackt waren, und flochten Feigenblätter zusammen und machten sich Schurze.
8 Und sie hörten Gott den Herrn, wie er im Garten ging, als der Tag kühl geworden war. Und Adam versteckte sich mit seiner Frau vor dem Angesicht Gottes des Herrn zwischen den Bäumen im Garten. 9 Und Gott der Herr rief Adam und sprach zu ihm: Wo bist du? 10 Und er sprach: Ich hörte dich im Garten und fürchtete mich; denn ich bin nackt, darum versteckte ich mich. 11 Und er sprach: Wer hat dir gesagt, dass du nackt bist? Hast du gegessen von dem Baum, von dem ich dir gebot, du solltest nicht davon essen? 12 Da sprach Adam: Die Frau, die du mir zugesellt hast, gab mir von dem Baum und ich aß. 13 Da sprach Gott der Herr zur Frau: Warum hast du das getan? Die Frau sprach: Die Schlange betrog mich, sodass ich aß.
14 Da sprach Gott der Herr zu der Schlange: Weil du das getan hast, seist du verflucht vor allem Vieh und allen Tieren auf dem Felde. Auf deinem Bauche sollst du kriechen und Staub fressen dein Leben lang. 15 Und ich will Feindschaft setzen zwischen dir und der Frau und zwischen deinem Samen und ihrem Samen; er wird dir den Kopf zertreten, und du wirst ihn in die Ferse stechen.
16 Und zur Frau sprach er: Ich will dir viel Mühsal schaffen, wenn du schwanger wirst; unter Mühen sollst du Kinder gebären. Und dein Verlangen soll nach deinem Mann sein, aber er soll dein Herr sein.
17 Und zum Mann sprach er: Weil du gehorcht hast der Stimme deiner Frau und gegessen von dem Baum, von dem ich dir gebot und sprach: Du sollst nicht davon essen –, verflucht sei der Acker um deinetwillen! Mit Mühsal sollst du dich von ihm nähren dein Leben lang. 18 Dornen und Disteln soll er dir tragen, und du sollst das Kraut auf dem Felde essen. 19 Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen, bis du wieder zu Erde wirst, davon du genommen bist. Denn Staub bist du und zum Staub kehrst du zurück.
20 Und Adam nannte seine Frau Eva; denn sie wurde die Mutter aller, die da leben. 21 Und Gott der Herr machte Adam und seiner Frau Röcke von Fellen und zog sie ihnen an. 22 Und Gott der Herr sprach: Siehe, der Mensch ist geworden wie unsereiner und weiß, was gut und böse ist. Nun aber, dass er nur nicht ausstrecke seine Hand und nehme auch von dem Baum des Lebens und esse und lebe ewiglich! 23 Da wies ihn Gott der Herr aus dem Garten Eden, dass er die Erde bebaute, von der er genommen war. 24 Und er trieb den Menschen hinaus und ließ lagern vor dem Garten Eden die Cherubim mit dem flammenden, blitzenden Schwert, zu bewachen den Weg zu dem Baum des Lebens.

Orgelimprovisation

Es fehlt
Es scheint Eva etwas zu fehlen. Auch Adam und vielleicht auch der Schlange. Was es auch immer gewesen ist. Es fehlte ihnen etwas. Es fehlt immer etwas. Immer ist da irgendwo, irgendwann eine Lücke, ein Loch, etwas, was noch nicht da ist, noch nicht geschehen ist, was noch aussteht, was kommt, was sein könnte, was noch möglich wäre.
Und das, was fehlt, erweckt Sehnsucht im Menschen, hält sie wach, provoziert sie, vielleicht auch ein Bedürfnis, die Lücke zu schließen, das Unbekannte zu entdecken, das Ferne sich nah zu machen. Vielleicht ist es ein Verlangen, ein Kostenwollen, ein schon Schmecken, jener kleine Moment, bevor Menschen in den Sündenapfel, das dann sich als Böse Zeigende beißen, vielleicht Lust, vielleicht komisch-tragische Not.
Was fehlt, bietet eine bestimmte Angriffsfläche, und sei sie noch so klein, eine Angriffsfläche, für so etwas wie Begierde, Habenwollen, Habenmüssen. Das, was fehlt, markiert eine spürbare, immer stärker werdende Lücke: klitzekleiner Spalt im menschlichen Leben, ein Bruchteil von Sekunden offen, verlockt, verführt, überlistet, getäuscht zu werden, und hineinzubeißen in etwas, was die Lücke füllt, die sonst gar nicht da wäre, würde Mensch nicht sie füllen wollen.
Fein listig eröffnet die Schlange eine kleine Welt von Möglichkeiten, von Deutung, von „Könnte es sein …“, von „Wäre es nicht besser“ … Eine kleine Distanz, aus der Eva ein bisschen zu lange über Gott nachdenkt, sich ein Gottesbild vor ihren Gott schiebt und sie die Grenze im Kopf schon verrückt hat und zubeißt, kaut, runterschluckt, sich die Sünde und das kleine Böse einverleibt und weitergibt, ihren Biss dem Adam und der uns allen, so wie wir die Schuld weitergeben, auf einen anderen schieben, uns nur scheinbar entschuldigen, aber doch die sind, die wir sind: uns fehlt was, wir füllen es. Auf tragische Weise.

Nackt
Nackt werden Menschen geboren und im Grunde sterben sie auch nackt. Unsere Nacktheit verbergen wir und nur die Liebe kennt uns ganz entblößt. Eva und Adam reißt die Sünde die Augen auf, ganz weit, sie sehen alles, sie entdecken sich, und was sie sehen lässt sie fürchten, fürchten um das, was sie entdecken, nämlich fürchten um sich selbst.
Nackt sind Menschen wehrlos, ausgesetzt, auch sich selbst. Nichts bekleidet sie, nichts ummantelt sie, nichts kaschiert sie und macht sie anders als sie sind. Nackt wissen wir um uns, nackt an Leib und Seele sind wir pur, ganz pure Menschen. Und wir sehen, was wir immer schon wissen und sehen: wir sind anders als andere und wir sehen deutlicher unsere Scham, unser Intimstes, unser Ureigenstes, und wir müssen es schützen, behalten, bewahren, und können es doch nicht, nicht immer, sind verletzbar, verletzte selbst im Blick und erfahren Momente der Peinlichkeit. Wir verstecken uns, weil wir nie wissen, ob wir vor dem anderen ganz da sein dürfen, ob er uns sehen kann und mag. Wir werden zu gesuchten, gefragten, verborgenen Menschen, die sich, ihren Körper bedecken und sich fürchten vor dem Zugriff des anderen, und Gott wird uns zur Frage, es hallt bis in unsere Ohren sein Wo von damals, Sein: Wo bist du, Mensch?

Beschwerlich
Und mühsam wird unsere Antwort, nur mühsam können wir Gott sagen, uns bei ihm benennen; wir haben die Natürlichkeit verloren. Es könnte immer auch anders sein, es könnte immer auch nicht sein. Eva und Adam wurde das Leben zum mühsamen, beschwerlichen Fluch. Unter Mühen und Qual erleben sie das, was sie ganz natürlich tun könnten: gebären und ernähren. Und dieses mühsame Leben liegt auch in unserem. So glücklich, so schön, so leicht vieles ist, genauso vieles und mehr ist es nicht, ist daneben schwer, mühevoll und müssen wir den Dingen, den Umständen, anderen abringen. Das Leben ein immerwährendes Alltagsringen, eines mit Macht, mit Herrschaft, mit Gegensätzen, mit Feinden. Als wolle man uns einfach nicht in Ruhe lassen. Ein Leben als Arbeit, mit Staub und Dornen, Disteln und Dreck, mit Händen, die sich schmutzig machen, mit Gedanken, die manchmal am Abgrund denken, mit zwiespältigen Gefühlen, mit Argwohn, Unlust und Bitterkeit zersetztes Leben.
Leben auch als Last, vergängliches, vertriebenes Leben, ein Leben, das sich verbraucht, die Jahre, die Hoffnung, die Nahrung, die Dinge, die anderen, Götter und manchmal auch die Liebe. Ein Leben hinausgetrieben zu leben, unstetes Leben, suchendes Leben, dem nachjagend, was es schon längst verloren hat, nie hatte: ein Paradies, eine ungeahnte Naivität, ein durch den Garten Eden schlendernder, nur ganz nahen Gott.

Behütet
So auch ist unser Leben, nie ganz und gar, aber auch. Wir sind beides, und heute im dunklen Schatten dieses Textes das zweite, in die Sünde gefallene Menschen. Es könnte auch anders sein, nur dieses Auch ist jenes trügerische Etwas, was uns als klaffende Lücke und Wunde heute erscheint.
Und trotzdem gibt Adam Eva einen Namen, zieht Gott den beiden Menschen Röcke an, bleibt Gott der Wächter im kalten Abendhauch und der Baum des Lebens scharf bewacht. Das sind nicht mehr als kleine Hoffnungsschimmer in einen durch und durch bedrohlich uns beschreibenden Text. Es sind aber solche Lichter durch das Dunkel hindurch:
Mitten in der Sünde erscheinen Adam und Eva als sich still Liebende vielleicht. Er gibt ihr einen Namen, sie ist ihm ein benanntes Gegenüber, ein lebendiges Du, die Mutter alles Lebens, der Anfang von allem, was Leben nach dem Paradies ist. Und Gott, der mitten in der Sünde schrecklich umdenkt, neu schafft die Schlange und die Bedingungen des Menschen, beide zu kriechenden und mühsamen Kreaturen macht, der gleiche Gott scheint einzusehen, dass sie Schutz doch brauchen, verwandelt ihren Schurz in einen festen Rock, scheint sie fast zärtlich mit Röcken zu umkleiden, fast fürsorglich, fast als verzweifelt Liebender und Gott bleibt auch hinter den Toren zum verlorenen Paradies immer noch der, der am Abend als treuer Wächter da ist und da bleibt, der unser Leben durchstreift und behütet, und der Baum des Lebens, ein Stück gesuchter, erhoffter, benötigter Ewigkeit, der bleibt auch stehen, als Grenze, als wahre Verheißung. Er bleibt inmitten der Sünde und wird ebenfalls bewacht, beschützt, als würde er von Menschen noch gebraucht werden.
Amen.



Donnerstag, 13. Februar 2020

Bitter süßes Wort


Predigt an Sexagesimae (16.2.2020)

Hesekiel 2, 1-3, 3
1 Und er sprach zu mir: Du Menschenkind, stelle dich auf deine Füße, so will ich mit dir reden. 2 Und als er so mit mir redete, kam der Geist in mich und stellte mich auf meine Füße, und ich hörte dem zu, der mit mir redete. 3 Und er sprach zu mir: Du Menschenkind, ich sende dich zu den abtrünnigen Israeliten und zu den Völkern, die von mir abtrünnig geworden sind. Sie und ihre Väter haben sich bis auf diesen heutigen Tag gegen mich aufgelehnt. 4 Und die Kinder, zu denen ich dich sende, haben harte Köpfe und verstockte Herzen. Zu denen sollst du sagen: »So spricht Gott der HERR!« 5 Sie gehorchen oder lassen es – denn sie sind ein Haus des Widerspruchs –, dennoch sollen sie wissen, dass ein Prophet unter ihnen gewesen ist. 6 Und du, Menschenkind, sollst dich vor ihnen nicht fürchten noch vor ihren Worten fürchten. Es sind wohl widerspenstige und stachlige Dornen um dich, und du wohnst unter Skorpionen; aber du sollst dich nicht fürchten vor ihren Worten und dich vor ihrem Angesicht nicht entsetzen – denn sie sind ein Haus des Widerspruchs –, 7 sondern du sollst ihnen meine Worte sagen, sie gehorchen oder lassen es; denn sie sind ein Haus des Widerspruchs. 8 Aber du, Menschenkind, höre, was ich dir sage, und widersprich nicht wie das Haus des Widerspruchs. Tu deinen Mund auf und iss, was ich dir geben werde. 9 Und ich sah, und siehe, da war eine Hand gegen mich ausgestreckt, die hielt eine Schriftrolle. 10 Die breitete sie aus vor mir, und sie war außen und innen beschrieben, und darin stand geschrieben Klage, Ach und Weh.
1 Und er sprach zu mir: Du Menschenkind, iss, was du vor dir hast! Iss diese Schriftrolle und geh hin und rede zum Hause Israel! 2 Da tat ich meinen Mund auf und er gab mir die Rolle zu essen 3 und sprach zu mir: Du Menschenkind, gib deinem Bauch zu essen und fülle dein Inneres mit dieser Schriftrolle, die ich dir gebe. Da aß ich sie, und sie war in meinem Munde so süß wie Honig.

Wortschwangere Welt
Gottes Wort ist im Schwange, von Anfang an und bis zum Ende, von der Schöpfung von allem, der Welt und uns, bis zu ihrer Vollendung, in jedem Moment, Augenblick, Atemzug und Geschehen- und im Ganzen  Gottes heiliges, lebendiges, scharfes, alles beherrschendes, demütiges, wunderbares, zartes, Leben erhaltendes Wort.
Hörbar ist es. Vernehmbar. Anzutreffen. Da. Ist es. Treu und gewiss allen Zeiten, allen Menschen, jedem, der selbst ist und da ist. Gottes Wort trifft und schafft, berührt, erreicht. Gottes teures Wort erfüllt Herzen, Szenen, Bücher, Gedanken, Geschicke, ganze Menschen und Epochen. Erfüllt und baut auf, erfüllt und erbaut, erfüllt und stärkt, rettet, befreit, tröstet, ist Licht und Erbarmen, Leuchte und Sinn, ist süß.
Gottes Wort ist bitter, schmeckt bitter. Es ruft heraus und macht einsam, er irritiert und provoziert, es reizt, reizt zum Widerspruch, erzeugt Widerwille, innerliche Rebellion, schafft, erlaubt, lässt zu, dass Menschen davon abrücken, die Ohren verschließen, es uminterpretieren, es ablehnen, abtrünnig behandeln, ihr Herz verstocken und im Kopf unzugänglich für es werden, es sind, hart, hart wie Stein und Beton. Wort Gottes süß, jetzt bitter, wie unter Skorpionen, wie unter Dornen und Stacheln. Auch bei uns. Auch wir. Was das Herze kränkt. Dunkles Wort!

Einverleiben
Mach den Mund auf. Mach dein Leben auf. Öffne dich. Nimm es. Das Wort. Es ist dir gegeben. Es ist vor dir. Es ist da. Es ist dir entgegengestreckt, vor dich hin ausgestreckt. Da! Da ist es!
Was verleiben Menschen sich alles ein? An Gutem wie Schlechtem. An Verdaubarem und Unverdaulichem. Was kommt alles in Menschen hinein, und fressen sie in sich. Durch Haut und Augen, durch Hände und Sinne, durch sich in sich. An Angst und Anmaßung. An Fragen und Übermaß. Mit was füllen Menschen ihr Leben voll und verleiben es sich ein – bis ihr Bauch, ihr Lebensbauch voll ist und sie satt. Nur: Mit was?
Nimm Gottes Wort. Nimm es in dich auf. Aber: Wie kommt es nur in mich hinein? Wie kann ich jenes teures schönes großes Wort mir einverleiben? Jenes, auf dem alles wie steht, ach und weh und Klage, aber doch auch Licht und Hoffnung, Segen und Leben, beidseitig vollgeschrieben von Gottes lebendiger unsichtbarer Hand.
Nimm und nimm es auf, fülle damit dich und dein Leben, zwischen dein Fragen, zwischen dein Suchen zwischen Hunger und satt, zwischen leer und voll, nimm und iss. Fülle dein Innerstes, dein Lebensbauch mit ihm, jenem teuren schönen heilsamen Wort, mit all seinen heiligen Buchstaben, die Gott in sich tragen, die Gott in dich trägt.
Niemals essen wir Worte, vielleicht mal aus Dummheit einen Zettel. Und ich esse Gottes Wort, führe es in meinem Lebensmund, kaue es, Satz für Satz, Sinne für Sinn, Verheißung für Verheißung, Liebeswort für Liebeswort, und spüre sein wunderbaren Nähstoffe, schlucke und trage es als teures Gut in mir, habe es einverleibt. Es schreckt mich, wie kann ich jene weltenschwere Kost nur tragen, und ich habe sie im Lebensbauch doch.
Fürchte dich nicht. Fürchte dich nicht vor Gottes Wort in dir. Lass es niemals sein.

Auf die Füße mit Dir
Oh Du, Menschenkind. Sechsmal wird dies widerholt. Als könnte da einer nicht genug davon bekommen, nicht genug es sagen. Du, Menschenkind! Du, Mensch, Du, Adam, Du, von Erde genommener, erster, wichtigster von Gott geschaffener Mensch. Angesprochen wird Menschen, werden wir. Angesprochen mit unserem Du, jenes Du, das wir für andere sind, das wir als unser Ich sind, im Spiegel unserer Nächte und unserer Morgen. Du: Ich benannt, ich angeredet.
Bereit zum Hören, bereit die Worte aufzunehmen, bereit aus dem Hören neu geschaffen zu werden, um selbst zu reden, um selbst Gehörtes zu sagen, hinaus und hinein zu sagen, Anteil zu haben an jenem einem vielem Wort, das schon immer schwanger geht, nun durch mich. Gott spricht und spreche ich ihn.
Gott stellt mich auf meine Füße. Immer wieder. So oft ich fallen mag, so oft ich stolpere, stehe, stürze. Gott stellt mich wieder auf meine Füße. Meine Füße, die so vieles sind, so müde, geschunden, behäbig, zögerlich, träge, fleißig. Meine Füße verborgen unter Decken und in schönen Socken, Füße, auf die ich manchmal nicht mehr stehen kann, auf die ich doch vertraue, um die ich ringe, die am Ende still im Sarg sind, wieder etwas kleiner, aber größer als sie frisch nach Geburt nur rochen, die auferstehen.
Auf diese Füße stellt mich Gott, selbst wenn ganz ruhig ohne welche ich bin. Er stellt mich auf weiten Raum, in die Spalte der Felsen wir Mose, in meinen Garten Gethsemane, auf die vielen Weg, wo mein Fuß gehen kann. Er stellt mich hin mit seinem Wort im Bauch, satt und doch irgendwie eigentümlich hungrig. Er stellt mich und sendet mich hinein in meine Welt. Ich habe sein Wort mir einverleibt und nun verkörpere ich es.
Widersprich nicht. Gehorche. Lass sein Wort. Sei Prophet im eigenen Land. Sei getragen von seinem ewigen teuren wunderbar süß bitterem Wort. Amen.

Ins Leben geschrieben


Predigt am letzten Sonntag nach Epiphanias
(2. Februar 2020)

Offenbarung 1, 9-19 Der Auftrag an Johannes
9 Ich, Johannes, euer Bruder und Mitgenosse an der Bedrängnis und am Reich und an der Geduld in Jesus, war auf der Insel, die Patmos heißt, um des Wortes Gottes und des Zeugnisses Jesu willen. 10 Ich wurde vom Geist ergriffen am Tag des Herrn und hörte hinter mir eine große Stimme wie von einer Posaune, 11 die sprach: Was du siehst, das schreibe in ein Buch und sende es an die sieben Gemeinden: nach Ephesus und nach Smyrna und nach Pergamon und nach Thyatira und nach Sardes und nach Philadelphia und nach Laodizea. 12 Und ich wandte mich um, zu sehen nach der Stimme, die mit mir redete. Und als ich mich umwandte, sah ich sieben goldene Leuchter 13 und mitten unter den Leuchtern einen, der war einem Menschensohn gleich, der war angetan mit einem langen Gewand und gegürtet um die Brust mit einem goldenen Gürtel. 14 Sein Haupt aber und sein Haar war weiß wie weiße Wolle, wie Schnee, und seine Augen wie eine Feuerflamme 15 und seine Füße gleich Golderz, wie im Ofen durch Feuer gehärtet, und seine Stimme wie großes Wasserrauschen; 16 und er hatte sieben Sterne in seiner rechten Hand, und aus seinem Munde ging ein scharfes, zweischneidiges Schwert, und sein Angesicht leuchtete, wie die Sonne scheint in ihrer Macht. 17 Und als ich ihn sah, fiel ich zu seinen Füßen wie tot; und er legte seine rechte Hand auf mich und sprach: Fürchte dich nicht! Ich bin der Erste und der Letzte 18 und der Lebendige. Ich war tot, und siehe, ich bin lebendig von Ewigkeit zu Ewigkeit und habe die Schlüssel des Todes und der Hölle. 19 Schreibe, was du gesehen hast und was ist und was geschehen soll danach.

Sitzend auf der Insel
Auf einer Insel im Meer der anderen, im Meer der Welt, die uns umgibt. Nahe und fern die anderen, manchmal auch das eigene Leben. Auf der Insel, irgendwie alleine, für sich, nicht traurig, nachdenklich vielleicht: ich bin selbst und die anderen sind, uns trennt und vereint vieles, bin gerufen zu ihnen, mir selbst verantwortlich, habe eigene Worte und bin immer Antwort auf alles, was mich umgibt. Trage einen Namen im Meer der anderen, auch gleichen Namen.
Vielleicht bin ich aufgrund des Wortes da, da auf dieser merkwürdigen Lebensinsel, so wie Johannes. Weil ich vom Wort Gottes geschaffen, gerufen bin, von Anfang an. Sein Wort vernehme, suche, vor es gestellt bin, in ihm vieles, alles vermute, habe. Weil auch am Ende noch sein Wort da sein wird, wenn nur noch Staub ich bin. Weil das Wort schon immer meine Welt und die Welt, meine Insel und die Inseln der anderen umweht hat als stiller, ständiger Ruf zu leben.
Ich auf der Insel, auf der Suche nach jenem einen Wort, bedrängt, ausharrend, erduldend manches Inseldasein, verbunden mit all den anderen, die irgendwie auch suchen, Brot und Hoffnung, Trost, Land, sich und ein Du. Ich auf der Lebensinsel leise ergriffen, meine ich zu hören, was Gott zu mir spricht, mitten im Stimmengewirr unzähliger Stimmen, Töne, meine ich von Gott da sitzend gemeint zu sein, beauftragt zu sein, gesandt zu sein, zu hören, weiterzugeben, selbst es zu leben und mit anderen es zu leben, jenes Stückchen Gott im Leben.

Intermezzo: Sich umdrehen
Johannes dreht sich um. Reicht ihm das Hören nicht? Ist der Klang zu laut, zu leise, zu unbestimmt? Ist in ihn noch ein Rest Zweifel oder der Übermut oder nur Neugier oder purer gefasster Mut oder doch vor allem die wie neu geborene Hoffnung auf jenen Augenblick, Gott zu sehen und alles von ihm zu empfangen. Wie oft drehen wir uns um? Und eben nicht. Gehen vorbei. Zeigen die kalte Schulter. Bemerken nicht. Wie oft drehen wir uns um. In manchen Nächten unzählige Mal oft. Entscheidend zum Angesicht und Körper unseres Liebsten. Drehen uns um, zu sehen, zu erlangen, um mit uns, unserem Angesicht, unserem Leben dabei zu sein.

Dein starker Arm, der mich umfängt
Für einen entscheidenden Moment. Den Moment, den wir gar nicht suchen können, so wenig wie es Johannes tut. Ein Moment, in dem uns Gott begegnet, in dem wir diese Erfahrung von IHM machen, irgendetwas uns den Eindruck von Gott vermittelt, IHN in unser Leben eindrückt, abdrückt und wir SEINE Wirkung in unserem Leben vernehmen, verspüren, im Moment, im Nachhinein, im Sehen und Verstehen. So wie Johannes. Oder auch anders.
Das, was uns da widerfährt, was sich uns als Gott eindrückt, ist ein Eindruck von Jesus, von Jesus Christus, davon, wie Gott beschloss, uns nahe zu sein und zu bleiben. Etwas Körperhaftes wird uns begegnen, mit Haupt und Haaren, mit Brust und Füßen, mit Augen und Mund, mit SEINEM Angesicht, mit dem verklärten, erkennbaren Leib dessen, der das Heil in die staubige Straßen von Galiläa trug, der mit den Jüngern zusammensaß, der mit den Sündern aß, der in Garten Gethsemane zweifelte, der das Kreuz auf Golgatha trug, der schrie und auferstand. Der wird uns in jenen Moment begegnen und in ihm alles, was er sagte, dachte und tat.
Er wird uns mit aller Macht widerfahren, so wie dem Johannes auf seiner Insel. Licht wird sein, Glanz, Herrlichkeit, ein Stück, nein der ganze Himmel, Sonne, leuchtend, erhellend, uns umspülend, Ehrfurcht und die Welt schenkend. Und er wird in diesen Momenten mit seinem starken Arm uns umfangen. Diese Wahrnehmung werden wir haben. Es wird der für uns Kämpferische sein, der mit seinem messerscharfen Sinn von Gott all unsere Todesfeinde besiegt, die in uns wohnen, uns verfolgen, uns schon im Leben die Hölle bereiten. Er wird Schutz sein, zärtlich bestimmter, leise in unsere Seele sprechen: Mensch, habe keine Angst. Ich bin dein Leben. Ich bewahre dich.

Und dann: Schreib!
Und er wird uns diktieren, wie wunderbar. Wir - noch ganz erschrocken auf unserer Lebensinsel im Meer all der anderen. Wir - noch zu Tode erstarrt, ohnmächtig von dem, was uns da Mächtiges widerfährt an Liebe, wir – wir werden von ihm in einem Nu geweckt und gebeten, aufgefordert, gesandt zu schreiben.
Und es wäre als bekämen wir selbst unser Leben diktiert, nicht als Befehl, sondern als Offenbarung. Gott würde uns aufgeben, zu schreiben unser Leben und im schreiben und langsamen Mitlesen und Nachlesen würde uns selbst unser eigenes Leben wie ein offenes Buch daliegen, wir bekämen es entschlüsselt, gedeutet. Eine Vision vom eigenen Leben. Schrieben wir auf.
Schreiben wir auf wie Gott unser Leben schreibt, sich einschreibt in Momenten, im Ganzen, am Anfang und am Ende, wie auf meiner Insel mein Leben und das der anderen geschrieben wird als Gottes Geschichte mit mir, als meine Gottesgeschichte. Jede Zeile mit seinem Wort, das mich erfüllt und immerdar tröstet. Amen.