Samstag, 22. Dezember 2012

Für mich geboren





Predigt an Heiligabend 2012

Zeitübersetzt
Die Augen müssen genau hinschauen, die Hände müssen das Bild nahe ans Gesicht halten. Dort sehen wir liegen das frisch geborene Kind. Geboren, hingelegt, runzelig, etwas rot, die Augen ganz klein, die Arme fast zappelnd. Seit Jahrhunderten, ja seit Jahrtausenden sehen Augen frisch geborene Kinder und sehen sie so. Und sie sehen mit ihnen die Schutzlosigkeit und Anmut, etwas Vollkommenes und Bedürftiges, etwas ganz unberührt Anfängliches und etwas, was werden wird, jeden Tag bis zum Altwerden.
Stauend sehen Menschen das und werden erinnert, dass sie selbst Geborene sind, jemand, dem der Anfang in Zeugung und Geburt gemacht wurde, mit dem begonnen wurde, der zu einem nicht selbst bestimmten Augenblick da ist und lebt, sein Leben lebt: verletzlich, gebrechlich, stolz, freudvoll, eigen, angepasst, mit Risiko und Freiheit, gewollt und gesucht, verloren und gefunden.
Das Bild in Ihren Händen von Jörgen Habedank heißt „Kleines großes Wunder“. Es stammt aus dem Jahr 2009 und es zitiert in seiner Mitte ein anderes Bild, ein Bild von dem mittelalterlichen Meister von Moulin, der es vor 500 Jahren gemalt hat und versucht in ein Bild zu fassen, was vor 2000 Jahren passierte, die Geburt Jesu, die wir, seit wir leben, als Kinder und als Erwachsene, an jedem unserer Heiligen Abend feiern.
In beiden Bildern ist das frischgeborene Jesuskind das gleiche, als würde es selbst all die Zeiten miteinander verschränken, sie sich in ihm wie kreuzen und in seiner Geburt etwas für alle Zeiten, für uns liegen, als wäre er nicht nur für Maria und Josef, die ihn still glücklich, beseelt ihn bewundern anschauen, geboren worden, nicht nur für die Hirten, die am Fenster stehen und ihn entdeckt haben, sondern für alle Menschen aller Zeiten, als wäre er geboren für uns, für mich.
Vieles auf der Welt ist für mich, für mich gemacht, gekauft, geschenkt. Potentiell alles. Wenn ich es erreiche, bekomme, dann ist es für mich, es kann mein werden. Für mich geboren kann nur Lebendiges sein. Sind es meine Kinder, denen das Leben ich schenkte. So sehr sie für mich alles bedeuten mögen, sind sie nie für mich geboren, sondern für sich. So wie ich selbst für mich geboren wurden, damit ich bin und lebe. Und doch liegt in jeder Geburt auch ein für dich, für uns geboren begründet. Mit jeder Geburt erscheint etwas, was noch nicht war und ab jetzt sein wird – bei, vor, mit und für anderen.

Gott gebärt
An Weihnachten, an Heiligabend können wir spüren: Jene eine Geburt ist nicht fern, sie ist für mich geschehen, sie geschieht für mich. Mir ist in jener Nacht etwas geboren.
Im Gegensatz zum Bild, das der Künstler zitiert, ist das Kind und das Wunder seiner Geburt, das sie zuerst im Gesicht seiner leiblichen Eltern spiegelt und zuletzt und heute in unserem, in die Mitte gerückt, in die Mitte des Bildes und von allem. Hier kreuzen sich Blau und Gelb-Orange, Horizontale und Vertikale, Himmel und Erde, Gott und Mensch, Er und ich.
Hier mittet sich Gott selbst. Hier bestimmt er sich selbst, wer er ist. Hier zeichnet sich seine Bezug, seine Beziehung, sein Weg zu uns endgültig ab: Gott wählt den Weg der Geburt, der Geburt von sich selbst für uns, für mich und für dich. So unausweichlich jedes Leben auf dem Weg der Geburt zur Welt kommt, so unausweichlich ist Gottes Weg zur Welt auch der der Geburt seines Lebens.
Und wie bei jeder Geburt ist Gottes Geburt tiefer Schmerz und unbändige Freude, ist sie höchstes Geben und beginnendes Loslassen, Selbstgewinn und Körperverlust, ist sie ungeheure dichte Gegenwart und Verschwimmen aller Horizonte, ist sie Grenzgang ans Heilige, ist Gottes Geburt letzte Geborgenheit und erster Aufbruch, ist es der Sprung in ein anderes Leben, ist es der Anfang von etwas, was noch nie dagewesen ist. Für Gott und für uns.
Gott gebärt in dieser Nacht, in der sich alle Zeiten und Horizonte verschränken. Er ist in dieser Geburt der Gebärende und wir sind die, die empfangen, vor deren Augen, in deren Hände, in deren Leben hinein Gott sich selbst gebärt.

Ich liege da
So klein, so runzelig, so gerade geboren Gott in satt-zarten Gelb liegt, so sehr Gottes Menschwerdung mit dem Kind in der Krippe beginnt, so sehr liegt dort schon alles, was Gott ist, ist im Jesuskind gegenwärtig, was er als Erwachsener Jesus von Gott, vom Himmel auf die Erde für uns bringt.
Das Gotteskind ist als Mitte ins Bild, von Gott in die Mitte des Lebens gerückt, das Bild wird aber dominiert von dem, was dieses Kind in sich trägt, was das Kind aus sich heraus gibt. Es ist uns in Kreuzform um das Kind gemalt:
Die Unendlichkeit des weiten Himmels und ein gnädiges Wolkenband, Leben schaffendes Wasser, ein hellblauer Horizont, der nicht abreißt; ein warmes Gelb, das Sonne und Licht ist, ein schwaches Rot, das an geheilten Schmerz erinnert, ein untrüglich weißes Licht, das unserem irdischen Leben einen heiligen Glanz verleiht, Lebensringe im Holz, die ganz unten, ganz irden Abdruck des Laufes unseres Lebens ist, in dem wir uns weiten und konzentrieren, und darüber als Spiegelbild, heller zum Licht, der gleiche Lebenslauf mit dem Jesuskind in seiner Mitte. Alles endet und beginnt bei ihm.
Für Gott endet und beginnt alles mit uns. Wir sind sein Liebstes. Für uns gebärt er sich und bringt ans Licht, was er ist und was er für uns sein möchte Er gebärt Licht selbst und Liebe, Freiheit und Hingabe, Freude und Geborgenheit, Richtung und Geduld, Anspruch und Umarmung, den Sinn, die Zeit, Fülle, Heilung, das Leben selbst, sein unverrückbares geburtliches Ja zu uns, den Himmel in Menschenherzen.
Irgendwie liegen wir selbst dort, wer wir auch geworden sind Die ganze Zeit haben wir uns selbst angeschaut, als die, von deren Geburt der Heilige Abend erzählt. Sanft zu der Geburt unseres Lebens zu einer bestimmten Zeit, zu der wir so wenig selbst taten, macht einer mit uns den Anfang immer wieder aus Liebe, sind wir Gottes „kleines großes Wunder“. Amen.

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