Predigt zu Erntedank 2019 (6.10.2019)
Jesaja, 58, 7-12
Heißt das nicht: Brich dem Hungrigen
dein Brot, und die im Elend ohne Obdach sind, führe ins Haus! Wenn du einen
nackt siehst, so kleide ihn, und entzieh dich nicht deinem Fleisch und Blut! 8
Dann wird dein Licht hervorbrechen wie die Morgenröte, und deine Heilung wird
schnell voranschreiten, und deine Gerechtigkeit wird vor dir hergehen, und die
Herrlichkeit des Herrn wird deinen Zug beschließen. 9 Dann wirst du rufen und
der Herr wird dir antworten. Wenn du schreist, wird er sagen: Siehe, hier bin
ich.
Wenn du in deiner Mitte niemand
unterjochst und nicht mit Fingern zeigst und nicht übel redest, 10 sondern den
Hungrigen dein Herz finden lässt und den Elenden sättigst, dann wird dein Licht
in der Finsternis aufgehen, und dein Dunkel wird sein wie der Mittag. 11 Und
der Herr wird dich immerdar führen und dich sättigen in der Dürre und dein
Gebein stärken. Und du wirst sein wie ein bewässerter Garten und wie eine
Wasserquelle, der es nie an Wasser fehlt. 12 Und es soll durch dich wieder
aufgebaut werden, was lange wüst gelegen hat, und du wirst wieder aufrichten,
was vorzeiten gegründet ward; und du sollst heißen: »Der die Lücken zumauert
und die Wege ausbessert, dass man da wohnen könne«.
Fleisch und Blut
Natur ist nicht aus Fleisch und Blut,
sie ist nicht unser Fleisch und Blut. Menschen sind aus Fleisch und Blut. Die
Natur kann blühen, sie kann wüten, kann zerstören, kann wunderbare Momente
erschaffen, kann das Auge und das Herz weiten, kann unsere Seele zum Strahlen
bringen, alles rauben. Natur kann Ernte sein, angepflanzt, angebaut, gepflegt,
gewachsen, geerntet, gegessen. Immer wieder. Jedes Jahr. Natur ist Gabe und
Schönheit. Menschen können dankbar sein.
Menschen können Ernte sein, Ernte für
andere, geboren, umsorgt, gewachsen, von anderen genossen. Vielleicht. Menschen
sind Geschöpfe, Geschöpfe von Gott, Geschöpfe für sich, Geschöpfe für andere. Doch
so etwas wie Ernte. Ich bin Ernte und Du bist es. Und wir danken dafür einander.
Menschen sind aus Fleisch und Blut, unser Fleisch und Blut. Das teilen wir
einander, rund um den Globus: beseelter Körper sind wird, lebendige Wesen,
gerufen, gesucht, gewollt eingebunden. Immer wieder, Blut und Fleisch, vermengt
mit Freude und Schmerz. Mitten, mitten und gemeinsam im Strom des Lebens, eines
Lebens.
Entziehen
Menschen können sich dem entziehen,
können das anders sehen, können sich eingrenzen auf nur ein paar Fleisch und
Blut, nur auf sich. Sie können sich entziehen dem anderen, ihn als fremd, Feind,
egal betrachten, sich von ihm innerlich und äußerlich distanzieren, abwenden,
den Finger zwischen sich und ihm setzen, den Finger, der den einen zum ich und den
anderem zu einem macht, der dazwischen ist, zeigt und trennt. Sie können sich
entziehen und übel reden, Worte finden, die den anderen verzeichnen, verzerren,
nicht meinen, die den anderen schwarz malen und weit weg von sich Hellem abstellen.
Menschen können sich entziehen, sich größer machen, erhabener, intelligenter,
kompetenter und den anderen unterjochen, unter sich stellen, unter sich
drücken, durch Gesten, Schachzüge, tägliches Zermürben, ihn niedrig, benutzbar,
unnütz machen.
Körpernähe
Menschen können aber auch Nähe
suchen, Nähe zulassen, Nähe, die sich aussetzt, in der immer ein kleines Wagnis
wohnt, die immer vom einem zu anderem was gibt, die verbindet, teilt. In die
eigenen Hände das Brot nehmen, es durchbrechen und dem anderen in die Hände
legen. An die eigenen Hände die Hände des anderen nehmen und ein Weg zum Dach
über seinen Kopf führen. Ein warmes Kleidungsstück in die eigenen Hände nehmen
und dem anderem um seine nackte Haut legen, für Bruchteile von Momenten seine
Haut mit der eigenen berühren. Handnähe.
Sein eigenes Herz suchen lassen,
nicht verstecken, nicht in sich, in sich still, stumm lassen. Sein Herz finden
lassen vom leeren Bauch, vom schutzlosen Kopf, von nackter Haut und Elendige mit
dem Herzen sehen und sättigen. Körpernähe. Aus Fleisch und Blut. Herzensnähe.
Das Leben pulsiert, fließt, verbindet.
Lichtgeschehen
Und Gott kommt in Bewegung, ist in
Bewegung. Gott bricht herein. Sucht und findet unsere Nähe. Ein herrliches
Lichtgeschehen, das Menschen geschieht. Licht, Morgenröte, Mittagsglanz, Dunkel
wie Hell. Aufgehend, vorangehend, beschließend. Menschen mitten darin, werdende
Lichtgestalten Gottes, herrlich.
Satt, heil, gestärkte, gerechte
werdende Menschen. Wir rufen nach Leben und Gott hört und Gott antwortet. Wir
schreien in Not, in Stille, um unser Leben und Gott sagt: ich bin da. Ich bin
da bei dir. Ich bin da für dich. Wir spüren, er ist da, er gibt Anteil an
seinem Leben, wir sind aus seinem Fleisch und Blut, Licht umgibt uns wie ein
zartes Kleid, Gott beseelt uns, bewegt uns.
Seelenwohnung
Was lange wüst lag, was nur vorzeiten
gerade noch heil lebte, was Lücken aufweist, Brüche, Wunden. Was beschädigt, verletzt,
rastlos, müde, suchend, ohne Wohnung, ohne Behausung, ohne Zuhause ist, die
Seele von Menschen, von Menschen aus Fleisch und Blut, mit Seele wie wir, für
diese wüste, irr suchende, unbehauste Seele Lebensort werden, kleiner Sehnsuchtsort,
sie suchen, nachhaltig, zärtlich bereichern, mitunter für sie leben, für sie
hoffen, für sie glauben, sie mit unseren Seelenmomenten berühren, anfüllen, erfüllen.
Seelen-Nähe. Seelen-Arbeit. Seelenleben
wieder aufbauen, sein Haus geben, aufbauen, wie Lebensstein auf Lebensstein
legen, das verstreute Lebensmosaik sorgfältig zusammensetzen. Seelen aufrichten,
solche die sich weggebückt haben, kauern, verschreckt, diese aufrichten, ihnen
Rückgrat geben, sein. Lebenslücken schließen, die ausgefallene Zeit, die
Leerpunkte, die unendlich stummen Seelenstunden ausbessern, füllen, schließen, zumauern,
Lebenswege ausbessern, begehbar machen. An fremden Biografien heilsam wirken. Für
Menschen Licht sein. Aus Fleisch und Blut, Körper an Körper, Seele an Seele, für
Körper und Seele zur Zeit-Behausung werden. Ernte, Ernte sein. Gott sei Dank. Amen.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen