Predigt
zur Einweihung von „Pflegeheim Landwasser“
15. Juli
2015 im Innenhof
Lukas 8, 44-48
Und eine Frau hatte den Blutfluss
seit zwölf Jahren; die hatte alles, was sie zum Leben hatte, für die Ärzte
aufgewandt und konnte von keinem geheilt werden. Die trat von hinten an ihn
heran und berührte den Saum seines Gewandes; und sogleich hörte ihr Blutfluss
auf. Und Jesus fragte: Wer hat mich berührt? Als es aber alle abstritten,
sprach Petrus: Meister, das Volk drängt und drückt dich. Jesus aber sprach: Es
hat mich jemand berührt; denn ich habe gespürt, dass eine Kraft von mir
ausgegangen ist. Als aber die Frau sah, dass es nicht verborgen blieb, kam sie
mit Zittern und fiel vor ihm nieder und verkündete vor allem Volk, warum sie
ihn angerührt hatte und wie sie sogleich gesund geworden war. Er aber sprach zu
ihr: Meine Tochter, dein Glaube hat dir geholfen. Geh hin in Frieden!
Unberührt
Wie oft mag die blutflüssige Frau
berührt worden sein, von Ärzten, von Menschen, die sie von ihrer Blutflüssigkeit
heilen wollten. Wie oft berührten sie Hände an ihrem Körper, an ihrer
intimsten, eigensten Stelle. Wie oft war die blutflüssige Frau voller Hoffnung
und voller Enttäuschung, wenn wieder das Blut von dort aus ihr heraus floss, ihren
Körper, den Boden berührte und nicht aufhörte, wenn der Ort ihrer eigenen
Fruchtbarkeit zum Ort des Makels, des Toten immer wieder wurde; wenn man sie
für unrein hielt, sie ausgrenzte, sie ekelig fand, sie bloß nicht berührte,
nicht mal von ferne. Wie oft wurde sie berührt von ihrer eigenen, nicht enden
wollenden Berührungsgeschichte, in der die entscheidende heilsame Berührung
ausblieb, sie unberührt vom Heilwerden blieb.
Ihr Schicksal, ihre Geschichte teilen
wir nicht, sie lässt uns aber nicht unberührt, sie berührt uns; wir teilen mit
ihr irgendwie unsere eigene Berührungsgeschichte, vom Ausstehen, wenn wir
selbst unsere müden Glieder kurz berühren, bis abends, wenn vielleicht ein
zarter Kuss uns in den Schlaf hinein berührt, von unserer Geburt an, als wir
von einem uns umhüllenden Berührungsort hinaus gepresst wurden, bis zu unserem
letzten Tag, wenn ein anderer unsere Augen zum letzten mal sacht berührend
schließt. Ohne Berührung kommen wir gar nicht aus, wir berühren automatisch mit
dem Füßen den Boden, mit der Hand beim Gehen die Türklinke, mit der Körperhaut
die Kleidung, mit unseren Händen Dinge, mit den Blicken das Leben anderer, im
Lieben die Seelen derer, die uns anbefohlen sind. Berührungen sind wunderbar,
zärtlich, rau, fraglich, pervers, schmerzhaft, verletzend, erhebend, helfend,
unangenehm, ekelhaft, professionell, tastend, direkt.
Menschen, Filme, Lieder, Worte,
Begegnungen, Fragen, Bilder berühren, hinterlassen ihren Eindruck, auf Haut,
Körper, in Gedächtnis und Seele. Und bei jeder Berührung geben Menschen ein
bisschen her, von sich, und bekommen etwas vom anderen, scheint Leben teilend
verbunden, wie in diesem Haus, das wir einweihen, wo Berührung eine ganz eigene
Geschichte schreibt, wo oft die Worte und gewohnte Kontaktformen fehlen,
Berührungen nochmal ganz anders sind und anderes bedeuten.
Berührt
Jesus berührt nicht. Er wird von der
blutflüssigen Frau berührt. Er lässt sich berühren von ihr, er lässt sich von
ihr berühren inmitten einer Menge, die voller Drängen, Drücken, Berühren ist.
Ungeheuer feinfühlig lässt sich Jesus von dieser einen Frau berühren, von dem,
was sie ist, was sie an sich trägt, was sie von sich zum ihm trägt. Jesus wird
berührt und stellt eine Frage, als wäre sie für all die Jahrhunderte nach ihm
gestellt, als wäre sie auch heute gestellt: Wer berührt mich? Wer berührt
Jesus? Wer will das? Wer tut das? Von uns?
Jesus lässt sich berühren und ist
berührt. Gott lässt sich berühren und ist berührt. Gott bleibt und ist nicht
unberührt von den, von seinen Menschen, von ihren Geschichten, ihren Hoffnungen,
ihrem Leid, ihrem notdürftigen Sich-Austrecken nach ihm. Gott lässt sich
berühren und er berührt. Jesus ist der Punkt, wo Gott sich berühren lässt.
Jesus ist die Berührung Gottes, er ist die Berührung, mit der Gott Menschen
berührt und Menschen ein Stück von ihm, sein Leben, seine Kraft bekommen.
Jesus berührt nicht. Er wird berührt.
Jesus wird berührt, er merkt, er spürt, wie Kraft aus ihm ausgeht und übergeht,
wie sein Leben voll Gott Anteil gibt anderen an Gott. Es ist keine Berührung um
des Berührens willen, es ist der Moment, in dem Gottes Kraft auf einen Menschen
übergeht, sein Leben umfängt, so sehr liebt, so sehr sich gibt, dass es sich
darüber aufzubrechen, zu verändern, ja zu heilen vermag. Von dieser Berührungs-Hoffnung
lebt auch dieses Haus, das wir einweihen.
Den Saum berühren
Dein Glaube hat dir geholfen. Es war
nicht der Glaube von Jesus, nicht der überbrachte Glaube von anderen. Es war
ganz und gar der eigene Glaube der blutflüssigen Frau. Ihr Glaube war, den Saum
des Gewandes Jesu zu berühren. Mehr nicht. Ihr Glaube war es, hoffnungslos zu
werden, alles andere versucht zu haben, mit leerem, blutleeren Leben dazu
stehen und den Saum des Gewandes zu berühren. Ihr Glauben war es, unbemerkt,
ungesehen von hinten den Saum zu sehen und ihn zu berühren. Ihr Glauben war es,
vor Ehrfurcht niederzufallen, zu zittern und zu erschrecken, das Umstürzende
und radikal Geschenkte zu spüren. Ihr Glaube war es, gebrochen vom Leben,
unberührt vom Glück und Heil ein letztes Zutrauen zu jenem Mann aus Nazareth zu
haben, die letzte Chance vielleicht ihm anzubefehlen, im bloßen Berühren des
Saums Entscheidendes zu hoffen, geholfen zu bekommen.
Geh hin in Frieden. Das ist ihr
geschenkter Glaube. Das Wunder ist das eine, das andere ist ins Leben
zurückzukehren, das Neue auch zu leben, in allen zukünftigen Berührungen aus
diesem Berührtwerden von Gott zu leben, selbst wenn das Blut wieder beginnen
würde zu fließen. Geh hin in Frieden in diesem Haus hier, eine Haus, das unter
anderem der Weglauftendenz von Menschen wehrt, eine doppelte Schleuse hat, das
lässt tief blicken. Menschen im Alter, im Vergehen, im Verzeichnetwerden immer
wieder in Gesten und Berührungen Zutrauen zu schenken, Zutrauen in den Saum des
Lebens, das Gott schenkt, wäre wunderbar. Diesen Menschen hier, auch den
Mitarbeitenden und Leitenden leise sagen: Geh hin in Frieden, wenn du hier
gehst, schläfst, arbeitest, alt, verwirrt, merkwürdig wirst, stirbst. Geh hin
in Frieden, lebe von Gott berührt. Denn Gott ist von dir berührt. Amen.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen