Predigt an Karfreitag 2013 (29. März
2013)
Hilflos
Steig herab, Jesus. Steig herab von
deinem Kreuz, lass dir deine Wunden verbinden, deine Tränen trocknen, deine
Schmach beenden. Steig herab. Mach die Augen wieder auf. Steh wieder auf. Beweg
dich, bitte. An Totenbetten, vielleicht an Gräbern; wenn ganz schlimmes
passiert, wenn wir leblose Körper halten, sehen, denken wir, bitten wir, hoffen
wir das.
Jesus kann nicht herabsteigen. Er ist
festgenagelt. Fixiert. Er kann sich selbst nicht helfen. Niemand um ihn herum
hilft. Kein Mensch. Kein Gott. Niemand. Er ist hilflos, absolut. Ganz
merkwürdig gewaltsam unberührt von allen, von Hilfe. Nur dumpfe Worte dringen fern
an sein Ohr, der Gallen bittere Wein nur an den Rand eines Mundes, das Los schon
längst über seine Kleider am Boden geworfen, er blutverschmiert, nackt, allein,
hilflos.
Sonst würde man so jemanden helfen,
Mitleid und Schrecken mit ihm bekommen, starr stehen sich in Bewegung setzen,
innerlich im Herzen angerührt, äußerlich auf ihn zu, ihn nehmen, halten,
beleben, Hilfe holen, ihm Hilfe werden, sich von ihm, seiner Todesnot berühren
lassen, bei allem Abstand eine ganz eigentümliche Nähe von Mensch zu Mensch
spüren, und ahnen, ich, ich bin jetzt da, und ich bin Antwort auf seine drängende
Notfrage nach Leben und Tod.
Getroffen
Ohne jede Nähe, ohne jede Empathie,
mit unglaublicher Distanz stehen sie bei ihm, gehen sie an ihm vorüber. Ihre
Köpfe, ihr Denken, ihre Hände, Beine und die Füße sprechen nur Entfernung,
Hohn, Spott, Verachtung. Sie reden über ihn, sie demütigen ihn, sie denken ihm
Böses zu und machen ihn klein; sie entblößen neben seinem Körper auch seine
Seele, mit jedem Wort, mit jedem Satz bespucken sie seine Menschenseele.
Sie lästern über seine Hilflosigkeit;
über ihn, der immer geholfen hat. Sie lästern über sein Zusammenbrechen, über
ihn, der Menschen aufgerichtet hat. Sie lästern über seine Unfähigkeit, über
ihn, der Macht hatte den Sturm zu stillen. Sie lästern über seine Schwäche,
über ihn, der von Gottes Stärke sprach. Sie lästern über den Gotteslästerer,
über den, der Gott so nahe bringen wollte.
Und wir werden mit jedem Satz
berührt, getroffen. Wir wissen, wie es ist, verspottet, ausgelacht zu werden,
wie klein, wie entwürdigt Menschen sich dann fühlen. Wir wissen, wie oft wir
mit kleinen Worten wie Nadelstichen lästern, von oben nach unten schauen,
verletzten, kränken und Menschen ein bisschen ihrer Seelenwürde berauben. Wir
wissen, dass dieser Jesus Gottes Sohn ist, dass er Gott Menschen auf ganz
wunderbare, zärtliche, heilsame Art und Weise näher gebracht hat, dass er von
Gottes Liebe so sprach, dass sie bei Menschen auch anbrach und für sie ein
neues Leben begann. Wir wissen, dass dieser am Kreuz nicht Objekt sein kann von
Hohn, von Spott, von Erniedrigung.
berührend
Wir werden vom Spott berührt – und
Jesus selbst? Wird er auch davon getroffen und berührt? Er bleibt merkwürdig
unberührt von all dem, das um ihn ist, von dem, was da mit ihm passiert. Den bitteren
Essig trinkt er nicht. Über die Kleider hört er nur leise das Los fallen. Die
Räuber lässt er neben sich stehen. Die aberwitzige Aufschrift über ihn sieht er
nicht, die Finsternis nimmt er nicht wahr, die Spottworte spürt er und sagt
nichts darauf.
Er, der ein Meister der Berührung
war, der Menschen mit Gottes Liebe berührte, anrührte, Brot so in die Hände
nahm, dass es mehr wurde, so über blinde Augen streichelte, dass sie sehend
wurden, so mit Worte zärtlich sprechen konnte, dass das Himmelreich anbrach.
Er, der sich berühren ließ, von denen, die weit abgeschoben wurden, die
schmutzige Händen hatten, die sich mit sündigen Geld abgaben, er der sich
berühren ließ, vom Elend, von Kinderaugen, von Bettlerfragen, am Saum seines
Gewandes, als wäre genau dies das Stück vom Glück.
Dieser so berührte und berührende Jesus,
der bleibt am Kreuz merkwürdig unberührt. Das einzige, was er macht, ist, einen
Satz sprechen, beten, klagen, stammeln und schreien. Ein Satz von einem Gebet
ist nur hörbar, wurde aufgeschrieben, habe wir in unseren Karfreitags-Händen
und Mündern. Doch Jesus hat in sich, innerlich, alle Sätze, alle Worte, alle
Bilder, ALLES von diesem einem Gebet, das anfängt mit Gott: : „Eli, Eli, mein
Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen“.
Berühre mich, bitte
Mit diesen Worten und dem ganzen
stillen Gebet hat Jesus wohl Gott berührt. Der Mann am Kreuz hat Gott direkt
angesprochen, nur ihn im Blick, nur er zählt noch. Er hat ihm ins Gesicht
gesagt, wer er sei und wer Gott ist. Er ein Wurm, ein geschändeter, ein in den
Staub des Todes gelegter Mensch, Spott der Leute, der sich an die Größe, an die
Macht, an die Herrlichkeit Gottes erinnert und Gott ist der ferne, der ihn verlässt,
der sich doch nicht verbergen, entziehen kann, der bitte zu ihm eilen soll, , der ihm weder verachten
noch ihn verschmähen darf, der ihm seine Stärke sein soll und der ihm hilft.
Es ist ein intimes, gewaltiges,
ringendes Gespräch zwischen Jesus und Gott, zwischen Sohn und Vater, zwischen
Gott und seiner Liebe; ein Gespräch, von dem wir nur im Widerhall durch
Jahrtausende hindurch Bruchstücke hören, vernehmen. Kein „Steig herab“ ist
dabei; kein „Ich nehme dich hinunter“; kein „Ich vernichte deine Spötter“.
Nichts von alledem.
Nur, dass Jesus seinen Vater, Gott,
mit jedem Wort berührt; dass er seinem Gott zur Frage wird, auf die Gott allein,
und kein Mensch die Antwort ist, eine Antwort auf Leben und Tod.
Nur, dass Jesus Gott berührt, dass er
sich berühren lasse, und Gott ihm zur Hilfe in der Hilflosigkeit wird, Gott zutiefst
getroffen Jesus berührt, irgendwie in der Stille unseres Karfreitags. Amen.
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