Donnerstag, 8. März 2012

„ .. es will die Augen schließen und glauben blind.“

Gedanken zur Blindheit des Glaubens zu Sonntag Oculi (11.3.12)

Ohne äußere Welt
Blind sein: heißt ohne äußere, sichtbare Welt sein
Es heißt von den Dingen, Menschen, zu wissen, aber nicht zu wissen, wie von außen sind, wie sie aussehen.
Am radikalsten ist dies für Blinde, die von Geburt an blind sind:
Die Dinge, die Menschen kennen, aber überhaupt nicht wissen, wie sie aussehen, so aussehen, wie wir sie sehen.
Unsere Welt, die Welt der Sehenden ist voll von Wörtern, mit denen wir das Aussehen von Dingen, Menschen beschreiben, benennen: Grün, schön, hell, angestrengt, fröhlich, lächelnd, ernst, blau wie der Himmel, dunkel wie die Nacht, ein tiefblaues Meer, ein strahlend heller Sommermorgen.
Ein Blinder kennt grün nicht, er berührt eine Wiese, ohne zu wissen, dass sie grün ist. Ein Blinder kennt dunkel nicht, er spricht mit einem Menschen, der traurig ist, und sieht nicht seine verdunkelte Mine.
Blinde leben mit inneren Bildern, mit Vorstellungen der Dinge und der Menschen, die sie nicht über Sehen und Aussehen bekommen, sondern woanders her, und sie reproduziere das Wesen der Dinge und der Menschen nicht über Sehen, über Visuelles, sie erzählen dann von ihren inneren Bildern
Für sie ist die Wiese nicht grün, mit dieser Beschreibung können sie nichts anfangen, aber in ihnen ist die Wiese so lebendig, saftig, wie wenn wir grün sagen.
Aber: Wer ist an der Wahrheit, am Wesen der Dinge näher? Die Blinden oder die Sehenden?

Geschlagen mit Blindheit
In der Bibel ist Blindheit ein Makel.
Im Alten Testament soll man die Blinden schützen und wer ihnen ein Bein stellt, ist zu verfluchen. Hiob – in guten Zeiten – rühmt sich damit, dass er der Blinden Auge war. Und in der späten Prophetie taucht dann das Motiv auf, das prägend ist:
Die Blinden sollen geheilt werden, ihnen sollen die Augen geöffnet werden. Dies wäre Anzeichen, ein Zeichen der Gottesherrschaft.
In dieser Erwartung steht Jesus. Er ist sie selbst:  Geht hin und sagt Johannes wieder, was ihr hört und seht: Blinde sehen und Lahme gehen, Aussätzige werden rein und Taube hören, Tote stehen auf und Armen wird das Evangelium gepredigt.
Und so steht im Mittelpunkt des Wirkens Jesu die wundersame wie wunderbare Heilung der Blinden. Fünf Heilungsgeschichten von Blinden erzählen die Evangelien.
Und diese Heilungen von Blindheit werden immer mit Glauben in Verbindung gebracht.
Und so wird in der Bibel Unglaube metaphorisch als Blindheit bezeichnet. Wer nicht glaubt, ist blind; wer sündig, ist mit Blindheit geschlagen; die, die Gott nicht erkennen, sind blind, obwohl sie sehen. Innerlich blind, obwohl sie äußerlich sehen.
Und so plädieren einmal das Alte und einmal das Neue Testament für das Sehen des Herzens, fast so ein bisschen den kleinen Prinzen vorwegnehmend: Nur mit dem Herzen sieht man gut. Aber selbst da bleibt es dabei: Blindheit ist Makel, Blindheit ist schlecht, negativ.
Wie müssen sich da Blinde fühlen, die unheilbar blind sind, wie die meisten von ihnen?? Wenn ihre Blindheit, ein wesentlicher Kern ihres Lebens, ihres Wesens, am sich nur als Makel gesehen wird? Manche machen uns dann etwas vor mit ihrem Makel.

Innere Wirklichkeiten
Als ich mit Herrn Kathrein per Email Kontakt aufgenommen habe, haben wir natürlich über den Gottesdienst gesprochen und über die Idee der „Blindgänge“; dazu wollte ich ihm sagen, wie unsere Kirche aussieht. Aus Gewohnheit wollte ich ihm schnell ein Bild von unserer Kirche per Email schicken. Doch er ist blind. Wie hätte er dieses Bild anschauen können?
Ich habe ihm dann versucht, die Kirche zu beschreiben. Er wird diese Kirche nie „wirklich“ sehen. Er ist blind. Aber Blinde sehen sie innerlich und vielleicht ist sie ja so wirklich.
Wir haben alle unsere inneren Bilder, und natürlich die äußeren - und die äußeren, die wir unmittelbar über das Sehen gewinnen, sind viel eindrücklicher, mehr und wahrscheinlich bestimmender. Und sie sind maßstäblicher. Die Welt, die äußere suggeriert: Das ist schön. Das ist hübsch. Das ist hässlich. Das ist gut. Das ist schlecht.
Gott können wir nicht sehen, Glauben können wir auch zu guten Teilen, ich würde sagen im Wesentlichen, nicht sehen, die wahre Gemeinschaft der Glaubenden auch nicht. Und wir leiden manchmal darunter, weil wir so sehr vom Sichtbaren leben.
Im so geschätzten Lied „So nimm denn meine Hände“, habe wir eben wie selbstverständlich in der 2. Strophe gesungen: „ ... es [Gottes Kind] will die Augen schließen und glauben blind.“
Blind glauben.
Sich nicht von den äußeren, oft trügerischen Bildern beherrschen lassen.
In sich die Bilder von Gott fühlen, erleben, leben lassen und wirklich und wirksam sein lassen, mehr als das Äußere und so sehr in das Äußere.
Diese Bilder blind erspüren, in der Begegnung mit der Welt, mit den Dingen und den Menschen.
Jede einzelne Predigt will dies, man braucht zu keiner Predigt eigentlich die Augen, man könnte ihnen blind zuhören. Innere Bilder sollen im Predigen und Predigthören in Euch wachsen, Bilder von Gott, von Liebe, von Geborgenheit, von Fragen, die zu beantworten sind, von tragischen Fehlern, die man begeht, von Hass und Friede, von Speise und Trost, von Tränen und tiefer Hoffnung –
Und von Vertrauen.
Genau das habe die Blinden uns Sehenden wohl weit voraus.

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