Samstag, 30. März 2013

Berührungspunkte



Predigt an Ostersonntag 2013 (31. März 2013)

Johannes 20, 11-18
Maria aber stand draußen vor dem Grab und weinte. Als sie nun weinte, schaute sie in das Grab und sieht zwei Engel in weißen Gewändern sitzen, einen zu Häupten und den andern zu den Füßen, wo sie den Leichnam Jesu hingelegt hatten. Und die sprachen zu ihr: Frau, was weinst du? Sie spricht zu ihnen: Sie haben meinen Herrn weggenommen, und ich weiß nicht, wo sie ihn hingelegt haben.
Und als sie das sagte, wandte sie sich um und sieht Jesus stehen und weiß nicht, dass es Jesus ist. Spricht Jesus zu ihr: Frau, was weinst du? Wen suchst du? Sie meint, es sei der Gärtner, und spricht zu ihm: Herr, hast du ihn weggetragen, so sage mir, wo du ihn hingelegt hast; dann will ich ihn holen. Spricht Jesus zu ihr: Maria! Da wandte sie sich um und spricht zu ihm auf Hebräisch: Rabbuni!, das heißt: Meister!
Spricht Jesus zu ihr: Rühre mich nicht an! Denn ich bin noch nicht aufgefahren zum Vater. Geh aber hin zu meinen Brüdern und sage ihnen: Ich fahre auf zu meinem Vater und zu eurem Vater, zu meinem Gott und zu eurem Gott.  Maria von Magdala geht und verkündigt den Jüngern: Ich habe den Herrn gesehen, und das hat er zu mir gesagt.

Die Seele wiegen
Jemanden wirklich berühren, ist wie seine Seele streifen; berühren, nicht nur die Haut, das Gesicht, den Körper, sondern mehr: fühlen, der andere ist da, seinen Atem kann ich hören, sein Herz schlagen spüren; das kann auch jenseits der Körper passieren, manchmal im Blick in die Augen, im tiefen Wissen, dass der andere seine Geschichte und Fragen, seine Sorgen und seine Liebe für einen bereithält, daraus zu schöpfen; berühren: wenn Leben ineinander übergehen, die Grenzen verfließen, und in der Berührung mehr wird, als beide sind.



Nur noch einmal berühren
Maria mag Jesus so berührt haben, so von ihm berührt worden sein. Was da mehr entstand, war Gott in ihr.
Nach dem Tod Jesu kommt sie mit ihren Tränen ans Grab, ganz nah fließen ihre Tränen auf ihren Wangen, ihr Blick ist gebunden an das Grab, sie selbst ist ganz fixiert auf ihren Jesus am Kreuz, tausend dunkle Bilder in ihr fesseln ihre Seele. Einmal noch, nur einmal noch will sie Jesus berühren, ihm nahe sein. Unerträglich ist ihr, dass sie ihn dann nicht sieht, dass er scheinbar weg ist, weggenommen, weggetragen wurde. Der Kafreitag wiederholt sich auf grausame Art: Sie verliert Jesus ganz, auch den toten.
Unberührt bleibt Maria von den Engeln im Grab, die ihre Tränen sehen und Antwort geben wollen auf ihre quälende Frage, wo Jesus ist. Unberührt bleibt Maria von Jesus selbst, den sie für einen anderen hält, den sie gar nicht sieht, der ihr aber Hinweis werden will auf ihre Not, wohin Jesus gegangen sei. Maria ist noch ganz von Karfreitag berührt, getroffen, gefangen, Ohren, Hände, Herz sind wie verschlossen, untauglich zu spüren, zu sehen, zu fühlen, berührt zu werden von dem Ungeheuerlichen, was anbricht.
Fass mich nicht an
Es geschieht dann, was schon so oft passierte: Jesus spricht eindringlich, er spricht Menschen auf sich selbst an, auf die, die sie sind und er nennt den Namen Marias. Sie wird berührt von ihrem Namen, wie Jesus ihn spricht, und die ganze Geschichte, ihr ganzes von Jesus berühte Leben wird ihr wieder nah, wird ihr wieder lebendig, sie wendet sich ganz neu um und sagt was sie ist, des Meisters Schülerin, die, zu seinen Füßen das Leben in Worten zart empfing.
Alles in Maria will Jesus jetzt berühren, will Karfreitag für immer vergessen lassen, will wieder diese unglaubliche Nähe, will von ihm berührt sein, die Seele wiegen lassen. Und vielleicht ist dies auch die Sehnsucht von Jesus, aber er spricht zu ihr: Berühre mich nicht. Fass mich bitte nicht an. Halte dich nicht fest an mir. Sonst kann ich den Weg nicht gehen, den ich gehen muss und der auch dein Weg ist. Berühre mich nicht, sonst wird unmöglich, was möglich werden soll, was möglich wird.



Für immer berührt
Jesus geht auf Distanz und er wird sich noch mehr entfernen, noch weiter weg gehen, aufsteigen, auffahren zu Gott, seinem Vater. Die Frage von Maria, wo Jesu ist, bekommt eine Antwort: Jesus geht zu Gott. Es ist der Gott auch von Maria, der Gott der Jünger und unser Gott.
Gott ist der versprochene, verheißene und erfüllte, wahre und gewisse Ort für Jesus. Dort ist er ist er lebendig, ist er zu suchen und zu finden, zu haben und zu berühren. Gott ist der österliche Berührungspunkt: Er ist der grundtiefe lebendige Spiegel, in dem Menschen und Jesus sich sehen und einander tief berühren. Es ist dieses Mehr, das in jeder Berührung mit Jesus liegt und wird.
Gott ist gemeinsamer Ort, an dem Jesus Maria vorfindet, weil dort ihr Gott ist; an dem Maria Jesus spürt, weil dort sein Gott ist. Es ist der Ort der Berührung beider. Hier spricht er sein: Berühre mich und lass dich berühren. In Gott spricht Jesus sein Berührt mich, seid offen, schöpft aus ihm mich, denn dort bin ich. In Gott berührt er uns, in seinem Wunderwort, in seinem heiligen Abendmahl, in jedem göttlichen Segen, der Ostern entspringt.

Trag mich mit
Maria trägt diesen Berührungsort in sich, wie einen Schatz in irdenen Gefäßne, wie die göttliche Liebe in ihrem menschlichen Leib. Sie soll jetzt weggehen, nichts hält sie mehr auch, nichts, keine Tränen, keine Fragen, kein toter Körper. Sie ist wie aufgebrochen hin zu aller Welt. Sie soll hingehen und das weitersagen, was sie gesehen und gehört hat, was sie wirklich berührt hat, Gott und ihre Seele.
Andere damit berühren soll sie und sie macht es an jedem Ostermorgen, wenn wir selbst von ihr lesen, hören und sehen. So uns berühren, dass die Grenzen ziwcshen Himmel und Erde verfließen, wir Gottes Herz für uns schlagen hören, seinen geistvollen Atem spüren, wir von ihm berührt werden und unsere Seele zart von Jesus, dem Meister aller Berührung, für immer gestriffen wird. Amen.

Donnerstag, 28. März 2013

Berühre mich



Predigt an Karfreitag 2013 (29. März 2013)

Hilflos
Steig herab, Jesus. Steig herab von deinem Kreuz, lass dir deine Wunden verbinden, deine Tränen trocknen, deine Schmach beenden. Steig herab. Mach die Augen wieder auf. Steh wieder auf. Beweg dich, bitte. An Totenbetten, vielleicht an Gräbern; wenn ganz schlimmes passiert, wenn wir leblose Körper halten, sehen, denken wir, bitten wir, hoffen wir das.
Jesus kann nicht herabsteigen. Er ist festgenagelt. Fixiert. Er kann sich selbst nicht helfen. Niemand um ihn herum hilft. Kein Mensch. Kein Gott. Niemand. Er ist hilflos, absolut. Ganz merkwürdig gewaltsam unberührt von allen, von Hilfe. Nur dumpfe Worte dringen fern an sein Ohr, der Gallen bittere Wein nur an den Rand eines Mundes, das Los schon längst über seine Kleider am Boden geworfen, er blutverschmiert, nackt, allein, hilflos.
Sonst würde man so jemanden helfen, Mitleid und Schrecken mit ihm bekommen, starr stehen sich in Bewegung setzen, innerlich im Herzen angerührt, äußerlich auf ihn zu, ihn nehmen, halten, beleben, Hilfe holen, ihm Hilfe werden, sich von ihm, seiner Todesnot berühren lassen, bei allem Abstand eine ganz eigentümliche Nähe von Mensch zu Mensch spüren, und ahnen, ich, ich bin jetzt da, und ich bin Antwort auf seine drängende Notfrage nach Leben und Tod.

Getroffen
Ohne jede Nähe, ohne jede Empathie, mit unglaublicher Distanz stehen sie bei ihm, gehen sie an ihm vorüber. Ihre Köpfe, ihr Denken, ihre Hände, Beine und die Füße sprechen nur Entfernung, Hohn, Spott, Verachtung. Sie reden über ihn, sie demütigen ihn, sie denken ihm Böses zu und machen ihn klein; sie entblößen neben seinem Körper auch seine Seele, mit jedem Wort, mit jedem Satz bespucken sie seine Menschenseele.
Sie lästern über seine Hilflosigkeit; über ihn, der immer geholfen hat. Sie lästern über sein Zusammenbrechen, über ihn, der Menschen aufgerichtet hat. Sie lästern über seine Unfähigkeit, über ihn, der Macht hatte den Sturm zu stillen. Sie lästern über seine Schwäche, über ihn, der von Gottes Stärke sprach. Sie lästern über den Gotteslästerer, über den, der Gott so nahe bringen wollte.
Und wir werden mit jedem Satz berührt, getroffen. Wir wissen, wie es ist, verspottet, ausgelacht zu werden, wie klein, wie entwürdigt Menschen sich dann fühlen. Wir wissen, wie oft wir mit kleinen Worten wie Nadelstichen lästern, von oben nach unten schauen, verletzten, kränken und Menschen ein bisschen ihrer Seelenwürde berauben. Wir wissen, dass dieser Jesus Gottes Sohn ist, dass er Gott Menschen auf ganz wunderbare, zärtliche, heilsame Art und Weise näher gebracht hat, dass er von Gottes Liebe so sprach, dass sie bei Menschen auch anbrach und für sie ein neues Leben begann. Wir wissen, dass dieser am Kreuz nicht Objekt sein kann von Hohn, von Spott, von Erniedrigung.

berührend
Wir werden vom Spott berührt – und Jesus selbst? Wird er auch davon getroffen und berührt? Er bleibt merkwürdig unberührt von all dem, das um ihn ist, von dem, was da mit ihm passiert. Den bitteren Essig trinkt er nicht. Über die Kleider hört er nur leise das Los fallen. Die Räuber lässt er neben sich stehen. Die aberwitzige Aufschrift über ihn sieht er nicht, die Finsternis nimmt er nicht wahr, die Spottworte spürt er und sagt nichts darauf.
Er, der ein Meister der Berührung war, der Menschen mit Gottes Liebe berührte, anrührte, Brot so in die Hände nahm, dass es mehr wurde, so über blinde Augen streichelte, dass sie sehend wurden, so mit Worte zärtlich sprechen konnte, dass das Himmelreich anbrach. Er, der sich berühren ließ, von denen, die weit abgeschoben wurden, die schmutzige Händen hatten, die sich mit sündigen Geld abgaben, er der sich berühren ließ, vom Elend, von Kinderaugen, von Bettlerfragen, am Saum seines Gewandes, als wäre genau dies das Stück vom Glück.
Dieser so berührte und berührende Jesus, der bleibt am Kreuz merkwürdig unberührt. Das einzige, was er macht, ist, einen Satz sprechen, beten, klagen, stammeln und schreien. Ein Satz von einem Gebet ist nur hörbar, wurde aufgeschrieben, habe wir in unseren Karfreitags-Händen und Mündern. Doch Jesus hat in sich, innerlich, alle Sätze, alle Worte, alle Bilder, ALLES von diesem einem Gebet, das anfängt mit Gott: : „Eli, Eli, mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen“.
Berühre mich, bitte
Mit diesen Worten und dem ganzen stillen Gebet hat Jesus wohl Gott berührt. Der Mann am Kreuz hat Gott direkt angesprochen, nur ihn im Blick, nur er zählt noch. Er hat ihm ins Gesicht gesagt, wer er sei und wer Gott ist. Er ein Wurm, ein geschändeter, ein in den Staub des Todes gelegter Mensch, Spott der Leute, der sich an die Größe, an die Macht, an die Herrlichkeit Gottes erinnert und Gott ist der ferne, der ihn verlässt, der sich doch nicht verbergen, entziehen kann, der bitte  zu ihm eilen soll, , der ihm weder verachten noch ihn verschmähen darf, der ihm seine Stärke sein soll und der ihm hilft.
Es ist ein intimes, gewaltiges, ringendes Gespräch zwischen Jesus und Gott, zwischen Sohn und Vater, zwischen Gott und seiner Liebe; ein Gespräch, von dem wir nur im Widerhall durch Jahrtausende hindurch Bruchstücke hören, vernehmen. Kein „Steig herab“ ist dabei; kein „Ich nehme dich hinunter“; kein „Ich vernichte deine Spötter“. Nichts von alledem.
Nur, dass Jesus seinen Vater, Gott, mit jedem Wort berührt; dass er seinem Gott zur Frage wird, auf die Gott allein, und kein Mensch die Antwort ist, eine Antwort auf Leben und Tod.
Nur, dass Jesus Gott berührt, dass er sich berühren lasse, und Gott ihm zur Hilfe in der Hilflosigkeit wird, Gott zutiefst getroffen Jesus berührt, irgendwie in der Stille unseres Karfreitags. Amen.

Samstag, 23. März 2013

Mutabor: Passionsandachten 2013



Montag: Kreuz
Dieses Jahr haben wir in unseren Passionsandachten, in dieser Karwoche nur ein Bild, das wir in vier Etappen betrachten, sozusagen nach und nach uns anschauen, erschließen, ihm uns nähern und uns auf den Weg dieser Karwoche einstimmen.
Das Bild zeigt ein Kreuz.
Es stammt von einer eher unbekannten, aber sehr interessanten Berliner Künstlerin: Julia Antonia.
Es heißt: Mutabor: ich werde verwandelt werden.
Julia Antonia spürt den verborgenen Verwandlungen in uns nach und zeichnet so Spuren des Lebens nach und auf.
Heute, Montag, am ersten Tag beginnen wir bei der Kreuzform
Das Kreuz ist eine Grundform des Lebens, denn im Leben überkreuzt sich immer etwas, allein ein Baum ist Sinnbild wie sich in der Natur alles miteinander überkreuzt, und auch im Leben erfahren, erleben wir, wie sich Lebensfäden miteinander kreuzen.
Die Kultur, die Kunst, die Technik hat das gestaltet und stilisiert und früh hat das Kreuzförmige die Religion als Symbol aufgenommen.
Es ist eine gestaltete Urform: Zwei Linien, zwei Balken, quer und hochkant miteinander so verbunden, dass eben eine Kreuzform entsteht.
So wurde das Kreuz in den Religionen schon bald zum Kultgegegenstand, weil es in seiner Ausrichtung Himmel und Erde verband, und vier Teile bezeichnete, vier Teile wie die vier Elemente. Es spricht von unseren Sehnsüchten zwischen Himel und Erde, zwischen den Gewalten.
Durch Jesu Tod ist das Kreuz zum Symbol, zum Zeichen des Christentums geworden, und hat neben oder in der Verbindung von Himmel und Erde eine neue, eigene Bedeutung bekommen: Der Tod Jesu als Verbindung von Himmel und Erden, Gott und Mensch.
Dabei war das Kreuzigen eine durchaus gängige Methode der Hinrichtung, und diente der Abschreckung auf den Wegen des römischen Reiches.
Jesus hat das Kreuz getragen, Simon hat ihm geholfen, sein Kreuz wurde aufgerichtet, er wurde daran genagelt, nahm selbst Kreuzform an, was sich bis heute dort zeigt, wo ein Kreuz ein Kruzifix ist, wo Jesus am Kreuz hängend abgebildet wird, oder sogar darin, dass Jesus ohne Balken Kreuz ist.
Kreuze gibt es heute überall: Draußen, am Hals, in Kirchen. Es gibt ganz säkulare Kreuze; es gibt das Kreuz als Schmuck, ohen dass man noch sehr um seine christliche Bedeutung wüsste; und es gibt es als Zeichenhandlung im Christentum.
Bekreuzigen. Dies vorallem sichtbar in der katholischen Kirche, beim Priester, bei den sog. Laien. Und selbst Luther hat es empfohlen, sich beim Morgen- oder Abendsegen zu bekreuzigen, sich quasi mit dem Kreuzeszeichen zu segnen und aus der fast unheimlichen Verwandlungskraft , die dem Tod Jesu entspringt, heraus zu leben, sich ihr zu unterstellen.

Die Form des Kreuzes unserer Künstlerin ist ein doppeltes  Kreuz:
Ein weißes Innenkreuz und ein buntes Außenkreuz.
Das Innere tritt erst allmählich, aber dann dominant in den Blick; es ist sehr schlicht, ganz reduziert, alleine die pure Form.
Anders ist das äußere Kreuz, es dominiert den ersten Blick. Es gibt dem Kreuz auch eine kleine dreidimensionale Form.
Es sind 26 Einzelteile, 26 Holzplatten, auf die die Künstlerin die Gesichter eingeprägt hat und die sich etwas hervorheben.
Diese Holzplatten sind gleichmäßig zu einer Kreuzform angeordnet, die Holzplatten sind alle quadratisch.
Das Kreuz, seine Kreuzform, besteht also aus Quadraten. Das Kreuz Jesu hat sich aus Quadraten aus gleichmäßigen Einzelteilen zusammengesetzt, und das „stimmt“: Die gleichmäßige, gerechte, Gott wohlgefällige Form und Art von Jesus, die hat ihn ans Kreuz gebracht, die waren sein Kreuz.

Dienstag: Farben
Gestern Abend sind wir beim Bild der Berliner Künstlerin der Form des Kreuzes nachgegangen, heute Abend wollen wir dem nachspüren, was dieser Form seine Gestalt besonders gibt: den Farben.
Dieses Kreuz ist durch seine verschiedenen Farben bunt und bunt passt eigentlich kaum oder überhaupt nicht in die Passion und die Karwoche. Wenn das Kreuz dargestellt wird oder wenn wir es uns vorstellen, wie Jesus daran hing und hängt, dann ist das Kreuz selbst einfarbig, braun, schwarz, grau, wie sich alles Geschehen des Leidens in uns dunkel abschattet. Nur nachträglich wird das Kreuz in der Anbetung, im Tragen am Hals, in der herrlichen Bedeutung, die es dann als Akt des tiefen Glaubens hat, silber, golden und so zum Symbol für das uns wertvollste. Aber farbig ist es so gut wie nie.
In der biblisch überlieferten Passionsgeschichte spielen Farben in ihrer Vielfalt auch keine Rolle, als sei diese Leidenszeit ausgelaugt, farblos, wie entfärbt. Es wird nur erzählt vom roten Purpurmantel des Spotts und wir stellen uns das Blut Jesu vor und damit ein Traurigrot auf seinem geschändeten und dann leblosen Leib.
Unser Kreuz ist aber absichtlich bunt gemalt, alle diese Quadrate mit ihren skizzenhaften Gesichtern haben eine Farbe und bei ganz genauem Hinsehen hat jedes Quadrat, jedes Gesicht seine eigene sozusagen ganz indivuduelle Farbe. Zu jedem Quadrat passt eine Farbe und alle Quadrate machen das Kreuz farbig.
Warum soll das Kreuz so aussehen? Will die Künstlerin das Kreuz färben, verwandelt, freundlicher, froher machen? Eigentlich heißt es nur: Das Kreuz besteht aus Farben, aus all unseren Farben, aus der Buntheit des eigenen Lebens, aus dem Rot der Liebe, dem Blau der Hoffnung, dem Schwarz der Trauer, dem Gelb der Sonne. All dies ist jetzt am Kreuz, wird mitgekreuzigt, und auch das „stimmt“, denn mit Jesus, dem farbenfrohen Lebensmann Gottes, wird alles bunte Leben gekreuzigt, landet dort und wir, wir selbst gegenüber dem Kreuz, wir, die Welt, werden farblos, bleich, grau hinterlassen.

Mittwoch: Gesichter
In dieser Karwoche haben wir nur ein Bild, das Bild der Berliner Künstlerin, dem wir Schritt für Schritt nachgehen; am Montag haben wir uns seiner Form des Kreuzes angenähert, gestern am Dienstag seiner Farben nachgespürt, heute am Mittwoch wollen wir uns dem nähern, was diesem Kreuz sein Gesicht gibt, die Gesichter, die dort abgebildet oder besser eingeprägt sind.
Es sind wie gesagt 26 Holzplatten mit 26 Gesichtern. Von wem es die Gesichter sind, wissen wir nicht; es sind uns unbekannte Gesichter, aber sie werden uns bekannt, indem wir sie anschauen.
Julia Antonia, die Künstlerin unseres Kreuzes, hat diese Gesichter, diese Portraits „gemalt“, sie hat diese Gesichter angeschaut und dann blind, in einer Art mentalen Annäherung sie auf monochrom gefasste Sperrholzplatten eingraviert. So hat sie Spuren des Lebens in Gesichtern behutsam nachgezeichnet, ins Kreuz gebracht und ihre mentale Annäherung kann uns als unser Versuch gelten, uns mental diesem Kreuz, der Passion Jesu anzunähern.
Gesichter sind in der Darstellung der Passionsgeschichte für uns sehr dominant. In den Gesichtern spiegelt sich das Geschehen wieder und wird ablesbar. Und das ganze Geschehen konzentriert sich im Geicht des gekreuzigten Jesu, das in unzähligen Darstellungen abgebildet wurde und wird. Im Gesicht Jesu spiegelt sich alles wieder und wir werden in unerer Sicht durch dieses Gesicht geprägt. Seine Tränen, seine Dornenkrone, seine Lippen, seine Augen, seine Wangen, all das zeichnet sich in uns ab.
Die Gesichter in unserem Bild von Julia Antonia sind merkwürdige Gesichter, skizzenhaft, verzerrt, aber irgendwie je mehr man sie anschaut, sich hineinschaut in einzelne voller Ausdruck, voller Mensch. Wann immer wir Potraits malen oder machen, Fotos von jemanden, versuchen wir abzubilden, wie der ist, den wir potraitieren, möglichst das zum Vorschein, zum Sehen zu bekommen, was der andere ist, und doch wissen wir, dass es nur Momentaufnahmen sind und Menschen nie einzufangen sind, wenn sich auch in jedem Bild ein Moment ihrer Wahrheit abzeichnet, eine Wahrheit, die sogar über sie hinausgeht; wie wenn Liebende einander anschauen und im anderen sich sehen und den anderen und die Wahrheit der gegenseitigen Liebe.
Julia Antonia macht damit ernst, sie malt Gesichter in mentaler Erinnerung und in Erinnerung lebt sie ganz von gemachten und erlebten Eindruck, den der andere, sein Gesicht auf sie gemacht hat, und darin liegt eine tiefe Wahrheit: Der andere ist der, der bei mir einen Eindruck hinterlässt, der sich in mein Leben einprägt; wenn wir die Augen schließen und an diese Menschen denken, dann erscheint nicht nur ihr Gesicht, sondern sozusuagen mit ihnen das, was sie uns bedeuten.
Welche Gesichter sind uns aus der Passionsgeschichte eingeprägt? Neben dem von Jesus? Die Gesichter der Soldaten, das Gesicht des Pontius Pilatus, das Gesicht der Frauen und Männer um Jesus, das Gescht Marias, das Gesicht des Petrus, das Gesicht der Räuber links und rechts von Jesus, das Gesicht der Volksmenge, der Vorbeigehenden? All diese Gesichter sind irgendwie auch am Kreuz, ähnelt eines davon den Gesichter, die da bunt ans Kreuz gemalt sind?
Und unser eigenes Gesicht, das wir vermeintlich wie keines kennen, das unseres ist, das sich schon so sehr verändert hat in seinen Jahren, das aber immer unseres bleibt, wem ist es ähnlich? Von den Gesichtern am Kreuz?

Donnerstag: Mutabor
Diese Karwoche soll ein Bild Eindruck auf uns machen und uns etwas Annäherung sein auf dem Weg zu Karfreitag und dadurch zu Ostern. Es ist ein Bild der Berliner Künstlerin Julia Antonia, es ist ein buntes Kreuz mit skizzenhaften Gesichter, die uns anschauen.
Die Künstlerin hat ihrem, unserem Bild einen Titel gegeben: „Mutabor – ich werde verwandelt erden.“
Wie passt dieses „verwandelt werden“ in die Passionsgeschichte, in die Passionszeit, zu unserem Weg in der Karwoche?
Das große Verwandeln geschieht nach dem Kreuz, wenn der Leichnam herunter genommen ist, wenn er im Grab liegt, ist irgendwann jener eine Moment, in dem Gott den Toten nimmt und zum Leben verwandelt. Von Tod auferweckt werden, auferstehen, ist vielleicht die radikalste Verwandlung, die man sich vorstellen kann, sie geschieht aber sozusagen nach dem Kreuz.
Für die, die an der Passion beteiligt sind, bedeutet das Kreuz aber schon eine Verwandlung: Für die Jünger verwandelt sich die Hoffung in Trauer und Resigantion, für Jesus verwandelt sich der eigene Glaubens hin bis zum Rande des Zweifels, für Gott verwandelt sich Liebe in Hass. Und für uns? Vielleicht bedeutet die Passion auch eine Verwandlung für uns. Unsere eigenen Erwartungen und Vorstellungen von Gott, von einem Gottessohn werden am Kreuz wie gebraochen und müssen sich verwandeln.
Und die ganz Passion hat die Welt doch verändert, verwandelt. Ohne die Passion, ohne den Tod Jesu, ohne, dass Gott ans Äußerste gegangen wäre, wäre die Welt nicht die, die sie heute ist. Mit dem Kreuz hat sich etwas verwandelt. Und nur so ist das Kreuz und das, was es bedeutet, zum Symbol für uns Christen geworden.
Und jede Passionszeit ist Zeit der Verwandlung, schreiten wir diesen Weg der Karwoche ab, so wie dieses Jahr in Blick auf dieses Bild, kann das, was wir sehen, hören, denken nicht unverwandelt das gleiche bleiben, werden wir auf diesem Passiosnweg auch verwandelt, vielleicht nicht radikal, aber doch werden wir nach diesen Tagen auch andere sein. Ja, mutabor: ich werde verwandelt werden, nicht nur als Satz der Zukunft, sondern schon jetzt: Ich werde verwandelt. Wozu, wohin?
In den Lesungen, die wir gehört haben und die wir besungen haben, geht es um Menschen in der Passionsgeschichte, um eine unbekannte Frau, die Jesus salbt, um Judas, um die Jünger beim Abendmahl und im Garten Gethsemane. Für alle stellt sich die Frage, die auch unsere ist: Wie bleiben und wachen wir mit diesem Jesus, der den Weg der Kreuzigung geht, für den sich alles verändern wird; und unser Bleiben und Wachen wird ein Mitgehen sein auf seinem Weg, ein Mitverwandelt werden und –das als letzten Horizont ein Verwandelt werden hin zur eigenen Auferstehung, doch: „Mutabor: ich werde verwandelt werden“, wenn ich den Weg des Bleibens und Wachens mit Jesus gehe, so wie wenn wir heute Beten, Singen, Hören und Wachen und bei ihm bleiben.
„Mutabor“ ist ein Wort aus einem Märchen, dieser Satz stammt aus dem Märchen „Kalif Storch“, und hier ist „Mutabor“ der Zauberspruch:
Mensch, der du dieses findest, preise Allah für seine Gnade! Wer von dem Pulver in dieser Dose schnupft und dazu spricht: Mutabor, der kann sich in jedes Tier verwandeln und versteht auch die Sprache der Tiere. Will er wieder in seine menschliche Gestalt zurückkehren, so neige er sich dreimal gen Osten und spreche jenes Wort! Aber hüte dich, wenn du verwandelt bist, daß du nicht lachest! Sonst verschwindet das Zauberwort gänzlich aus deinem Gedächtnis, und du bleibst ein Tier.“

Dieses Märchen und das Kreuz Jesu, beides aus der Welt des Orients, aber größer könnte der Abstand nicht sein; die Passion ist kein Märchen, Jesus keine Märchengestalt, es geht nicht ums Zaubern, nicht um Untehaltung, sondern um den Tod des Lebens und um unsere eigenen Ernst.
Und doch erzählt „Mutabor“ von der Sehnsucht der Meschem, verwandelt zu werden, etwas anderes für bestimmte Zeit zu sein, und etwas zu verstehen, was man vorher und eigentlich nie und überhaupt nicht verstehen kann. Und es erzählt davon, dass jeder Wunsch nach Verwandlung eine Gefahr in sich birgt, dass man sich verliert in dem Wunsch, in der Sehnsucht nach Verwandlung und nicht mehr zurückfindet ins eigentliche Leben, das man zu leben hat und dass diese Gefahr durch da eigene Lachen geschieht, ist Zeichen für den Ernst, der darin steckt.
Wie sehr haben wir diese Sehnsucht nach einer Verwandlung unseres Lebens? Vielleicht nicht in allem, aber in Teilen; und da, wo diese Wunsch nach Verwandlung ganz tief im erlebten Schmerz wohnt, wo es eine nach Leben drängende Sehnsucht ist, dort ist dieser Wunsch nahe der Auferstehung, der Verwandlung vom Tod ins Leben, von Schmerz in Heilung, von Trauer in Zuversicht; und nahe ist es daran, dass nicht wir es machen können, diese Verwandlung, diese Auferstehung, sondern ein anderer.
Die Verwandlung des Kreuzes in den Stamm des Lebens, die Verwandung des gekreuzigten Jesu in den Auferstandenen, die Verwandlung der Passion in Ostern, all dies geht durch den Tod, muss alles; und diese Verwandlung an ihm und uns ist geschehendes Wunder und Krafttat Gottes.
Das ist kein Zauberspruch, sondern das Wort Gottes, das das Kreuz zum Beginn des Lebens macht, das „Fürchte dich nicht, er lebt“ zum Grund des Lebens spricht. Und der Weg ist auch nicht Lachen, sondern ein tränenreicher, einer, der die Tränen Jesu, mitweint, er ist so auch nicht Vergessen, sondern Erinnern in der großen Hoffnung: Mutabor: ich werde verwandelt werden.