Donnerstag, 28. März 2013

Berühre mich



Predigt an Karfreitag 2013 (29. März 2013)

Hilflos
Steig herab, Jesus. Steig herab von deinem Kreuz, lass dir deine Wunden verbinden, deine Tränen trocknen, deine Schmach beenden. Steig herab. Mach die Augen wieder auf. Steh wieder auf. Beweg dich, bitte. An Totenbetten, vielleicht an Gräbern; wenn ganz schlimmes passiert, wenn wir leblose Körper halten, sehen, denken wir, bitten wir, hoffen wir das.
Jesus kann nicht herabsteigen. Er ist festgenagelt. Fixiert. Er kann sich selbst nicht helfen. Niemand um ihn herum hilft. Kein Mensch. Kein Gott. Niemand. Er ist hilflos, absolut. Ganz merkwürdig gewaltsam unberührt von allen, von Hilfe. Nur dumpfe Worte dringen fern an sein Ohr, der Gallen bittere Wein nur an den Rand eines Mundes, das Los schon längst über seine Kleider am Boden geworfen, er blutverschmiert, nackt, allein, hilflos.
Sonst würde man so jemanden helfen, Mitleid und Schrecken mit ihm bekommen, starr stehen sich in Bewegung setzen, innerlich im Herzen angerührt, äußerlich auf ihn zu, ihn nehmen, halten, beleben, Hilfe holen, ihm Hilfe werden, sich von ihm, seiner Todesnot berühren lassen, bei allem Abstand eine ganz eigentümliche Nähe von Mensch zu Mensch spüren, und ahnen, ich, ich bin jetzt da, und ich bin Antwort auf seine drängende Notfrage nach Leben und Tod.

Getroffen
Ohne jede Nähe, ohne jede Empathie, mit unglaublicher Distanz stehen sie bei ihm, gehen sie an ihm vorüber. Ihre Köpfe, ihr Denken, ihre Hände, Beine und die Füße sprechen nur Entfernung, Hohn, Spott, Verachtung. Sie reden über ihn, sie demütigen ihn, sie denken ihm Böses zu und machen ihn klein; sie entblößen neben seinem Körper auch seine Seele, mit jedem Wort, mit jedem Satz bespucken sie seine Menschenseele.
Sie lästern über seine Hilflosigkeit; über ihn, der immer geholfen hat. Sie lästern über sein Zusammenbrechen, über ihn, der Menschen aufgerichtet hat. Sie lästern über seine Unfähigkeit, über ihn, der Macht hatte den Sturm zu stillen. Sie lästern über seine Schwäche, über ihn, der von Gottes Stärke sprach. Sie lästern über den Gotteslästerer, über den, der Gott so nahe bringen wollte.
Und wir werden mit jedem Satz berührt, getroffen. Wir wissen, wie es ist, verspottet, ausgelacht zu werden, wie klein, wie entwürdigt Menschen sich dann fühlen. Wir wissen, wie oft wir mit kleinen Worten wie Nadelstichen lästern, von oben nach unten schauen, verletzten, kränken und Menschen ein bisschen ihrer Seelenwürde berauben. Wir wissen, dass dieser Jesus Gottes Sohn ist, dass er Gott Menschen auf ganz wunderbare, zärtliche, heilsame Art und Weise näher gebracht hat, dass er von Gottes Liebe so sprach, dass sie bei Menschen auch anbrach und für sie ein neues Leben begann. Wir wissen, dass dieser am Kreuz nicht Objekt sein kann von Hohn, von Spott, von Erniedrigung.

berührend
Wir werden vom Spott berührt – und Jesus selbst? Wird er auch davon getroffen und berührt? Er bleibt merkwürdig unberührt von all dem, das um ihn ist, von dem, was da mit ihm passiert. Den bitteren Essig trinkt er nicht. Über die Kleider hört er nur leise das Los fallen. Die Räuber lässt er neben sich stehen. Die aberwitzige Aufschrift über ihn sieht er nicht, die Finsternis nimmt er nicht wahr, die Spottworte spürt er und sagt nichts darauf.
Er, der ein Meister der Berührung war, der Menschen mit Gottes Liebe berührte, anrührte, Brot so in die Hände nahm, dass es mehr wurde, so über blinde Augen streichelte, dass sie sehend wurden, so mit Worte zärtlich sprechen konnte, dass das Himmelreich anbrach. Er, der sich berühren ließ, von denen, die weit abgeschoben wurden, die schmutzige Händen hatten, die sich mit sündigen Geld abgaben, er der sich berühren ließ, vom Elend, von Kinderaugen, von Bettlerfragen, am Saum seines Gewandes, als wäre genau dies das Stück vom Glück.
Dieser so berührte und berührende Jesus, der bleibt am Kreuz merkwürdig unberührt. Das einzige, was er macht, ist, einen Satz sprechen, beten, klagen, stammeln und schreien. Ein Satz von einem Gebet ist nur hörbar, wurde aufgeschrieben, habe wir in unseren Karfreitags-Händen und Mündern. Doch Jesus hat in sich, innerlich, alle Sätze, alle Worte, alle Bilder, ALLES von diesem einem Gebet, das anfängt mit Gott: : „Eli, Eli, mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen“.
Berühre mich, bitte
Mit diesen Worten und dem ganzen stillen Gebet hat Jesus wohl Gott berührt. Der Mann am Kreuz hat Gott direkt angesprochen, nur ihn im Blick, nur er zählt noch. Er hat ihm ins Gesicht gesagt, wer er sei und wer Gott ist. Er ein Wurm, ein geschändeter, ein in den Staub des Todes gelegter Mensch, Spott der Leute, der sich an die Größe, an die Macht, an die Herrlichkeit Gottes erinnert und Gott ist der ferne, der ihn verlässt, der sich doch nicht verbergen, entziehen kann, der bitte  zu ihm eilen soll, , der ihm weder verachten noch ihn verschmähen darf, der ihm seine Stärke sein soll und der ihm hilft.
Es ist ein intimes, gewaltiges, ringendes Gespräch zwischen Jesus und Gott, zwischen Sohn und Vater, zwischen Gott und seiner Liebe; ein Gespräch, von dem wir nur im Widerhall durch Jahrtausende hindurch Bruchstücke hören, vernehmen. Kein „Steig herab“ ist dabei; kein „Ich nehme dich hinunter“; kein „Ich vernichte deine Spötter“. Nichts von alledem.
Nur, dass Jesus seinen Vater, Gott, mit jedem Wort berührt; dass er seinem Gott zur Frage wird, auf die Gott allein, und kein Mensch die Antwort ist, eine Antwort auf Leben und Tod.
Nur, dass Jesus Gott berührt, dass er sich berühren lasse, und Gott ihm zur Hilfe in der Hilflosigkeit wird, Gott zutiefst getroffen Jesus berührt, irgendwie in der Stille unseres Karfreitags. Amen.

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