„Wenn ich immer nur getan hätte,
was ich
kann, wäre ich tatenlos geblieben.“ (Meret Becker)
Predigt zur Einführung von Prof. Dr. Wiesenack
im Evangelischen
Diakoniekrankenhaus (17. April 2015)
Tatenlos
Menschliches Leben ist nie tatenlos.
Menschliches Leben antwortet, antwortet immer, immer auf das, was es umgibt.
Menschen atmen und ihr Atem liegt in der Luft. Menschen denken und ihre
Gedanken werden laut. Menschen sprechen und ihre Worte werden gehört. Menschen
bewegen sich und ihre Spur zieht sich durch Räume und Leben. Menschen leben ihr
Leben und alle, die ihnen begegnen, leben mit ihnen, werden berührt, verletzt,
motiviert, gekränkt, geküsst, geschlagen, verneint und geliebt. Selbst unser
Schlaf bleibt nie tatenlos, wenn wir morgens müde und hellwach aufwachen.
Ein Krankenhaus ist ein Taten-Haus.
Voller Menschen, die Tag ein und Tag aus was tun, die verbinden, trösten,
operieren, Medikamente herrichten, nachts wachen, Briefe schreiben,
Zahlenkolonnen bewegen, Umbauten planen, informieren, kochen, versorgen, sich
Gedanken machen, heilen, entlassen, hoffen, verlieren. Ein Taten-Haus aus
Pflegenden, Ärzten, Verwaltung, und Leitenden.
Anästhesisten machen empfindungslos,
bewusst bewusstlos, lassen Menschen wie schlafen und die OP, der Eingriff, der
Schmerz, das Ende erreicht sie nicht so sehr, so bitter, so arg. Ihre Tat ist
ein bisschen die Tatenlosigkeit von Menschen und sie bewahren für eine
bestimmte Zeit Menschen vor schmerzvollen Taten.
Könnten
Man tut, was man kann. Das ist sehr
viel. Dafür sind sie, wir alle da, und es ist Hoffnung, dass wir hier alle tun,
was wir können, und wo es geschieht, kann man einander dankbar sein. Man tut,
was man kann, das, was man gelernt hat, was Gott einem als Talent gegeben hat,
wozu man ausgebildet ist, und man tut gut daran, nur das zu tun und froh zu
sein, dies gut zu können. Man tut, was man kann, wozu man im Stande ist, was
man leisten kann, und man geht dann an seine Grenzen, und manchmal über sie
hinaus, leistet zu viel, zu lange, bis man nicht mehr kann, gar nicht mehr.
Man tut, was man kann, und es gibt
Momente, in denen das nicht ausreicht, einfach nicht ausreicht. Ich habe alles
getan, was ich konnte, alles, aber es hat nicht gereicht und bitter spüren wir
das im OP oder am Krankenbett und spüren, unser Können kennt ein Ende, eine
Grenze, die wir verschieben, soweit es geht, soweit wir können. Aber es gibt
sie.
Dann nicht im Konjunktiv versinken:
Hätte ich besser, wäre es nicht besser gewesen. Nicht leben im Konjunktiv: Wenn
ich immer nur getan hätte, … wäre ich … Leben angesichts eines „immer nur“,
immer nur das eine, das gleiche, so weit, so viel; immer nur, und sich sehnen
nach Indikativ, nach „Ich lebe …“ und einem „Einmal nur“, „einmal nur“ das oder
jenes, oder das andere, aber „einmal nur“, endlich.
Amateur
Nicht nur tun, was man kann. Mehr
tun, als man kann. Über sein eigenes Vermögen hinauswachsen. Davon lebt auch
ein Krankenhaus. Vom Besonderen. Nicht nur tun, was man kann. Mal was anderes
tun, Alternativen denken, andere Wege gehen, neue. Davon lebt auch ein Krankenhaus.
Nicht nur tun, was man kann. Tun, was
man nicht kann. Genau das: Tun, was man nicht kann. Es aber trotzdem tun. Es
versuchen. Es wagen. Sich trauen. Und daran scheitern. Es nicht können. Und
nicht daran scheitern und es doch tun und doch können. Ein bisschen. Schlechter
als viele andere, aber es tun, das tun, von dem man dachte: Ich kann es nie.
Das werden keine großen Taten sein,
nichts Außergewöhnliches, klein eher, demütig vielleicht. Aber es wird meine ganz
eigene, eigenartige Tat sein, meine kleine heldenhafte Tat, eingebettet im
Gewöhnlichen, irgendwie ganz und gar sozial, viele können weniges, und Menschen
wachsen zart über sich hinaus. Amateur eben. Liebender. Haben Sie deswegen,
Herr Wiesenack, diesen Satz ausgesucht? Und passt er deswegen zu Meret Becker,
der neuen Tatortkommissarin?
Liebessatz
„Wenn ich immer nur getan hätte, was
ich kann, wäre ich tatenlos geblieben.“ Ein Satz, den Gott sprechen könnte,
spricht? Ein Gott, der etwas nicht kann, der nicht alles kann; ein Gott im
Konjunktiv, als ob es ihn gäbe, er täte und könnte; ein tatenloser Gott?
Für mich ist Gott Liebe. Nur dies.
Und so hieße der Satz in Gottes Mund: „Wenn ich immer nur geliebt hätte, was
ich liebe, wäre ich lieblos geblieben.“ Ein Satz voller Bewegung, voller Antwort
für uns, auf unser Suchen und Tasten. Ein Satz, der mir einen suchenden,
tastenden, leidenschaftlich liebenden Gott vor Augen, in die Seele zeichnet.
Ein Gott, der nicht bei der Liebe und dem einmal Geliebten stehen bleibt,
sondern mehr, tiefer, inniger lieben will, sich an die Ränder begibt, weit
heraus lehnt, die eher Ungeliebten unter Menschen liebt.
Wir leben als diakonisches
Krankenhaus von dieser Suchbewegung Gottes und leben sie. Wir freuen uns sehr,
dass Sie bei uns angefangen haben als Chefarzt und feiern mit und für sie und
Ihre Familie Gottesdienst. Wir rufen Gottes Liebe auf den Plan. Gottes heiliges
Wort ist über sie gesagt. Sie sind gesegnet. Gott tut, was er kann: lieben und
seine Liebe bleibt nie tatenlos, nie wirkungslos, sie zieht Kreise. Das
wünschen wir ihnen in diesem Taten-Haus.
Pfr. Jochen Kunath, Theologischer
Vorstand des Evangelischen Diakoniekrankenhaus