Verletzlich sind
wir geboren worden: klein, unselbständig, zart-gebrechlich. Und doch mit ganz
eigener Kraft und eigenem Willen. Wir haben dann im Laufe der Zeit gelernt,
möglichst unverletzbar zu sein, uns nichts anmerken zu lassen, Tränen eher zu
unterdrücken, eigene Stärke zu zeigen. Gut so. Wir sind aber oft noch die
frisch Geborenen: verletzlich. Zumindest können wir das in den Gesichtern
sehen, die uns auf der Straße begegnen, können wir es hören in den Geschichten,
die wir uns am Tisch erzählen, können wir uns es denken, bei all dem, was bei
uns passiert. Verletzt werden wir an unserem Körper, und manche tun es sich
verzweifelt selbst an; verletzt werden wir an unserer Seele, diese Wunden
heilen nie; verletzt werden wir in unserer alltäglichen Würde, ohne es zu
merken; verletzt werden wir in unseren „Lebensentwürfen“, wenn es im Leben so
anders läuft als erhofft. Und all diese Verletzungen wiegen und schmerzen noch
mehr, je mehr um uns herum vorgegaukelt, vorgespielt, gesendet und gefacebookt
wird: Ziel ist es, mein Leben gelingt; Leben soll wohl proportioniert, schön,
angenehm, erfolgreich, hip, „bio“ sein. Der, den wir Christen in der kommenden
Woche - und eigentlich immer - als den bedenken, der gekreuzigt wurde, und
dann, aber dann!, auferstand, der scherte sich um das Ziel „gelingenden Leben“
nicht, der war immer wie frisch geboren: verletzlich, zart-gebrechlich, aber
mit ganz ursprünglichem Willen und Stärke. „Mensch, riskier´ was“, so heißt das
Motto der diesjährigen Fastenzeit, die mit dem Erscheinen dieses Gemeindebriefes
endet. Die letzte Fastenwoche bis Gründonnerstag hat das Motto: „Verletzungen
riskieren“. Widersinnig. Wer wagt das schon. Vielleicht nicht absichtlich, das
wäre Masochismus, aber so leben, dass man Verletzungen nicht schon immer
ausschließt. Das wäre Wagnis genug. Vielleicht würden wir dann unsere ganz
eigene gebürtliche Kraft entdecken. Sie läge weniger darin, dass uns unser
Leben gelingt, es glatt läuft, sondern darin, dass wir im Scheitern neugeboren
werden. Von Gott her.
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