Samstag, 19. November 2016

Gespiegelt



Predigt am Ewigkeitssonntag 2016 (20.11.16)

Matthäus 12, 38-42
Da antworteten ihm einige von den Schriftgelehrten und Pharisäern und sprachen: Meister, wir wollen ein Zeichen von dir sehen. Er aber antwortete und sprach zu ihnen: Ein böses und ehebrecherisches Geschlecht fordert ein Zeichen, und es wird ihm kein Zeichen gegeben werden außer dem Zeichen des Propheten Jona. Denn wie Jona drei Tage und drei Nächte im Bauch des Fisches war, so wird der Menschensohn drei Tage und drei Nächte im Herzen der Erde sein. Die Leute von Ninive werden auftreten beim Gericht mit diesem Geschlecht und werden es verdammen; denn sie taten Buße nach der Predigt des Jona. Und siehe, hier ist mehr als Jona. Die Königin vom Süden wird auftreten beim Gericht mit diesem Geschlecht und wird es verdammen; denn sie kam vom Ende der Erde, Salomos Weisheit zu hören. Und siehe, hier ist mehr als Salomo.
Im Blick
Ein Zeichen: ein kleines, ein großes, irgendeines. Nein: Nicht irgendeines, sondern ein bestimmtes. Ein bestimmtes Zeichen, vielleicht ein Wink, ein Fingerzeig, ein Hinweis, ein Bild, das voraus weist. Ja, mehr noch: ein Beweis, ein Beleg, ein Erweis, ein irgendwie sicherer Bote für mich, für meine Sehnsucht, mein Leben. Gib mir ein Zeichen, bitte, ich wünsche es mir, so sehr. Gib mir ein Zeichen, ich brauche es. Ich will wissen, was passiert, was kommt, was wird. Ich will wissen, wer du bist, was es mit dir auf sich hat, wissen, ob wir dir vertrauen können, sollen, ob wir unser Leben, unsere Hoffnung auf dich setzen können, ob du wirklich der Verheißene, der Ersehnte, der Heilsbringer bist, der Gesandte Gottes.
Ein Zeichen sieht man. Man schaut es an und es erzählt von mehr. Still, leise, als würde es mehr beinhalten. Es erzählt von dem, auf das es weißt, holt es irgendwie schon her, weitet den Blick hin zu dem, wohin es gehen soll. Es erzählt von dem, der auf das Zeichen schaut, der von ihm etwas erwartet, der dem Zeichen folgen möchte, der es nimmt als Schritt auf dem Weg. Es erzählt von dem, wie und wer er ist, sein soll, werden möchte.
Jesus gibt ein Zeichen, erst keines: ein verneinendes, ein ablehnendes, ein fremdes, eines, in dem sich die Zuhörer, die Zuschauer nur dunkel spiegeln. Er gibt ein Zeichen von einem Propheten, dem Propheten Jona, der ankündigt und ruft. Er gibt ein Zeichen, Bilder, Worte, weit in den Horizont zukünftiger Zeit, in den Moment des endzeitlichen Gerichts. Jesus gibt Zeichen. Es ist sein Zeichen. Es ist sein Zeichen und beinhaltet ihn. Er wird in seinem Zeichen gegenwärtig, anwesend. Er blickt im Zeichen die an, die das Zeichen ansehen, er sieht sie, er lässt sich sehen im Zeichen und er lässt sie  im Zeichen sich selbst sehen, erblicken, entdecken. In Jesu Zeichen eröffnen sich die Blicke: Der Blick auf Jesus, sein Blick auf uns, unser Blick auf uns selbst.



Blind
Du, abtrünniges, böses, mühsames, unbrauchbares, bundesloses Geschlecht, du siehst nichts, obwohl so viel zu sehen wäre, obwohl dein Herz so viel entdecken könnte; du bist blind, blind für so viel mehr, um dich, dir gegenüber, auch in dich. Nichts verstehst du von Jesus, von seinen Taten, seinen Worten, seinen Gesten und Gleichnissen, von dem Gott, den er bringt, den Menschen, die er liebt.
Das Zeichen, das Jesus ihnen gibt, ist stumm, spricht nicht, eröffnet nichts, bleibt wie verschlossen. So verschlossen wie sie selbst sind, so böse, so widerständig, so blind wie selbst sind. Egal, was Jesus sagt, ihnen zeigt, ihnen von sich gibt, egal, welche Welt er ihnen nahelegt, eröffnet, es ist und bleibt bei ihnen ohne Resonanz, ohne Widerhall, ohne Verstehen, ohne Aufnahme. Das Zeichen Jesu bleibt bedeutungslos, sie bleiben blind. Kein Zeichen bekommen sie, nichts, was spricht, was Jesus ihnen zeigt, was sich ihnen offenbart, ihnen von mehr erzählt, vom Weg einen Schritt weiter.
Nur ein prophetisches Zeichen von Jesus bekommen sie, ein Zeichen derer, die das Volk schon immer riefen, dunkel noch, aber ein stiller Ruf, ein Ruf in der Wüste, eine dumpfe Erinnerung, ein sachtes, anfängliches Herausführen an der Hand der eigenen Geschichte. Nur dieses Zeichen, zwischen blind, bedeutungslos und dem Beginn, dem Beginn, dass sie mehr und mehr auf sich selbst blicken, sich sehen, wer und wo sie sind.

Vergraben
Das Zeichen des Jona. Ein merkwürdiges Zeichen. Eines, das ins Verborgen führt, in die Tiefe, weit hinunter in die eigene Existenz, ins eigene Leben, in die eigenen Untiefen. Dort sieht sich das abtrünnige Geschlecht, dort sehen wir uns, dort sehen wir Jona: Wir sehen ihn, wir sehen uns verschlungen, hinab gefahren, hinab gesunken ins Dunkle, ins Bedrohliche, in die Un-weiten der Ferne, der Ferne von Gott, von uns selbst. Die Blindheit wird aufgebrochen, schmerzvoll, Sehen beginnt. Noch bitteres.
Drei Tage und drei Nächte. Tage und Nächte, die manchmal kleine und große Ewigkeiten dauern können, die nicht enden wollen, die sich dehnen als läge ewige Dunkelheit, ewige Ferne auf dem Leben. Ewigkeiten in der Tiefe, im Abgrund, im Schoß der Erde, des Geschaffenen, der Erde, von der wir genommen sind, zu der wir wieder zurückkehren, urtümliche, erste, letzte Erde, nass, dunkel, verborgen, im Bauch des großen Fisches, in der Unterwelt, im Rachen des Todes.
Dort betet Jona, verzweifelt, weit weg von Gott, weit weg von seinem Auftrag, von seiner Bestimmung. Dort vergraben stammelt er nach Worten, die Gott suchen, nach ihm tasten, in denen er wieder einkehren mag. Jesus betet am Kreuz, tief verlassen, stummes, stilles, schreiendes Zeichen. Dort betet vielleicht das abtrünnige Geschlecht, seine Augen öffnen sich langsam, sie blinzeln Richtung Rettung, vorsichtig. Wir wissen: Jona wird ausgespien. Er wird seinem Auftrag folgen. Er wird nach Ninive gehen.
Wir wissen: Jesus wird auferweckt. Er wird wieder lebendig. Das Evangelium wird bis an die Enden der Welt kommen, bis zu uns.

Mehr vor Augen

Hier ist mehr. Sagt Jesus. Hier ist mehr als Jona. Hier ist mehr als Salomo. Hier weitet sich der Horizont, weiter als es gar nicht geht, bis ans Ende der Welt bis ans Ende der Zeit, bis in die Endzeit. Das böse, bundeslose Geschlecht und wir mit ihnen sehen, sehen sich, sehen uns selbst. Wir sehen auftreten, wie in einer letzten großen Szenerie, die Menschen von Ninive, die auf Jona hörten und zu Gott umkehrten. Wir sehen auftreten die Königin vom Süden, die den Worten des Salomo folgte und aus ihnen die Weisheit Gottes schöpfte. Wir sehen Menschen auftreten, die Gott ihr Leben geben, seinen Worten vertrauen, sich und andere in seinem Licht sehen. Menschen, die uns fragen: Habt ihr das auch getan? Haben wir das auch getan? Tun wir das?
Hier ist mehr. Sagt Jesus. Hier auch ist mehr. Mehr als diese Auftritte, mehr als Salomo, mehr als Jona, der Prophet, mehr als diese Menschen, mehr als ihre anklagenden Worte, mehr als Verdammnis. Hier ist mehr. Hier ist Jesus, hier ist sein Zeichen. In ihm sehen wir uns. In ihm sehen wir ihn. In ihm sieht er uns an, jeden: Jesus sieht in uns mehr, immer mehr. Böses, abtrünniges, geliebtes Geschlecht. Amen.

Freitag, 11. November 2016

Geboren für die Ewigkeit



Predigt am vorletzten Sonntag des Kirchenjahres (13.11.2016)

Römer 8, 18-23:
18 Denn ich bin überzeugt, dass dieser Zeit Leiden nicht ins Gewicht fallen gegenüber der Herrlichkeit, die an uns offenbart werden soll. 19 Denn das ängstliche Harren der Kreatur wartet darauf, dass die Kinder Gottes offenbar werden. 20 Die Schöpfung ist ja unterworfen der Vergänglichkeit - ohne ihren Willen, sondern durch den, der sie unterworfen hat -, doch auf Hoffnung; 21 denn auch die Schöpfung wird frei werden von der Knechtschaft der Vergänglichkeit zu der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes. 22 Denn wir wissen, dass die ganze Schöpfung bis zu diesem Augenblick mit uns seufzt und sich ängstet. 23 Nicht allein aber sie, sondern auch wir selbst, die wir den Geist als Erstlingsgabe haben, seufzen in uns selbst und sehnen uns nach der Kindschaft, der Erlösung unseres Leibes.



Wimmern
Es ist ein leises Wimmern. Kaum zu hören, manchmal wird es lauter und wird zum Schreien. Es ist im Grunde aber immer da, im Grunde nicht zu überhören. Es ist oft unterdrückt: Wie verdeckt unter dem Mantel der schon lange eingekehrten Normalität: Das Stöhnen, Ächzen, Keuchen, Klagen, Wimmern.
In dieses Wimmern der Schöpfung vermischt sich unser Wimmern, unser deutlich lauteres Klagen und Schreien; jenes Seufzen, das tief in uns ist, von Zeit zu Zeit herausbricht, und zu hören ist, bei dir und bei mir, bei uns. Im leisen Wimmern der ganzen Schöpfung ist auch unsere Stimme zu hören und wir klagen mit der Schöpfung und die Schöpfung klagt mit uns.
Es ist keine frei gewählte, keine freiwillige Klage. Als ob man auch anders könnte. Wir sind dem Seufzen unterworfen. Es herrscht über uns. Es herrscht über die Schöpfung. Es herrscht über alles. Es wie etwas im Leben, tief in uns drin, das nicht einfach wegzukriegen ist. Wir müssen, ob wir wollen oder nicht, wimmern, klagen, schreien. Wir müssen, weil wir nicht anders können, weil wir wie dazu gezwungen sind. Es über uns kommt.
Seitdem und schon immer. Durch einen und durch alle. Gegenseitig und jeder für sich. Unterworfen der Vergänglichkeit, die uns seufzen, schreien, wimmern, leiden lässt. Alles ist vergänglich. Alles. Alles vergeht, stirbt ab, wird kleiner und weniger, wird faltig, porös, dement und läuft ab, verwest und geht kaputt, verändert sein steinernes, blühendes, menschliches Gesicht hin zum Tode, schneller oder langsamer, in 90 Jahren oder in Millionen Jahren. Alles ist vergänglich. Alles hat seine Zeit. Alles vergeht. Und Menschen leiden darunter. Menschen kämpfen dagegen an. Menschen wollen es nicht wahr, nicht wirklich, nicht haben. Menschen haben Angst davor.

Gott unaussprechlich in mir
Gott hält uns aber doch. Das Vergängliche, das Seufzen, das Klagen, das Absterben kann nicht Alles sein, nicht das Ganze, nicht die Hauptsache, nicht das Wesentliche. Gott wohnt unaussprechlich in mir. Gott wohnt doch uns inne. Sein Geist, sein Stück von ihm für mich. Ich und du sind doch sein Geschöpf immer, immer geliebt. Jesus ist doch das unverrückbare Zeichen seiner Liebe für das Vergängliche mitten im Vergänglichen. Er hat doch seinen Geist, seinen Raum in uns versprochen, geschenkt, in zerbrechliche Gefäße, zerbrechliche Menschen. Das von ihm, das mich doch noch aufstehen lässt, was mich doch noch rufen lässt, was mich doch suchen lässt, was mich doch nicht vergehen lässt, verzweifeln lässt, was mich doch antworten lässt.
Gott schreit in uns, wenn wir schreien unter der Last der Vergänglichkeit. Gott spricht in uns, wenn wir in Leiden die Sprache verloren haben. Gott seufzt in uns. Gott ist mitten im Vergehen, im Leben auf den Tod hin ein Stück Ewigkeit in uns. Hoffentlich …

Dem Seufzen wohnt ein Sehnen inne
Jedem Seufzen, jedem stillen Wimmern, selbst jedem Schrei der Schöpfung und unserer wohnt ein Sehnen inne, ein Harren, das fast trotzig ist, das letztlich, wenn wir uns auf es mit allerletzter Kraft verlassen müssen, unbändiges ist, da es nie nur unseres, sondern Gottes Harren in uns ist. Ein Warten. Etwas, was uns doch auf Hoffnung leben lässt, trotz allem.
Eines, was uns spüren lässt: Leiden, Vergehen, selbst Hass, Feindschaft, Vergeblichkeit, Zerstörung, all das, was Vergänglichkeit mit sich bringt, all das, was dunkle Vorboten des Todes sind, sind Geburtswehen, unermesslich, und vielleicht auch sinnlos erscheinende Geburtswehen. Wehen, die sagen: Es wird etwas werden!!! Es wird Leben werden. Wehen, denen Menschen unterworfen sind, Wehen, unter deren Qualen wir selbst wie geboren werden, zu etwas hin, was wir eigentlich und schon immer von Gott aus sein und leben sollen: Seine geliebten Kinder.
Zum Jubeln geboren
Geboren, nicht um der Vergänglichkeit willen. Der sind wir gewaltsam unterworfen. Geboren, nicht um der Falten, der Demenz, der Brüchigkeit willen. Diese geschehen. Geboren, nicht um zu sterben. Sterben werden wir. Geboren für etwas anderes, für jemanden anderes.
Wir sind zu anderem bestimmt. Etwas anderes zu sein und zu leben. Wie sehr und wie tragisch diese Bestimmung auch verdunkelt ist und sein kann und so fern oder als etwas furchtbar ganz Anderes auch sie erscheint. Sie wird aber niemals hinfällig sein. Solange es Gott gibt. Für uns gibt. Sie ist die von Gott aus uns zugedachte. Nein, nicht nur zugedachte, sondern die, die er mit uns verwirklichen wird. Sicher.
Geboren sind wir, damit seine Herrlichkeit an uns sichtbar wird. Damit wir erlöst werden und freie Menschen sind. Geborgen in Gott und von ihm unendlich geliebt. Geboren letztendlich, um zu jubeln still ins uns, manchmal laut aus uns heraus, damit das Wimmern der Schöpfung übertönt, überliebt wird, endlich ein Ende hat.



Geboren, um herrlich, tief und frei zu jubeln, ein Jubel, der für all die, die die Schöpfung und andere Menschen der Vergänglichkeit und dem Leiden unterwerfen, schrecklich in den Ohren klingt. Ein Jubel, der ein Aufschrei ist gegen alles Leiden jeglicher Kreatur, ein Jubel, der voller Liebe und Erlösung ist, der Gott still immer dankt. Amen.