Predigt an Ewigkeitssonntag 2012
(25.11.12)
Gefäß
Kein Töpfermarkt. Natürlich nicht.
Ein Raum voller Schalen. 1111 Schalen. Wir sehen einen Ausschnitt. Der Raum ist
größer. Wir sehen 42 ganze Schalen, fast so viele wie Kerzen hier vorne brennen,
wie Menschen wir heute betrauern.
Die Schalen sind verschieden von
Form, Art, Farbe: blaue, graue, braune, weitere, engerer, mit größerem, mit
kleinerem Fuß. Eine hat all diese Schalen dahingestellt, gemacht. Für uns?
Aus einem Klumpen Ton wurden sie
gemacht, geformt, gewannen bearbeitet Gestalt. Auf der Drehscheibe, durch Hände
und durch die zentrifugale Kraft. Extrem Gedreht. Wie Menschen, die jemanden
verloren haben. Extrem gedreht, von einwirkenden Kräften bearbeitet, man dreht sich,
man wird wie durch gewirbelt, durchgedreht, man weiß manchmal nicht mehr, wo
einem der Kopf steht und die Seele wohnt.
Ist aus dem Klumpen Erde eine Schale
geworden, dann wird sie gebrannt und was den Brennvorgang heil überlebt, wird
eine Schale, die in sich tragen kann. Gebranntes Leben durchleben Menschen, die
jemanden zu Grabe tragen. Mitleiden, Schock, Zweifel, Abschied, Loslassen, Weinen
- wie ein innerer Brennvorgang, wie ein Läutern, bei dem nie nur raus ist, ob
man ihn heil übersteht.
Schalen sind Gefäße. Behältnisse, die
das, was sich alleine nicht tragen kann, Flüssiges, in sich fassen und halten.
Gefäße sind zum Nehmen, Geben und Verwahren da. Sie sind nützlich, praktisch
und schön, geformt. Gefäße fassen Unfassbares. Wie die Thora die Gebote, wie
die Bibel Gottes Wort, wie die Seele Hoffnung, wie Menschen den Atem Gottes.
Gefäße habe den Zweck, haben die
Bestimmung gefüllt zu werden. Dafür sind sie da.
Leer
Leer stehen diese Schalen vor unseren
Augen. Ohne Inhalt. Ohne Sinn. Uns sie erinnern an die Leere, die eingetreten
ist. An die Gefäße, Schalen, Kaffeebecher, daheim im Schrank, die die
Verstorbenen, als sie noch lebten, in Händen hielten und daraus alltäglich
nahmen, tranken, aßen. Erinnert an die Schalen voller wasser, mit denen man
Sterbende und Tote wäscht. Erinnert an die letzten Gefäße, Sarg und Urne, die
aufbewahren, was sichtbar übrigblieb, was drunten in der Erde umfangen ruht.
Leere Momente, leere Sätze, Liebe
leere Zettel, leere Abende, leere Wohnung. Die 1111 Schalen erzählen für die
Künstlerin aus Korea von der tägliche Schale Reis, die zum Leben notwendig ist.
Ihre leere Schale erzählt von Mehr, vom leeren Bauch. Unsere leeren Schale
erzählen von Mehr, von leeren Herzen, vom Loch, das uns im Leben ist. Mit
leeren Händen stehen wir hier, fülle Du sie uns, Gott.
Von leeren Händen, leeren Worte,
leeren Schwertern, leerem Wind erzählt die Bibel. Von dem, dass am Anfang die
Erde wüst und leer war, dass aller Anfang mit der Leere beginnt, dass der
Mensch ein irdenes, zerbrechliches Gefäß ist für das Wunderschönste, dass Gott
die Schale des Zorns kennt und die Menschen den Kelch des Leids. Und davon: Gott
tränkt Menschen mit einem vollen Krug von Tränen und er sammelt alle Tränen in
einem Krug. Unfassbar beides: Gott lässt weinen und er tröstet. Gott stellt
euch eine Schale hin für eure Trauer.
Unfassbar
Für eure Trauer haben wir zusammen
gebetet: „Wollte ich die Summe [deiner
Gedanken] zählen, so wären sie mehr als der Sand. Am Ende bin ich noch immer
bei dir.“ Gottes Gedanken in ihm und über uns, Gottes Sinn, Gottes Planen
und Denken sind nicht zu fassen. Es gibt kein Gefäß für sie. Für ihn. Würde man
Gottes Gedanken wie allen Sand der Welt in 1111 und vielmehr Schalen sammeln
und fassen, so wäre am Ende der Arbeit, unseres Tun, Fassens und Denkens immer
noch loser Sand und Gottes Gedanken da.
Gott ist nicht fassbar und haben wir
das gedacht, gefühlt, erffasst, dann braucht es noch einen Atemzug, ein
Atemzug, in dem wir beunruhigt änsgtlich den zweiten Satz ausatmen sprechen: Am
Ende bin ich noch immer bei dir. Am Ende, nach allem Ergründen, Infragestellen,
Zweifel. Am Ende der Kraft tränenerschöpft, entleert. Am Ende: Bin ich. Am
Ende: Immer. Am Ende: Noch. Trotz und wegen allem. Am Ende: bei dir. Bei Gott.
Unfassbar. Er hat alles mit durchschritten, mit durchfragt, mit durchgeweint,
mit durchstammelt, mitgetrauert, gedreht, gebrannt. Am Ende sind wir seine
Gedanken gewesen und bleiben es. Gedanken seiner Liebe.
Herausgeschöpft
Vielleicht sind am Ende die Scahlen
gar nicht leer. Nur leer im ersten Blick auf das Sichtbare. Sie stehen im Raum
nebeneinander, jede in ihrer Art und Tönung, enger und weiter, so wie Ihr hier sitz
im Blick auf die nebeneinandergestellten brennenden Kerzen, in diesem Raum
nebeneinander auf den Bänke, die Ihr im weiten Raum der Trauer über das
vergehende Jahr Tod, Blicke, Worte, Wege, Leiden, Tränen, leise Hoffnung unsichtbar
geteilt habt. Vielleicht habt ihr längst die Schalen schon gefüllt, mit euren
Gedanken, mit euren Bildern, mit der Erinnerung an die Euren, mit Dahinrinnendem
und Bleibendem, sicher schmerzvermengt und unsortiert, genommen, gegeben,
aufbewahrt.
Leere Hände zur Schale geformt. Fest
die Finger zusammengepresst. Dass nichts hinausfließe. Bereit daraus zu nehmen.
Bei allen Schalen aus Ton kommt es auf den Rand an. Er vollendet die Schale und
gibt ihr die letzte Form. Leere Hände zur Schale geformt tragen am Rand die
Kontur ihrer Finger, Signatur des Lebens, unvollendet menschlich Rand.
Gott bildet aus seiner Hände Vielzahl
Händeschalen für euch. Er streckt seiner Hände Schalen euch entgegen. Einem
jedem. Seiner Hände Schalen sind voll, bis zum obersten Rand. Eure Tränen mögen
sich darin spiegeln. Schöpft daraus. Am Ende ist er noch immer bei euch. Amen.
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