Dienstag, 24. September 2019

Zurück ins Leben


Predigt am 14. Sonntag nach Trinitatis (22.09.2019)


Lukas 17,11-19 Die zehn Aussätzigen

11 Und es begab sich, als er nach Jerusalem wanderte, daß er durch Samarien und Galiläa hin zog. 12 Und als er in ein Dorf kam, begegneten ihm zehn aussätzige Männer; die standen von ferne 13 und erhoben ihre Stimme und sprachen: Jesus, lieber Meister, erbarme dich unser 14 Und als er sie sah, sprach er zu ihnen: Geht hin und zeigt euch den Priestern! Und es geschah, als sie hingingen, da wurden sie rein. 15 Einer aber unter ihnen, als er sah, daß er gesund geworden war, kehrte er um und pries Gott mit lauter Stimme 16 und fiel nieder auf sein Angesicht zu Jesu Füßen und dankte ihm. Und das war ein Samariter. 17 Jesus aber antwortete und sprach: Sind nicht die zehn rein geworden? Wo sind aber die neun? 18 Hat sich sonst keiner gefunden, der wieder umkehrte, um Gott die Ehre zu geben, als nur dieser Fremde? 19 Und er sprach zu ihm: Steh auf, geh hin; dein Glaube hat dir geholfen.

Wo nur?

Wo nur? Wo nur sind die Neun? Nur einer, nur ein einziger ist umgekehrt! Die anderen Neun nicht. Wir schütteln mit Jesus den Kopf. Mit Unverständnis, Enttäuschung, leiser Wut? Kopf schütteln: Über die Neun. Und im Kopf Fragen: Warum sind sie nicht umgekehrt? Wo sind die hin? Was machen die? Warum haben sie nicht?

Genauso wenig wie Jesus sehen wir die Neun, sie sind weg, Jesus steht bei dem einen. Wir sehen sie nicht und wir wissen keine genauen Antworten auf unsere Fragen, wir können nur Vermutungen anstellen über Wo und Warum. Wir sehen sie nicht diese neun. Sie sind aus unserem Blick. Und doch fixieren sie unseren Blick, beschäftigen sie unseren Kopf, als wären sie da.

Das, was wir nicht sehen, das, was nicht ist, aber sein sollte, das, was ausbleibt, versäumt wird, fehl geht, fehlt, ist manchmal so übermächtig, so mehr, so dominant, so bindend, diese Wo nur? Warum nur? Warum nicht anders?

Jesus scheint über die Neun zu klagen, wie wir über versäumte Gelegenheiten, versäumte Chancen, Stunden, Wege, die wir in ein „Wohin nur“ gegangen sind, klagen. Beklagenswert sind die neun.



Glaubenswege trennen sich

Beide, Jesus und die zehn Aussätzigen, treffen sich kaum, zwischen ihnen und Jesus ist jene Distanz, die ihr ganzes Leben kennzeichnet. Nicht zu nahe kommen. Jesus sieht sie, ihre Haut, ihre Isolation, dass sie ausgesetzt sind. Sie bitten ihn von Ferne um Erbarmen. Er kommt ihnen keinen Schritt näher, schickt sie aber auf einen Weg, den Weg des Glaubens, der Heilung umschließt.

Es ist für sie der Weg zurück ins Leben. In ihr Leben. Dieses Leben, was sie verloren hatten, mussten sie in Jesus erblickt haben, zumindest eine Hoffnung darauf, die sie wagen konnten; denn sie gingen den Weg und als sie ihn gingen, wurde sie rein, wich der Aussatz, begann die Heilung, war es wirklich der Aufbruch zurück ins Leben.

Zurück ins Leben. Merkwürdig. Man hat doch sein Leben, lebt es jeden Tag. Kann man es denn verlieren? So dass man in es zurück müsste? Sein Leben verlieren, seine eigene Haut nicht mehr mögen, aussätzig sein, isoliert, ausgesetzt den Blicken, sich selbst, verlorenen Zielen, Hoffnungen, Liebe; darüber sich verlieren, wie dunkel Schatten, die das Leben verdunkeln. Wo ist mein Leben? Ich will mein Leben zurück. Zurück ins Leben.

Der Glaubensweg der Zehn, auf den Jesus sie geschickt hat, der trennt sich. An einem Punkt gegen einige dorthin und einer, wo anders hin. Die Zehn gehörten zusammen, waren sich über Zeit die einzigen, die sich hatten; nun trennen sich ihre Wege; an einem bestimmten Punkt.

Vielleicht zu dem Zeitpunkt als der eine sich, seine ganze Geschichte, ansah. Vielleicht, als für ihn nicht wichtig war, sich zu zeigen, sondern sich selbst anzuschauen, kam er in Stocken, wurden seine Schritte langsamer, gingen die anderen weiter, blieb er stehen, begann er zu lachen, zu weinen, pries Gott still er erst in seiner Seele und dann immer lauter, da waren die anderen aber schon außer Hörweite.



Zurück

Zurück ins Leben. Das geht für den einen nur, indem er wirklich noch mal zurück geht. Er kann nicht einfach vorwärts gehen, ihn treibt es innerlich noch mal zurück. Er bleibt stehen, wendet sich, seinen Blick, sein Herz, und geht dorthin zurück, wo er vor ein paar Augenblicken war, wohin er aber jetzt ganz anders zurückgeht. Er kehrt zurück, aber er ist ein anderer; zwischen dem Ort, wo er war, und an dem er zurückkehrt, liegen eigentlich Welten, vorher: Aussatz, Distanz, Bitte, Klage, Tod, jetzt: rein, Nähe, Lob, Dank, Leben. Es ist genau der gleiche Ort, aber ein anderer Mensch, der dahin wieder geht. Er ist geheilt, verwandelt. Einer, der sein Leben wieder hat und spürt.

Der eine geht eigentlich gar nicht zurück, er geht eigentlich direkt in sein neues Leben hinein. Ob das den anderen, den neun auch gelingt, ob sie in ihrem vorwärts wirklich im Leben zurück ankommen, ob ihre Heilung eine Verwandlung hin zum Leben ist, ist vollkommen unausgemacht, ist offen; nur die Sorge umtreibt Jesus, dass die anderen neun nicht wirklich zurück ins Leben finden, so wie der eine. Eine Sorge, die er mit uns teilt.

Zurück ins Leben. Sein Leben wieder finden. Da rennen wir manchmal, sind auf den Weg gesetzt, haben Angst die Richtung zu verlieren, gehen vorwärts, meinen das wäre es, dort wäre mein Leben, vielleicht sogar zusammen mit vielen; merken aber nicht, wo es wirklich liegt. Darum sorgt sich Jesus, wenn er fragt, wo, wo wir sind.




Verwandlung

Der eine, sogar ein Fremder, einer der eigentlich gar nicht zum auserwählten Volk gehörte, der gab Gott seine Herrlichkeit zurück, weil er spürte, sah, ja lebte, dass Gott seine Herrlichkeit auf und in ihn gelegt hatte. Er gab Gott seine Herrlichkeit zurück. Gottes Herrlichkeit ist so erfüllend, so reich, so übervoll. Sie ist das Leben. Menschen bekommen sie verliehen. Menschen können sie in Dankbarkeit wie zurückgeben und Menschen können sie dennoch behalten als Gottes Geschenk.

Schon in dem ewigen Augenblick, als diese Herrlichkeit Gottes in ihn fiel, war er geheilt, fand er wieder sein Leben, trug er es an und in sich, war er „zurück“. Er kehrte zurück, weil er lebte, weil er weiterging und diese Herrlichkeit Gott wieder geben wollte, als Dank und Lob, ihm zu Ehre, ihm zum Glanz.

Nicht: Wo sind die anderen? Warum kehrten sie nicht um? Sondern: Wo bin ich? Auf dem Weg meines Lebens.

Und spüren, leben: Gott legt seine Herrlichkeit mir zart in und auf mein Leben, holt mich zurück, gibt mir Anteil an sich und heilt meine vom Leben zugefügten Wunden, außen und innen. Nicht sich irre machen lassen von der Übermacht dessen, was nicht ist oder nur ist; sondern sich anstecken lassen vom Dank und Lob:

Gott sieht mich, wenn auch nur aus Ferne, er setzt mich beharrlich auf meinen Glaubensweg, plötzlich leuchtet im Lebens-Gehen Gottes Herrlichkeit an mir auf und ich bleibe stehen, wende mich - und alle Qualen dunkler Erinnerung verwandeln sich in eine stille Lebensfreude. Amen.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen