Samstag, 23. März 2013

Mutabor: Passionsandachten 2013



Montag: Kreuz
Dieses Jahr haben wir in unseren Passionsandachten, in dieser Karwoche nur ein Bild, das wir in vier Etappen betrachten, sozusagen nach und nach uns anschauen, erschließen, ihm uns nähern und uns auf den Weg dieser Karwoche einstimmen.
Das Bild zeigt ein Kreuz.
Es stammt von einer eher unbekannten, aber sehr interessanten Berliner Künstlerin: Julia Antonia.
Es heißt: Mutabor: ich werde verwandelt werden.
Julia Antonia spürt den verborgenen Verwandlungen in uns nach und zeichnet so Spuren des Lebens nach und auf.
Heute, Montag, am ersten Tag beginnen wir bei der Kreuzform
Das Kreuz ist eine Grundform des Lebens, denn im Leben überkreuzt sich immer etwas, allein ein Baum ist Sinnbild wie sich in der Natur alles miteinander überkreuzt, und auch im Leben erfahren, erleben wir, wie sich Lebensfäden miteinander kreuzen.
Die Kultur, die Kunst, die Technik hat das gestaltet und stilisiert und früh hat das Kreuzförmige die Religion als Symbol aufgenommen.
Es ist eine gestaltete Urform: Zwei Linien, zwei Balken, quer und hochkant miteinander so verbunden, dass eben eine Kreuzform entsteht.
So wurde das Kreuz in den Religionen schon bald zum Kultgegegenstand, weil es in seiner Ausrichtung Himmel und Erde verband, und vier Teile bezeichnete, vier Teile wie die vier Elemente. Es spricht von unseren Sehnsüchten zwischen Himel und Erde, zwischen den Gewalten.
Durch Jesu Tod ist das Kreuz zum Symbol, zum Zeichen des Christentums geworden, und hat neben oder in der Verbindung von Himmel und Erde eine neue, eigene Bedeutung bekommen: Der Tod Jesu als Verbindung von Himmel und Erden, Gott und Mensch.
Dabei war das Kreuzigen eine durchaus gängige Methode der Hinrichtung, und diente der Abschreckung auf den Wegen des römischen Reiches.
Jesus hat das Kreuz getragen, Simon hat ihm geholfen, sein Kreuz wurde aufgerichtet, er wurde daran genagelt, nahm selbst Kreuzform an, was sich bis heute dort zeigt, wo ein Kreuz ein Kruzifix ist, wo Jesus am Kreuz hängend abgebildet wird, oder sogar darin, dass Jesus ohne Balken Kreuz ist.
Kreuze gibt es heute überall: Draußen, am Hals, in Kirchen. Es gibt ganz säkulare Kreuze; es gibt das Kreuz als Schmuck, ohen dass man noch sehr um seine christliche Bedeutung wüsste; und es gibt es als Zeichenhandlung im Christentum.
Bekreuzigen. Dies vorallem sichtbar in der katholischen Kirche, beim Priester, bei den sog. Laien. Und selbst Luther hat es empfohlen, sich beim Morgen- oder Abendsegen zu bekreuzigen, sich quasi mit dem Kreuzeszeichen zu segnen und aus der fast unheimlichen Verwandlungskraft , die dem Tod Jesu entspringt, heraus zu leben, sich ihr zu unterstellen.

Die Form des Kreuzes unserer Künstlerin ist ein doppeltes  Kreuz:
Ein weißes Innenkreuz und ein buntes Außenkreuz.
Das Innere tritt erst allmählich, aber dann dominant in den Blick; es ist sehr schlicht, ganz reduziert, alleine die pure Form.
Anders ist das äußere Kreuz, es dominiert den ersten Blick. Es gibt dem Kreuz auch eine kleine dreidimensionale Form.
Es sind 26 Einzelteile, 26 Holzplatten, auf die die Künstlerin die Gesichter eingeprägt hat und die sich etwas hervorheben.
Diese Holzplatten sind gleichmäßig zu einer Kreuzform angeordnet, die Holzplatten sind alle quadratisch.
Das Kreuz, seine Kreuzform, besteht also aus Quadraten. Das Kreuz Jesu hat sich aus Quadraten aus gleichmäßigen Einzelteilen zusammengesetzt, und das „stimmt“: Die gleichmäßige, gerechte, Gott wohlgefällige Form und Art von Jesus, die hat ihn ans Kreuz gebracht, die waren sein Kreuz.

Dienstag: Farben
Gestern Abend sind wir beim Bild der Berliner Künstlerin der Form des Kreuzes nachgegangen, heute Abend wollen wir dem nachspüren, was dieser Form seine Gestalt besonders gibt: den Farben.
Dieses Kreuz ist durch seine verschiedenen Farben bunt und bunt passt eigentlich kaum oder überhaupt nicht in die Passion und die Karwoche. Wenn das Kreuz dargestellt wird oder wenn wir es uns vorstellen, wie Jesus daran hing und hängt, dann ist das Kreuz selbst einfarbig, braun, schwarz, grau, wie sich alles Geschehen des Leidens in uns dunkel abschattet. Nur nachträglich wird das Kreuz in der Anbetung, im Tragen am Hals, in der herrlichen Bedeutung, die es dann als Akt des tiefen Glaubens hat, silber, golden und so zum Symbol für das uns wertvollste. Aber farbig ist es so gut wie nie.
In der biblisch überlieferten Passionsgeschichte spielen Farben in ihrer Vielfalt auch keine Rolle, als sei diese Leidenszeit ausgelaugt, farblos, wie entfärbt. Es wird nur erzählt vom roten Purpurmantel des Spotts und wir stellen uns das Blut Jesu vor und damit ein Traurigrot auf seinem geschändeten und dann leblosen Leib.
Unser Kreuz ist aber absichtlich bunt gemalt, alle diese Quadrate mit ihren skizzenhaften Gesichtern haben eine Farbe und bei ganz genauem Hinsehen hat jedes Quadrat, jedes Gesicht seine eigene sozusagen ganz indivuduelle Farbe. Zu jedem Quadrat passt eine Farbe und alle Quadrate machen das Kreuz farbig.
Warum soll das Kreuz so aussehen? Will die Künstlerin das Kreuz färben, verwandelt, freundlicher, froher machen? Eigentlich heißt es nur: Das Kreuz besteht aus Farben, aus all unseren Farben, aus der Buntheit des eigenen Lebens, aus dem Rot der Liebe, dem Blau der Hoffnung, dem Schwarz der Trauer, dem Gelb der Sonne. All dies ist jetzt am Kreuz, wird mitgekreuzigt, und auch das „stimmt“, denn mit Jesus, dem farbenfrohen Lebensmann Gottes, wird alles bunte Leben gekreuzigt, landet dort und wir, wir selbst gegenüber dem Kreuz, wir, die Welt, werden farblos, bleich, grau hinterlassen.

Mittwoch: Gesichter
In dieser Karwoche haben wir nur ein Bild, das Bild der Berliner Künstlerin, dem wir Schritt für Schritt nachgehen; am Montag haben wir uns seiner Form des Kreuzes angenähert, gestern am Dienstag seiner Farben nachgespürt, heute am Mittwoch wollen wir uns dem nähern, was diesem Kreuz sein Gesicht gibt, die Gesichter, die dort abgebildet oder besser eingeprägt sind.
Es sind wie gesagt 26 Holzplatten mit 26 Gesichtern. Von wem es die Gesichter sind, wissen wir nicht; es sind uns unbekannte Gesichter, aber sie werden uns bekannt, indem wir sie anschauen.
Julia Antonia, die Künstlerin unseres Kreuzes, hat diese Gesichter, diese Portraits „gemalt“, sie hat diese Gesichter angeschaut und dann blind, in einer Art mentalen Annäherung sie auf monochrom gefasste Sperrholzplatten eingraviert. So hat sie Spuren des Lebens in Gesichtern behutsam nachgezeichnet, ins Kreuz gebracht und ihre mentale Annäherung kann uns als unser Versuch gelten, uns mental diesem Kreuz, der Passion Jesu anzunähern.
Gesichter sind in der Darstellung der Passionsgeschichte für uns sehr dominant. In den Gesichtern spiegelt sich das Geschehen wieder und wird ablesbar. Und das ganze Geschehen konzentriert sich im Geicht des gekreuzigten Jesu, das in unzähligen Darstellungen abgebildet wurde und wird. Im Gesicht Jesu spiegelt sich alles wieder und wir werden in unerer Sicht durch dieses Gesicht geprägt. Seine Tränen, seine Dornenkrone, seine Lippen, seine Augen, seine Wangen, all das zeichnet sich in uns ab.
Die Gesichter in unserem Bild von Julia Antonia sind merkwürdige Gesichter, skizzenhaft, verzerrt, aber irgendwie je mehr man sie anschaut, sich hineinschaut in einzelne voller Ausdruck, voller Mensch. Wann immer wir Potraits malen oder machen, Fotos von jemanden, versuchen wir abzubilden, wie der ist, den wir potraitieren, möglichst das zum Vorschein, zum Sehen zu bekommen, was der andere ist, und doch wissen wir, dass es nur Momentaufnahmen sind und Menschen nie einzufangen sind, wenn sich auch in jedem Bild ein Moment ihrer Wahrheit abzeichnet, eine Wahrheit, die sogar über sie hinausgeht; wie wenn Liebende einander anschauen und im anderen sich sehen und den anderen und die Wahrheit der gegenseitigen Liebe.
Julia Antonia macht damit ernst, sie malt Gesichter in mentaler Erinnerung und in Erinnerung lebt sie ganz von gemachten und erlebten Eindruck, den der andere, sein Gesicht auf sie gemacht hat, und darin liegt eine tiefe Wahrheit: Der andere ist der, der bei mir einen Eindruck hinterlässt, der sich in mein Leben einprägt; wenn wir die Augen schließen und an diese Menschen denken, dann erscheint nicht nur ihr Gesicht, sondern sozusuagen mit ihnen das, was sie uns bedeuten.
Welche Gesichter sind uns aus der Passionsgeschichte eingeprägt? Neben dem von Jesus? Die Gesichter der Soldaten, das Gesicht des Pontius Pilatus, das Gesicht der Frauen und Männer um Jesus, das Gescht Marias, das Gesicht des Petrus, das Gesicht der Räuber links und rechts von Jesus, das Gesicht der Volksmenge, der Vorbeigehenden? All diese Gesichter sind irgendwie auch am Kreuz, ähnelt eines davon den Gesichter, die da bunt ans Kreuz gemalt sind?
Und unser eigenes Gesicht, das wir vermeintlich wie keines kennen, das unseres ist, das sich schon so sehr verändert hat in seinen Jahren, das aber immer unseres bleibt, wem ist es ähnlich? Von den Gesichtern am Kreuz?

Donnerstag: Mutabor
Diese Karwoche soll ein Bild Eindruck auf uns machen und uns etwas Annäherung sein auf dem Weg zu Karfreitag und dadurch zu Ostern. Es ist ein Bild der Berliner Künstlerin Julia Antonia, es ist ein buntes Kreuz mit skizzenhaften Gesichter, die uns anschauen.
Die Künstlerin hat ihrem, unserem Bild einen Titel gegeben: „Mutabor – ich werde verwandelt erden.“
Wie passt dieses „verwandelt werden“ in die Passionsgeschichte, in die Passionszeit, zu unserem Weg in der Karwoche?
Das große Verwandeln geschieht nach dem Kreuz, wenn der Leichnam herunter genommen ist, wenn er im Grab liegt, ist irgendwann jener eine Moment, in dem Gott den Toten nimmt und zum Leben verwandelt. Von Tod auferweckt werden, auferstehen, ist vielleicht die radikalste Verwandlung, die man sich vorstellen kann, sie geschieht aber sozusagen nach dem Kreuz.
Für die, die an der Passion beteiligt sind, bedeutet das Kreuz aber schon eine Verwandlung: Für die Jünger verwandelt sich die Hoffung in Trauer und Resigantion, für Jesus verwandelt sich der eigene Glaubens hin bis zum Rande des Zweifels, für Gott verwandelt sich Liebe in Hass. Und für uns? Vielleicht bedeutet die Passion auch eine Verwandlung für uns. Unsere eigenen Erwartungen und Vorstellungen von Gott, von einem Gottessohn werden am Kreuz wie gebraochen und müssen sich verwandeln.
Und die ganz Passion hat die Welt doch verändert, verwandelt. Ohne die Passion, ohne den Tod Jesu, ohne, dass Gott ans Äußerste gegangen wäre, wäre die Welt nicht die, die sie heute ist. Mit dem Kreuz hat sich etwas verwandelt. Und nur so ist das Kreuz und das, was es bedeutet, zum Symbol für uns Christen geworden.
Und jede Passionszeit ist Zeit der Verwandlung, schreiten wir diesen Weg der Karwoche ab, so wie dieses Jahr in Blick auf dieses Bild, kann das, was wir sehen, hören, denken nicht unverwandelt das gleiche bleiben, werden wir auf diesem Passiosnweg auch verwandelt, vielleicht nicht radikal, aber doch werden wir nach diesen Tagen auch andere sein. Ja, mutabor: ich werde verwandelt werden, nicht nur als Satz der Zukunft, sondern schon jetzt: Ich werde verwandelt. Wozu, wohin?
In den Lesungen, die wir gehört haben und die wir besungen haben, geht es um Menschen in der Passionsgeschichte, um eine unbekannte Frau, die Jesus salbt, um Judas, um die Jünger beim Abendmahl und im Garten Gethsemane. Für alle stellt sich die Frage, die auch unsere ist: Wie bleiben und wachen wir mit diesem Jesus, der den Weg der Kreuzigung geht, für den sich alles verändern wird; und unser Bleiben und Wachen wird ein Mitgehen sein auf seinem Weg, ein Mitverwandelt werden und –das als letzten Horizont ein Verwandelt werden hin zur eigenen Auferstehung, doch: „Mutabor: ich werde verwandelt werden“, wenn ich den Weg des Bleibens und Wachens mit Jesus gehe, so wie wenn wir heute Beten, Singen, Hören und Wachen und bei ihm bleiben.
„Mutabor“ ist ein Wort aus einem Märchen, dieser Satz stammt aus dem Märchen „Kalif Storch“, und hier ist „Mutabor“ der Zauberspruch:
Mensch, der du dieses findest, preise Allah für seine Gnade! Wer von dem Pulver in dieser Dose schnupft und dazu spricht: Mutabor, der kann sich in jedes Tier verwandeln und versteht auch die Sprache der Tiere. Will er wieder in seine menschliche Gestalt zurückkehren, so neige er sich dreimal gen Osten und spreche jenes Wort! Aber hüte dich, wenn du verwandelt bist, daß du nicht lachest! Sonst verschwindet das Zauberwort gänzlich aus deinem Gedächtnis, und du bleibst ein Tier.“

Dieses Märchen und das Kreuz Jesu, beides aus der Welt des Orients, aber größer könnte der Abstand nicht sein; die Passion ist kein Märchen, Jesus keine Märchengestalt, es geht nicht ums Zaubern, nicht um Untehaltung, sondern um den Tod des Lebens und um unsere eigenen Ernst.
Und doch erzählt „Mutabor“ von der Sehnsucht der Meschem, verwandelt zu werden, etwas anderes für bestimmte Zeit zu sein, und etwas zu verstehen, was man vorher und eigentlich nie und überhaupt nicht verstehen kann. Und es erzählt davon, dass jeder Wunsch nach Verwandlung eine Gefahr in sich birgt, dass man sich verliert in dem Wunsch, in der Sehnsucht nach Verwandlung und nicht mehr zurückfindet ins eigentliche Leben, das man zu leben hat und dass diese Gefahr durch da eigene Lachen geschieht, ist Zeichen für den Ernst, der darin steckt.
Wie sehr haben wir diese Sehnsucht nach einer Verwandlung unseres Lebens? Vielleicht nicht in allem, aber in Teilen; und da, wo diese Wunsch nach Verwandlung ganz tief im erlebten Schmerz wohnt, wo es eine nach Leben drängende Sehnsucht ist, dort ist dieser Wunsch nahe der Auferstehung, der Verwandlung vom Tod ins Leben, von Schmerz in Heilung, von Trauer in Zuversicht; und nahe ist es daran, dass nicht wir es machen können, diese Verwandlung, diese Auferstehung, sondern ein anderer.
Die Verwandlung des Kreuzes in den Stamm des Lebens, die Verwandung des gekreuzigten Jesu in den Auferstandenen, die Verwandlung der Passion in Ostern, all dies geht durch den Tod, muss alles; und diese Verwandlung an ihm und uns ist geschehendes Wunder und Krafttat Gottes.
Das ist kein Zauberspruch, sondern das Wort Gottes, das das Kreuz zum Beginn des Lebens macht, das „Fürchte dich nicht, er lebt“ zum Grund des Lebens spricht. Und der Weg ist auch nicht Lachen, sondern ein tränenreicher, einer, der die Tränen Jesu, mitweint, er ist so auch nicht Vergessen, sondern Erinnern in der großen Hoffnung: Mutabor: ich werde verwandelt werden.

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