Freitag, 23. November 2012

Hingehalten



Predigt an Ewigkeitssonntag 2012 (25.11.12)

Gefäß
Kein Töpfermarkt. Natürlich nicht. Ein Raum voller Schalen. 1111 Schalen. Wir sehen einen Ausschnitt. Der Raum ist größer. Wir sehen 42 ganze Schalen, fast so viele wie Kerzen hier vorne brennen, wie Menschen wir heute betrauern.
Die Schalen sind verschieden von Form, Art, Farbe: blaue, graue, braune, weitere, engerer, mit größerem, mit kleinerem Fuß. Eine hat all diese Schalen dahingestellt, gemacht. Für uns?
Aus einem Klumpen Ton wurden sie gemacht, geformt, gewannen bearbeitet Gestalt. Auf der Drehscheibe, durch Hände und durch die zentrifugale Kraft. Extrem Gedreht. Wie Menschen, die jemanden verloren haben. Extrem gedreht, von einwirkenden Kräften bearbeitet, man dreht sich, man wird wie durch gewirbelt, durchgedreht, man weiß manchmal nicht mehr, wo einem der Kopf steht und die Seele wohnt.
Ist aus dem Klumpen Erde eine Schale geworden, dann wird sie gebrannt und was den Brennvorgang heil überlebt, wird eine Schale, die in sich tragen kann. Gebranntes Leben durchleben Menschen, die jemanden zu Grabe tragen. Mitleiden, Schock, Zweifel, Abschied, Loslassen, Weinen - wie ein innerer Brennvorgang, wie ein Läutern, bei dem nie nur raus ist, ob man ihn heil übersteht.
Schalen sind Gefäße. Behältnisse, die das, was sich alleine nicht tragen kann, Flüssiges, in sich fassen und halten. Gefäße sind zum Nehmen, Geben und Verwahren da. Sie sind nützlich, praktisch und schön, geformt. Gefäße fassen Unfassbares. Wie die Thora die Gebote, wie die Bibel Gottes Wort, wie die Seele Hoffnung, wie Menschen den Atem Gottes.
Gefäße habe den Zweck, haben die Bestimmung gefüllt zu werden. Dafür sind sie da.
Leer
Leer stehen diese Schalen vor unseren Augen. Ohne Inhalt. Ohne Sinn. Uns sie erinnern an die Leere, die eingetreten ist. An die Gefäße, Schalen, Kaffeebecher, daheim im Schrank, die die Verstorbenen, als sie noch lebten, in Händen hielten und daraus alltäglich nahmen, tranken, aßen. Erinnert an die Schalen voller wasser, mit denen man Sterbende und Tote wäscht. Erinnert an die letzten Gefäße, Sarg und Urne, die aufbewahren, was sichtbar übrigblieb, was drunten in der Erde umfangen ruht.
Leere Momente, leere Sätze, Liebe leere Zettel, leere Abende, leere Wohnung. Die 1111 Schalen erzählen für die Künstlerin aus Korea von der tägliche Schale Reis, die zum Leben notwendig ist. Ihre leere Schale erzählt von Mehr, vom leeren Bauch. Unsere leeren Schale erzählen von Mehr, von leeren Herzen, vom Loch, das uns im Leben ist. Mit leeren Händen stehen wir hier, fülle Du sie uns, Gott.
Von leeren Händen, leeren Worte, leeren Schwertern, leerem Wind erzählt die Bibel. Von dem, dass am Anfang die Erde wüst und leer war, dass aller Anfang mit der Leere beginnt, dass der Mensch ein irdenes, zerbrechliches Gefäß ist für das Wunderschönste, dass Gott die Schale des Zorns kennt und die Menschen den Kelch des Leids. Und davon: Gott tränkt Menschen mit einem vollen Krug von Tränen und er sammelt alle Tränen in einem Krug. Unfassbar beides: Gott lässt weinen und er tröstet. Gott stellt euch eine Schale hin für eure Trauer.

Unfassbar
Für eure Trauer haben wir zusammen gebetet: „Wollte ich die Summe [deiner Gedanken] zählen, so wären sie mehr als der Sand. Am Ende bin ich noch immer bei dir.“ Gottes Gedanken in ihm und über uns, Gottes Sinn, Gottes Planen und Denken sind nicht zu fassen. Es gibt kein Gefäß für sie. Für ihn. Würde man Gottes Gedanken wie allen Sand der Welt in 1111 und vielmehr Schalen sammeln und fassen, so wäre am Ende der Arbeit, unseres Tun, Fassens und Denkens immer noch loser Sand und Gottes Gedanken da.
Gott ist nicht fassbar und haben wir das gedacht, gefühlt, erffasst, dann braucht es noch einen Atemzug, ein Atemzug, in dem wir beunruhigt änsgtlich den zweiten Satz ausatmen sprechen: Am Ende bin ich noch immer bei dir. Am Ende, nach allem Ergründen, Infragestellen, Zweifel. Am Ende der Kraft tränenerschöpft, entleert. Am Ende: Bin ich. Am Ende: Immer. Am Ende: Noch. Trotz und wegen allem. Am Ende: bei dir. Bei Gott. Unfassbar. Er hat alles mit durchschritten, mit durchfragt, mit durchgeweint, mit durchstammelt, mitgetrauert, gedreht, gebrannt. Am Ende sind wir seine Gedanken gewesen und bleiben es. Gedanken seiner Liebe.

Herausgeschöpft
Vielleicht sind am Ende die Scahlen gar nicht leer. Nur leer im ersten Blick auf das Sichtbare. Sie stehen im Raum nebeneinander, jede in ihrer Art und Tönung, enger und weiter, so wie Ihr hier sitz im Blick auf die nebeneinandergestellten brennenden Kerzen, in diesem Raum nebeneinander auf den Bänke, die Ihr im weiten Raum der Trauer über das vergehende Jahr Tod, Blicke, Worte, Wege, Leiden, Tränen, leise Hoffnung unsichtbar geteilt habt. Vielleicht habt ihr längst die Schalen schon gefüllt, mit euren Gedanken, mit euren Bildern, mit der Erinnerung an die Euren, mit Dahinrinnendem und Bleibendem, sicher schmerzvermengt und unsortiert, genommen, gegeben, aufbewahrt.
Leere Hände zur Schale geformt. Fest die Finger zusammengepresst. Dass nichts hinausfließe. Bereit daraus zu nehmen. Bei allen Schalen aus Ton kommt es auf den Rand an. Er vollendet die Schale und gibt ihr die letzte Form. Leere Hände zur Schale geformt tragen am Rand die Kontur ihrer Finger, Signatur des Lebens, unvollendet menschlich Rand.
Gott bildet aus seiner Hände Vielzahl Händeschalen für euch. Er streckt seiner Hände Schalen euch entgegen. Einem jedem. Seiner Hände Schalen sind voll, bis zum obersten Rand. Eure Tränen mögen sich darin spiegeln. Schöpft daraus. Am Ende ist er noch immer bei euch. Amen.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen