Samstag, 9. November 2019

Verrückter Gott


Predigt am 18. Sonntag nach Trinitatis (20.10.2019)

Hermann Hesse                                                     gestutze Eiche
Wie haben sie dich, Baum, verschnitten,
Wie stehst du fremd und sonderbar !
Wie hast du hundertmal gelitten,
Bis nichts in dir als Trotz und Wille war !
Ich bin wie du, mit dem verschnittnen,
Gequälten Leben brach ich nicht
Und tauche täglich aus durchlittnen
Roheiten neu die Stirn ins Licht.
Was in mir weich und zart gewesen,
Hat mir die Welt zu Tod gehöhnt,
Doch unzerstörbar ist mein Wesen,
Ich bin zufrieden, bin versöhnt,
Geduldig neue Blätter treib ich
Aus Ästen hundertmal zerspellt,
Und allem Weh zu Trotze bleib ich
Verliebt in die verrückte Welt.

Sich sehen
Im Baum sich spiegeln, sich sehen. Im Vorübergehen vielleicht, im Stehenbleiben, berührt, selbst in die Jahre gekommen. Sich in irgendetwas spiegeln, in etwas, was wir anschauen, das in uns etwas aufbricht, das uns beginnt, etwas zu erzählen, ein dann bestimmter Baum, eine Szene, ein Wort vielleicht. Sich spiegel und sich sehen, sich, sein Leben, etwas klarer, etwas dichter, sein Leben, wie man ist, wie man geworden ist, in der Zeit.
Und jenes „bis“ rückt in den Blick, bis jetzt, seit dem: Wer bist du bis dahin geworden? Wer?

Bis …
Fremd und sonderbar stehen wir uns dann vielleicht gegenüber, verschnitten, verzeichnet, unser Leben. Nie als Ganzes, nie Alles, nicht Bausch und Bogen, aber doch, jetzt sehen wir es, durchlittene Nächte, sorgenvolle Zeiten, leidvoll durchlebte Momente, mit dem, was jeder für sich sein Leid nennt und was ihm Leid ist, zerbrochene Träume, zerbrochene Beziehungen, Versäumtes, Schuldhaftes, Verletzungen an Leib und Seele, jener merkwürdige Morast und jene merkwürdige Qual, die das Leben kennt, hat, verhöhnt, am Großen gemessen lächerlich, roh behandelt, abgeschliffen die Seele, alles, was an uns zart, weich war, all die manchen Versuche, zaghaft das Leben zu leben, weich mit sich und andren zu sein, wie abgenutzt, abgebrochen, verschließen.
Was kann alles passieren in diesem „bis“, in diesem leidvollen Zeiten, Lebensmomenten, in den das ein und das andere zählt, sich summiert, sich bildet, wo die Waagschale zwischen „es war gut“ und „es war Leid“ so unklar wiegt.
Und dann die Gefahr: Mit dem Leben still bestimmt brechen, langsam, nach und nach, unmerklich, erst innerlich und dann immer mehr nach außen. Oder nur resignieren, verzweifeln, komisch irr werden, mitten im Leben wie absterben, kaputt gehen, zu viele zerstörte Lebenspunkte haben, andere in den eigenen Abgrund wissentlich unwissentlich reißen?
Das Leben lässt einen wohl nicht einfach weise werden, einfach reifen, einfach abgeklärt klug gewachsen zurück!

Gestutzt
Die Stirn trotzallem ins Licht tauchen. Die Lebensstirn, nicht heldenhaft, nicht vital und kräftig, sondern mit gestutzter Energie, mit durchlebter Kraft, mit vielleicht immer auch letztem Willen. Und mit einem irgendwoher geborenen Willen, dennoch leben zu wollen, allem zum Trotz, das Licht zu suchen, in es hineinzutreten, trotzig, nicht aus purem Trotz, sonder aus dem Leid ans Licht hinaus. Weil es ums Wesen geht, um das Wesentliche von uns, um uns selbst, um das, was wir sind.
Zufrieden und versöhnt. Wer kann das von sich schon sagen. Zu welcher Zeit und warum genau. Wie schaffen wir das, zufrieden und versöhnt zu werden, zu sein, mit uns, mit den anderen, mit Gott? Und doch in diesen einen Ruhepunkt in Trotz und Wille, in Leid und Qual, mitten in diesem „bis“ wie einkehren. Beides: trotzig und versöhnt. Gestutzt und Blätter wieder treibend, knapp resigniert, leicht melancholisch, aber wieder Blätter treibend, heraus aus all den geschlagenen Wunden, den fragwürdigen Minuten, den dunklen Stunden, den Demütigungen, den Irrungen. Woher die Kraft dazu? Nur wünschen, darum bitten, mitunter um sie klagen, das können wir.

Verrückt
Verliebt in diese Welt, genau in diese Welt und in keine andere. Verrückte Welt, vielleicht gibt es kein besseres, schlechteres Wort für diese Welt. Verrückt, verrückt von dem, was sie sein soll, verrückt von Gottes Plan, verrückte Menschen, verrückte Bilder, verrückte Politik, verrückte Zeiten, verrückt, ohne Lächeln in der Hinterhand, verrückt mit allem Ernst, Kopfschüttelnd und in und mit ihr leiden.
Verrückte Welt, das sehen, sagen, denke, das hält sie mir ein bisschen auf Abstand, noch habe ich nicht ganz resigniert, noch kann ich mich bitter wundern. Verrückt: mit schweren Gedanken so die Welt einordnen, und sie so immer noch als meine Welt sehen, als meine Welt mit meinen Menschen, mit meiner Geschichte und mit meinen kommenden Tagen.
An ihr verrückt werden und sie doch lieben. Wie kann man diese verrückte Welt nur lieben? Nicht nur lieben, sondern in sie trotz allem immer wieder verliebt sein? In sie vernarrt sein, Herzklopfen in ihrem Blick bekommen, ihre Nähe wollen, sie nie missen wollen. Verliebt in eine verrückte Welt. Eigentlich ist damit das ganze Leben gesagt.

Verliebt
Und unser Gott? Wie durchzieht er unser Gedicht? Fragen wir ihn, wo er in all dem ist, in meinen verschnittenen, durchlittenen Leben? Ist er der, der uns die Kraft zum Trotz gibt? Der uns mit sich und mit uns selbst versöhnt? Ist es so einfach und so leicht? Er die Kraft zum Aufblühen aus jenen zerspellten Lebensästen?
Gott spricht dieses Gedicht für mich. Er sieht sich und spiegelt sich in seiner ganzen Welt, in Baum, Ereignis, Mensch, in dir und mir und unserem Tun. Er spiegelt sich und durchleidet dunkle Nächte, verschnitten wird sein Plan am Kreuz, und er bricht fast mit seinem Leben, mit seiner Schöpfung, mit einer Bestimmung für uns alle. Und er trotzt und kämpft um uns, sein Wesen ringt er unzerstörbar, versöhnt sich mit sich und mit uns, kehrt ein in den Atem still gehaltener Ruhe und tragisch gewonnener Zufriedenheit und geduldig, als gäbe es nichts mehr anders zu tun, nichts mehr anderes zu tun seit der Schöpfung bis sie wieder neu wird, bis … als dies: neue Blätter zu bringen, neue Blätter der Liebe, neue Blätter in Worten , in Menschen, in Gottesdiensten, im Abendmahl, in Gemeinden, in ganze Fremden zum Blühen zu bringen, aus Gottes Lebensästen hundertmal zerspellt.
Verrückt ist die Welt. Mitunter arg weit abgerückt von Sinn, Liebe und Gott. Doch kein Abrücken kann größer sein als Gottes Trotz, kein Leid ihn davon abbringen, kein Blick, keine Spiegelung auf noch irgendetwas. Gott ist verrückt verliebt in diese Welt, seine arg gestutzte Welt. Verliebt über alle Maßen in uns. Amen.

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