Ansprache zum Volkstrauertag 2012
(18.11.12) auf dem Friedhof Haslach
Ort
Volkstrauertag hat einen Ort. Nicht nur im November. Nicht
nur im Lauf unseres Jahreslaufes. Nicht nur in unserem Bewusstsein oder gar
Herz. Volkstrauertag hat einen Ort, jedes Jahr, jedes Mal, wenn wir uns
treffen. Dieser Ort ist hier in Haslach, an der Uffhauserstraße, hier auf dem
Friedhof, hier in der Einsegnungshalle.
Das ist unser Ort für Volkstrauertag. Hier feiern wir sonst Beerdigungen.
Hier erleben, durchleiden wir sonst den Tod von Menschen, die uns nahe stehen,
die wir lieben, die wir kennen, die Nachbarn waren. Die, an die wir heute,
jetzt denken, die sind im Krieg zu Tode gekommen, und deren eigentlich zeitlich
ferner Tod hat mit dem Tod, dem wir hier sonst ausgesetzt sind, etwas zu tun.
Hier sitzen oder stehen wir sonst und jetzt an
Volkstrauertag, und haben hier in der Einsegnungshalle immer eine Mauer und
Fenster vor uns, ein Dach über und den Boden unter uns:
Dach: gedrückt
Diese Halle ist unwirtlich, kein Raum, der einen willkommen
heißt oder beherbergt. Die Glastüren sind in der Stille immer merkwürdig laut,
der Boden schwarz, der Raum kalt, fast steril, die Bewegungen schwerfällig, die
Hallendecke liegt wie ein dunkler, drückender Deckel über einen. Alles wie
gedrückt.
Der Tod, die Trauer, die durch ihn verursacht wird, das
Fragen, Zweifeln, das Verlieren, das Loslassen
all das drückt, wirkt wie ein merkwürdiger Deckel über uns, unter dem
wir , erleben wir den Tod, nicht immer sind, aber der sich immer wieder wie
jetzt auf uns schwer legt und uns niederdrückt.
Menschen haben anderen Menschen vor 70 Jahren, vor 95 Jahren,
vor 140 Jahren, vor so und so vielen Jahren und immer auch irgendwo in der
Gegenwart durch Krieg zwischen Völkern verloren. Das ist wie ein Deckel, ein schwarzer
großer Deckel, wie ein drückendes Etwas über Völker. Deswegen sitzen wir hier
am Volkstrauertag
Wände: Löcher
Wir schauen hier, wenn nicht hinab auf den Boden, dann an die
Wand, an die Wände, die hier so gleich aussehen. Rote Backsteine, so
aufeinander gesetzt, dass die, die sie anschauen, Löcher sehen. Keine Löcher,
durch die man hindurchschauen könnte auf etwas weiteres, sondern pure Löcher,
die schwarz enden. Unzählige Löcher in diesen Wänden dieser Einsegnungshalle.
Als ob man sie hingestarrt hätte.
Sie sind aber wirklich da. So wie die Löcher da sind, wenn
Menschen sterben, wie wenn sie nicht mehr da sind und es leer ist, fehlt: was
sie gesagt haben, was sie gemacht haben. Und noch mehr es sind eigentlich
Löcher in die Zukunft hinein, die noch schmerzlicher sind. Weil diese Löcher
davon erzählen, was hätten diese Maschen noch alles sagen, tun, erleben können.
Was alles niemals wurde.
Die unzähligen Tote der Kriege sind alles einzelne Menschen,
die einzelne Löcher hinter sich gelassen haben. Egal, warum jemand in den Krieg
ging, gegangen wurde. Egal, wie und wann er starb. Egal wie berechtigt oder
unberechtigt Krieg war und ist. Es sterben Menschen, die Löcher hinterlassen,
und die noch Leben vor sich gehabt hätten und die dieses Leben nicht mehr
gelebt haben.
Und das Schlimme und Tragische ist, dass der Tod im Krieg
immer ein gewaltsamer war und ist, der dieser Löcher reißt und Menschen ihre
Möglichkeit auf Leben beraubt.
Deswegen sitzen wir hier.
Fenster: Hoffnungszeichen
Unter dem drückenden Dach und über den Löchern der Mauern
sitzen die Fenster, die fast den ganzen Raum umrunden. Sie dominieren nicht den
Raum, vollkommen lichtdurchflutet wird er nicht, und an tristen Tagen scheint
der Raum gar keine Fenster zu haben. Genauso ist es mit der Trauer über den Tod.
Es gibt Fenster, es gibt Licht, aber wenn es in einem richtig trist ist, dann
wirken Fenster nicht.
Und trotzdem, gerade trotzdem, gibt es diese Fenster, und
nicht selten schweifen Blicke hierin ab vom Redner, von den Kerzen, von Sarg
und Urne hinaus durch die Fenster, auf das Leben außerhalb dieses Raumes und
manchmal scheint sogar die Sonne von außen durch die Fenster und man bekommt
mitten in der Trauer und Nachdenklichkeit eine Ahnung davon, was Licht,
Hoffnung und eine tröstlichere Perspektive ist
Davon zu reden, daran zu denken und sich zu erinnern, ist
unsere gemeinsame Aufgabe am Volkstrauertag. Nicht jenseits von Krieg, Tod und
Trauer, sondern inmitten, inmitten dieses gemeinsamen Trauerraums die Blicke an
der Mauer entlang auf das Fenster zu lenken, ja miteinander rauszuschauen und
uns wirklich ehrliche Hoffnung zu machen.
Diese Hoffnung wurzelt darin, dass das Leben immer wertvoller
ist, als dass Tod und Krieg es entwerten könnten, dass es weiter, größer,
sinnvoller, beständiger, ja geliebter ist, dass im Raum gesprochen: Die Fülle
die Löcher füllen wird. Und dieser Glaube an den unendlichen Wert des Lebens
ist es, der Trost gibt und auch gegen den Tod und gegen jeden Krieg aufstehen lässt.
Auch deswegen sitzen wir hier.
Draußen
Und wir gehen wieder raus, legen Kränze bei, hören Musik,
reden miteinander und gehen zusammen oder auch alleine unsere Wege. Vielleicht
mit dem Gefühl des Raumes: Die drückende Last, die Löcher der leere, Fenster
mit Blick auf Hoffnung. Und kommen im nächsten Jahr wieder hierher an diesen besonderen
Ort für den Volkstrauertag.
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