Montag, 13. April 2015

Lichteinfall



Predigt zum Abschied (12. April 2015)


Lichtraum
Im ersten Blick: Ein gebrochen licht erfüllter Raum. Hell, belichtet. Abschattungen. Leicht dunkler werdend. Das Licht fällt durch die Fenster ein, fällt in den Raum, setzt sich fort, gewinnt Gestalt. Sein Hineinfallen wird nachvollziehbar, sichtbar, spürbar. Das, auf das das Licht fällt, sind Gegenstände, dem Licht entgegen, verschlucken es, und sind durchlässig zugleich, leuchten.
Im zweiten Blick: Hemden, stilisiert, aufgehängt, aneinandergereiht, ganz nah am Licht heller, weiter unten dunkler, aber immer da und mehr und weniger durchsichtig, durchhängend. Durch sie bekommt das Licht eine sichtbare Richtung, sein Hinein in den Raum. Die Hemden fangen das Licht auf, nehmen es und werden dunkler, je näher es uns kommt. Wir Hemdenträger. Hemden Menschen-Korpus in reduzierter Form, ausgestreckte Arme, kopflos, einer und eine neben dem anderen, merkwürdige Gemeinschaft, vom Licht irgendwie bewegt.
Im dritten Blick wird alles als Chor, als Chorraum sichtbar, dort hängen die Hemden, dort fällt das Licht ein. Irgendein Chorraum, irgendeiner Kirche, vielleicht frühmorgens, vielleicht fern vertraut. Jetzt unserem Blick ist klar: Wir sind im Raum der Kirche. Wie so oft. Der Chorraum wirkt an sich eher unbenutzt, eher sonst ungebraucht, irgendwie fast entleerter, leerer Raum. Wie so oft Kirchen. Eine nette Installation, eine nutzlose Schönheit vor Augen gehängt: Schön, nutzlos wie vielleicht Kirche, Glauben zu unserer Zeit.
Und trotzdem fällt dieses Licht – als wäre es für uns, unsere Seele gedacht, gemacht, hinein.

Erfüllen
„Herr, ich bin nicht würdig, dass du eingehst unter meinem Dach. Aber sprich nur ein Wort, so wird meine Seele gesund.“
Wort des Hauptmann von Kapernaum, Wort der Liturgie der Geschwister, doppelbödiges Wort: ein eingehender Gott, Gott geht ein.
Unter meinem Dach. Mein Dach aus Wörtern gebaut. Seit 12 Jahren. An diesem Ort. Dach aus Predigtworten, aus Sitzungsworten, aus gedachten, gesagten, gemeinten Worten, Wortdach gebaut in unzählige Stunden. Für Euch. War ich würdig, dass Gott unter all meine Wortdächer einging? War all das, was ich getan, würdig, ihm entsprechend, Gott gefällig. Wer kann mir diese Frage beantworten?
Sprich nur ein Wort, inmitten all meiner tausenden Worte über dich, sprich nur ein Wort, Herr. Habe ich dich gehört, mir dich sagen lassen, hast du sie, diese einen Worte, zu mir gesagt, still am Schreibtisch, in leere Gedanken hinein. Im Kreis der Anderen - und ich sie weitergesagt, weitergesagt Euch. Damit wir alle zusammen gesunden, gesund werden an dem wichtigsten, was wir von dir haben, an unserer Seele, ihr, und ich, Gemeindeseele und Pfarrerseele.
Und doch fiel dieses Licht in den Chorraum unserer aller Seelen.

Herausgesetzt
Worte fallen aus unseren Mündern, wie faule Äpfel, wie kostbarste Früchte, Hassworte und Liebesworte, graue und bunte Alltagsworte dazu; irgendwo in unserem Kopf gedacht, irgendwie entstanden in unseren Gefühlen, entnommen aus der Welt der Worte, entlehnt von anderen, gebeugte, mit unserem Leben durch deklinierte Worte, von verbunden zu Sätzen, freudvoll, mit Schmerz vermengt, stotternd, unter Küssen, kommen sie heraus aus uns, werden sie freigesetzt und sind da.
Worte aus dem Mund sind draußen, nicht zurückholbar, sie bewegen sich, frei schwebend, gezielt, treffend, wirken, das was sie sagen, verletzen, sedieren, beseelen, erhellen. Und Worte sind manchmal furchtbar leer, hohl, trügerisches Geschwätz, besser nie gesagt; Worte sind leer, entleert, verhallen ungehört, bleiben ohne Wirkung, berühren so wenig. Jeder hat Angst vor leeren Worten, ich hab sie; Worte, die leer zu mir zurückkehren, umsonst gesandt.
Wozu ich gesandt bin: Euch gegenüber. Beauftragt als Pfarrer dieser Kirche, verpflichtet nach ihrer Ordnung, allen Menschen eines Ortes frei und öffentlich das lebensspendende Wort zu schenken. Ist es gelungen? War ich Wortträger? Weniger? Hemdträger vielleicht. Eines von diesen da, die da hängen, irgendwo dazwischen, irgendwo unter euch gehängt. Mehr? Deutlich mehr? Sagt es mir? Nur in Treue und in Gehorsam gegen Gott, sollte ich es tun, versprach ich.
Und doch, und doch – Gott sei Dank - fällt das Licht einfach ein.

Verändert zurück
Gottes Wort. Zugegeben: eines unter anderen. Aber: Keines, das leer ist. Niemals leeres Wort. Bitte. Gottes Wort trägt Gott in sich, eigentümlich frei eingefangen in Buchstaben, die Menschenmünder sprechen. Es trägt in sich tief bis obenhin Jesus Christus in sich, das Leben selbst, die Fülle, Höhe und Erniedrigung, unzählige wunderbare Worte von ihm, die Liebe nie endend. Es geht aus Mündern heraus, wird von IHM selbst entlassen, frei gesetzt.
Gottes Wort kehrt ein in diese Welt, in die kleine und in die große, in die hier in Haslach, in die im Südwesten, überall; radikalst gibt es sich ganz hinein in unsere Seelenwelten, in all den Morast und Schmutz, in alle Elendigkeit, in das noch so kleine, geht es ein bis in die Unkenntlichkeit. Und kehrt zurück, zurück zu Gott, hat es alles eingeholt in Liebe, eingeholt in sich, blieb es nie unberührt von uns, wurde es verändert, hat es sich vermengt, vermischt mit unseren Worten, mit unseren Liebesschwüren, mit unserer Verzweiflung, mit unseren Tränen, Hoffnungssätzen, mit unseren Unzulänglichkeiten, mit uns, seinen geliebten Geschöpfen.

Kehrt es zurück. Ein wunderbarer Lichteinfall Gottes. Wir ganz transparent, durchsichtig, durchleuchtet. Ihr und ich. Ein letztes und erstes Mal. Gottes Wort tut, was ihm gefällt. Es gelingt, wozu er es sendet. Wir alle: Quasimodogeniti. Wie neugeboren. Seine Chorraummenschen. Gott schütze eure Seele. Amen.

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