Freitag, 17. August 2018

Weite

Sing- und Gedichtgottesdienst
(13. Sonntag nach Trinitatis, 19. August 2018)

Vor lauter Lauschen und Staunen sei still.

Du mein tieftiefes Leben;
Daß du weißt, was der Wind dir will.
Eh noch die Birken beben.

Und wenn dir einmal das Schweigen sprach,
Laß deine Sinne besiegen.
Jedem Hauche gib dich, gib nach,
Er wird dich lieben und wiegen.

Und dann, meine Seele, sei weit, sei weit.
Daß dir das Leben gelinge,
Breite dich wie ein Feierkleid
Über die sinnenden Dinge.
(RM Rilke)

Nicht in die Weite

Herz, mein Herz, nicht in der Weite,
In der Nähe wohnt das Glück!
Glaube, liebe, hoffe, leide,
Und kehr’ in dich selbst zurück.
Wüchsen über Nacht dir Flügel,
Schneller als der Sonne Strahl,
Trügst doch über Tal und Hügel
Rastlos deiner Sehnsucht Qual.
Denn die Welt kann dir nicht bieten
Das, wonach du heiß verlangst;
Denn die Welt hat keinen Frieden
Hat nur Streit und Not und Angst.
Ewig wechselnd ist ihr Streben,
Ewig wechselnd ist ihr Ziel:
Was ihr heute Rast gegeben,
Morgen ist’s der Winde Spiel.
Drum, mein Herz, nicht in der Weite,
In der Nähe such‘ das Glück!
Glaube, liebe, hoffe, leide
Und kehr‘ in dich selbst zurück.
(Julius Sturm)
 
Stufen

Wie jede Blüte welkt und jede Jugend
Dem Alter weicht, blüht jede Lebensstufe,
Blüht jede Weisheit auch und jede Tugend
Zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern.
Es muß das Herz bei jedem Lebensrufe
Bereit zum Abschied sein und Neubeginne,
Um sich in Tapferkeit und ohne Trauern
In andre, neue Bindungen zu geben.
Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
Der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.

Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten,
An keinem wie an einer Heimat hängen,
Der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen,
Er will uns Stuf' um Stufe heben, weiten.
Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise
Und traulich eingewohnt, so droht Erschlaffen,
Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise,
Mag lähmender Gewöhnung sich entraffen.

Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde
Uns neuen Räumen jung entgegensenden,
Des Lebens Ruf an uns wird niemals enden ...
Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!
(Hermann Hesse)

Für Einen

Die Andern sind das weite Meer.
Du aber bist der Hafen.
So glaube mir: kannst ruhig schlafen,
Ich steure immer wieder her.
Denn all die Stürme, die mich trafen,
Sie ließen meine Segel leer.
Die Andern sind das bunte Meer,
Du aber bist der Hafen,
Du bist der Leuchtturm. Letztes Ziel.
Kannst Liebster, ruhig schlafen.
Die Andern … das ist Wellenspiel,
Du aber bist der Hafen.
(M. Kaleko)

Ein Rose als Stütze

Ich richte mir ein Zimmer ein in der Luft
unter den Akrobaten und Vögeln:
mein Bett auf dem Trapez des Gefühls
wie ein Nest im Wind
auf der äußersten Spitze des Zweigs.
Ich kaufe mir eine Decke aus der zartesten Wolle
der sanftgescheitelten Schafe die
im Mondlicht
wie schimmernde Wolken
über die feste Erde ziehen.
Ich schließe die Augen und hülle mich ein
in das Vlies der verläßlichen Tiere.
Ich will den Sand unter den kleinen Hufen spüren
und das Klicken des Riegels hören,
der die Stalltür am Abend schließt.
Aber ich liege in Vogelfedern, hoch ins Leere gewiegt.
Mir schwindelt. Ich schlafe nicht ein.
 Meine Hand
greift nach einem Halt und findet
nur eine Rose als Stütze.
(Hilde Domin)




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