Sonntag, 23. Dezember 2018

Aus der Fülle leben


Predigt zum Christfest 2018

Johannes 1, 1-5-9-14.16a
1 Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort. 2 Dasselbe war im Anfang bei Gott. 3 Alle Dinge sind durch dasselbe gemacht, und ohne dasselbe ist nichts gemacht, was gemacht ist. 4 In ihm war das Leben, und das Leben war das Licht der Menschen. 5 Und das Licht scheint in der Finsternis, und die Finsternis hat's nicht ergriffen. 9 Das war das wahre Licht, das alle Menschen erleuchtet, die in diese Welt kommen. 10 Es war in der Welt, und die Welt ist durch dasselbe gemacht; und die Welt erkannte es nicht. 11 Er kam in sein Eigentum; und die Seinen nahmen ihn nicht auf. 12 Wie viele ihn aber aufnahmen, denen gab er Macht, Gottes Kinder zu werden: denen, die an seinen Namen glauben, 13 die nicht aus menschlichem Geblüt noch aus dem Willen des Fleisches noch aus dem Willen eines Mannes, sondern aus Gott geboren sind. 14 Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als des eingeborenen Sohnes vom Vater, voller Gnade und Wahrheit. 16 Von seiner Fülle haben wir alle genommen Gnade um Gnade.

Lebendige Fülle
In Gott wohnt alles. Wirklich alles. Alle Zeit, aller Raum, alles Dasein. Alles wohnt in Gott: der Anfang, das Jetzt, das Gestern, das Morgen, die vergangene, die gegenwärtige und die zukünftige Zeit, und die Ewigkeit. Alles, was ist, was war und sein wird, ist von Gott her, von ihm gemacht, gewollt, ersonnen, ins Dasein gebracht. Vielleicht auch irgendwie das Dunkle, Schwere. Alles hat in Gott seinen Ursprung, alles ist sein Eigentum, gehört zu ihm, gehört ihm, ist seines. Alles ist ihm eingeboren, ist durch ihn einzig und einzigartig geworden, lebt von ihm her und auf ihn zu, hat sein Leben von ihm.
Gottes Fülle, dass alles in ihm wohnt, ist den Menschen, die immer in der Zeit geboren sind, vorgängig. Gott ist absolut anfänglich zu jeder Zeit. Menschen sind in der Zeit, leben vom gemachten, gesetzten, geschenkten Anfang. Gottes Fülle ist herrlich glänzend, sie ist Licht und Leben, sie lebt in sich, ist in sich lebendig, voller Gott. Die Fülle schlechthin. Und diese Fülle ist da, immer, wirklich immer und sie ist bereit. Sie ist uranfänglich lebendig.

Überfließen
In Gott wohnt die Fülle und die Fülle ist für Gott sein Wesen, sie ist ihm Thema und gegenüber, sie ist in ihm und sie steht ihm wie gegenüber. Im Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott und Gott war das Wort. Gottes Fülle tritt in ihm aus ihm heraus. Sie bleibt nicht bei ihm, sie kann das gar nicht. Gott will es nicht. Gottes Fülle will aus ihm heraustreten, will Gestalt gewinnen, will werden, so wie unser Denken, unser Spüren, unser Planen, Leiden, Hoffen, unser inneres Leben im Wort nach Außen, aus uns heraustritt, treten muss. Nur bei Gott in aller Fülle.
Gott bleibt nicht bei sich. Seine Fülle tritt aus ihm heraus, sein eines Wort wird Wörter. Gott geht sein Herz über. Er kommt zur Welt. Er kommt zu uns. Er wird Fleisch, Gestalt, spürbar, sichtbar, erlebbar. Er erscheint, trennt Licht und Dunkelheit, er erleuchtet, wohnt unter uns, ist und wird Gott im Gegenüber zu allem, was ist und was aus seiner Fülle entspringt, entlassen wird. Seine Fülle, mächtig in sich, göttlich in sich, schafft, hat ein Gegenüber, eine Wirkung, ein Objekt, das sie, das Gott zum Subjekt seiner Liebe macht, damit er alles Geschaffene, alles von ihm Geliebte einholt in seine Fülle, in sein Werden, in seine unendliche, in sich ruhende Liebe.

Nehmen
Es ist der Menschen Freiheit, in diese Fülle wie einzukehren, dort zu wohnen. Es wird zur Herausforderung, zur Frage, die im Leben, die durch das Leben eines Menschen beantwortet werden muss: Ergreift der Mensch diese Fülle, stellt er sich ins Licht. Oder nicht. Erkennt er Gottes Wahrheit und Gnade und lässt sich von ihr erleuchten. Oder nicht. Nimmt er Gottes Liebe auf, nimmt er sie an. Oder nicht. Freiheit und Chance liegen ganz dicht beieinander.
Die einen werden im Versuch, darauf zu antworten, Gottes Geburt im eigenen Leben wahr werden zu lassen, zu Gottes Kindern und leben aus diesem Grund, aus dieser Fülle, Stück für Stück, Gnade, für Gnade, nie perfekt oder ununterbrochen, aber geliebt und getröstet. Die anderen finden keine Antwort darauf, versagen sie und wohnen in der Finsternis und haben einen anderen Grund als Gottes Geburt in ihnen. Sie leben aus einem anderen vorgegebenen Grund, aus dem Blut und dem Willen anderer, aus deren Leben biologisch und sozial gezeugt, begründet, aber nicht von Gott geschaffen. Sie haben einen anderen Werde-Grund als Gott.
Dabei möchte Gott in allen geboren werden. Deswegen ist Weihnachten jedes Jahr. In Jesu Geburt, in seinem ganzen Leben, in seinem Tod und seiner Auferstehung wird durch das Leben eines Menschen die Fülle zugänglich fließt sie über, nimmt selbst den Tod mithinein, schafft aus seinem Nichts das Leben wieder, will unbedingt unter allen Umständen in unserem Leben geboren werden, unser Grund zum Leben sein, will sein Wort im Anfang zu unsere immerwährenden Ant-Wort auf Gott sein. Amen.

Seleigmachender Seelenspiegel


Predigt an Heiligabend 2018Bildergebnis für stille nacht heilige nacht gottesdienstinstitut
Trotzdem berührend
„Stille Nacht, heilige Nacht“, vielleicht Kitsch, vielleicht ein religiöser Schlager. Aber doch berührt dieses Lied, geht es zu Herzen, durch seine einfache, erhebende, wiegende Melodie, durch seinen schlichten Text. Irgendwie stellt es uns an die Krippe, staunend, still, ist es ein Liebeslied für das frischgeborene Gotteskind, trifft es unsere Sehnsucht. Ist diese „Stille Nacht, heilige Nacht“ ein kleiner Seelenspiegel.
So wie das Bild dazu. Ein Foto. Ein Foto einer Landschaft, einer vor unseren Augen still gestellten Landschaft, in Blau getauchte Berge, ein ruhender mit verschiedenen Blautönen getränkter See, ein Lichterbaum auf einem Steg, der sich im Wasser spiegelt. Eine Momentaufnahme, vielleicht Morgendämmerung, ein Augen-Blick, der im Schauen in unserer Seele auf Bewegung trifft und sie in Schwingung, in Bewegung setzt.
Lied und Bild. Und irgendwie auch bei beidem das Gefühl: Ganz so ist es nicht, selbst am Heiligen Abend. Ganz so still, heilig und friedlich ist es nicht. Lied und Bild siedeln sich direkt neben anderen Bildern, Tönen und Worte an, die von einer viel unbarmherzigeren und unseligen Wirklichkeit sprechen, um sie wissen, gerade auch heute am Tag der Gottesgeburt im Stall der Armen. Bild und Lied sind nah am Kitsch, an der Übertünchung und Vertröstung, sie sind aber auch nah an unseren Herzen und Seelen, an jener durch die Dunkelheit hindurch geborenen Verheißung Gottes: So soll es für euch werden. Euch ist heute der Retter geboren. Euch schlägt jetzt die Stunde, an der es für euch heilig wird. Bild und Lied werden vor euren Augen zu eurer Wirklichkeit.

Ruhig geboren
„Stille Nacht, heilige Nacht“ spiegelt sich hinein in die Nächte der Menschen, die manchmal so weinig still und heilig sind, Nächte, in denen Menschen den Schlaf suchen und nicht finden, unruhig sind, das Lebensdunkelheit in der Nacht noch drückender ist, Nächte die von Lebensnächten erzählen, die unsere Seelen verfinstern. In diesen Nächten geschieht jene Geburt, für diese dunklen Lebensnächten geschieht sie.
Stille Nacht heilige Nacht soll es dort werden. Als würde Gott in jener einen Nacht tief Atem holen für sein Rettungswerk an allen Menschen zu allen Zeiten. Gott hat jene himmlische Ruhe für uns im Sinn, alles schläft und er wacht über uns, er legt uns schlafen und möchte unsere Ruhe, aus der wir Kraft schöpfen. Traut und hochheilig bergt Gott still uns in sich, wiegend, haltend, seine Lieben schenkend. Es ist sein Liebeslied für uns.
Gott gebärt sich in unsere Nächte, die ganz realen. Dann dämmert es, dann bricht mitten zur Nacht sein Licht langsam an. Dann bewegt sich vor unseren Augen das Bild und wir haben Anteil an ihm, stehen dort am Seeufer, schauen still staunend und wissen, spüren, Licht und Dunkelheit gehören zum Leben, die Weite auch, das ins Dunkle Getauchte, was unsere Seele droht, aber Gott schenke uns Ruhe und Stille, tief, tief in unsere Seele: Stille Nacht, heilige Nacht. Töne werden, wir werden einbezogen, hören mit, was damals die Engel sangen, es wird am Ufer stehend zu unserem Gehörten, mitten in der Stille klingt es in uns, fern und nah: Christus, der Retter ist da.

Ein Anflug von Lächeln
In Himmel ist nie nur, ganz Ruhe. Kann es nicht sein. Dort sind all die Schreie der gequälten Schöpfung zu hören, das Weinen der Kinder, das Klagen der Leid Geprüften, das Anfragen der geschundenen Seelen, das leise Wimmern der in den Krieg Getriebenen. Das alles halt und ist laut, auch und gerade in der stillen, heiligen Nacht. Das alles lärmt zu recht im Himmel und schallt wieder als Gottes Schmerz über seine und mit seiner Schöpfung. Gott könnte das Lachen schon längst vergangen sein.
Aber seine Liebe macht Gott unruhig, unruhig, leidenschaftliche für seine Liebe, die immer größer ist als alles anderem, größer als der Himmel, eine Liebe, die ihn zu Erden treibt, zu Menschen, zu uns Menschen, dort in deren Leben als Liebe, als Hilfe, als Kraft, als Trost geboren zu werden. „Gottes Sohn, o wie lacht Lieb aus deinem göttlichen Mund“. Und Gott lacht doch in dieser Nacht, in jener damals und in jeder, in die er uns Licht gebracht.
Nicht nur wir sagen und singen „Du“ und „o“, nicht nur: unsere Nächte sind gemeint, sondern: In der Krippe ist Gott anmutig zu sehen, hold, schön, wunderbar, Gottes Mensch gewordenes Gesicht trägt lächelnde Züge. Wir dürfen uns Gott in diesem Augenblick, in der selbstgewählten Art, im Dunkeln zu wohnen, glücklich vorstellen, glücklich über uns, über unsere Rettung, glücklich lachend aus tiefer Herzensliebe, uns heute hier und jetzt anlächelnd, sagend: Christ, in deiner Geburt. Christ, in meiner Geburt Das Bild geht weiter, immer weiter. Kein Moment, auch nicht der von Heiligabend, ist festzuhalten, unsere Seele wird an Weihnachten neugeboren, sie spiegelt sich in jenes Bild hinein und entdeckt es wie das Lied, wie dieser Abend, als ein Geschenk, als ein geschenkter Augenblick Gottes, einer voller lebendiger Ewigkeit für uns: Stille Nacht, heilige Nacht. Amen.

Donnerstag, 20. Dezember 2018

Atem holen: Sehendes Vertrauen


Predigt zum „Atem holen“ am 20. Dezember 2018

„Bereitet dem Herrn den Weg; denn siehe, der Herr kommt gewaltig.“
(Wochenspruch für die dritte Adventswoche, Jesaja 40, 3.10)



Gewaltig kommen

Gott kommt gewaltig. Und wir sollen ihm den Weg bereiten. Gott kommt gewaltig, mit Macht, kräftig, und wir sollen ihm den Weg bereiten, auf dem er zu kommt, sollen ihm den Weg ebnen, gerade machen, wegräumen, vernichten, was ihm in seinem gewaltigen Kommen entgegensteht, entgegenkommt.

Gott kommt gewaltig. Er kommt aber auch ohne mein Zutun. Ohne, dass ich ihm den Weg bereite. Gott ist Gott. Er entscheidet, wann und wie er wohin kommt. Er bricht sich Bahn. Er macht sich den Weg. Er ist frei genug, mächtig genug, das ganz von sich aus zu tun. Auch ohne mich.

Gott kommt gewaltig, mächtig. Mag sein. Im Stall von Bethlehem, auf den wir zugehen, kommt Gott anders zur Welt, in der Krippe liegt einer, der am Kreuz endete, der von unendlicher Liebe sprach, der den Frieden und Gewaltlosigkeit predigte, der in Gleichnissen den Seelen den Himmel brachte.

Und trotzdem: Bereitet dem Herrn den Weg.



Wege bahnen

Die meisten Wege sind schon längst bereitet, gemacht, gepflastert, asphaltiert, zum Begehen, Befahren, zum Kommen hergerichtet. Die meisten Wege müssen wir gar nicht bahnen. Wir gehen, laufen sie einfach, so wie die, die zu uns kommen, sie genauso einfach gehen. Manchmal laufen wir querfeldein und müssen uns den Weg erst bahnen, durch Dickicht, über Wiesen, unwegsames Gelände. Wir müssen dann wegräumen und uns durch das, was im Wege ist, hindurchschlängeln.

Lebenswege: Sind die auch gebahnt? Bereitet? Bahnen wir anderen den Lebensweg? Bahnen uns bestimmte Menschen, Ereignisse unsere Lebensbahn? Die Eltern, die Geschwister, liebgewonnene Menschen, oder sind es gerade die, denen wir aus dem Weg gehen, die unsere Wege indirekt bahnen? Die meisten Lebenswege gehen wir und im Gehen, im vorwärts Leben wird der Weg zum Weg, und manchmal entscheiden wir bewusst uns für einen Weg oder folgen einer Idee oder einem bestimmten Menschen, manchmal gehen wir Wege innerlich schon voran und manchmal bahnen wir anderen einen Weg, ohne es zu wissen, und noch öfter ist erst im Nachhinein ein Lebensweg ein Weg.



Vertrauen wagen

Wie kann man Gott den Weg bereiten? Wenn überhaupt. Wie nimmt man unseren Wochenspruch im Advent für den Advent ernst? Die ersten Menschen im Advent, Maria, Josef, die Hirten, zu ihnen kommt Gott gewaltig irgendwie, sanft, plötzlich, lebensverändernd. Wie haben diese Gott den Weg bereitet in seinem Kommen zu ihnen? Vielleicht sind diese für uns welche, die uns den Weg anbahnen, uns auf das Kommen Gottes vorbereiten, seinem Kommen den Weg bereiten.

Alle drei: Maria, Josef und den Hirten befällt die Furcht, der Schrecken. Sie spüren, dass dem Kommen Gottes etwas Fundamentales, etwas Umwälzendes zu eigen ist, dass das Leben nach der Begegnung mit Gott nicht mehr das bleiben kann, wie das Leben vor der Begegnung. Zu ihnen kommt der Allmächtige und das spüren sie, ihre Furcht ist die einzige Vorbereitung, die ihnen bleibt, eine Furcht, die sie erstarren lässt, die ihnen aber von den Engeln genommen wird. Die Furcht wird allen genommen: Fürchtet euch nicht. Und man mag dazu denken: verschließt euch nicht, öffnet euch, seid für Gott bereit.

Maria ließ dann an sich geschehen, wie der Engel und Gott es ihr gesagt hatten. Josef tat, was der Engel und Gott ihm gesagt hatten, und die Hirten gingen auf die Engelsworte hin los und wollten sehen, was da geschehen ist. Der Anfang der Wegbereitung ist das Vertrauen, kein blindes, sondern ein neues Leben, Wunderbares sehendes Vertrauen. Ein Zutrauen, dass Gottes Macht seine Wirkung hat und Geschehen freisetzt. Ein wie frisch geborenes Vertrauen, dass das, was geschieht, zu meinem Wohl und Heil geschieht, dass in ihm die Macht der Liebe Gottes wirksam ist, und das Anvertrauen, sein Leben in Gottes Hände zu legen und an sich Gott geschehen zu lassen.

Dieses Vertrauen in einen sich uns zeigenden Gott ebnet diesem Gott die Bahn und bereiten den Weg, auf dem Gott in unser Leben kommt. Amen.

Mittwoch, 5. Dezember 2018

Der springende Punkt


Predigt am Adventsgottesdienst für Mitarbeitende/Weihnachtsfeier 2018



Plätzchen: Wo ist dein Herz?

Eine kleine Karte mit einem Bild von Plätzchen. Plätzchen sind Adventsbegleiter. Fast überall lauern sie, schon recht früh, in Tüten, an Ständen, selbstgebacken, überreicht, geschenkt. Sie gehören zum normalen Verdauungsgeschehen im Advent, zu dem, was man nebenher, bewusst, im Kreis der Lieben, allein aus Frust in die Hand nimmt, in den Mund steckt, verzehrt, genießt, kaut und runterschluckt. Kleine Vorboten des reich gefüllten Tisches an Weihnachten.

Plätzchen haben eine lange Geschichte, und irgendwie im Dunstkreis der Religion, vielleicht als so etwas wie versteckte Religion. Angefangen beim Christstolen, der an das in Windel gewickelten Christuskind erinnern soll, die Lebkuchen, die in Klöstern erfunden wurden und dank ihrer langer Haltbarkeit durch schlechte Zeiten tragen sollten, der Spekulatius, gebacken zum Gedenktag an den Bischof Nikolaus, Plätzchen: Kleingebäck erst jahrhundertelang bevorzugt für Reiche, dann erst vor zweihundert Jahren demokratisiert dank der massenhaften Gewinnung von Zucker für alle. Gleichzeitig hat Religion ihre Kraft verloren. Und heute? Bei uns? Wo schlägt unser Herz?



Krippe: Zu Herzen gehen

Beides zusammen, im schönen SC-Rot-Weiß: die Krippenszene inmitten der anderen Plätzchen. In Weiß der Stern, der Futtertrog, Maria und Josef davor. Sofort erkennbar, süßes, kleines, in Alltags-Plätzchen gebettet Krippenszene, wie sie uns aus allen möglichen Materialien, in allen möglichen Größen und Formen fast überall begegnet, jene Szene von damals, vom Stall in Bethlehem, der Geburt Jesu.

Warum erkennen wir inmitten der roten Plätzchen die paar weißen Plätzchen sofort als Krippenszene? Diese eine Szene mag uns, der Menschheit so tief eingeprägt sein, dass man sie sofort überall, und sei sie nur angedeutet, wiedererkennt, identifiziert. Warum ist das so? Jenseits von gewohnten und geschulten Sichtweisen? Warum bewegt, berührt uns heute immer wieder diese Krippenszene vom kleinen Jesus, der des großen Gottes Sohn wohl ist?

So, wie die weißen in den roten Plätzchen wie durchsichtig werden, ist die Krippenszene für sich irgendwie durchsichtig auf uns und unser Leben. Es wird da etwas ganz Rührendes, Berührendes, Elementares, ja auch mitunter Rührseliges, Missbrauchbares, Anwendbares erzählt, abgebildet in unsere Bilderwelten. Etwas, was uns jedes Jahr irgendwie zu Herzen geht?

Vielleicht weil es um grundsätzliche Gebürtlichkeit geht, um einen wesentlichen Anfangspunkt, darum, dass dort nicht nur ein oder ein bestimmtes Leben anfängt, sondern meins. Ich dort irgendwie geboren werde. Gott mit mir einen Anfang macht.



Herz festgeklebt

Drehen wir die kleine Plätzchenkarte um, was Sie alle zwischendurch schon getan haben, dann kann man den Anfang aus einem Vers im Evangelischen Gesangbuch lesen. Lied nur 36, Text aus dem Jahre 1653 von Johann Crüger: „Fröhlich soll mein Herze springen dieser Zeit, da vor Freud alle Engel singen.“

Vielleicht eine fromme Bitte aus vor fast 400 Jahren: Ein fröhliches springendes Herz zu dieser Zeit. Schon fraglich, was unser Herz so macht, in dieser unserer Zeit. Springt es heute? Vor Freude? Vor welcher Freude? Wegen der Weihnachtsfeier? Wegen Essen und Trinken und Geselligkeit? Oder mag es nicht so richtig springen unser Herz? Weil es eher zersprungen ist, weil es seine Bruchstellen, Risse hat, aus enttäuschter Liebe, aus Verletzungen und Angst? Oder ist unser Herz einfach nur müde, was heißt da „nur“, ein müdes Herz ist traurig anzusehen. Oder ist unser Herz leer, leer gedacht, geliebt, gehofft? Gestresstes Herz? Erfülltes Herz? Mit dem, was in ihm ist, heute und in dieser Zeit, an Geschichte und Menschen, an Begegnungen und Erfahrung, an Hoffnung und Träumen, an Angst und Liebe? Inmitten des Lebens, des Alltags ein fröhliches, springendes Herz. So wie inmitten der roten Plätzchen eine weiße Krippe.



Hirtenherz

Unser Satz auf der Rückseite spricht aber von keiner direkten Freude, sondern von einer indirekten. Menschen wollen sich aber eigentlich direkt freuen, freuen über etwas, über andere, an sich selbst, gemeinsam. Aber das will der Vers nicht, nicht so. Merkwürdig. Er mag es indirekt.

Er spricht von der Freude der Engel, von ihrem von tiefer Freude erfüllten Ruf, Gesang. Ihre Freude wird uns, kann uns werden zum Wegzeichen, zum Hinweis. Denn wir sind wie damals die Hirten unterwegs im Leben, immer, und wenn nicht äußerlich, dann innerlich. Wir sind wie die Hirten auf dem Felde unterwegs, inmitten des Alltags, inmitten der Plätzchen, auf der Suche, auf dem Weg des Findens.

Und die Engel, deren unbändige, herrliche Freude ist den Hirten, seien uns Wegzeichen: als trostreiche Ansage für alle unruhigen Seele, die wir sind. In aller Klarheit: Fürchtet euch nicht, Menschen, fürchtet euch nicht. Ihr werdet finden in der Krippe, die Gott mitten in eurem Leben stellt, den Grund großer Freude, euch ist die Rettung geboren. Weniger nicht. Gott fängt in Liebe mit dir an. Die indirekte Freude durch den Gesang der Engel ist zutiefst adventlich, denn sie setzt uns der Ansage vertrauend auf den Weg, sich von jener Freude anstecken zu lassen, zum Gast der Freude zu werden, den Grund der Lebensfreude zu finden. Unser Herz bewegen zu lassen und ganz still jenem Engelsklang zu suchen, hören zu wollen. Amen.