Sonntag, 3. Mai 2015

In aller Freiheit gehen



Predigt zur Konfirmation 2015 (26. April 2015)

Hinstellen
Jetzt endlich sind wir klug, seid Ihr Sieben klug. „Damit wir klug werden.“ Das war das Motto der Konfi-Zeit und jetzt seid ihr es. Mit dem heutigen Tag eurer Konfirmation ist eure Konfi-Zeit vorbei. Ihr habt Erfahrungen mit Gott gemacht und nun seid ihr „gott-klug“. Ab jetzt lebt damit. Ihr werdet mit eurer Konfirmation entlassen, entlassen mit der Gott-Klugheit weiter zu leben. Gott stellt eure vierzehn Füße auf einen weiten Raum.
Ihr sieben werdet hingestellt von ihm. Wie oft sitzt ihr oder geht, wie oft seid ihr früher gekrabbelt und habt laufen gelernt, wie habe euch eure Eltern groß werden sehen und wurdet immer mehr frei gelassen. Jetzt werdet ihr hingestellt. Aufrecht, geliebt, wertgeschätzt. Hingestellt, ganz selbst-ständig. Jetzt in diesem Moment werdet ihr von Gott ganz sanft und behutsam gott-klug hingestellt. In aller Freiheit.

Gerhard I
In aller Freiheit, was heißt das? Freiheit – etwas so empfindliches. Bedroht von mir selbst von jedem anderen / jeder anderen. Von so vielen Kräften in mir und außerhalb von mir.
Wie viel Freiheit vertrage ich; mit wie viel Freiheit kann ich verantwortlich umgehen?
Ohne jede Frage ist Freiheit ein wertvolles Gut und ich wünsche mir nichts mehr, als jeden Menschen in ›Freiheit‹ aufwachsen zu sehen. Aber die Schwierigkeit daran ist, dass das was ich vielleicht als Freiheit begreife andere Menschen ängstigt oder überfordert oder gar beschränkt.
Rosa Luxemburg hat es in einer politischen Schrift 1920 unübertroffen und knapp auf den Punkt gebracht: »Freiheit ist immer die Freiheit des Andersdenkenden.« – Überall wo die Freiheit nicht für ALLE gilt, ist es keine Freiheit.
Daraus erwächst jedoch eine Verantwortung: Habe ich meine Mitmenschen im Blick? Die sichtbaren – Nachbarn, Mitschüler, den Bettler auf der Straße; die unsichtbaren – an anderen Orten, aus anderen Kulturen, die die sich nicht zeigen wollen oder einfach übersehen werden.
Wie oft verletze ich andere Menschen, weil Sie MEINER FREIHEIT im Weg stehen?
Es ist unsere Aufgabe die Freiheit die wir für uns wünschen und die wir brauchen daran zu messen, ob sie in irgendeiner Form die Freiheit ALLER ANDEREN NICHT beeinträchtigt?
Ein Beispiel: In Deutschland stehen wir vor einem unbegrenzten Warenangebot, selbst mit geringem Einkommen haben wir eine unermessliche Auswahl an Konsumgütern.
Wenn wir diese ›Freiheit des Kaufens‹ nutzen: Können wir dann sicher sein, dass die Produktion ALLER dieser Konsumgüter keinerlei Freiheitsrechte anderer beschränkt, ignoriert oder mit Füßen tritt?
Unter welchen Bedingungen werden zum Beispiel die sogenannten ›seltenen Erden‹ in China abgebaut? Dieser Rohstoff befindet sich in fast jedem aktuellen technischen Gerät (Handy, Computer, Fernseher, …). Mache ich mich mitschuldig, wenn ich mich nicht darüber informiere bzw. etwas an den katastrophalen Bedingungen der chinesischen Arbeiter ändere?

Weiter Raum
In einen weiten Raum von Gott hingestellt. Das seid Ihr. Ein weiter Raum kann beides: Angst machen und beflügeln. In Räumen stehen Menschen und fürchten sich vor dem, was da kommt. In Räumen stehen Menschen und freuen sich, aufzubrechen. In Räumen sind manche Menschen wie gelähmt und manche machen neugierig Schritte hinein. Beides sind auch wir.
Menschen sind immer irgendwie in Räumen, seit sie geboren wurden, und auch wenn sie sterben. Räume prägen das Leben, in Räumen leben und erleben wir alles, an Räumen lässt sich unsere Lebensgeschichte ablesen, in Räumen sind wir allein, begegnen einander, sitzen, stehen, lieben, weinen, hoffen wir.
In speziellen „Konfi-Räumen“ habt ihr euch fast ein Jahr bewegt, im Saal, in der Kirche, beim Bestatter, auf der Freizeit. Und Ihr seid in dieser Zeit auch innerliche Räume abgeschritten, Räume die hoffentlich irgendwie auch von Gottes Gegenwart bestimmt waren, Gebete, mancher Gedanke hier, eure Perlen im Reagenzgläser, bestimmte Worte. Gottes-Räume waren das, sind das. In die stellt er sich und euch hinein.

Gerhard II
Gott möchte – liebe Gemeinde –  dass wir ein Segen sind (genau wie er es zu Abraham gesagt hat in dem Lesungstext). Da wird die Freiheit für die er unumwunden steht keine Beliebigkeit, kein ›alles egal‹ sondern eine Chance für uns alle, die wir immer wieder aufs Neue verantwortlich nutzen müssen.
Gott schenkt uns diese Freiheit NICHT, damit wir UNSERE Freiheit egoistisch GEGEN unsere Mitmenschen und die Schöpfung durchsetzen. Gott verknüpft damit vielmehr die Aufforderung / und vor allem Zusage, DASS WIR EIN SEGEN SIND. Also, dass wir alles in unserer Macht stehende tun um das Elend und die Ungleichheit auf diesem Planeten, die Ausbeutung und die Unfreiheit zu beenden.
Das Wort ›FREI‹ kommt darin vor und ohne die Details dieses Abkommens welches derzeit zwischen Europa und Amerika verhandelt wird erläutern zu können, stellt sich in diesem Abkommen die Frage: Wie viel Freiraum darf man der Wirtschaft einräumen ohne die Freiheit des Menschen, seine Gesundheit, seine Würde zu beschränken. Die Wirtschaft soll schließlich dem FREIEN Menschen dienen und nicht der Mensch der FREIEN Wirtschaft!

Aber kommen wir zurück zur persönlichen Freiheit des Menschen. Wir sind nicht eingesperrt, nicht versklavt, immer wieder stehen WIR ›vor der Wahl‹, ›müssen uns entscheiden‹, ›wir sind so frei‹!

Eure Füße
Ganz frei in Gottes-Raum hineingestellt seid ihr. Und nun geht. Geht mit euren Füßen. Mit denen seid ihr in den weiten Raum gestellt. Eure Konfi-Füße: 7 x zwei Stück. Groß geworden, seit sie ganz klein und schrumpelig auf die Welt kamen, eure Eltern sie zärtlich das erste Mal sahen, eincremten, die ersten Schuhe für sie kauften, um sie zu schützen und euch das Gehen zu ermöglichen, Füße mit Schuhen, die ihr schon etwas länger selber aussucht, die eure sind, die ihr tragt, die euch tragen.
Diese Füße und daran euer Körper, Kopf und Herz sind durch die Konfi-Zeit gegangen, so wie jeder von euch eben geht, wie seine Füße aussehen. Jesus hat Menschen die Füße gewaschen, ihm waren die Menschen so zutiefst wertvoll. Eure Füße, die in Zukunft gehen, gehen in aller Freiheit. Sie mögen stolpern, mögen staubig werden, mögen euch wehtun, mögen wunderbar gehalten werden von Liebenden, immer sind sie eure Füße - und von Jesus wertvoll angeschaute, in Händen gehaltene, sozusagen ebenso mit kostbaren Öl gesalbt, wie seine Füße es in Liebe wurden.

Gerhard III
Heute ist der Tag an dem Ihr in die ›Freiheit des Glaubens‹ entlassen werdet. Ihr werdet euch in aller Freiheit entscheiden: Ein Segen zu sein.
In welcher Form? In welchem Rahmen? Ob mit oder ohne Kirche? Ob hier oder woanders?
Ihr steht auf weitem Raum, schaut Euch um! Nutzt den ›weiten Raum‹. Ihr seid ›gewachsen‹ im Glauben. Ihr seid ›erwachsen‹ im Glauben, Ihr habt also alles, was Ihr ›jetzt‹ braucht an Ausstattung, an Rüstzeug und nun SEID IHR EIN SEGEN. Begreift es als Verantwortung und viel wichtiger begreift es als Zusage. Gott weiß: Ihr seid ein Segen. Er wird Euch mit allem Notwendigen IMMER WIEDER aufs Neue ausstatten also fliegt. Amen.


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