Samstag, 24. Juni 2017

gegründet



Predigt am Jahresfest 2017 (25. Juni 2017)

1897
„Möge Gottes reicher Segen auf dem Bau ruhen und derselbe unter seiner Obhut ohne Unfall vollendet werden! Möge diese Anstalt eine Stätte der Heilung und Erquickung werden für viele Kranken, ein Hort evangelischen Glaubens und Lebens für die hiesigen Protestanten, für die auswärtigen Gemeinden eine Quelle reichen Segens durch die Schwestern welche für deren Armen- und Krankenpflege von hier ausgesandt werden!“ Mit diesen urkundlichen Worten wurde am 29. Juni 1897 der Grundstein für das „Diakonissen- und Krankenhaus“ gelegt.
Das war fast genau auf den heutigen Tag vor 120 Jahren. Die, die damals der Grundstein legten, legten Rechenschaft ab, baten Gott um Segen und versprachen sich viel von Bau und Werk, was sie geplant hatten, bauten und was eineinhalb Jahre später eingeweiht wurde. Wir hier fußen so oder so auf diesem einen Grundstein. Und es ist die Frage für uns, ob sich die damaligen Hoffnungen bewahrheitet haben, sich erfüllt haben, ob auf dem Weg seitdem, auf der Strecke von 120 Jahren, das ausgesprochene und damit vorgegebene Versprechen von damals eingelöst wurde von denen, die folgten - auch von uns eingelöst wird, heute und in Zukunft.

Mit und ohne Gründe
Gründe gibt es unendlich viele. Talgründe, Grund und Boden, gute Gründe, Ursachen, Fundamente. Man kann gründen, ergründen und begründen. Es gibt Grundlagen, Grundsätze, das Grundgesetz, und die uns allen vorgegebenen Lebensgrundlagen, die Ressourcen, von denen wir alle Leben, die wir gemeinsam und doch ungleich verteilt haben, die wir brauchen, achten und zerstören.
Und: Es gibt Lebens-Gründe. Gründe, warum ich lebe, wozu ich da bin, warum ich atme, aufstehe, arbeite, mein Leben gestalte und versuche zu führen. Es Begründungen für mein Leben, die wichtigsten Antworten auf meine wichtigsten Fragen, es gibt tausend Gründe, die Menschen an guten, hellen Tagen einfallen, warum sie leben, und manchmal Menschen gar kein Grund mehr einfällt, zu leben. Sie ohne Grund sind. Traurig.
Und es mag Grund geben in meinem Leben, etwas, jemand, Erfahrungen, Worte, Bilder, Zuwendungen, die meinem Leben Grund und Halt geben, tief fundieren, es auf sichere Beine stellen und am Leben halten, vielleicht etwas, was man scheuen müsste, es zu benennen, da wir auf geheimnisvolle Weise davon Leben. So viel Grund es geben mag, so wenig ist Leben so, so einfach, als sei es ein Bauwerk: Fundament und darauf wird nach und nach aufgebaut, Lebensstockwerk für Lebensstockwerk, am Ende das Dach. Nein, so ist Leben nicht; es bricht manchmal unter der Last zu leben zusammen, fügt Bruchstücke mühsam in sich, gleicht es eher einer immerwährenden Baustelle.

Kleiner Grundstein
Ähnlich dem Spatenstich ist die Grundsteinlegung an sich eher ein merkwürdiges Unterfangen, als könnte ein paar Männer oder Frauen ein Baugrube mit Spaten ausheben, als würde ein einziger größerer Stein mit Kapsel und Urkunde ein ganzes, großes Gebäude tragen. Mit beidem fängt das Bauen erst an, einen Bauen, das bei großen Gebäuden eigentlich nie wirklich endet, ein Grundstein verweist auf Zukunft, er ist mehr ein Zeichen, das Menschen brauchen.
„Als die Junisonne heiß brannte, konnte das Fest der Grundsteinlegung begangen werden … Unter tropischer Sonnenglut fand die Feier statt. Platz und Bauten trugen festlichen Flaggenschmuck. Eine große Festversammlung, bestehend aus den Vertretern geistlicher und weltlicher Behörden, aus einer zahlreichen Schar hiesiger und auswärtigen Glaubensgenossen, hatte sich eingefunden. Nach Ansprachen über die Geschichte des Werkes, über die Hoffnung, die man an dasselbe knüpfte, wurde die Grund[stein]surkunde verlesen.“
Noch diesen Worten aus der Festschrift zum 25jJährigen Jubiläum des Diakonissenhauses ist abzuspüren, wie lebendig die Gefühle und die Sehnsucht sich mit Grundstein und Gebäude verbindet, die Sehnsucht, es möge etwas Großes, vor und für Gott und seine Menschen begründet und gestaltet werden. Dafür ist jener eine Stein Symbol für das Leben.
Grundsteine des Lebens. Gibt es die? Nicht der sprichwörtliche Grundstein für meine 1. Millionen. Sondern ein Grundstein meines Lebens. Haben den die Eltern gelegt, meine Familie, die Erziehung, früh kondensierte Erfahrung und Werte? Gibt es solche Grundsteine im Leben?

Gottes Gründe
Steine gibt es wie Sand am Meer. Wirklich. Der Tempel in Jerusalem war aus besonderen Steinen und das himmlische Jerusalem, vom Himmel für uns kommend, soll auch solche in sich tragen. Gott vermag Steine in Brot zu verwandeln, an Ostern hat er den Stein vom Grab weggewälzt. Petrus Namen bedeutet Fels und Gott ist ein Fels für meinen Glauben, sicherer Grund, von dem her und auf den hin ich lebe. Er hat die Grundfesten geschaffen, er mag nicht, dass wir ohne Grund leben. Zusammen mag Gott uns als Haus der lebendigen Steine sehen, erbaut von ihm, mit dem Geschenk der Fülle des Lebens in seiner Brüchigkeit.
Jesus Christus ist wie gehört der einzigartige Grund, ein Grund, wie niemand und nichts anderes sein kann. Auf ihm gründet unser Leben. Er ist der Eckstein, den die Bauleute verworfen haben. Der wichtigste Stein im Bauwerk unseres Lebens. Er ist Schlussstein, wie auf dem Bild unseres Liedblattes, der Stein, mit Hilfe dessen, sich das Bauwerk zusammenfügt. Ganz am Ende. Ganz am Ende wird Gottes unser Leben zusammenfügen, aus dem dürftigen Mosaik ein wunderbares machen, wird sichtbar, wer wir wirklich sind, was das mit unserem Leben war und ist.

Du bist mein bester Grund
Die Liebe braucht keinen Grund. Sie liebt. Sie hat alle Gründe in sich. Sie liebt. Liebe ist Grund und vor mir aus auch Grundstein. Sie liebt aus einem einzigen Grund. Der Grund ist der andere, den sie liebt. Sie mag und kann sich keine Welt vorstellen, in der der andere nicht ist.
Das ist Gottes unerträglicher Gedanke: Er mag sich keine Welt vorstellen ohne uns. So wie wir sind, herrliche und unperfekte Menschen, schuldige und gerechte, geliebte und elende Menschen. Der Grundstein von Gottes Liebe ist er selbst. Seine lebendige Liebe in ihm, eine die nicht endet und überfließt, die Menschen will und schafft, die Mensch zurecht bringt und birgt, die Mensch sucht und liebt. Gottes Liebe hat nur einen Grund und unzählige: Wir sind es, seine Menschen, jeder.
Seine Liebe hat gegenwärtige Gestalt genommen in Jesus Christus. An und in ihm ist sie sichtbar, erlebbar, weiterzusagen, von Zeit zu Zeit, von Generation zu Generation, von Jahresfest zu Jahresfest, all die 120 Jahre eingebettet in eine noch größere Geschichte. Jesus Christus ist der Eckstein von Gottes Liebe. Er ist der verworfene, unnütze, unbrauchbare Stein, den er ausgerechnet auserwählt, Grund zum Leben für alle zu werden.
In diesem unbrauchbaren Stein können sich alle wiedererkennen, sehen, können alle sich daran aufrichten: Gott baut aus dem brüchigen, scheinbar unbrauchbaren, aus dem Verworfenen, Unvollkommenen sein Reich, seine Liebe heilt, verwandelt, sie gründet uns fest und sicher in ihm. So schließt in Weisheit unsere Urkunde von vor 120 Jahren: „Das walte Gott in seiner Gnade. Amen!“