Sonntag, 3. Mai 2015

Perlentaucher



Predigt am Vorabend der Konfirmation (25. April 2015)

Sammeln
Erfahrungen machen Menschen. Viele, verschiedene, bittere und schöne, helle und dunkle, schmerzhafte und wunderbare. Das ganze Leben lang, als Kinder, als Konfirmanden, als Eltern, mitten im Leben, noch im hohen Alter, im Geborenwerden, im Sterben und danach. Erfahrungen machen uns froh und ängstlich, stimmen uns positiv oder merkwürdig verkrampft, teilen wir mit anderen, behalten wir nur für uns.
Menschen sammeln Erfahrungen. Nach und nach. Zur einen Erfahrung kommt die andere, eine ähnliche, ein andere, eine nahe, fremde. Manche Erfahrungen bauen aufeinander auf, irgendwie; Manche Erfahrungen passen nicht zueinander, werfen uns hin und her; manche Erfahrungen lassen andere vergessen oder zerstört sie; machen vergangen, so oder so; manche Erfahrung, die wir machen, bestimmt uns noch jahrelang, bestimmen unser Leben, prägen, und manche Erfahrung hat sich ungeheuer tief abgesetzt in uns, wie im Seelenkeller, und baut mit anderen dort ihr eigene Welt in uns.
Erfahrungen sind vielleicht wie Perlen, Perlen mit verschiedenen Farben, mit verschiedenen Inhalten und Stimmungen; und unser Sammeln gleicht dem Sammeln von Perlen; wir fädeln sie ein, bilden Ketten und fragen ab und zu nach dem roten Faden. Oder wir sammeln Erfahrungsperlen wie in einer Schale, wo eine zur anderen kommt, und unser Leben diese wie aufbewahrt, alles da ist, was wir erfahren haben; oder man tut Perlen in Reagenzgläser, so wie ihr; Erfahrung der Woche sonntags in einer bestimmten Farbe hineingelegt in euer gläsernes Reagenzglas. Es erzählt von euch.
Von euren Erfahrungen, die ihr im Laufe der Konfirmandenzeit gemacht habt, spiegeln bisschen von den Erfahrungen mit den anderen Konfis wieder, von dem, wie es für euch war in der Gruppe, was ihr erlebt habt im Gottesdienst, erfahren im Unterricht, vom Friedhof bis zum Festmahl; ein bisschen ist vielleicht im Reagenzglas auch die Erfahrung von euch mit Gott. Ihr und Er.

Reagenzglas
Seit eurer Vorstellung im Sommer letzten Jahres hängt euer Reagenzglas unterhalb der Kanzel und ihr füllt es mit euren Erfahrungsperlen, so wie ihr seid. Nach und nach, bunt, auch schwarz für dunkle Erfahrung ist dabei. So hängt euer Erfahrung im Reagenzglas jeden Tag und an jedem Gottesdienst hier in der Kirche, ist es dabei, wenn wir zu Gott beten, ihm Lieder singen, von ihm hören, durch unser Dasein ihm antworten.
Was mag Gott zu eurem Reagenzglas denken, über euch? Wir glauben, Gott wohnt hier irgendwie, so sieht er auch euer Reagenzglas, er sieht, wie ihr die Perlen der Erfahrung hineingelegt habt, welche Farben eure Erfahrungen haben, wo ihr froh und unglücklich wart, wo ihr wütend und hell wart; wer ihr seid mit all euren Erfahrungen.
Erfahrungen machen, erleiden, erleben, sammeln Menschen immer auch irgendwie vor Gott. Sammelt Gott mit? Reiht er eigene Perlen mit ein in die Kette der Erfahrungen? Ist er der buchstäbliche rote Faden all unserer Erfahrung? Sind bestimmte Erfahrungen und Perlen von ihm? Oder hat er mit all dem nichts, wenig zu tun, sammeln wir und er macht nichts, oder sammelt er mit, trägt er mit, denkt er mit, erfährt er mit? Oder erhalten die Erfahrungen, die Menschen machen, die Ihr macht und sammelt, vor Gott eine andere Bedeutung, stehen unsere Erfahrungen in Gottes weiten Horizont und in diesem Horizont bekommen alle Erfahrungen noch mal eine Bedeutung, eine Frage, eine Antwort, einen Sinn. So wie wenn wir die Erfahrung machen, verletzt zu werden, und jemand tröstet uns, machen die Erfahrung Trost und aus Erfahrung Schmerz wird Erfahrung Nähe und Liebe.

Kostbarst
Was mag die kostbarste Perle sein? Die teuerste? Die schönste? Die seltenste? Die, die jemand trägt, zu der die Perle am besten passt, als sei die Perle ein Teil von ihm? Was mag die kostbarste Erfahrung sein, die Menschen machen? Was war, was ist eure kostbarste Erfahrung?
Vielleicht sind nicht die schönsten Erfahrungen die kostbarsten, oder die teuersten oder die einmaligsten. Vielleicht sind die kostbarsten Erfahrungen die, die Menschen unter Schmerzen gebären, wo Dunkles nah am Hellen liegt, wo das Leben in seiner Tiefe gleichsam das Hohe sehen lässt; vielleicht sind die kostbarsten Erfahrungen die, in denen sich unser Leben, unser ganz eignes Leben, wie verdichtet, sich es kondensiert, bestimmend beleuchtet wird, sich etwas für Längeres erschließt und wir unser Leben selbst als Leben spüren.
Ihr Sieben habt alle von Gott eine Erfahrung geschenkt bekommen, eine Erfahrung, zu ihr nichts tun musstet, die euch widerfuhr; ihr habt Gott erfahren und darin Gottes unbeschreibliche Liebe. Ihr wurdet getauft und in dieser einen Erfahrung, einmalig und unwiederholbar, liegt von Gott aus die kostbarste Erfahrung für euch beschlossen: Gott wendet sich euch zu. Gott schaut euch an. Gott liebt euch ohne jeden Vorbehalt und bei allem und immer und euch.

Perlenschutz
Diese eine Erfahrung, geschenkt, übernimmt ihr Morgen bewusst als eure. Sie mag euer Leben prägen wie keine andere, ihre Kostbarkeit für euch entfalten, all euren anderen Erfahrungen, die da sind und kommen werden, alle, auch und gerade die bitteren, in Gottes Licht und Liebe rücken. Eine Perle entsteht, wenn ein Fremdkörper in eine Muschel eindringt und zum Schutz wird dieser Fremdkörper eingekapselt und es bildet sich schöne Schicht um schöne Schicht bis eine wunderbare Perle entstanden ist. So sei Gott für euch: um alle eure Erfahrungen, gerade die bitter-fremden herum der feste Schutzraum der Liebe. Kostbarst seid ihr für ihn. Amen.

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