Montag:
Kreuz
Dieses
Jahr haben wir in unseren Passionsandachten, in dieser Karwoche nur ein Bild,
das wir in vier Etappen betrachten, sozusagen nach und nach uns anschauen,
erschließen, ihm uns nähern und uns auf den Weg dieser Karwoche einstimmen.
Das
Bild zeigt ein Kreuz.
Es
stammt von einer eher unbekannten, aber sehr interessanten Berliner Künstlerin:
Julia Antonia.
Es
heißt: Mutabor: ich werde verwandelt werden.
Julia
Antonia spürt den verborgenen Verwandlungen in uns nach und zeichnet so Spuren
des Lebens nach und auf.
Heute,
Montag, am ersten Tag beginnen wir bei der Kreuzform
Das
Kreuz ist eine Grundform des Lebens, denn im Leben überkreuzt sich immer etwas,
allein ein Baum ist Sinnbild wie sich in der Natur alles miteinander
überkreuzt, und auch im Leben erfahren, erleben wir, wie sich Lebensfäden
miteinander kreuzen.
Die
Kultur, die Kunst, die Technik hat das gestaltet und stilisiert und früh hat
das Kreuzförmige die Religion als Symbol aufgenommen.
Es
ist eine gestaltete Urform: Zwei Linien, zwei Balken, quer und hochkant
miteinander so verbunden, dass eben eine Kreuzform entsteht.
So
wurde das Kreuz in den Religionen schon bald zum Kultgegegenstand, weil es in
seiner Ausrichtung Himmel und Erde verband, und vier Teile bezeichnete, vier
Teile wie die vier Elemente. Es spricht von unseren Sehnsüchten zwischen Himel und
Erde, zwischen den Gewalten.
Durch
Jesu Tod ist das Kreuz zum Symbol, zum Zeichen des Christentums geworden, und
hat neben oder in der Verbindung von Himmel und Erde eine neue, eigene
Bedeutung bekommen: Der Tod Jesu als Verbindung von Himmel und Erden, Gott und
Mensch.
Dabei
war das Kreuzigen eine durchaus gängige Methode der Hinrichtung, und diente der
Abschreckung auf den Wegen des römischen Reiches.
Jesus
hat das Kreuz getragen, Simon hat ihm geholfen, sein Kreuz wurde aufgerichtet,
er wurde daran genagelt, nahm selbst Kreuzform an, was sich bis heute dort zeigt,
wo ein Kreuz ein Kruzifix ist, wo Jesus am Kreuz hängend abgebildet wird, oder
sogar darin, dass Jesus ohne Balken Kreuz ist.
Kreuze
gibt es heute überall: Draußen, am Hals, in Kirchen. Es gibt ganz säkulare
Kreuze; es gibt das Kreuz als Schmuck, ohen dass man noch sehr um seine
christliche Bedeutung wüsste; und es gibt es als Zeichenhandlung im
Christentum.
Bekreuzigen.
Dies vorallem sichtbar in der katholischen Kirche, beim Priester, bei den sog. Laien.
Und selbst Luther hat es empfohlen, sich beim Morgen- oder Abendsegen zu
bekreuzigen, sich quasi mit dem Kreuzeszeichen zu segnen und aus der fast
unheimlichen Verwandlungskraft , die dem Tod Jesu entspringt, heraus zu leben,
sich ihr zu unterstellen.
Die
Form des Kreuzes unserer Künstlerin ist ein doppeltes Kreuz:
Ein
weißes Innenkreuz und ein buntes Außenkreuz.
Das
Innere tritt erst allmählich, aber dann dominant in den Blick; es ist sehr
schlicht, ganz reduziert, alleine die pure Form.
Anders
ist das äußere Kreuz, es dominiert den ersten Blick. Es gibt dem Kreuz auch
eine kleine dreidimensionale Form.
Es
sind 26 Einzelteile, 26 Holzplatten, auf die die Künstlerin die Gesichter
eingeprägt hat und die sich etwas hervorheben.
Diese
Holzplatten sind gleichmäßig zu einer Kreuzform angeordnet, die Holzplatten
sind alle quadratisch.
Das
Kreuz, seine Kreuzform, besteht also aus Quadraten. Das Kreuz Jesu hat sich aus
Quadraten aus gleichmäßigen Einzelteilen zusammengesetzt, und das „stimmt“: Die
gleichmäßige, gerechte, Gott wohlgefällige Form und Art von Jesus, die hat ihn
ans Kreuz gebracht, die waren sein Kreuz.
Dienstag:
Farben
Gestern
Abend sind wir beim Bild der Berliner Künstlerin der Form des Kreuzes
nachgegangen, heute Abend wollen wir dem nachspüren, was dieser Form seine Gestalt
besonders gibt: den Farben.
Dieses
Kreuz ist durch seine verschiedenen Farben bunt und bunt passt eigentlich kaum
oder überhaupt nicht in die Passion und die Karwoche. Wenn das Kreuz dargestellt
wird oder wenn wir es uns vorstellen, wie Jesus daran hing und hängt, dann ist
das Kreuz selbst einfarbig, braun, schwarz, grau, wie sich alles Geschehen des
Leidens in uns dunkel abschattet. Nur nachträglich wird das Kreuz in der
Anbetung, im Tragen am Hals, in der herrlichen Bedeutung, die es dann als Akt
des tiefen Glaubens hat, silber, golden und so zum Symbol für das uns
wertvollste. Aber farbig ist es so gut wie nie.
In
der biblisch überlieferten Passionsgeschichte spielen Farben in ihrer Vielfalt
auch keine Rolle, als sei diese Leidenszeit ausgelaugt, farblos, wie entfärbt.
Es wird nur erzählt vom roten Purpurmantel des Spotts und wir stellen uns das
Blut Jesu vor und damit ein Traurigrot auf seinem geschändeten und dann
leblosen Leib.
Unser
Kreuz ist aber absichtlich bunt gemalt, alle diese Quadrate mit ihren skizzenhaften
Gesichtern haben eine Farbe und bei ganz genauem Hinsehen hat jedes Quadrat,
jedes Gesicht seine eigene sozusagen ganz indivuduelle Farbe. Zu jedem Quadrat
passt eine Farbe und alle Quadrate machen das Kreuz farbig.
Warum
soll das Kreuz so aussehen? Will die Künstlerin das Kreuz färben, verwandelt,
freundlicher, froher machen? Eigentlich heißt es nur: Das Kreuz besteht aus
Farben, aus all unseren Farben, aus der Buntheit des eigenen Lebens, aus dem
Rot der Liebe, dem Blau der Hoffnung, dem Schwarz der Trauer, dem Gelb der
Sonne. All dies ist jetzt am Kreuz, wird mitgekreuzigt, und auch das „stimmt“,
denn mit Jesus, dem farbenfrohen Lebensmann Gottes, wird alles bunte Leben
gekreuzigt, landet dort und wir, wir selbst gegenüber dem Kreuz, wir, die Welt,
werden farblos, bleich, grau hinterlassen.
Mittwoch:
Gesichter
In
dieser Karwoche haben wir nur ein Bild, das Bild der Berliner Künstlerin, dem
wir Schritt für Schritt nachgehen; am Montag haben wir uns seiner Form des
Kreuzes angenähert, gestern am Dienstag seiner Farben nachgespürt, heute am
Mittwoch wollen wir uns dem nähern, was diesem Kreuz sein Gesicht gibt, die
Gesichter, die dort abgebildet oder besser eingeprägt sind.
Es
sind wie gesagt 26 Holzplatten mit 26 Gesichtern. Von wem es die Gesichter
sind, wissen wir nicht; es sind uns unbekannte Gesichter, aber sie werden uns
bekannt, indem wir sie anschauen.
Julia
Antonia, die Künstlerin unseres Kreuzes, hat diese Gesichter, diese Portraits
„gemalt“, sie hat diese Gesichter angeschaut und dann blind, in einer Art mentalen
Annäherung sie auf monochrom gefasste Sperrholzplatten eingraviert. So hat sie
Spuren des Lebens in Gesichtern behutsam nachgezeichnet, ins Kreuz gebracht und
ihre mentale Annäherung kann uns als unser Versuch gelten, uns mental diesem
Kreuz, der Passion Jesu anzunähern.
Gesichter
sind in der Darstellung der Passionsgeschichte für uns sehr dominant. In den
Gesichtern spiegelt sich das Geschehen wieder und wird ablesbar. Und das ganze
Geschehen konzentriert sich im Geicht des gekreuzigten Jesu, das in unzähligen
Darstellungen abgebildet wurde und wird. Im Gesicht Jesu spiegelt sich alles
wieder und wir werden in unerer Sicht durch dieses Gesicht geprägt. Seine
Tränen, seine Dornenkrone, seine Lippen, seine Augen, seine Wangen, all das
zeichnet sich in uns ab.
Die
Gesichter in unserem Bild von Julia Antonia sind merkwürdige Gesichter,
skizzenhaft, verzerrt, aber irgendwie je mehr man sie anschaut, sich
hineinschaut in einzelne voller Ausdruck, voller Mensch. Wann immer wir
Potraits malen oder machen, Fotos von jemanden, versuchen wir abzubilden, wie
der ist, den wir potraitieren, möglichst das zum Vorschein, zum Sehen zu
bekommen, was der andere ist, und doch wissen wir, dass es nur Momentaufnahmen
sind und Menschen nie einzufangen sind, wenn sich auch in jedem Bild ein Moment
ihrer Wahrheit abzeichnet, eine Wahrheit, die sogar über sie hinausgeht; wie
wenn Liebende einander anschauen und im anderen sich sehen und den anderen und
die Wahrheit der gegenseitigen Liebe.
Julia
Antonia macht damit ernst, sie malt Gesichter in mentaler Erinnerung und in
Erinnerung lebt sie ganz von gemachten und erlebten Eindruck, den der andere,
sein Gesicht auf sie gemacht hat, und darin liegt eine tiefe Wahrheit: Der
andere ist der, der bei mir einen Eindruck hinterlässt, der sich in mein Leben
einprägt; wenn wir die Augen schließen und an diese Menschen denken, dann
erscheint nicht nur ihr Gesicht, sondern sozusuagen mit ihnen das, was sie uns
bedeuten.
Welche
Gesichter sind uns aus der Passionsgeschichte eingeprägt? Neben dem von Jesus?
Die Gesichter der Soldaten, das Gesicht des Pontius Pilatus, das Gesicht der
Frauen und Männer um Jesus, das Gescht Marias, das Gesicht des Petrus, das
Gesicht der Räuber links und rechts von Jesus, das Gesicht der Volksmenge, der
Vorbeigehenden? All diese Gesichter sind irgendwie auch am Kreuz, ähnelt eines
davon den Gesichter, die da bunt ans Kreuz gemalt sind?
Und
unser eigenes Gesicht, das wir vermeintlich wie keines kennen, das unseres ist,
das sich schon so sehr verändert hat in seinen Jahren, das aber immer unseres
bleibt, wem ist es ähnlich? Von den Gesichtern am Kreuz?
Donnerstag:
Mutabor
Diese
Karwoche soll ein Bild Eindruck auf uns machen und uns etwas Annäherung sein
auf dem Weg zu Karfreitag und dadurch zu Ostern. Es ist ein Bild der Berliner
Künstlerin Julia Antonia, es ist ein buntes Kreuz mit skizzenhaften Gesichter,
die uns anschauen.
Die
Künstlerin hat ihrem, unserem Bild einen Titel gegeben: „Mutabor – ich werde
verwandelt erden.“
Wie
passt dieses „verwandelt werden“ in die Passionsgeschichte, in die
Passionszeit, zu unserem Weg in der Karwoche?
Das
große Verwandeln geschieht nach dem Kreuz, wenn der Leichnam herunter genommen
ist, wenn er im Grab liegt, ist irgendwann jener eine Moment, in dem Gott den
Toten nimmt und zum Leben verwandelt. Von Tod auferweckt werden, auferstehen,
ist vielleicht die radikalste Verwandlung, die man sich vorstellen kann, sie geschieht
aber sozusagen nach dem Kreuz.
Für
die, die an der Passion beteiligt sind, bedeutet das Kreuz aber schon eine Verwandlung:
Für die Jünger verwandelt sich die Hoffung in Trauer und Resigantion, für Jesus
verwandelt sich der eigene Glaubens hin bis zum Rande des Zweifels, für Gott
verwandelt sich Liebe in Hass. Und für uns? Vielleicht bedeutet die Passion
auch eine Verwandlung für uns. Unsere eigenen Erwartungen und Vorstellungen von
Gott, von einem Gottessohn werden am Kreuz wie gebraochen und müssen sich
verwandeln.
Und
die ganz Passion hat die Welt doch verändert, verwandelt. Ohne die Passion,
ohne den Tod Jesu, ohne, dass Gott ans Äußerste gegangen wäre, wäre die Welt
nicht die, die sie heute ist. Mit dem Kreuz hat sich etwas verwandelt. Und nur
so ist das Kreuz und das, was es bedeutet, zum Symbol für uns Christen
geworden.
Und
jede Passionszeit ist Zeit der Verwandlung, schreiten wir diesen Weg der Karwoche
ab, so wie dieses Jahr in Blick auf dieses Bild, kann das, was wir sehen,
hören, denken nicht unverwandelt das gleiche bleiben, werden wir auf diesem
Passiosnweg auch verwandelt, vielleicht nicht radikal, aber doch werden wir
nach diesen Tagen auch andere sein. Ja, mutabor: ich werde verwandelt werden,
nicht nur als Satz der Zukunft, sondern schon jetzt: Ich werde verwandelt.
Wozu, wohin?
In
den Lesungen, die wir gehört haben und die wir besungen haben, geht es um
Menschen in der Passionsgeschichte, um eine unbekannte Frau, die Jesus salbt,
um Judas, um die Jünger beim Abendmahl und im Garten Gethsemane. Für alle
stellt sich die Frage, die auch unsere ist: Wie bleiben und wachen wir mit
diesem Jesus, der den Weg der Kreuzigung geht, für den sich alles verändern
wird; und unser Bleiben und Wachen wird ein Mitgehen sein auf seinem Weg, ein
Mitverwandelt werden und –das als letzten Horizont ein Verwandelt werden hin
zur eigenen Auferstehung, doch: „Mutabor: ich werde verwandelt werden“, wenn
ich den Weg des Bleibens und Wachens mit Jesus gehe, so wie wenn wir heute
Beten, Singen, Hören und Wachen und bei ihm bleiben.
„Mutabor“ ist ein Wort aus einem Märchen,
dieser Satz stammt aus dem Märchen „Kalif Storch“, und hier ist „Mutabor“ der
Zauberspruch:
Mensch, der du dieses findest, preise Allah für seine Gnade! Wer von dem
Pulver in dieser Dose schnupft und dazu spricht: Mutabor, der kann sich in jedes Tier
verwandeln und versteht auch die Sprache der Tiere. Will er wieder in seine
menschliche Gestalt zurückkehren, so neige er sich dreimal gen Osten und
spreche jenes Wort! Aber hüte dich, wenn du verwandelt bist, daß du nicht
lachest! Sonst verschwindet das Zauberwort gänzlich aus deinem Gedächtnis, und
du bleibst ein Tier.“
Dieses
Märchen und das Kreuz Jesu, beides aus der Welt des Orients, aber größer könnte
der Abstand nicht sein; die Passion ist kein Märchen, Jesus keine
Märchengestalt, es geht nicht ums Zaubern, nicht um Untehaltung, sondern um den
Tod des Lebens und um unsere eigenen Ernst.
Und
doch erzählt „Mutabor“ von der Sehnsucht der Meschem, verwandelt zu werden,
etwas anderes für bestimmte Zeit zu sein, und etwas zu verstehen, was man
vorher und eigentlich nie und überhaupt nicht verstehen kann. Und es erzählt
davon, dass jeder Wunsch nach Verwandlung eine Gefahr in sich birgt, dass man
sich verliert in dem Wunsch, in der Sehnsucht nach Verwandlung und nicht mehr
zurückfindet ins eigentliche Leben, das man zu leben hat und dass diese Gefahr
durch da eigene Lachen geschieht, ist Zeichen für den Ernst, der darin steckt.
Wie
sehr haben wir diese Sehnsucht nach einer Verwandlung unseres Lebens? Vielleicht
nicht in allem, aber in Teilen; und da, wo diese Wunsch nach Verwandlung ganz
tief im erlebten Schmerz wohnt, wo es eine nach Leben drängende Sehnsucht ist,
dort ist dieser Wunsch nahe der Auferstehung, der Verwandlung vom Tod ins
Leben, von Schmerz in Heilung, von Trauer in Zuversicht; und nahe ist es daran,
dass nicht wir es machen können, diese Verwandlung, diese Auferstehung, sondern
ein anderer.
Die
Verwandlung des Kreuzes in den Stamm des Lebens, die Verwandung des
gekreuzigten Jesu in den Auferstandenen, die Verwandlung der Passion in Ostern,
all dies geht durch den Tod, muss alles; und diese Verwandlung an ihm und uns ist
geschehendes Wunder und Krafttat Gottes.
Das
ist kein Zauberspruch, sondern das Wort Gottes, das das Kreuz zum Beginn des
Lebens macht, das „Fürchte dich nicht, er lebt“ zum Grund des Lebens spricht.
Und der Weg ist auch nicht Lachen, sondern ein tränenreicher, einer, der die
Tränen Jesu, mitweint, er ist so auch nicht Vergessen, sondern Erinnern in der
großen Hoffnung: Mutabor: ich werde verwandelt werden.