Donnerstag, 1. März 2012

Den Ernstfall proben


„Den Ernstfall proben“
Predigt am Sonntag Remiscere (4.3.2012)

Jesaja 5, 1-7 Das Lied vom unfruchtbaren Weinberg
Wohlan, ich will meinem lieben Freunde singen, ein Lied von meinem Freund und seinem Weinberg:
Mein Freund hatte einen Weinberg auf einer fetten Höhe. Und er grub ihn um und entsteinte ihn und pflanzte darin edle Reben. Er baute auch einen Turm darin und grub eine Kelter und wartete darauf, dass er gute Trauben brächte; aber er brachte schlechte.
Nun richtet, ihr Bürger zu Jerusalem und ihr Männer Judas, zwischen mir und meinem Weinberg! Was sollte man noch mehr tun an meinem Weinberg, das ich nicht getan habe an ihm? Warum hat er denn schlechte Trauben gebracht, während ich darauf wartete, dass er gute brächte?
Wohlan, ich will euch zeigen, was ich mit meinem Weinberg tun will!:
Sein Zaun soll weggenommen werden, dass er verwüstet werde, und seine Mauer soll eingerissen werden, dass er zertreten werde. 6 Ich will ihn wüst liegen lassen, dass er nicht beschnitten noch gehackt werde, sondern Disteln und Dornen darauf wachsen, und will den Wolken gebieten, dass sie nicht darauf regnen.
Des HERRN Zebaoth Weinberg aber ist das Haus Israel und die Männer Judas seine Pflanzung, an der sein Herz hing. Er wartete auf Rechtsspruch, siehe, da war Rechtsbruch, auf Gerechtigkeit, siehe, da war Geschrei über Schlechtigkeit.

Zuhörer
Ein Liebeslied. Ein Lied über Liebe. Ein Lied eines Liebenden. Ein Lied gesungen, vorgetragen, vor anderen. Vor uns: Wir sind die Zuhörer wie schon wie so viele zuvor. Wir. Wir sitzen, still, gespannt und hören zu: Wie uns gegenüber, etwas erhöht, wie auf der Bühne einer von seiner Liebe singt. Dieses Liebeslied reiht sich irgendwie ein in die vielen Liebeslieder, die wir kennen, hören, im Radio, im Fernsehen, auf Bühnen, wenn andere über ihre Liebe singen, darüber, was sie berührt, wie sie ihre Liebe erleben, wie sie ihre Liebe finden, leben, verlieren.
Wir hören und sehen: Da ist einer, der seine Liebe pflegt und hegt, für sie da ist, für sie arbeitet, für sie alles Wichtige tut, darauf wartet, wie sie ihm seine Liebe erwidert, ihn auch liebt, wie er sehnsuchtsvoll und geduldig wartet. Und unsere Augen und Ohren gehen mit. Und wir werden als Publikum davon angerührt. Wir sind auch welche, die Liebe brauchen, und auch welche, die Liebe geben möchten. Und wir spiegeln uns in diesem Liebeslied, fast gemütlich, fast genussvoll - und werden plötzlich wie rausgerissen, rausgerissen in dem Moment, wenn die Liebe nicht gegenlieb findet, wenn Liebe nicht durch Liebe erwidert wir, wenn das zarte, leise Liebeslied zum erbärmlichen Liebesdrama wird.

Reingezogen
Und wir werden fast abrupt, gerade noch am Bühnenrand sitzend, hineingezogen in dieses Drama, werden von der Bühne des Liebesliedes aus direkt angesprochen, ja gefordert zu antworten. Plötzlich sollen wir wie aufstehen und diese unerfüllte Liebesgeschichte, diese tragische Liebesszene beurteilen, darüber Recht sprechen.
Wir können nicht nur zuschauen, zuhören, darauf gucken, wenn Gottes Liebe unerwidert bleibt, wenn er Menschen Herzen, Menschenleben hegt und pflegt, umgräbt, entsteint, bepflanzt, alles bereit macht und sehnsuchtsvoll und geduldig auf die Geburt der Gegenliebe wartet - und sie nicht bekommt.
In diesem Moment der enttäuschten Liebe, der Tragik, des Dramas können wir nicht mehr distanziert zuschauen oder wegschauen. In diesem Moment sind wir gefragt, beteiligt, mit auf der Bühne, die keine mehr ist, mitten drin im Schauspiel, das keines mehr ist.

zugemutet
Doch bevor wir den Fuß auf die Bühne des Dramas setzen. Bevor wir zum Akteur werden, der sich beteiligt und einmischt. Bevor wir den Mund aufmachen können und sagen, was wir denken, fühlen, was wir davon halten. Wird uns vor Augen geführt, was passieren wird, werden wir wieder zum Zuschauer gemacht, zu einem der sieht, was passieren wird.
Der Film geht wie weiter, aber schrecklich: Das, was Gott liebt, wird zerstört, wird kaputt gemacht, wird verwüstet, zertreten, liegen gelassen, wird dürr und ausgetrocknet, ist tot. Das, woran sein Herz hängt, reißt er von seinem Herz weg und wirft es weg. Ein Stück von seinem Herzen.
Und diesmal ist es kein fast gemütliches, wohliges Lauschen eines Liebesliedes, sondern eine Zumutung, eine Zumutung, was wir da sehen und hören, vor Augen und Sinne geführt bekommen, eine Schreckensvision, ein Horrortrip, einer, wenn wir ihn lesen, hören, sehen in die Zuschauerstühle presst, uns fesselt, uns zutiefst verstört.

beteiligt
Dieser Text, das alte Weinberglied ist wie ein Geschehen auf der Bühne, Liebeslied und Schreckensvision, man wird halb reingezogen, hört und schaut betört und verstört zu. Der Text ist, als gäbe es die Möglichkeit, den Ernstfall zu sehen, den Ernstfall der Liebe Gottes und den Ernstfall, wenn diese Liebe enttäuscht, nicht erwidert wird, als gäbe es den Ernstfall als Schauspiel zu sehen und wie vor Augen und für die Sinne zu proben.
Die Passionsgeschichte, das Geschehen um da Leiden Jesu, war keine Probe, kein Schauspiel, keine Aufführung. Es ist das Drama der Liebe Gottes selbst. Das Drama seiner großen Liebe, und das Drama, dass diese Liebe nicht erwidert wird, dass sie getötet wird. Die Passion Jesu ist der Ernstfall alles Lebens, das sich mit Gott verbindet. Und wir sind keine Zuschauer, keine Betrachter, keine Zuhörer, wenn es um die Passion geht, wir sind mitten drin, beteiligt, gefordert, mehr als gefragt.


abgedreht
Und Gott? Wer ist er in der Passionsgeschichte? Er ist weder Regisseur des ganzen Dramas, noch trägt er ein Liebeslied vor. Er schreibt auch keine Drehbücher oder zieht die Strippen im Hintergrund bei der Besetzung des Stückes. Auch gehört er nicht zum Ensemble der Schauspieler oder zeigt einen Film. Aber vor allen ist er kein irgendwie distanzierter Zuschauer, genauso wenig wie wir.
In der Passion ist Gott selbst beteiligt, mittendrin, mitleidend in seinem Sohn. Für ihn steht alles auf dem Spiel. Er erlebt das größte Drama seiner Liebe, einen Supergau, er durchleidet den Widerspruch gegen seine Liebe, ist furchtbar nahe an Wut und Zorn und an Enttäuschung.
Der Weinberg ist Jesus, sein geliebtes Alles, und die von ihm geliebten Menschen; indem Jesus stirbt, stirbt auch die Antwort auf seine Liebe. Wir haben seine Liebe enttäuscht. Der Weinberg ist tot. Der Film, die Welt, Gottes Herz steht still.
Ostern erzählt die Weltgeschichte anders weiter, macht uns zu Zuschauern und zu Beteiligten, zu solchen die sehen und denen widerfährt, die sehen und spüren: Gottes Liebe besiegt seinen Zorn. Das Drama endet im erneuten Liebenslied. Die Liebe gewinnt.
In der Passionszeit warten wir, wie der Herr des Weinbergs, geduldig und sehnsuchtsvoll. An Karfreitag durchleiden wir das Ende. An Ostern feiern und erleben wir die Früchte der Liebe Gottes für uns. Amen.

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