Predigt am Jahresfest 2017 (25. Juni
2017)
1897
„Möge Gottes reicher
Segen auf dem Bau ruhen und derselbe unter seiner Obhut ohne Unfall vollendet
werden! Möge diese Anstalt eine Stätte der Heilung und Erquickung werden für
viele Kranken, ein Hort evangelischen Glaubens und Lebens für die hiesigen
Protestanten, für die auswärtigen Gemeinden eine Quelle reichen Segens durch
die Schwestern welche für deren Armen- und Krankenpflege von hier ausgesandt
werden!“ Mit diesen
urkundlichen Worten wurde am 29. Juni 1897 der Grundstein für das „Diakonissen-
und Krankenhaus“ gelegt.
Das war fast genau auf den heutigen Tag vor 120 Jahren. Die,
die damals der Grundstein legten, legten Rechenschaft ab, baten Gott um Segen
und versprachen sich viel von Bau und Werk, was sie geplant hatten, bauten und was
eineinhalb Jahre später eingeweiht wurde. Wir hier fußen so oder so auf diesem
einen Grundstein. Und es ist die Frage für uns, ob sich die damaligen
Hoffnungen bewahrheitet haben, sich erfüllt haben, ob auf dem Weg seitdem, auf
der Strecke von 120 Jahren, das ausgesprochene und damit vorgegebene
Versprechen von damals eingelöst wurde von denen, die folgten - auch von uns eingelöst
wird, heute und in Zukunft.
Mit und ohne Gründe
Gründe gibt es unendlich viele. Talgründe, Grund und Boden, gute
Gründe, Ursachen, Fundamente. Man kann gründen, ergründen und begründen. Es
gibt Grundlagen, Grundsätze, das Grundgesetz, und die uns allen vorgegebenen
Lebensgrundlagen, die Ressourcen, von denen wir alle Leben, die wir gemeinsam
und doch ungleich verteilt haben, die wir brauchen, achten und zerstören.
Und: Es gibt Lebens-Gründe. Gründe, warum ich lebe, wozu ich
da bin, warum ich atme, aufstehe, arbeite, mein Leben gestalte und versuche zu
führen. Es Begründungen für mein Leben, die wichtigsten Antworten auf meine
wichtigsten Fragen, es gibt tausend Gründe, die Menschen an guten, hellen Tagen
einfallen, warum sie leben, und manchmal Menschen gar kein Grund mehr einfällt,
zu leben. Sie ohne Grund sind. Traurig.
Und es mag Grund geben in meinem Leben, etwas, jemand,
Erfahrungen, Worte, Bilder, Zuwendungen, die meinem Leben Grund und Halt geben,
tief fundieren, es auf sichere Beine stellen und am Leben halten, vielleicht
etwas, was man scheuen müsste, es zu benennen, da wir auf geheimnisvolle Weise
davon Leben. So viel Grund es geben mag, so wenig ist Leben so, so einfach, als
sei es ein Bauwerk: Fundament und darauf wird nach und nach aufgebaut,
Lebensstockwerk für Lebensstockwerk, am Ende das Dach. Nein, so ist Leben
nicht; es bricht manchmal unter der Last zu leben zusammen, fügt Bruchstücke
mühsam in sich, gleicht es eher einer immerwährenden Baustelle.
Kleiner Grundstein
Ähnlich dem Spatenstich ist die Grundsteinlegung an sich eher
ein merkwürdiges Unterfangen, als könnte ein paar Männer oder Frauen ein
Baugrube mit Spaten ausheben, als würde ein einziger größerer Stein mit Kapsel
und Urkunde ein ganzes, großes Gebäude tragen. Mit beidem fängt das Bauen erst
an, einen Bauen, das bei großen Gebäuden eigentlich nie wirklich endet, ein
Grundstein verweist auf Zukunft, er ist mehr ein Zeichen, das Menschen brauchen.
„Als die Junisonne heiß
brannte, konnte das Fest der Grundsteinlegung begangen werden … Unter
tropischer Sonnenglut fand die Feier statt. Platz und Bauten trugen festlichen
Flaggenschmuck. Eine große Festversammlung, bestehend aus den Vertretern
geistlicher und weltlicher Behörden, aus einer zahlreichen Schar hiesiger und
auswärtigen Glaubensgenossen, hatte sich eingefunden. Nach Ansprachen über die
Geschichte des Werkes, über die Hoffnung, die man an dasselbe knüpfte, wurde
die Grund[stein]surkunde verlesen.“
Noch diesen Worten aus der Festschrift zum 25jJährigen
Jubiläum des Diakonissenhauses ist abzuspüren, wie lebendig die Gefühle und die
Sehnsucht sich mit Grundstein und Gebäude verbindet, die Sehnsucht, es möge
etwas Großes, vor und für Gott und seine Menschen begründet und gestaltet
werden. Dafür ist jener eine Stein Symbol für das Leben.
Grundsteine des Lebens. Gibt es die? Nicht der
sprichwörtliche Grundstein für meine 1. Millionen. Sondern ein Grundstein
meines Lebens. Haben den die Eltern gelegt, meine Familie, die Erziehung, früh
kondensierte Erfahrung und Werte? Gibt es solche Grundsteine im Leben?
Gottes Gründe
Steine gibt es wie Sand am Meer. Wirklich. Der Tempel in
Jerusalem war aus besonderen Steinen und das himmlische Jerusalem, vom Himmel
für uns kommend, soll auch solche in sich tragen. Gott vermag Steine in Brot zu
verwandeln, an Ostern hat er den Stein vom Grab weggewälzt. Petrus Namen
bedeutet Fels und Gott ist ein Fels für meinen Glauben, sicherer Grund, von dem
her und auf den hin ich lebe. Er hat die Grundfesten geschaffen, er mag nicht,
dass wir ohne Grund leben. Zusammen mag Gott uns als Haus der lebendigen Steine
sehen, erbaut von ihm, mit dem Geschenk der Fülle des Lebens in seiner
Brüchigkeit.
Jesus Christus ist wie gehört der einzigartige Grund, ein
Grund, wie niemand und nichts anderes sein kann. Auf ihm gründet unser Leben.
Er ist der Eckstein, den die Bauleute verworfen haben. Der wichtigste Stein im
Bauwerk unseres Lebens. Er ist Schlussstein, wie auf dem Bild unseres
Liedblattes, der Stein, mit Hilfe dessen, sich das Bauwerk zusammenfügt. Ganz
am Ende. Ganz am Ende wird Gottes unser Leben zusammenfügen, aus dem dürftigen
Mosaik ein wunderbares machen, wird sichtbar, wer wir wirklich sind, was das
mit unserem Leben war und ist.
Du bist mein bester
Grund
Die Liebe braucht keinen Grund. Sie liebt. Sie hat alle
Gründe in sich. Sie liebt. Liebe ist Grund und vor mir aus auch Grundstein. Sie
liebt aus einem einzigen Grund. Der Grund ist der andere, den sie liebt. Sie
mag und kann sich keine Welt vorstellen, in der der andere nicht ist.
Das ist Gottes unerträglicher Gedanke: Er mag sich keine Welt
vorstellen ohne uns. So wie wir sind, herrliche und unperfekte Menschen,
schuldige und gerechte, geliebte und elende Menschen. Der Grundstein von Gottes
Liebe ist er selbst. Seine lebendige Liebe in ihm, eine die nicht endet und
überfließt, die Menschen will und schafft, die Mensch zurecht bringt und birgt,
die Mensch sucht und liebt. Gottes Liebe hat nur einen Grund und unzählige: Wir
sind es, seine Menschen, jeder.
Seine Liebe hat gegenwärtige Gestalt genommen in Jesus
Christus. An und in ihm ist sie sichtbar, erlebbar, weiterzusagen, von Zeit zu
Zeit, von Generation zu Generation, von Jahresfest zu Jahresfest, all die 120
Jahre eingebettet in eine noch größere Geschichte. Jesus Christus ist der
Eckstein von Gottes Liebe. Er ist der verworfene, unnütze, unbrauchbare Stein,
den er ausgerechnet auserwählt, Grund zum Leben für alle zu werden.
In diesem unbrauchbaren Stein können sich alle
wiedererkennen, sehen, können alle sich daran aufrichten: Gott baut aus dem
brüchigen, scheinbar unbrauchbaren, aus dem Verworfenen, Unvollkommenen sein
Reich, seine Liebe heilt, verwandelt, sie gründet uns fest und sicher in ihm. So
schließt in Weisheit unsere Urkunde von vor 120 Jahren: „Das walte Gott in seiner Gnade. Amen!“