Predigt an Heiligabend 2012
Zeitübersetzt
Die Augen müssen genau hinschauen, die Hände müssen das Bild
nahe ans Gesicht halten. Dort sehen wir liegen das frisch geborene Kind.
Geboren, hingelegt, runzelig, etwas rot, die Augen ganz klein, die Arme fast
zappelnd. Seit Jahrhunderten, ja seit Jahrtausenden sehen Augen frisch geborene
Kinder und sehen sie so. Und sie sehen mit ihnen die Schutzlosigkeit und Anmut,
etwas Vollkommenes und Bedürftiges, etwas ganz unberührt Anfängliches und etwas,
was werden wird, jeden Tag bis zum Altwerden.
Stauend sehen Menschen das und werden erinnert, dass sie
selbst Geborene sind, jemand, dem der Anfang in Zeugung und Geburt gemacht
wurde, mit dem begonnen wurde, der zu einem nicht selbst bestimmten Augenblick da
ist und lebt, sein Leben lebt: verletzlich, gebrechlich, stolz, freudvoll, eigen,
angepasst, mit Risiko und Freiheit, gewollt und gesucht, verloren und gefunden.
Das Bild in Ihren Händen von Jörgen Habedank heißt „Kleines
großes Wunder“. Es stammt aus dem Jahr 2009 und es zitiert in seiner Mitte ein
anderes Bild, ein Bild von dem mittelalterlichen Meister von Moulin, der es vor
500 Jahren gemalt hat und versucht in ein Bild zu fassen, was vor 2000 Jahren
passierte, die Geburt Jesu, die wir, seit wir leben, als Kinder und als
Erwachsene, an jedem unserer Heiligen Abend feiern.
In beiden Bildern ist das frischgeborene Jesuskind das
gleiche, als würde es selbst all die Zeiten miteinander verschränken, sie sich
in ihm wie kreuzen und in seiner Geburt etwas für alle Zeiten, für uns liegen,
als wäre er nicht nur für Maria und Josef, die ihn still glücklich, beseelt ihn
bewundern anschauen, geboren worden, nicht nur für die Hirten, die am Fenster
stehen und ihn entdeckt haben, sondern für alle Menschen aller Zeiten, als wäre
er geboren für uns, für mich.
Vieles auf der Welt ist für mich, für mich gemacht, gekauft,
geschenkt. Potentiell alles. Wenn ich es erreiche, bekomme, dann ist es für
mich, es kann mein werden. Für mich geboren kann nur Lebendiges sein. Sind es
meine Kinder, denen das Leben ich schenkte. So sehr sie für mich alles bedeuten
mögen, sind sie nie für mich geboren, sondern für sich. So wie ich selbst für
mich geboren wurden, damit ich bin und lebe. Und doch liegt in jeder Geburt auch
ein für dich, für uns geboren begründet. Mit jeder Geburt erscheint etwas, was
noch nicht war und ab jetzt sein wird – bei, vor, mit und für anderen.
Gott gebärt
An Weihnachten, an Heiligabend können wir spüren: Jene eine
Geburt ist nicht fern, sie ist für mich geschehen, sie geschieht für mich. Mir
ist in jener Nacht etwas geboren.
Im Gegensatz zum Bild, das der Künstler zitiert, ist das Kind
und das Wunder seiner Geburt, das sie zuerst im Gesicht seiner leiblichen
Eltern spiegelt und zuletzt und heute in unserem, in die Mitte gerückt, in die
Mitte des Bildes und von allem. Hier kreuzen sich Blau und Gelb-Orange, Horizontale
und Vertikale, Himmel und Erde, Gott und Mensch, Er und ich.
Hier mittet sich Gott selbst. Hier bestimmt er sich selbst,
wer er ist. Hier zeichnet sich seine Bezug, seine Beziehung, sein Weg zu uns endgültig
ab: Gott wählt den Weg der Geburt, der Geburt von sich selbst für uns, für mich
und für dich. So unausweichlich jedes Leben auf dem Weg der Geburt zur Welt
kommt, so unausweichlich ist Gottes Weg zur Welt auch der der Geburt seines
Lebens.
Und wie bei jeder Geburt ist Gottes Geburt tiefer Schmerz und
unbändige Freude, ist sie höchstes Geben und beginnendes Loslassen, Selbstgewinn
und Körperverlust, ist sie ungeheure dichte Gegenwart und Verschwimmen aller
Horizonte, ist sie Grenzgang ans Heilige, ist Gottes Geburt letzte Geborgenheit
und erster Aufbruch, ist es der Sprung in ein anderes Leben, ist es der Anfang
von etwas, was noch nie dagewesen ist. Für Gott und für uns.
Gott gebärt in dieser Nacht, in der sich alle Zeiten und
Horizonte verschränken. Er ist in dieser Geburt der Gebärende und wir sind die,
die empfangen, vor deren Augen, in deren Hände, in deren Leben hinein Gott sich
selbst gebärt.
Ich liege da
So klein, so runzelig, so gerade geboren Gott in satt-zarten
Gelb liegt, so sehr Gottes Menschwerdung mit dem Kind in der Krippe beginnt, so
sehr liegt dort schon alles, was Gott ist, ist im Jesuskind gegenwärtig, was er
als Erwachsener Jesus von Gott, vom Himmel auf die Erde für uns bringt.
Das Gotteskind ist als Mitte ins Bild, von Gott in die Mitte
des Lebens gerückt, das Bild wird aber dominiert von dem, was dieses Kind in
sich trägt, was das Kind aus sich heraus gibt. Es ist uns in Kreuzform um das
Kind gemalt:
Die Unendlichkeit des weiten Himmels und ein gnädiges Wolkenband,
Leben schaffendes Wasser, ein hellblauer Horizont, der nicht abreißt; ein
warmes Gelb, das Sonne und Licht ist, ein schwaches Rot, das an geheilten
Schmerz erinnert, ein untrüglich weißes Licht, das unserem irdischen Leben
einen heiligen Glanz verleiht, Lebensringe im Holz, die ganz unten, ganz irden
Abdruck des Laufes unseres Lebens ist, in dem wir uns weiten und konzentrieren,
und darüber als Spiegelbild, heller zum Licht, der gleiche Lebenslauf mit dem
Jesuskind in seiner Mitte. Alles endet und beginnt bei ihm.
Für Gott endet und beginnt alles mit uns. Wir sind sein
Liebstes. Für uns gebärt er sich und bringt ans Licht, was er ist und was er
für uns sein möchte Er gebärt Licht selbst und Liebe, Freiheit und Hingabe,
Freude und Geborgenheit, Richtung und Geduld, Anspruch und Umarmung, den Sinn,
die Zeit, Fülle, Heilung, das Leben selbst, sein unverrückbares geburtliches Ja
zu uns, den Himmel in Menschenherzen.
Irgendwie liegen wir selbst dort, wer wir auch geworden sind Die
ganze Zeit haben wir uns selbst angeschaut, als die, von deren Geburt der
Heilige Abend erzählt. Sanft zu der Geburt unseres Lebens zu einer bestimmten
Zeit, zu der wir so wenig selbst taten, macht einer mit uns den Anfang immer wieder
aus Liebe, sind wir Gottes „kleines großes Wunder“. Amen.
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