Dienstag, 19. März 2013

Verletzungen riskieren







 Verletzlich sind wir geboren worden: klein, unselbständig, zart-gebrechlich. Und doch mit ganz eigener Kraft und eigenem Willen. Wir haben dann im Laufe der Zeit gelernt, möglichst unverletzbar zu sein, uns nichts anmerken zu lassen, Tränen eher zu unterdrücken, eigene Stärke zu zeigen. Gut so. Wir sind aber oft noch die frisch Geborenen: verletzlich. Zumindest können wir das in den Gesichtern sehen, die uns auf der Straße begegnen, können wir es hören in den Geschichten, die wir uns am Tisch erzählen, können wir uns es denken, bei all dem, was bei uns passiert. Verletzt werden wir an unserem Körper, und manche tun es sich verzweifelt selbst an; verletzt werden wir an unserer Seele, diese Wunden heilen nie; verletzt werden wir in unserer alltäglichen Würde, ohne es zu merken; verletzt werden wir in unseren „Lebensentwürfen“, wenn es im Leben so anders läuft als erhofft. Und all diese Verletzungen wiegen und schmerzen noch mehr, je mehr um uns herum vorgegaukelt, vorgespielt, gesendet und gefacebookt wird: Ziel ist es, mein Leben gelingt; Leben soll wohl proportioniert, schön, angenehm, erfolgreich, hip, „bio“ sein. Der, den wir Christen in der kommenden Woche - und eigentlich immer - als den bedenken, der gekreuzigt wurde, und dann, aber dann!, auferstand, der scherte sich um das Ziel „gelingenden Leben“ nicht, der war immer wie frisch geboren: verletzlich, zart-gebrechlich, aber mit ganz ursprünglichem Willen und Stärke. „Mensch, riskier´ was“, so heißt das Motto der diesjährigen Fastenzeit, die mit dem Erscheinen dieses Gemeindebriefes endet. Die letzte Fastenwoche bis Gründonnerstag hat das Motto: „Verletzungen riskieren“. Widersinnig. Wer wagt das schon. Vielleicht nicht absichtlich, das wäre Masochismus, aber so leben, dass man Verletzungen nicht schon immer ausschließt. Das wäre Wagnis genug. Vielleicht würden wir dann unsere ganz eigene gebürtliche Kraft entdecken. Sie läge weniger darin, dass uns unser Leben gelingt, es glatt läuft, sondern darin, dass wir im Scheitern neugeboren werden. Von Gott her.

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