Freitag, 23. August 2019

Verliebe dich


 Predigt am Israelsonntag (10. Sonntag nach Trinitatis, 25. August 2019)

 

Die Frage nach dem höchsten Gebot

28 Und es trat zu ihm einer der Schriftgelehrten, der ihnen zugehört hatte, wie sie miteinander stritten. Als er sah, dass er ihnen gut geantwortet hatte, fragte er ihn: Welches ist das höchste Gebot von allen? 29 Jesus antwortete: Das höchste Gebot ist das: »Höre, Israel, der Herr, unser Gott, ist der Herr allein, 30 und du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von ganzem Gemüt und mit all deiner Kraft« (5.Mose 6,4-5). 31 Das andre ist dies: »Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst« (3.Mose 19,18). Es ist kein anderes Gebot größer als diese. 32 Und der Schriftgelehrte sprach zu ihm: Ja, Meister, du hast recht geredet! Er ist einer, und ist kein anderer außer ihm; 33 und ihn lieben von ganzem Herzen, von ganzem Gemüt und mit aller Kraft, und seinen Nächsten lieben wie sich selbst, das ist mehr als alle Brandopfer und Schlachtopfer. 34 Da Jesus sah, dass er verständig antwortete, sprach er zu ihm: Du bist nicht fern vom Reich Gottes.

 

Liebe kann nicht

Liebe kann man nicht fordern, nicht mit einem Ausrufezeichen versehen. Liebe kann man nicht verordnen, gebieten, in Gebote und deren Worte kleiden. Liebe kann man sich wünschen, auf sie hoffen, von ihr leben. Liebe kann man geheimnisnah sprechen, sie spüren, fühlen, verlieren. Liebe kann man gebären, daran zart arbeiten, man kann sich verlieben kann und sich trennen, an Liebe leiden und an ihr tief glücklich werden, man kann sich um den anderen sorgen, miteinander scheitern, sich genießen, alt werden. Das kann Liebe. Liebe kann man aber nicht gebieten.

 


Du bist nah dran

Nicht fern sein. Das steht am Ende. Am Anfang ist einer, der hört, der wohl offen hinzutritt, mitten hinein in die strittigen Worte, der mit seinem Körper, mit seinem Sein, mit Worten hinzutritt, mit einer Frage nach welches und warum. Die Antwort wird dann zweimal gesagt. Als müsste sie wiederholt werden, als müsste sie eingeschärft werden. Aber jeder der Beiden gibt sie. Beide kommen überein in der Antwort, in den Worten und dem, was sie wohl meinen. Sie finden sich in diesen Worten, die von Liebe sprechen, verständigen sich, indem der eine zum anderen ein „richtig“ sagt. Beide sind Hörende und beide sind Sehende, sich, den anderen und das, was zwischen ihnen ist, was sie sagen. Am Ende wird aus der Frage eine gemeinsame Antwort und wieder eine Frage, eine Frage, die näher geht, die nach dem einen fragt: Wer bist du? Und Jesus sieht das Du, sieht das Du nicht mehr fern, nicht mehr fern von sich, von Gott und dem Reich der Liebe.

Als würde das Gespräch der Beiden nicht mehr über die Liebe gehen, sondern als würde das Gespräch in die Liebe führen, hinein in das, was sie fragen, was sie suchen, was sie brauchen. Im Gespräch entdeckt sich die Liebe, so weit, wie es für beide ist, führt der eine den anderen zur Liebe und in Liebe, ganz nah.

 

Bitte, berühre mich!

Es geschieht da Nähe. Nähe, die berührt, die begegnet. Nähe, die zwischen dem Einem und dem Anderem Freiheit und unendliche Zuneigung lebendig sein lässt, die das „Dazwischen“ ganz klein werden lässt, als würde nur Eins und dies herrlich erfüllt, als sei die ganze Welt dazwischen. Eine Nähe,  die Distanz, Abstand hält, um ganz selbst zu sein, um das Gegenüber genau schön anzuschauen, um verschmelzen zu können um sich hingeben zu können, um so vieles, sein Alles zu geben und zu empfangen. Eine Nähe, die bloß, nackt, offen, empfindsam ist, die erfüllt, hält, wacht, schützt, bindet, frei lässt. Eine Nähe, die selbst verwundbar ist, verletzlich, ein tiefes schönes Geheimnis in sich trägt, bereit es mitzuteilen, zu geben, her zu schenken. Eine Nähe, die um den Schmerz weiß, um das Vergehen, um die Brüchigkeit ihrer selbst, aber auch um die Herrlichkeit, die Schönheit. Eine Nähe, die bedürftig begegnet, sich selbst wagt, sich hinein ins Leben riskiert, um zu eröffnen, um Zeit zu haben, Raum zu gewinnen, dass sich in ihr Alles erfüllt.

Das Himmelreich ist nahe herbeigekommen. Was könnte das anderes sein?

 

brennen

Brennt in euch nicht das Herz? Sehnt sich nicht eure Seele? Gott lieben, ist in seiner Nähe zu sein. Ihn ganz und gar zu lieben, ihn mit aller Kraft und mit unserem ganzen Dasein zu lieben, ist in seine Nähe zu kommen, dort zu sein, Gottes Hier-bin-ich-für-dich zu spüren. Ihn ganz und gar zu lieben, heißt nicht fern zu sein, nicht fern zu bleiben, heißt, immer einmal mutiger zu bekennen, immer einmal treuer zu beten, immer nur einmal fröhlicher zu glauben, immer nur einmal brennender zu lieben. Immer nur einmal mehr, nur einmal mehr: weniger fern, und einmal mehr: näher.

Liebe kann man nicht verordnen, noch gebieten. Nähe genauso wenig. Gottes Hier kann man hören, dazu treten wie der eine, der Schriftgelehrte, Fragen stellen, wieder hören, aufnehmen, wiederholen und wiederholen und hineingenommen werden in diese Nähe, offen, verletzbar, unsicher, gewagt, entschlossen, empfänglich, brennend, total, verliebt, geliebt.

Und gesagt bekommen, wer wir nun sind: Du bist nicht fern vom Reich Gottes, nicht mehr weit weg von Gott, von dem höchsten Gut, von dem Schöpfer, Vollender, von der Quelle, vom Leben selbst, vom Herrn. Dieser Herr ist Gott. Bei ihm ist alles Notwendige. In seiner Nähe ist Fülle und Erfüllung, Heil und Heilwerden, Schalom und Seligkeit, Sinn und Liebe. In seine Nähe sich aufmachen, ist lieben und immer auch schon von ihm geliebt werden.

Dies verbindet, verbindet uns, dass wir uns aufmachen zu Gott, jeder auf seine Weise, uns verbindet die Suche nach seiner Nähe, die Liebe zu ihm. Es sind brennende Herzen. Das verbindet uns mit auf das engste mit Israel. Gott schafft Nähe zu sich, zu jedem seine Nähe.

Dort teilt er Liebe aus, die nie endet. Das ist seine absolute Sonderstellung, nicht versiegende Quelle der Liebe zu sein. Und alle, die davon nehmen, die seine Nähe suchen, sind unverbrüchlich Brüder und Schwestern seiner Liebe. Amen.

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